4. Die Menschwerdung – ein Akt der Demut
Schon in einem der ältesten Hymnen der Christenheit, im Philipperbrief 2,6-11, wird die darin als κένοσις, als 'Entäußerung', bezeichnete Menschwerdung Christi als ein Akt der Demut, der 'humilitas', theologisch gedeutet. Zahlreich sind die Texte in den Weihnachtspredigten, die diese in der Menschwerdung des Wortes Gottes zutage getretene Demut rühmen. In der Regel spielt der Prediger dabei auf den Anfang des Prologs aus dem Johannesevangelium 1,1-3 an, wonach, «durch das Wort alles geworden ist», um die Demut, die der Inkarnierte in seiner Erniedrigung auf sich nahm, zu zeigen. Denn auch in seiner Niedrigkeit blieb der Inkarnierte Gottes Wort, Gottes einziggeborener Sohn. Darin gipfelt das Mysterium der Menschwerdung.
Anfang
Sermo 184,3 Iacebat in praesepio continens mundum: et infans erat et uerbum.
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Der die Welt zusammenhält, lag in der Krippe: er war Säugling und (Gottes) Wort. Den die Himmel nicht fassen, den trug der Schoß einer einzigen Frau. ... Welch offensichtliche Ohnmacht und bewunderungswürdige Demut, in der sich die ganze Gottheit auf diese Weise verbarg. |
Sermo 188,3 Vide, o homo, quid pro te factus est deus: |
Siehe, o Mensch, was Gott für dich geworden ist:
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doctrinam tantae humilitatis agnosce, etiam in nondum loquente doctore. ... |
erkenne die Lehre solch großer Demut, auch wenn ihr Lehrer der Sprache noch nicht mächtig ist. ... |
tu cum esses homo, deus esse uoluisti, ut perires: ille cum esset deus, homo esse uoluit, ut quod perierat inueniret. |
Du wolltest als Mensch Gott sein, um zugrunde zu gehen; er hingegen wollte als Gott Mensch sein, um wiederzufinden, was verloren gegangen war. |
tantum te pressit humana superbia, ut te non posset nisi humilitas subleuare diuina. | Menschlicher Stolz hat dich in einer Weise niedergedrückt, dass nur noch göttliche Demut dich (wieder) aufrichten konnte. |
Sermo 190,4 Magis ergo miremur, quam contemnamus eius etiam carnalem natiuitatem; et ibi agnoscamus tantae propter nos celsitudinis humilitatem. |
Lasst uns also seine fleischliche Geburt mehr bewundern als verachten und lasst uns in ihr die Demut seiner erhabenen Größe erkennen, die er unseretwegen auf sich nahm. |
inde accendamus caritatem, ut perueniamus ad eius aeternitatem. | Von da (seiner demutsvollen Geburt) her lasst uns die Liebe entzünden, um zu seiner Ewigkeit zu gelangen. |
Sermo 185,1 cuius bono in tanta humilitate uenit tanta sublimitas? |
Zu wessen Vorteil kam eine so erhabene Größe in einer so tiefen Demut? |
nulli utique suo; sed magno, si credimus, nostro. |
Gewiss nicht zu ihrem, sondern, wenn wir glauben, zu unserem großen (Vorteil). |
expergiscere homo: pro te deus factus est homo. |
Wach auf, Mensch: für dich ist Gott Mensch geworden. |
«surge, qui dormis, et exsurge a mortuis, et illuminabit te Christus». |
«Wach auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten» (Eph 5,14). |
pro te, inquam, deus factus est homo. |
Für dich, sage ich, ist Gott Mensch geworden. |
In aeternum mortuus esses, nisi in tempore natus esset. | Für alle Ewigkeit wärest du gestorben, wäre er (Christus) nicht in der Zeit geboren. |