ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

 

3. Die Vollzüge des Denkens und Sprechens als Paradigmen zur Veranschaulichung der Doppelgeburt Christi

Die doppelte Geburt des Wortes Gottes versuchten Theologen ebenfalls schon vor Augustinus mit Hilfe der Vollzüge des Denkens und Sprechens verständlich zu machen. Damit sollte gezeigt werden, dass der Inkarnierte als Subjekt Gottes Wort, Schöpfer und Prinzip der Welt blieb. Augustinus folgt dieser Tradition. Ja er scheute sich offensichtlich nicht, diesen ursprünglich der Philosophie entliehenen und bei philosophisch gebildeten Christen heimisch gewordenen Vergleich auch auf die Kanzel zu bringen, um damit dem gläubigen Volk das Geheimnis der Menschwerdung zu erklären, wie dies der Sermo 187, der hier fast in Gänze wiedergegeben wird, zeigt. Als Theologe vertrat nämlich der Bischof von Hippo die Auffassung, eine Glaubenswahrheit dürfe der Vernunft, lateinisch der ratio, griechisch dem lógos, nicht widersprechen. Dabei konnte sich der Prediger auch auf das Neue Testament, speziell auf den Prolog des Johannesevangeliums berufen, denn indem dort schon der Mensch gewordene Gottesssohn literarisch und kerygmatisch unter dem Terminus lógos vorgestellt und eingeführt wurde, konnten und wollten Theologen von Rang auf Argumente der Vernunft nicht nur in ihrem schriftstellerischen Schaffen, sondern auch in der Katechese und, wie zu sehen, auch auf der Kanzel nicht verzichten.

Sermo 187,2

 

quid hoc miramur de uerbo dei, cum sermo iste quem promimus ita liber sensibus influat, ut eum et recipiat, et non includat auditor?
nam nisi reciperetur, neminem instrueret: si includeretur, ad alios non ueniret.

 

Was bewundern wir am Wort Gottes, wenn diese gesprochene Rede die Sinnesorgane in freier Weise so erreicht, dass der Hörer sie auch empfängt und (sich der Rede) nicht (sogleich) verschließt? Würde sie nämlich nicht empfangen werden, könnte sie niemanden belehren; würde sie verschlossen, könnte sie andere nicht erreichen.

et utique sermo iste uerbis syllabisque diuiditur: nec tamen ex eo tanquam ex cibo uentris singulas particulas tollitis; sed omnes totum auditis, totum singuli capitis.
Selbstverständlich wird diese Rede in Worte und Silben geteilt: dennoch bedient ihr euch bei ihr nicht wie beim Verzehr einer Speise einzelner Brocken; vielmehr hört ihr sie alle in ihrer Gänze, bemächtigt euch ihrer als einzelne ganz.
nec timemus dum loquimur, ne totum audiendo unus absumat, nec alter possit habere quod sumat: Auch befürchten wir mitnichten, es könnte ein einziger, während wir sprechen, beim Hören das Ganze sich einverleiben, und es könnte ein anderer leer ausgehen.
sed ita uos attentos esse uolumus, nullius aurem mentemque fraudantes, ut et totum singuli audiatis, et totum ad audiendum ceteris relinquatis.
Wir wünschen jedoch, indem wir das Ohr und den Sinn keines von euch täuschen, ihr möget so aufmerksam sein, dass ihr einzeln sowohl das Ganze hört, als auch dass ihr das Ganze zum Hören den anderen (ebenfalls) überlasst.
neque hoc fit alternis temporibus, ut cum sermo qui dicitur ad te primum intrauerit, exeat a te, ut ad alium possit intrare: sed simul ad omnes uenit, et totus ad singulos peruenit.
(Dies) geschieht indes auch nicht zeitversetzt, so dass eine Rede, die gehalten wird, zunächst dich erreicht und dich dann verlässt, um einen anderen (Hörer) erreichen zu können: (nein), sie kommt bei allen zugleich an, und sie erreicht alle in Gänze.
et si totus memoria teneri ualuisset, sicut ad totum audiendum omnes uenistis, ita cum toto singuli rediretis.
Und, könnte sie in Gänze im Gedächtnis behalten werden, wie ihr auch zum Hören des Ganzen (hierher) gekommen seid, so könntet ihr jeder einzeln mit der ganzen (Rede) nach Hause gehen.
quanto magis uerbum dei, per quod facta sunt omnia, et quod in se manens innouat omnia; quod nec locis concluditur, nec temporibus tenditur, nec morulis breuibus longisque uariatur, nec uocibus texitur, nec silentio terminatur; quanto magis hoc tantum et tale uerbum potuit matris uterum assumpto corpore fecundare, et de sinu patris non emigrare?
Um wie viel mehr gilt das Gesagte vom Worte Gottes, durch das alles erschaffen wurde, und das in sich bleibend alles erneuert; das weder durch Räume begrenzt wird, noch durch Zeiten sich ausbreitet, das weder durch Kürze und Länge der Silben sich verändert, noch durch Klänge zu einem Text wird, auch nicht durch Schweigen zu einem Ende kommt; um wie viel mehr vermochte dieses Wort von solcher Art, indem es Fleisch annahm, einen Mutterleib zu befruchten, ohne den Schoß des Vaters zu verlassen?
hinc ad oculos humanos exire, inde mentes angelicas illustrare?
hinc ad terras procedere, inde caelos extendere?
hinc homo fieri, inde homines facere?
(Ferner vermochte es) von hier (dem Schoß des Vaters) zu menschlichen Augen hinauszugehen, um von dort aus die engelgleichen Geister zu erleuchten?
Von hier in Länder vorzurücken, um von dort aus zum Himmel sich zu erstrecken?
Von hier Mensch zu werden, um von dort aus Menschen zu erschaffen?

Sermo 187,3

nemo ergo credat dei filium conuersum et commutatum esse in hominis filium: sed potius credamus et non consumpta diuina et perfecte assumpta humana substantia, manentem dei filium, factum hominis filium.

 

Niemand soll also glauben, der Sohn Gottes habe sich verändert und in einen Menschensohn verwandelt; vielmehr wollen wir glauben, dass er, Gottes Sohn bleibend Menschensohn geworden ist, indem er sowohl seine göttliche Substanz nicht aufgab, als auch eine menschliche vollständig annahm.

neque enim quia dictum est, «deus erat uerbum», et «uerbum caro factum est»; sic uerbum caro factum est, ut esse desineret deus: quando in ipsa carne quod uerbum caro factum est, «Emmanuel» natum est, «nobiscum deus». Es bedeutet ja nicht, weil gesagt wurde, «Gott war das Wort» und «das Wort ist Fleisch geworden» (Io 1,1.14), dass das Wort in der Weise Fleisch geworden ist, dass es aufhörte Gott zu sein; (denn, dies gilt es zu bedenken,) dass das Wort, als es im Fleisch, das es geworden ist, als «Emmanuel», das heißt als «Gott mit uns» (Mt 1,23), geboren ist.
sicut uerbum quod corde gestamus, fit uox cum id ore proferimus, non tamen illud in hanc commutatur, sed illo integro ista in qua procedat assumitur, ut et intus maneat quod intelligatur, et foris sonet quod audiatur: (Es verhält sich damit ähnlich) wie mit dem Wort, das wir im Geiste haben. Es wird ein Laut, sobald wir es mit dem Munde aussprechen. Jedoch es verändert sich das Wort nicht in einem Laut, sondern es bewahrt seine Vollständigkeit, nimmt aber die Stimme an, in der es hervorgeht, damit es (einerseits) sowohl drinnen (im Geiste) bleibe und (als Wort) verstanden werde, (andererseits) auch draußen erklinge, was gehört werden soll.
hoc idem tamen profertur in sono, quod ante sonuerat in silentio; atque ita uerbum cum fit uox, non mutatur in uocem; sed manens in mentis luce, et assumpta carnis uoce procedit ad audientem, et non deserit cogitantem.
Jedoch das selbe Wort wird im Klang hervorgebracht, das, ehe es erklang, in der Stille war. Und so verändert sich das Wort, wenn es zur Stimme wird, nicht in eine Stimme. Vielmehr bleibt es im Licht des Geistes, und, nachdem es gleichsam die Stimme des Fleisches angenommen hat, bewegt es sich zum Hörer hin, und verlässt dennoch den Denkenden nicht.
non cum ipsa uox in silentio cogitatur, quae uel Graecae est, uel Latinae, uel linguae alterius cuiuslibet: sed cum ante omnem linguarum diuersitatem res ipsa quae dicenda est, adhuc in cubili cordis quodam modo nuda est intelligenti, quae ut inde procedat loquentis uoce uestitur.
Nicht die Stimme ist es, die in der Stille bedacht wird, denn sie gehört entweder der griechischen oder der lateinischen oder irgendeiner anderen Sprache an. Es verhält sich vielmehr so, dass die Sache selbst, um die es beim Sprechen geht, ehe sie in der ganzen Vielfalt der Sprachen erscheint, sich im Innersten des Menschen gleichsam nackt dem Verstehenden darbietet, und um hervorzugehen, sich mit der Stimme des Sprechenden bekleidet.
uerumtamen utrumque hoc, et quod cogitatur intelligendo, et quod sonat loquendo, mutabile atque dissimile est: neque illud manebit, cum oblitus fueris; neque hoc, cum silueris: uerbum autem domini manet in aeternum. (Vorsicht) jedoch, denn beides, sowohl das, was beim Verstehen bedacht wird, als auch das, was beim Sprechen erklingt, ist veränderlich und hält sofern dem intendierten Vergleich nicht stand: denn weder wird jenes bleiben, wenn du es vergessen haben wirst, noch dieses, wenn du aufhörst zu sprechen. Gottes Wort hingegen bleibt in Ewigkeit.

Sermo 187,4

et cum carnem assumpsit ex tempore, ut ad temporalem uitam nostram procederet, non in carne amisit aeternitatem, sed etiam carni praestitit immortalitatem.

 

Und als er Fleisch annahm in der Zeit, um unser zeitgebundenes Leben mit uns zu teilen, gab er im Fleisch seine Ewigkeit nicht preis, im Gegenteil, er stattete auch das Fleisch mit Unsterblichkeit aus.

 

ita ipse «tanquam sponsus procedens de thalamo suo, exsultauit ut gigas ad currendam uiam».
So «trat er gleichsam wie ein Bräutigem aus seinem Brautgemach hervor, und wie ein Held durchlief er freudig seine Bahn» (Ps 18,6).
«qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse aequalis deo»: sed ut propter nos fieret quod non erat, «semetipsum exinaniuit»; non formam dei perdens, sed «formam serui accipiens»: et per hanc «in similitudinem hominum factus»; nec propria substantia; sed «habitu inuentus ut homo». «Der, als er in der Gestalt Gottes war, betrachtete es nicht als Raub, Gott gleich zu sein», sondern, um unseretwegen zu werden, was er nicht war, «entäußerte er sich selbst», seine Gottesgestalt gab er (zwar) nicht auf, er nahm jedoch «die Gestalt eines Knechtes» an, und durch sie (die Knechtsgestalt) «wurde er dem Menschen gleich». Nicht der eigenen (göttlichen) Substanz nach, sondern in seinem Äußeren nach wurde er als Mensch angetroffen» (Phil 2,6sq.).
hoc enim totum quod sumus uel in anima uel in corpore, nostra natura est, illius habitus: nos nisi hoc essemus, non essemus; ille si hoc non esset, esset utique deus.
Das also, was wir entweder in der Seele oder im Leib als Ganzes sind, ist unsere Natur, ist seine äußere Gestalt (sein Gehabe). Wären wir dies (Substanz aus Leib und Seele) nicht, so gäbe es uns nicht; jener hingegen, wäre er dies nicht (geworden), so wäre er doch auf alle Fälle Gott.
et cum hoc esse coepit quod non erat, homo factus est permanens deus: ut non unum horum, sed utrumque uerissime diceretur; et propter quod homo factus est, «quoniam pater maior me est», et propter quod permansit deus, «ego et pater unum sumus». Und als er begann zu sein, was er nicht war, wurde er Mensch und blieb zugleich Gott. Auf diese Weise konnte nicht nur eines, sondern beides mit fug und recht von ihm gesagt werden: weil er Mensch geworden ist, (heißt es,) «denn der Vater ist größer als ich» (Io 14,28); weil er Gott geblieben ist, (heißt es,) «ich und er Vater sind eins» (Io 10,20).
nam si uerbum in carnem, hoc est, deus in hominem mutatus conuerteretur, non esset uerum, nisi, «pater maior me est»; quia homine maior est deus: illud autem falsum esset, «ego et pater unum sumus»; quia non sunt unum deus et homo. Hätte sich das Wort ins Fleisch, das heißt, Gott in einen Menschen verwandelt, dürfte es richtig nur heißen, «der Vater ist größer als ich», da Gott größer ist als der Mensch. Es wäre dann falsch zu sagen: «Ich und der Vater sind eins», da Gott und Mensch nicht ein und dasselbe sind.
sed forsitan posset dicere: ego et pater, non unum sumus, sed unum fuimus.
Aber vielleicht hätte er sagen können: ich und der Vater sind nicht eins, sondern wir waren eins.
quod enim erat et esse destitit, non est utique, sed fuit.
Was nämlich war und zu sein aufhörte, ist nicht, sondern war.
nunc autem, et propter ueram formam serui, quam acceperat, uerum dixit, «pater maior me est»; et propter ueram formam dei, in qua permanebat, uerum dixit, «ego et pater unum sumus».
Nun aber, sagte er sowohl wegen der wahren Gestalt des Knechtes, die er annahm, zurecht, «der Vater ist größer als ich»; als auch wegen der wahren Gestalt Gottes, in der er blieb, ebenfalls zurecht, «ich und der Vater sind eins».
exinaniuit ergo se apud homines, non ita factus quod non erat, ut non esset quod erat: sed occultans quod erat, et demonstrans quod factus erat.
Er entäußerte sich somit bei den Menschen, weil er nicht in der Weise geworden ist, was er nicht war, um nicht zu sein, was er war, sondern weil er verbarg, was er war und zeigte, was er geworden war.
proinde quia uirgo concepit et peperit filium, propter manifestam serui formam, «puer natus est nobis».
Weil daher die Jungfrau empfing und einen Sohn gebar, wegen der augenscheinlichen Gestalt des Knechtes «ist uns ein Knabe geboren worden» (Is 9,6)..
quia uero dei uerbum quod manet in aeternum, caro factum est, ut habitaret in nobis, propter dei formam latentem, sed manentem, sicut nuntiauit Gabriel, uocamus «nomen eius Emmanuel». Weil jedoch Gottes Wort, das in Ewigkeit bleibt, Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen, nennen wir wegen der verborgenen, aber bleibenden Gestalt Gottes, «seinen Namen Emmanuel», so wie Gabriel dies verkündete.
factus est enim homo, permanens deus, ut et filius hominis recte uocetur «nobiscum deus»: non alter deus, alter homo.
Er wurde also Mensch und blieb Gott, damit er zurecht auch als der Menschensohn «Gott mit uns» (Mt 1,23) genannt werde: nicht ein anderer ist (somit) Gott und ein anderer Mensch.
exsultet itaque in credentibus mundus, quibus saluandis uenit per quem factus est mundus.
Und so möge das Universum in den Gläubigen jubeln, deren Erlösung halber der gekommen ist, durch den das All erschaffen wurde.
conditor Mariae, natus ex Maria: filius Dauid, dominus Dauid: semen Abrahae, qui est ante Abraham: factor terrae, factus in terra: creator caeli, creatus sub caelo.
Der Schöpfer Mariens ist aus Maria geboren; der Sohn Davids als der Herr Davids; der Samen Abrahams, der vor Abraham war; der Erschaffer der Erde, erschaffen auf Erden; der Schöpfer des Himmels, erschaffen unter dem Himmel.
ipse est dies quem fecit dominus, et dies cordis nostri ipse est dominus.
Er ist der Tag, den der Herr gemacht hat, und der Tag unseres Herzens ist der Herr selbst.
ambulemus in lumine eius, exsultemus et iucundemur in eo. Lasst uns in seinem Lichte wandeln, lasst uns jubeln und seiner uns freuen.