ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Eine Hinführung von Prof. Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA

Inhalt

Originalität, Wirkungsgeschichte und anhaltende Aktualität

Ausgezeichnete Quellenlage

Geburt, Eltern, Kindheit und Schulen

Begegnung mit der Philosophie

Augustinus als Manichäer

Lehrtätigkeit in Karthago und extensive Studien

Rom und Mailand

Ambrosius und der Kreis christlicher Intellektueller

Die Schriften der Neuplatoniker

Der Griff nach den Paulinen

Exempla trahunt – Bekehrungsgeschichten

Die Bekehrung

Die Taufe und die ersten philosophisch ausgerichteten Schriften

Das Gespräch mit der Mutter Monnica in Ostia

Rückkehr in die Heimatstadt Thagaste und die Wahl zum Priester in Hippo

Der Bischof

Der Schriftsteller und sein immenses literarisches Werk

a) Das apologetische Schrifttum

b) Das exegetische Werk

c) Die moral- und pastoral-theologischen Schriften

d) Das Korpus der Briefe

e) Die epochalen Hauptwerke

Augustins Tod

 

PolanoN Augustinus schreibt De-civ-Dei internet

 

 

Originalität, Wirkungsgeschichte und anhaltende Aktualität

Der Dogmenhistoriker Adolf von Harnack nannte Augustinus den vielleicht größten Schriftsteller des Altertums nach und neben Plato. Es gibt jedoch auch andere, die Augustins Originalität bestreiten; seinen Einfluß auf die Nachwelt können indes auch sie nicht leugnen. Des Kirchenvaters Stellung in der abendländischen Geistesgeschichte ist einmalig. Die Literatur um seine Person und um sein Werk wächst von Jahr zu Jahr immer noch um einige hundert Titel.

Wer war dieser Mann, der trotz einer schon mehr als anderthalb Jahrtausende anhaltenden Wirkungsgeschichte an Aktualität nichts eingebüßt zu haben scheint? Worüber dachte, redete und schrieb er? Wodurch und womit faszinierte er seine Zeitgenossen, prägte er seine Umgebung und wirkte er so mächtig in die Geschichte hinein, daß am Gespräch mit ihm selbst unsere Gegenwart noch interessiert ist?

Ausgezeichnete Quellenlage

Im Unterschied zu den meisten Persönlichkeiten der alten Kirche sind unsere Kenntnisse über Augustinus alles andere als dürftig. Der Grund dafür liegt zunächst darin, daß Augustinus seine Confessiones – Bekenntnisse – schrieb. In diesem unvergleichlichen Werk der Weltliteratur hatte er seine eigene Biographie von frühester Jugend bis zu seiner Bekehrung zum Christentum deutend verarbeitet. Gewiß, diese seltsame Autobiographie geriet durch das Aufkommen der historisch-kritischen Methode für längere Zeit in das Feuer der Kritik. Heute scheint jedoch – nicht zuletzt aufgrund sorgfältiger, auch die Philologie miteinbeziehender historischer Untersuchungen – das Vertrauen in deren Glaubwürdigkeit wiederhergestellt zu sein. Selbstverständlich dient auch das übrige Schrifttum Augustins, seine Bücher, Briefe und Predigten, als Quelle für seine Biographie. Von außergewöhnlicher biographischer Dichte sind die sogenannten Retractationes – Nachprüfungen. Der greise Bischof hat nämlich in einer Art schriftstellerischer Beichte jedes einzelne seiner Werke nochmals durchgesehen, und wo er es für nötig fand, mit Korrekturen auch inhaltlicher Art versehen. Dabei fügte er zu vielen Schriften wertvolle Informationen über die Zeit, die Dauer und den Ort des Entstehens sowie über den Anlaß zur Abfassung eines Werkes bei.

Neben all diesem autobiographischen Material ist schließlich noch die Vita des Bischofs Possidius, eines Zeitgenossen und engen Vertrauten Augustins, zu erwähnen. Freilich kann sie sich weder in Form noch in Inhalt mit den Confessiones messen. Dennoch informiert sie trotz gewisser Einseitigkeiten zuverlässig über Augustin als einen Mann der Kirche.

Geburt, Eltern, Kindheit und Schulen

Aurelius Augustinus wurde am 13. November 354 in Thagaste (heute Algerien) geboren. Sein Vater Patricius, ein städtischer Beamter und möglicherweise Nachkomme eines römischen Veteranen, ließ dem begabten Sohn eine klassische Ausbildung zuteil werden. Trotzdem blieb sein Einfluß auf die geistige Entwicklung seines Sohnes geringer als der der Mutter Monnica, die im Gegensatz zu ihrem Mann gläubige Katholikin war und ihre nicht getauften Kinder christlich erzog.

Den Elementarunterricht erhielt Augustinus in seiner Vaterstadt. Zur Weiterbildung in Grammatik und Rhetorik wurde er nach Madaura, unweit Thagaste, gesandt. Da die Mittel für ein Hochschulstudium fehlten, kehrte Augustin für ein Jahr nach Thagaste zurück. Nachdem es den Eltern gelungen war, mit Hilfe eines Gönners, des Großgrundbesitzers Romanianus, die Kosten aufzubringen, zog Augustin im Jahre 370 nach Karthago, wo er die Freiheiten eines sorglosen Studentendaseins genoß. Er ging häufig ins Theater, nahm sich eine Konkubine, die ihm, dem Neuzehnjährigen, einen Sohn schenkte. Er gab ihm den Namen Adeodatus – von Gott geschenkt.

Die Begegnung mit der Philosophie

Zum Studium der Rhetorik gehörte die Lektüre der Werke Ciceros. Augustin berichtet: «Im Verlauf des Studiengangs kam ich an das Buch eines gewissen Cicero ... Es enthält seine Aufforderung, sich der Philosophie zu widmen, und trägt den Titel Hortensius. Jenes Buch führte eine Wende in mir herbei» (conf. 3,4). Wie sehr sich indes Augustin diese Wende nur unter religiösen Leitbildern vorzustellen vermochte, zeigt seine Reaktion: Er war enttäuscht, daß er darin den Namen Christi, «den er schon mit der Muttermilch fromm in sich hineingetrunken hatte» (ebd.), nicht fand. Er beschloß deshalb, in Sachen Weisheit mit Hilfe der Bibel weiterzukommen. Als Rhetor hatte er jedoch mit ihrem schlichten Stil etliche Schwierigkeiten. Außerdem plagte ihn die ungelöste Frage nach dem Ursprung des Bösen. Das Versprechen der Manichäer, darauf eine plausible Antwort geben zu können, trieb ihn ins Netz dieser Sekte.

Augustinus als Manichäer

Der Manichäismus, eine vom Perser Mani im 3. Jahrhundert n.Chr. aus unterschiedlichen Strömungen zusammengesetzte Religionsgemeinschaft, fußt auf einem mythologischen System, das sich weltanschaulich auf einen ontologischen Dualismus zurückführen läßt. Danach stehen das Gute und das Böse sich von Anfang an als einander ausschließende Prinzipien gegenüber – in der Sprache des Mythos: die Mächte der Finsternis und des Lichtes. Das gegenwärtige Unheil bestehe in der Vermischung der beiden Prinzipien; Erlösung hingegen meine letztlich Befreiung und Sammlung des Guten aus der Sinnen- und Schattenwelt. Was Augustin am Manichäismus fasziniert hatte, war der Rationalitätsanspruch der manichäischen Dogmatik. Dennoch vermochte er sich nicht dem engeren Kreis der 'Auserwählten' (electi) anzuschließen. Er blieb während seiner neunjährigen Mitgliedschaft ein bloßer 'Hörer' (auditor). Sein missionarischer Eifer war trotzdem beachtlich. Er gewann nicht wenige für die Sekte und nahm sogar die Entfremdung zwischen sich und seiner Mutter in Kauf, die ihm vorübergehend das Haus verbot.

Lehrtätigkeit in Karthago und extensive Studien

Augustin wird als Zwanzigjähriger seine Studien zum Abschluß gebracht haben. Er lehrte zunächst kurze Zeit in seiner Vaterstadt und dann bis 383 in Karthago Rhetorik. Seine Lehrtätigkeit ließ ihm genug Zeit zu intensiven wie extensiven Studien. Damals las er ohne Anleitung des Aristoteles Schrift über die Kategorien. Er vertiefte sich in das Studium der Freien Künste und eignete sich eine Unmenge enzyklopädischen Wissens an, das ihn allmählich vom Manichäismus entfremdete.

Rom und Mailand

Um diese Zeit wachsender Distanz zum Manichäismus verließ Augustin 383 seine Wirkungsstätte. Er zog nach Rom. Als Grund geben die Confessiones das lümmelhafte Benehmen der karthagischen Studenten an (conf. 5,8). Aber die Studenten dort enttäuschten ihn nicht weniger, denn sie blieben ihm vielfach das Honorar schuldig (conf. 5,12). Er war darum froh, als sich seine finanziellen Verhältnisse durch seine Berufung zum Professor der Rhetorik in Mailand entschieden verbesserten. Der Umzug erfolgte noch vor dem dreißigsten Geburtstag. Monnica zog bald mit den Verwandten von Afrika nach. Auf ihren Einfluß hin entließ er, eine standesgemäße Heirat anstrebend, die Mutter seines Sohnes. Weil ihm sexuelle Enthaltsamkeit zusetzte, verschaffte er sich zwischenzeitlich eine andere Konkubine (conf. 6,13.15).

Ambrosius und der Kreis christlicher Intellektueller

Augustin begegnete in Mailand dem Christentum in der imponierenden Gestalt des Bischofs Ambrosius. Er begann dessen sonntägliche Gottesdienste zu besuchen, zunächst freilich nur «um zu prüfen, ob dessen Redekunst mit ihrem Ruf in Einklang stünde» (conf. 5,13). Der Prediger entnahm das theoretisch-weltanschauliche Gerüst seiner Darlegungen nicht nur der Bibel, sondern auch der neuplatonischen Philosophie, so daß Augustin die biblische Theologie wahrscheinlich schon im Kontext platonischen Denkens kennenlernte. Hinzu kommt, daß er in Mailand Kontakte auch zu einem Kreis christlicher Intellektueller geknüpft hatte. Von einem solchen wurden ihm die Schriften Plotins in die Hände gespielt (conf. 7,9; 8,2).

Die Schriften der Neuplatoniker

Augustin verdankte der Lektüre dieser Schriften die Einsicht in die Immaterialität des geistig Seienden und damit zugleich die Überwindung des manichäischen Dualismus. Er begriff die raum- und zeitlose Natur Gottes sowie die ordnende und strukturierende Macht des Geistigen in der materiellen Welt. Hand in Hand mit solchen Klärungen philosophisch-weltanschaulicher Fragen ging eine Annäherung an die christliche Offenbarungslehre. Augustin verglich seine durch den Neuplatonismus gewonnenen Einsichten mit der Bibel. Er stellte dabei Gemeinsamkeiten – freilich auch Unterschiede – fest (conf. 7,9). Die Gemeinsamkeiten scheinen jedoch hingereicht zu haben, um ihn vom intellegiblen Charakter der christlichen Offenbarungslehre ein für allemal überzeugt zu haben.

Der Griff nach den Paulinen

Nach der Schilderung der Confessiones begegnet uns von diesem kongnitiven Wandel ab in Mailand ein Augustinus, dem sein gewohntes Leben von Tag zu Tag mehr zur Last wurde. Er sucht neue Wege, um vorwärts zu kommen, und greift zu den Schriften des Apostels Paulus (conf. 7,21). Diesen Griff nach den Paulinen zeichnet er besonders anschaulich in dem bald nach seiner Bekehrung geschriebenen Dialog Gegen die Akademiker. Er berichtet dort von dem Feuer, das die Schriften der Neuplatoniker in ihm entfacht hatten, und fährt fort: «Eilends kehrte ich ganz und gar zu mir zurück. Dennoch, ich gestehe es, schaute ich mich gleichsam wie auf einer Wanderung nach jenem Land um, das uns als Kindern eingepflanzt und ins Mark eingesenkt wurde. In der Tat, dieses Land meiner Kindheit zog mich ohne mein Wissen an. Und siehe, da greife ich bald schwankend, bald eilend, bald wieder zögernd nach dem Apostel Paulus ... Mit größter Aufmerksamkeit und Ehrerbietung las ich ihn ganz durch» (Acad. 2,2).

Exempla trahunt – Bekehrungsgeschichten

Waren auf der kognitiven Ebene bereits alle Hindernisse beseitigt, so mußte nach der deutenden Darstellung der Confessiones auf der emotionalen noch einiges in Gang gesetzt werden. Augustins Wille sei noch «wie in Ketten gebunden» gewesen (conf. 8,5). Diese Trägheit überwand der Zögernde durch Impulse, die er durch den Bericht des Priesters Simplicianus über das Leben des Neuplatonikers Marius Victorinus und schließlich durch die Erzählungen seines Landsmannes Ponticianus über den Mönchsvater Antonius sowie über die wunderbare Bekehrung zweier kaiserlicher Offiziere gerade zur rechten Stunde zu hören bekam.

Was das Leben des Victorinus betraf – er kam ca. 340 nach Rom, wurde im Jahre 355 getauft und starb im Jahre 361 -, so mußte Augustinus in dessen Bekehrungsgeschichte gleichsam das Spiegelbild seiner eigenen sehen. Jener war ein gefeierter Rhetor, ein belesener Philosoph, Lehrer, dazu Landsmann, Afrikaner, der durch die Lektüre der Schrift zum Christentum kam (conf. 8,2). Von Ponticianus bekam er gleich drei Bekehrungsgeschichten zu hören: Die des Antonius konfrontierte ihn mit der Existenz des christlichen Mönchtums. Die Idee eines gemeinsamen Lebens mit Gleichgesinnten war im Mailänder Freundeskreis Augustins schon des öfteren besprochen worden. Der Plan scheiterte jedoch an der Frage der Teilnahme der Ehefrauen an dieser Lebensform (conf. 6,14). Antonius und die ägyptischen Mönche brachten es fertig, wozu die Bibel in seinen Augen riet: zum Rückzug aus der Welt. Ponticianus fügte seiner Erzählung über Antonius noch die Bekehrungsgeschichte zweier ihm persönlich bekannter kaiserlicher Offiziere hinzu. Diese fanden auf einem Ausflug bei Trier in einer Mönchszelle die Vita des Antonius. Nach deren Lektüre verließen sie ihre Bräute, gaben ihre Karriere auf und wählten für sich die monastische Lebensform (conf. 8,6).

Die Bekehrung

Nun schlug für Augustin die Stunde der Bekehrung. Die Confessiones schildern sie mit hohem sprachlichen Können. Augustin spricht «von einem großen Aufruhr im Innern seines Hauses» (conf. 8,19). Er stürmt auf seinen Freund Alypius zu, der schon seit der Zeit in Karthago seine geistige Entwicklung mitverfolgte: «Hast du das gehört? Ungebildete stehen auf und reißen den Himmel an sich, und wir mit unserer Bildung ohne Herz wälzen uns in Fleisch und Blut». In diesem Zustand ging er in der Garten. Er ließ sich dort unter einem Feigenbaum nieder. Als müßte er nochmals die Qualen seiner manichäischen Irrtümer vom doppelten Willen durchleiden, klagte er sich unter Tränen heftig an: «Wie lange noch, wie lange morgen und morgen? Warum nicht jetzt? ... Solches sprach ich ... Und siehe, da höre ich eine Stimme aus dem Nachbarhaus, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist, weiß ich nicht, die in singendem Ton oftmals wiederholt: 'Nimm und lies! Nimm und lies!' Sofort veränderte sich mein Antlitz und ich begann gespannt nachzudenken, ob Kinder in irgendeinem Spiel derartiges zu leiern pflegen, aber ich erinnerte mich nicht, je solches gehört zu haben. So hielt ich den Strom meiner Tränen zurück und erhob mich; denn ich konnte es nicht anders deuten, als daß mir von Gott befohlen werde, ein Buch zu öffnen und dort das erste Kapitel zu lesen, das ich finden würde». So kehrte er eilends zu Alypius zurück, wo er die Briefe des Apostels liegengelassen hatte. Er greift danach und liest Röm 13,13f.: «Nicht in Gelagen und Zechereien, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Hader und Eifersucht, ziehet vielmehr den Herrn Jesus Christus an und pflegt nicht das Fleisch zur Erregung eurer Lüste». Weiter wollte er nicht lesen, denn Licht erfüllte sein Herz, und alle Finsternis war wie zerstoben (conf. 8,28-30).

Die Taufe und die ersten philosophisch ausgerichteten Schriften

Bald nach der Bekehrung gab Augustin sein Lehramt in Mailand auf. Er zog sich mit einer kleinen Schar von Verwandten, Freunden und Schülern auf das Landgut Cassiciacum, unweit Mailand, zurück, das ihm sein Freund Verecundus für einige Zeit zur Verfügung stellte (conf. 9,3). Dort verbrachte er den Herbst und auch den Anfang des Winters in philosophischen Gesprächen, mit Vergillektüre, Meditation und Gebet. Dort entstanden auch seine ersten uns überlieferten Schriften. Im Winter kehrte er zur Vorbereitung auf die Taufe, die er in der Osternacht aus den Händen des Bischofs Ambrosius empfing, nach Mailand zurück (conf. 9,6). Noch in diese Zeit seines zweiten Mailänder Aufenthaltes fallen die Arbeiten an den ersten eines auf viele Bände geplanten Unterrichtswerkes zu den Freien Künsten. Ziel dieser neu konzipierten Enzyklopädie war eine Reform des gesamten Unterrichtswesens. Die neuen Lehrbücher sollten das pädagogisch-didaktische Anliegen verfolgen: «die Lernenden vom Körperlichen zum Unkörperlichen zu führen» (retr. 1,6).

Das Gespräch mit der Mutter Monnica in Ostia

Wie sehr der Neubekehrte von diesem zweifelsohne nicht nur christlichen, sondern weithin auch neuplatonischen Programm des 'Aufstiegs' fasziniert war, zeigt das Gespräch, das er mit seiner Mutter Monnica kurz vor deren Tod in der Hafenstadt Ostia führte. Gewiß, die Confessiones geben den Inhalt dieses in eine Exstase mündenden Gespräches aus verklärter Erinnerung wieder (conf. 9,10). Dennoch dürfte der Tenor des Gespräches, dessen beinahe lyrischer Text mit zu den Höhepunkten der Confessiones zählt, treffend die Geistesverfassung des in die Heimat Zurückkehrenden spiegeln, der seit seiner Bekehrung nichts Wichtigeres im Sinne hatte als den 'Stufengesang', wie er den kontemplativen Aufstieg nannte (conf. 9,2). Monnica starb kurze Zeit später im 56. Jahre ihres Lebens. Augustin versuchte zunächst seinen Schmerz über den Verlust der Mutter zu unterdrücken, nachdem aber die Trauerfeier zu Ende und er mit seinem Gott allein war, gab er dem Ungestüm seines Empfindens nach. Auch durch die Schilderung dieser seiner Empfindungen setzte er seiner Mutter, der er so viel verdankte, ein literarisches Denkmal: «Und ich ließ meinen Tränen, die ich zurückhielt, freien Lauf, daß sie entströmten, wie sie wollten, und ich bettete mein Herz auf sie: Und es fand Ruhe in ihnen ... Und nun, Herr, bekenne ich es dir in geschriebenen Worten. Und mag es lesen, wer will, und mag es deuten, wie er will, und findet er es sündhaft, daß ich den Bruchteil einer Stunde um meine Mutter geweint, die Mutter, die meinen Augen für jetzt gestorben war, die so viele Jahre um mich geweint, daß ich vor deinen Augen zum Leben käme, der lache nicht, es weine vielmehr auch er selbst, wenn er reich an Liebe ist, für meine Sünden zu dir, dem Vater aller Brüder deines Christus» (conf. 9,12).

Rückkehr in die Heimatstadt Thagaste und die Wahl zum Priester in Hippo

Nach einem durch die Wintermonate und politische Wirren erzwungenen einjährigen Aufenthalt in Rom, wo Augustin seine schriftstellerische Arbeit fortsetzte, kehrte er 388 nach Thagaste zurück. Er verkaufte einen Teil der väterlichen Besitzungen und zog sich mit Gleichgesinnten zu einem gemeinsamen, philosophisch geprägten asketisch-monastischen Leben zurück. Der Ruf seiner Gelehrsamkeit und seines Lebenswandels verbreitete sich rasch. Und so geschah es, daß er, als er eines Tages in der Hafenstadt Hippo Regius weilte und den dortigen Gottesdienst besuchte, von der versammelten Gemeinde zum Priester gewählt wurde. Gerade an dem Tag trug nämlich der schon greise Bischof Valerius seiner Gemeinde den Wunsch nach der Wahl eines jüngeren Priesters vor. Augustin war 37 Jahre alt, als Valerius ihm Anfang 391 die Hände auflegte. Er ließ sich zunächst für einige Wochen beurlauben, um sich durch intensiveres Bibelstudium auf seine kommenden Aufgaben vorzubereiten (ep. 21). Obgleich das Predigtamt nach der damaligen afrikanischen Gepflogenheit dem Bischof allein zustand, beauftragte Valerius dennoch seinen Presbyter mit der Wahrnehmung auch dieser Aufgabe. Augustin sollte dieses Amt nahezu 40 Jahre ausüben. Seine Predigten – ungefähr ein Zehntel, fast 600, sind uns überliefert -, mit denen er seine Hörer faszinierte, waren vornehmlich biblisch ausgerichtet. In der Zeit seines Presbyterates richteten sie sich vor allem gegen die Manichäer. Deren Bekämpfung ist auch das beherrschende Thema seiner Schriften von damals.

Der Bischof

Valerius hatte es eilig, Augustinus zu seinem Mitbischof zu bestimmen; er befürchtete zu Recht, man könne ihm seinen begabten Presbyter schon bei der nächsten Sedisvakanz irgendwo in Afrika entreißen. Daher ließ er ihn noch zu seinen Lebzeiten um 395 zu seinem Mitbischof weihen. Als er kurz darauf starb – wahrscheinlich 396 -, übernahm Augustin die Leitung der Diözese. Als Bischof hatte er allem voran der Liturgie vorzustehen, Sakramente zu spenden und zu predigen. Hinzu kam das breite Feld der Seelsorge mit ihrer Vielfalt von Aktivitäten, zu denen damals neben den ausgesprochen pastoralen Aufgaben wie z.B. der katechetischen Unterweisung der Taufbewerber, der karitativen Werke und der Verwaltung des Kirchenvermögens auch bestimmte Bereiche in der Rechtsprechung gehörten. Da nämlich die christlichen Bischöfe kraft kaiserlicher Gesetze ermächtigt waren, bei Rechtsstreitigkeiten Schiedssprüche zu fällen, und da sie diese Aufgaben für gewöhnlich schneller und unkomplizierter erledigten als die staatlichen Organe, zogen die Prozessierenden es vor, die Erledigung ihrer Fälle bei ihrem zuständigen Bischof zu erwirken. Das bischöfliche Forum von Hippo war oft von Morgen bis zum späten Nachmittag belegt. Obgleich Augustin nach eigenen Angaben (ep. 124,1) nicht gerne reiste, verließ er dennoch unzählige Male die Grenzen seines Bistums, um an Synoden und Konzilien in Afrika teilzunehmen. Oft hielt er sich mehrere Monate lang in Karthago auf, wo er auch regelmäßig predigte und fleißig die gutausgestatteten Bibliotheken frequentierte, um sich allerlei Notizen für seine diversen Publikationsvorhaben zu verschaffen.

Der Schriftsteller und sein immenses literarisches Werk

a) Das apologetische Schrifttum

Gewiß hatte das kirchliche Amt Augustins Arbeitsfeld und Lebensrhythmus verändert. Trotzdem blieb er auch während seines Episkopates allem voran Theologe und Schriftsteller. Seine bleibende Bedeutung gründet letztlich in den großen theologischen Werken, die er erst als Bischof in Angriff nahm und die er darum auch bewußt als eine Dienstleistung an der Kirche verstanden wissen wollte. Dies zeigt sich bis in die Wahl der Themen. Innerhalb seiner Werke kann man drei, durch apologetische Zielsetzungen bestimmte, größere Themenbereiche unterscheiden: den antimanischäische, den antidonatistischern und den antipelagianischen. Antimanichäische Themen beschäftigten Augustin schon in Rom, in Thagaste und während seiner Presbyterzeit in Hippo. Bald nach seiner Bischofsweihe schrieb er noch neben einigen kleineren Abhandlungen seine insgesamt 33 Bücher umfassende Auseinandersetzung mit dem Manichäerbischof Faustus. Um die Wende zum 5. Jahrhundert verebbte allmählich das antimanischäische Schrifttum, da die Manichäer – freilich auch durch die staatliche Gesetzgebung – so gut wie besiegt waren.

Das gegen die Donatisten gerichtete Schrifttum Augustins, dessen Abfassungszeit sich auf rund 25 Jahre erstreckt, umfaßt in der kritischen Textausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nicht weniger als ein Dutzend Titel. Als Bischof führte er mehrere Debatten mit den Donatistenführern, von denen einige im Wortlaut festgehalten und veröffentlicht wurden.
Noch während der antidonatistischen Kontroverse beginnt um 412 die dritte apologetische Periode im schriftstellerischen Schaffen Augustins, die Bekämpfung des die Rolle der Gnade im Rechtfertigungsprozeß hintansetzenden Pelagianismus. Auch dabei erreichte Augustin durch seine unermüdliche Auseinandersetzung mit den Gegnern die Verurteilung der Pelagianer nicht nur seitens der Kirche, sondern auch seitens des Staates. Sein letztes Werk gegen den Pelagianer Julian blieb unvollendet, weil der Tod ihm gleichsam die Feder aus der Hand nahm.
Augustin bekämpfte indes in seinen Schriften auch andere Häresien wie z.B. die Arianer und die gnostischen Priszillianisten als Anhänger der Irrlehren des Origenes. Noch zwei Jahre vor seinem Tode verfaßte er auf Drängen des Diakons Quodvultdeus in Karthago ein Handbuch der Häresien, De haeresibus, in dem er nicht weniger als 88 verschiedene Irrlehren beschrieb und beurteilte. Wirft man einen Blick auf die Titel seiner Werke, so kann einem allein schon aufgrund dieser Einsichtnahme die dominierende Rolle des Apologetischen nicht entgehen. Zweifelsohne war der Bischof von Hippo einer der größten Apologeten der Kirche, und dennoch erschöpfte sich sein theologisches Interesse nicht in der Apologetik.

b) Das exegetische Werk

Zu nennen ist darüber hinaus vor allem das exegetische Werk. Zwar war Augustin kein Philologe wie Origenes oder Hieronymus, dennoch dürfte es kaum einen anderen Schriftsteller in der alten Kirche gegeben haben, der bis in seine sprachliche Diktion hinein die Bibel so zum Fundament seines Denkens gemacht hat wie er. Schon in Thagaste schrieb er gegen die Manichäer einen Kommentar zu den Kapiteln 1 und 2 der Genesis. Als Priester legte er die Bergpredigt aus, ebenso den Galaterbrief. Den Römerbrief behandelte er sporadisch. Ein begonnener Kommentar dazu blieb ein Torso. Kaum zum Bischof geweiht, plante er ein 4 Bücher umfassendes Werk über die christliche Wissenschaft, De doctrina christiana. In den ersten 3 Büchern dieser vielleicht als Handbuch für das theologische Studium konzipierten epochalen Schrift entfaltete er die Prinzipien seiner Hermeneutik und auch viele Einzelanweisungen für die Bibelexegese. Teile des 3. und das ganze 4. Buch vollendete er erst vor seinem Tode. Um 400 beschäftigen ihn Fragen zu den Evangelien, Quaestiones euangeliorum), und Probleme der Evangelienharmonie, De consensu euangelistarum. Mit der Auslegung des Schöpfungsberichtes der Genesis befaßte er sich insgesamt in 7 Werken. Zu nennen ist der 12 Bücher umfassende Kommentar De Genesi ad litteram, an dem er 13 Jahre lang (401-413) arbeitete. Ebenfalls über ein Jahrzehnt lang behandelte er in 124 Predigten oder Traktaten das Johannesevangelium und in 10 Traktaten den ersten Johannesbrief. Seine Auslegung des ganzen Psalters – Enarrationes in Psalmos – erstreckt sich sogar auf beinahe 3 Jahrzehnte (392-420). Zum exegetischen Werk zählen ferner die Notizen zum Buch Hiob, Adnotationes in Iob (um 399), die Untersuchungen zum Heptateuch Locutiones in Heptateuchum sowie die Quaestiones in Heptateuchum (um 419), schließlich die noch um 427 veröffentlichte Sammlung von Schriftzitaten, Speculum de scriptura sacra.

c) Die moral- und pastoral-theologischen Schriften

Eine eigene Gattung bilden die sogenannten moraltheologischen Schriften, die – ungefähr ein Dutzend – Augustin während seines Episkopates zu verschiedenen Fragen der Seelsorge (z.B. Enthaltsamkeit, Ehe, Jungfräulichkeit, Witwenschaft, Totenkult etc.) verfaßt hat. Ebenfalls pastoraltheologische Motive dürften ihn um 400 veranlaßt haben, etwas über die katechetische Unterweisung zu schreiben. Er gab in diesem Büchlein De cathecizandis rudibus nicht nur Anweisungen über die Methode der Einweisung in die christliche Lehre, sondern auch Beispiele eines katechetischen Unterrichtes. Wie eng überhaupt Augustin die Seelsorge mit der Theologie verband, zeigt das Buch Über Glaube, Hoffnung und Liebe, das er um 421-423 auf Verlangen eines gewissen Laurentius verfaßt hat. Dieser, so berichtet Augustin in seinen Retractationes (retr. 2,63), habe von ihm ein Handbuch, ein 'Enchiridion' erbeten. Wer allerdings meint, Augustin habe darin zu gleichen Teilen jeweils vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe geschrieben, der sieht sich enttäuscht. Das erbetene Büchlein wurde schlicht ein Kompendium der Dogmatik, in dem die Darlegung der Glaubenswahrheiten den größten Teil ausfüllt.

d) Das Korpus der Briefe

Bei aller Dringlichkeit und Vorrangstellung der Seelsorge, die Augustin als Bischof anerkannte und um deren Anforderung gerecht zu werden er sich auch ehrlich bemühte, vergaß er mitnichten, daß die Seelsorge ohne die Theologie leer läuft und versandet. Die Verflechtung von Seelsorge und Theologie kennzeichnet sein kirchliches Amtsverständnis. Dies zeigt das umfangreiche Korpus seiner Briefe (246 überlieferte, ein Achtel der Gesamtzahl), durch die er auf die gebildete Welt von damals nicht weniger einwirkte als durch seine Bücher.

e) Die epochalen Hauptwerke

Aus dem augustinischen Oeuvre ragen drei Schriften hervor, die Confessiones (13 Bücher), Der Gottesstaat – De ciuitate dei (22 Bücher) und Über die Dreinigkeit – De trinitate dei (15 Bücher). Man fragt sich, woher Augustin bei seinen vielseitigen Amtsgeschäften überhaupt noch die Zeit nehmen konnte, so umfangreiche und theologisch tiefsinnige Werke zu schreiben. «Die dreizehn Bücher meiner Bekenntnisse», so faßt er in seinen Retractationes (2,6) Inhalt und Ziel dieser Weltliteratur gewordenen Autobiographie zusammen, «preisen Gott, den Gerechten und Guten, um des Bösen und des Guten willen, das ich in mir gefunden, und sie lenken das menschliche Sinnen und Trachten auf ihn hin. Was mich betrifft, so erfuhr ich dies schon beim Schreiben, und ich erfahre es immer noch beim Lesen. Was andere davon halten, das mögen sie selbst sehen. Ich weiß jedoch, daß sie vielen Brüdern gefallen haben und immer noch gefallen». Es ist für das Verständnis der Confessiones nicht unwichtig zu wissen, daß Augustin unmittelbar vor ihrer Abfassung (397-401) in der für seine geistige Entwicklung ungemein wichtigen Schrift Über verschiedene Fragen an Simplician (um 396) sich über die dominierende Rolle der Gnade im Leben des Menschen Klarheit verschafft hatte. Seine dabei gewonnenen neuen Einsichten dürften ihn nicht nur zur Abfassung seiner Bekentnisse entscheidend motiviert haben, sie prägen die Confessiones vom ersten bis zum letzten Satz.

Am 24. August 410 besetzte Alarich mit seinen Westgoten Rom. Da sich auf diese nationale Katastrophe hin der Druck der Heiden, speziell der Gebildeten, auf das Christentum verstärkte, dem man die Schuld dafür anlastete, sah Augustin als der Wortführer der Christenheit sich verpflichtet, seine größte apologetische Schrift, De ciuitate dei – Von der Bürgerschaft Gottes, in Angriff zunehmen. Das auf 22 Bücher konzipierte «große und überaus schwierige Werk – magnum opus et arduum» (ciu. 1,8) erschien von 413-427 nach und nach in Abschnitten. Schon beim Erscheinen der ersten Lieferung beeindruckte es die Leser, von denen kein geringerer als Macedonius, Prokonsul in Afrika, sich fragte, was er am Verfasser dieses Werkes mehr bewundern solle, dessen priesterliche Vollkommenheit oder dessen philosophische Ansichten, die Fülle seines historischen Wissens oder den Reiz seiner Beredsamkeit (ep. 154,2). Die ersten 10 Bücher führen den Nachweis, daß nicht die Christen, sondern die Dekadenz der Heiden die Römische Kultur in den Abgrund geführt habe, während die Bücher 11-22 ein geschichtstheologisches Panorama entwerfen und das gesamte Weltgeschehen von Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht aus christlicher Sicht als Dualität des 'Gottesstaates' und des 'Erden- bzw. Teufelsstaates' entwickeln und deuten Augustin besaß die seltene Fähigkeit genialer Geister, bei wachsender Belastung noch Größeres zu leisten. Für gewöhnlich arbeitete er gleichzeitig an mehreren Themen. So hatte er, als er mit der Abfassung von De ciuitate dei begann, sein spekulativstes Werk, De trinitate, schon 14 Jahre lang unter seiner Feder. Nach seiner Fertigstellung bemerkte er, er habe es bereits «als junger Mann» begonnen und erst «als Greis» – 20 Jahre später – zum Abschluß gebracht (ep. 174). Da er die Lektüre dieses Opus nur einer theologisch und philosophisch vorgebildeten Leserschaft zutraute, wollte er es nicht wie andere seiner umfangreicheren Schriften in Teilen, sondern nach einer endgültigen redaktionellen Bearbeitung als ganzes herausgeben. Da diese elitäre Leserschaft den Abschluß des Werkes jedoch kaum abwarten konnte, entwendete man ihm einfach die ersten 12 Bücher, ehe die restlichen 3 geschrieben waren (retr. 2,15). De trinitate bildete den Höhepunkt in Augustins theologisch-schriftstellerischem Schaffen. Mit diesem Werk hat er die abendländische Trinitätslehre bis in unsere Zeit herein nicht nur beeinflußt, sondern auch beherrscht.

Augustins Tod während der Belagerung Hippos durch die Vandalen

Augustin war 72 Jahr alt, als er seiner Gemeinde mitteilte, er habe, da er noch alle seine Schriften einer kritischen Revision unterziehen wolle, den Priester Heraklius zu seinem Nachfolger bestimmt (ep. 213). Er schrieb jedoch auch während dieser Zeit der Revision noch 8 weitere Werke. Aber im Jahre 430 – seine Bischofsstadt war schon seit 3 Monaten von den Vandalen umlagert – waren seine Kräfte erschöpft. Er ahnte wohl den bevorstehenden Untergang Hippos; denn Possidius berichtet, Augustin habe sich trotz eines vielfältigen Engagements zur Rettung der Stadt mit dem Ausspruch eines Weisen (Plotins) getröstet: «Der ist kein Großer, der es für Großes hält, daß Holz und Steine dahinsinken und Sterbliche sterben» (Vita 28). Die letzten 10 Tage verbrachte er allein, die Bußpsalmen betend, die er an die Wand heften ließ. So starb er am 28. August in Gegenwart seines für ihn betenden Klerus. Sein Name und seine Werke hingegen lebten fort, dominierten das Mittelalter und prägten die Neuzeit, ja sein Denken veranlaßt Wissenschaft, Kultur und Frömmigkeit bis heute zu staunender Bewunderung oder scharfer Kritik – jedenfalls aber allemal zu außerordentlicher Anerkennung.