ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Dritter Vortrag
Christliche Spiritualität im Lichte der Lehre Augustins vom endzeitlichen Heil

Liebe Schwestern!

Neben der wachsenden Entfremdung breiter Schichten der Gesellschaft vom Christentum macht sich in der Kirche selbst noch ein anderer Trend bemerkbar. Unter Berufung auf eine aktuelle Umfrage des vom Institut für Demoskopie in Allensbach in Auftrag gegebenen Münchner Mediendienstleistungsunterneh­mens stand in der Tagespost vom 20. Februar dieses Jahres zu lesen: «Während die allgemeine Vorstellung eines Lebens nach dem Tod von 56 Prozent der befragten Katholiken bejaht wurde, erwies sich der für das christliche Glaubens­bekenntnis zentrale Satz von der Auferstehung der Toten mit 41 Prozent Zustimmung als nicht mehrheitsfähig»[1].

Solche Meldungen, wonach in der Kirche selbst die Kernwahrheiten der neu­testamentlichen Verkündigung nicht mehr wahrgenommen würden, dürfen uns nicht nur schockieren, sie müssen uns mobilisieren. Kritische Katholiken, so kann man des öfteren lesen oder hören, schätzten an ihrer Kirche deren Engagement für Frieden und Gerechtigkeit, wenn es hoch komme, auch noch für die Ökumene und für den Dialog mit den Religionen, aber vom eigentlichen Inhalt des Credo, vom Bekenntnis zum Dreieinigen Gott, zu dessen Heilshandeln in der Zeit, zur Schöpfung, zur Menschwerdung und Erlösung, zur Auferstehung von den Toten und ewigem Leben, von all dem wolle man, weil dem Intellekt verpflichtet, nichts mehr wissen.

Gewiss gibt es am Credo der Kirche nichts zu beweisen. Dieses ist kein Einmal­eins, es besitzt jedoch eine Plausibilität, eine Schlüssigkeit, die aus den tieferen Schichten des Menschen zu kommen scheint. Ein Christ, der glaubt, hofft und liebt, misstraut dem Intellekt keineswegs, aber er traut diesem, weil er endlich ist, nicht alles zu. Es gibt im Menschen ein Verlangen, eine Sehnsucht, die der Intellekt allein nicht zu stillen vermag, die Sehnsucht etwa nach dem Glück, nicht einfach nach dem Glück, das vorübergeht, sondern nach der Beständigkeit des Glücks. Und sicher hat diese Beständigkeit des Glücks etwas auch mit der Beständigkeit der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu tun.

Der Philosoph Max Horkheimer war Mitbegründer der sogenannten Frankfurter Schule der Soziologen, ein namhafter Marxist und als solcher ein erklärter Atheist. Als Greis gab er 1970 im Spiegel ein Aufsehen erregendes Interview. Nach Gott und der Welt befragt, gab er zur Antwort, er halte etwas auch von der Theologie, sei sie doch das Bewusstsein davon, «dass die Welt Erscheinung ist, dass sie nicht die absolute Wahrheit, nicht das Letzte ist. Theologie ist ... die Hoffnung, dass es bei diesem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleibe, dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge». Der Interviewer fragte nach, ob Theologie ein Ausdruck der Hoffnung sei, worauf Horkheimer antwortete: «Ich möchte lieber sagen: Ausdruck einer Sehnsucht, einer Sehnsucht danach, dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge»[2].

Von was anderem redet die Bibel, was anderes bezeugt sie, wenn nicht diese Sehnsucht der Menschen nach Recht und Gerechtigkeit? Aber, wer schafft Recht und Gerechtigkeit in dieser heillosen, aus den Fugen geratenen Welt? War dies nicht die Frage des Apostels Paulus, der tief in sich hineinblickte und dort nicht nur das Gute, sondern auch das Böse wahrnahm?

Wer die Bibel aufmerksam liest, dem kann nicht entgehen, dass die Hoffnung auf ein endzeitliches Heil im Alten Testament sich erst vage ankündigt, dass man aber vom Neuen Testament geradezu sagen muss, sie sei dessen eigentliches Thema. Es gibt also in der biblischen Offenbarung eine Entwicklung, einen Fortschritt, der nicht zuletzt in den Verheißungen des Alten Testamentes, und zwar in den messianischen seinen Grund hat. Denn die wiederholten Prophezei­ungen einer von Jahwe selbst herbeigeführten Heilszeit waren an die Ankunft des ebenfalls verheißenen Messias geknüpft.

Inhaltlich artikulierten diese Prophezeiungen das kommende Heil häufig in einer metaphorischen, in einer bildreichen Sprache als einen Zustand, der den rein innerweltlichen Erfahrungsbereich sprengte. Denken wir nur an Verheißungen ei­nes ewigen Friedens, eines von allen Krankheiten und von allem Leid, von allen Sorgen und aller Mühsal freien Lebens – all das suggerierte bereits einen von jedweder zeitlichen Begrenzung befreites Dasein, das dann das Neue Testament mit der biblischen Vokabel ‹Himmel›, der ‹Wohnung Gottes›, aufs Treffendste bezeichnen zu müssen glaubte[3].

Wohl kennen auch die neutestamentlichen Schriften ein innerweltliches Heil, Befreiung aus Nöten aller Art, aber im Allgemeinen bringen sie diesen Begriff mit der Person Jesu Christi in Verbindung, der uns als Heiland das Heil in einem spezifischen, ganz und gar auf Gott hin ausgerichteten Sinn erschlossen hat. Ja, die neutestamentlichen Schriften erblicken in Jesus Christus nicht nur den Bringer, sondern den Inbegriff des Heils. Er ist nach dem Johannesevangelium nicht nur der ‹Weg›, sondern auch ‹die Wahrheit und das Leben› (14,6).

Darüber hinaus interpretieren die neutestamentlichen Schriften das irdische Dasein des Glaubenden gerne als eine Reise, als eine Pilgerschaft, deren Ziel bekannt ist. Der Apostel Paulus kann sich nicht genug tun, seine Adressaten daran zu erinnern. «Unsere Heimat ist im Himmel», schreibt er an die Philipper. «Von dort her erwarten wir auch den Retter, den Herrn Jesus Christus, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich selbst alles unterwerfen kann» (Phil 3,12).

Zweifelsohne war es ebenfalls dieser Apostel, der die Botschaft vom endzeitli­chen Heil als das Kernthema der christlichen Verkündigung erkannt hat und der dies aller Welt kundzutun nicht müde wurde. Gottes Allmacht zeigt sich gerade daran, dass er «die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft», schreibt er in seinem Römerbrief (4,17). Und wenn der Apostel den Zeitpunkt der Menschwerdung des Sohnes Gottes ‹die Fülle der Zeit› (Gal 4,4) nennt, dann leuchtet einem ein, dass die Offenbarung mit der Jesusgeschichte zu ihrem Abschluss kommen sollte. Die Jesusgeschichte selbst ist aber, was unser Heil betrifft, keine Verheißung mehr, sie ist bereits die Erfüllung aller Verheißungen. Denn er, der Verherrlichte, schon ‹dort›, wohin die noch in Sehnsucht unterwegs sind, die zu ihm gehören, weil sie sein Leib sind (2. Vortrag).

In seinem Zweiten Korintherbrief fasst der Apostel diese Sehnsucht und Zuversicht in einer geradezu hymnischen Sprache zusammen: «Wir wissen», schreibt er, «wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Händen errichtetes ewiges Haus im Himmel. Und wir seufzen im gegenwärtigen Zustand und sehnen uns mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen wird. Gott aber, der uns gerade dazu erschaffen hat, er hat uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben. Wir sind also immer zuver­sichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn sind; denn glaubend gehen wir unseren Weg, nicht schauend. Wenn wir aber zuversichtlich sind, dann ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind. Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder den Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat» (5,1-10).

Dieser Text ist so konsistent, so dicht, so bestrickend, so poetisch, dass man sich scheut, ihn zu interpretieren, um ihn nicht zu verwässern. Er zeigt indes worin und bis zu welchem Grad das Neue Testament sich von der Heilsvorstellung des Alten unterscheidet. Gottes Heilsverheißungen sind letztendlich nicht innerwelt­lich, sie beziehen sich nicht auf das Irdische, sondern auf das Jenseits, in der Sprache der Bibel auf den ‹Himmel›. Es ist eine rein alttestamentliche und das Neue Testament leugnende Frömmigkeit, die dies nicht wahrhaben will.

Der im Wechsel vom Alten zum Neuen Testament zu Tage tretende Offenbarungsfortschritt ist für unser christliches Bibelverständnis von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung. Gläubige Christen sollen die Bibel nicht wie ein Buch lesen, das uns über dies und jenes, sondern über unsere absolute Zukunft informiert und uns darüber Auskunft gibt. Keiner der kirchlichen Schriftsteller hat dies so klar erkannt und in engem Anschluss an den Apostel Paulus auch immer wieder zur Sprache gebracht wie der hl. Augustinus, der von der Bibel sagte, im Alten Testament, sei das Neue verhüllt, im Neuen werde das Alte enthüllt[4].

Die aus Altem und Neuem Testament bestehende Bibel beginnt bekanntlich mit dem Schöpfungsbericht in der Genesis und endet mit der Vision über die Vollendung der Schöpfung in der Offenbarung des Johannes. Zwischen diesen beiden Eckdaten spielt sich das ab, was wir Gläubige die Geschichte unseres Heils nennen. Es ist verständlich, dass sich an einer denkerischen Bewältigung nicht nur der Eckdaten, sondern auch an dem, was dazwischen geschieht, nicht nur namhafte Theologen, sondern auch Philosophen interessierten und sich darum abmühten.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831)[5] – er gilt als einer der größten Philosophen – ließ sich beim Aufbau seines philosophischen Systems davon ebenfalls faszinieren und inspirieren. In aller Kürze Folgendes: Es gibt ein Sein, das mit sich identisch ist, weil es keine Ab- und Zunahme, kein Werden und kein Vergehen kennt (Gott); es gibt ein Sein, das ab- und zunimmt, ständig an­ders wird und infolgedessen streng genommen nicht mehr mit sich identisch, sondern entfremdet ist (die Welt); und es gibt es Sein, in das alles, was war und wird, einmündet (es kommt sozusagen zu Gott und auf diese Weise wieder zu sich selbst, so dass Gott alles in allem sein wird).

Es dürfte einleuchten, dass die entscheidende Frage in bezug auf dieses philosophische System lautet: Was spielt sich da in der Mitte, also auch in der gegenwärtigen Welt, die Hegel eine entfremdete nennt, ab? Die Kritiker Hegels, sowohl die von Rechts (Faschismus) wie die von Links (Marxismus), die von den Eckdaten nichts mehr wissen wollten, meinten, man müsse und könne die Ent­fremdung hier schon aufheben. Was dabei herauskam, das konnten und können wir freilich selbst sehen.

Augustinus – wie könnte dies auch anders sein? – interessierte sich ebenfalls für die Eckdaten, um möglichst klar zu erkennen, was sich dazwischen abspielt und weshalb es sich so und nicht anders abspielt. In fünf seiner Werke hatte er sich ausgiebig mit dem Schöpfungsbericht der Bibel beschäftigt, weil er der Über­zeugung war, aus ihm könne er zugleich Informationen sowohl über den Verlauf wie auch über das Ziel der Schöpfung erhalten.

Zu den fünf Schriften, die sich mit diesem Thema beschäftigen, zählen neben den Confessiones auch die 22 Bücher des Gottesstaates, jener epochalen Schrift, an der er ein anderthalb Jahrzehnt lang arbeitete und das er ein ‹opus arduum - höchst mühevolles Werk› nannte. In beiden Schriften legte Augustinus den Text des biblischen Schöpfungsberichtes aus Genesis 1 so aus, dass er die Aufmerk­samkeit des Lesers über den Anfang der Schöpfung zugleich auf deren Vollendung lenkte.

Dabei war er davon überzeugt, dass Gott die Welt – auch nach dem Schöp­fungsbericht – in einem einzigen Augenblick durch sein «Es werde!» erschaffen haben müsse. Was beabsichtigte aber dann das Sechstagewerk mit dem Sabbat als siebtem Tag? Spiegelt sich darin nicht womöglich schon unser endzeitliches Heil? Und was ereignete sich und ereignet sich immer noch in der Zwischenzeit? Könnte man darin nicht die einzelnen Epochen der Heilsgeschichte von Adam bis Christus erkennen? Und hat die Heilsgeschichte nicht die Geschichte des Unheils zur Voraussetzung? Verlaufen beide nicht parallel zueinander: das Unheil, die Entfremdung, die Sünde und Gottes Heilshandeln in der Zeit?

Was ist die Weltgeschichte anderes als der große Kampf zwischen den guten und den bösen Mächten, zwischen ‹Michael› und dem ‹Drachen› (Offb 12,7), zwischen dem Gottesstaat und dem Staat des Teufels? Wer sind die Spirituellen, wenn nicht jene, die an diesem Kampf teilhaben und daran teilnehmen – am Kampf, der nicht nur in ihrer Umgebung, sondern in ihnen selbst tobt? Was unterscheidet und scheidet zugleich die am Kampf Teilhabenden und Teilnehmenden, wenn nicht die zwei Arten der Liebe?

Hier die vielzitierte Passage aus dem 14. Buch des Gottesstaates, Kapitel 28: «Demnach wurden die zwei Staaten durch zweierlei Liebe begründet, der irdi­sche durch Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, der himmlische durch Gottesliebe, die sich bis zur Selbstverachtung erhebt. Jener rühmt sich seiner selbst, dieser ‹rühmt sich des Herrn› (2 Kor 10,17). Denn jener sucht Ruhm von Menschen, dieser findet seinen höchsten Ruhm in Gott, dem Zeugen des Gewissens. Jener erhebt in Selbstruhm sein Haupt, dieser spricht zu seinem Gott: ‹Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor› (Ps 3,4)»[6].

In den Büchern 15-18 legt dann Augustinus ausführlich die Entwicklung des Gottesstaates inmitten des irdischen Staates dar, aber ihn, den Gottesstaat, daran lässt er keinen Zweifel aufkommen, schaffen die Menschen nicht aus eigener Kraft, sondern unter dem Antrieb der Gnade. Ferner ist nicht das Wissen um das Datum seiner endgültigen Errichtung wichtig, sondern die Ausrichtung auf ihn. Augustinisch-christliche Spiritualität ordnet alles Gute immer und überall der Gnade unter. Die Bürger des Gottesstaates, sie sind die Spirituellen, suchen ih­ren Ruhm nicht bei den Menschen und auch nicht von den Menschen, sondern bei Gott und von Gott.

Über das endzeitliche Heil konnte Augustinus, der Rhetor, nur begeistert und begeisternd reden. Was Wunder, wenn er sein großes Werk über den Gottesstaat mit Sätzen beschließt, die diese Endzeit rühmen und preisen. Er zählt, an das Sechstagewerk erinnernd, nochmals die einzelnen Epochen auf. Von Adam bis zur Sündflut, dann bis Abraham, bis David, bis zur babylonischen Gefangenschaft und von da bis zu Christi Geburt sind es fünf. In der sechsten befinden wir uns. Wir wissen nicht, wann diese zu Ende gehen wird, denn es gebührt uns nicht zu wissen «die Zeit, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat» (Apg 1,7). Das siebte Weltalter, das dem Sabbat entspricht, der nach dem Schöp­fungsbericht der Genesis keinen Abend mehr hatte, versinnbildlicht deshalb die Ewigkeit. «Dann werden wir feiern und schauen, schauen und lieben, lieben und loben. Seht, das wird am Ende sein ohne Ende. Denn welch anderes Ende gäbe es für uns, als heim zu gelangen in das Reich, das kein Ende kennt?»[7]

Die Einübung in das ‹Feiern› und ‹Schauen›, in das ‹Lieben› und ‹Loben› ist Aufgabe und Ziel der augustinisch-christlichen Spiritualität. Dies unterstreichen auch die Confessiones, deren letzte drei Bücher ebenfalls die Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes zum Thema haben. Auch dort legt Augustinus den Text von Genesis 1 so aus, dass die Aufmerksamkeit des Lesers über den Anfang der Schöpfung zugleich auf deren Vollendung gelenkt werde. Dieser literarische Kunstgriff liegt den Confessiones selbst zugrunde. Wer sie schon einmal gelesen hat, der kennt den vielzitierten Satz vom ‹unruhigen Herzen›. Wo, wann und wodurch wird es zur Ruhe kommen? Im Himmel, wenn alles vollendet sein wird, und allein durch Gottes Wirken, antwortet Augustinus im letzten Buch. Denn Gott wird dann so in uns ruhen, wie er jetzt in uns wirkt. Er wirkt nämlich ewig und er ruht ewig; er sieht nicht in der Zeit, bewegt sich nicht in der Zeit und ruht nicht in der Zeit; und dennoch wirkt er in uns das Schauen in der Zeit.

Uns das Schauen in der Zeit zu lehren, dieses Ziel verfolge Gott selbst mit sei­nem Offenbarungswort. Davon war Augustinus zutiefst überzeugt und dazu wollte er mit diesen seinen eine Sonderstellung in der Weltliteratur einnehmenden Confessiones, deren Wortwahl und Wortschatz wie kein zweites Buch biblisch durchtränkt ist, seine Leser anhalten und ermuntern. Wer Gottes Wort liest und es meditiert, wie soll der Gott als das Ziel seines Lebens aus den Augen verlieren können.

Grandios deshalb auch das Ende der ganz und gar auf unser aller Ende hin kon­zipierten Schrift: «So sehen wir dies alles, was du erschaffen hast, weil sie sind», so lässt Augustinus im Schlusskapitel alles Erschaffene, alles Geschehen vor unseren geistigen Augen gleichsam nochmals Revue passieren. «Sie sind aber nur deshalb, weil du sie siehst. Und wir sehen draußen, dass sie sind, und drinnen, dass sie gut sind. Du jedoch sahst sie dort erschaffen, wo du sahst, dass sie erschaffen werden sollten». Christliche Spiritualität ist Gnade, denn so fährt der Text weiter. «Und wir sind erst in einer Zeit zum Tun des Guten bewogen worden, nachdem unser Herz von deinem Geist empfing. Vorher aber wurden wir getrieben, Böses zu tun und dich zu verlassen. Du aber, einzig guter Gott, hast niemals aufgehört, Gutes zu tun. Wohl sind manche unserer Werke gut dank deiner Gnade, sie sind jedoch nicht ewig. Und so hoffen wir, dass wir in deiner unermesslichen Heiligkeit ruhen werden. Du aber, Gut, das keines anderen Gutes bedarf, du bist immer ruhevoll, denn du bist selbst deine Ruhe. Dies zu begreifen, wer unter den Menschen könnte dies einem Menschen vermitteln? Wel­cher Engel einem Engel? Welcher Engel einem Menschen? Von dir muss man es erbitten, in dir muss man es suchen, an deiner Tür muss man anklopfen: So wird man es empfangen, so wird man es finden, so wird einem aufgetan. Amen»[8].

Eine Schlussbemerkung:

In unserer Regel steht der schöne Satz, wir sollen «gleichsam Liebhaber der geistig-geistlichen Schönheit – tamquam spiritalis pulchritudinis amatores» sein. Ich habe mich immer gewundert, wenn meine Mitbrüder vor einiger Zeit auf der Suche nach einem Programm für unsere Spiritualität waren.

Gibt es einen schöneren Satz für uns als diesen – zumal er in der Regel steht?

Was ist geistige bzw. geistliche Schönheit anderes als Gottes Fleisch gewordenes Wort. Haben wir nicht mit ihm tagaus, tagein zu tun, in der Liturgie, im Umgang miteinander, im Dienst, den wir ihm oder seinem Leib, der Kirche leisten? Gewiss mag jeder und jede von uns da seine Akzente setzen.

Persönlich liegt mir viel an der Liturgie und ich freue mich immer, wenn ich sie mit ihnen feiern darf, denn Sie – lassen Sie mich dies sagen – feiern die Liturgie schön. Bleiben Sie in diesem Sinn ‹Liebhaberinnen der geistig-geistlichen Schönheit›. Wenn ich Sie dazu mit meinen Ausführungen auch nur ein wenig animieren konnte, dann bin ich von Ihnen reichlich entlohnt.

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[1] Die Tagespost Nr. 21, 20.2.2003, S. 4.

[2] M. Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior, Stundenbücher Nr. 97, Hamburg 1970, S. 61f.

[3] J. Michl, Himmel, in: Bibeltheologisches Wörterbuch, hrg. B. Bauer, Graz/Wien/Köln 21962, S. 645-650.

[4] Dazu C. Mayer, Congruentia testamentorum, in: Augustinus-Lexikon Bd. 1 (1986-1994) 1194-1201.

[5] Dazu F. Longato, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in: Großes Werklexikon der Philosophie Bd. 1, Stuttgart 1999, S. 630-649.

[6] De ciuitate dei 14,28: «fecerunt itaque ciuitates duas amores duo, terrenam scilicet amor sui usque ad contemptum dei, caelestem uero amor dei usque ad contemptum sui. denique illa in se ipsa, haec in domino gloriatur. illa enim quaerit ab hominibus gloriam; huic autem deus conscientiae testis maxima est gloria. illa in gloria sua exaltat caput suum; haec dicit deo suo: ‹gloria mea et exaltans caput meum›».

[7] De ciuitate dei 22,30: «ibi uacabimus et uidebimus, uidebimus et amabimus, amabimus et laudabimus. ecce quod erit in fine sine fine. nam quis alius noster est finis nisi peruenire ad regnum, cuius nullus est finis?»

[8] Confessiones 13,53: «nos itaque ista quae fecisti uidemus, quia sunt, tu autem quia uides ea, sunt. et nos foris uidemus, quia sunt, et intus, quia bona sunt: tu autem ibi uidisti facta, ubi uidisti facienda. et nos alio tempore moti sumus ad bene faciendum, posteaquam concepit de spiritu tuo cor nostrum; priore autem tempore ad male faciendum mouebamur deserentes te: tu uero, deus une bone, numquam cessasti bene facere. et sunt quaedam bona opera nostra ex munere quidem tuo, sed non sempiterna: post illa nos requieturos in tua grandi sanctificatione speramus. tu autem bonum nullo indigens bono semper quietus es, quoniam tua quies tu ipse es. et hoc intellegere quis hominum dabit homini? quis angelus angelo? quis angelus homini? a te petatur, in te quaeratur, ad te pulsetur: sic, sic accipietur, sic inuenietur, sic aperietur. amen.