Augustinus – Vater der abendländischen Theologie (2)
Die Karriere am kaiserlichen Hof von Mailand
Von Rüdiger Achenbach
"Mit Eifer begann ich nun auszuführen, wozu ich nach Rom gekommen war. Ich lehrte die Redekunst und sammelte zunächst in meiner Wohnung einige Schüler um mich, mit denen und durch die ich allmählich bekannt wurde."
Doch schon nach einigen Monaten seiner Lehrtätigkeit in Rom eröffneten sich für Augustinus völlig neue Perspektiven. Denn in Mailand wurde an der kaiserlichen Residenz ein Rhetorikprofessor gesucht, der gleichzeitig auch die Funktion eines kaiserlichen Propagandaministers zu übernehmen hatte.
Dass Augustinus sich auf diesen Posten bewerben konnte, verdankte er Symmachus, dem Präfekten der Stadt Rom, den er durch die Vermittlung seiner manichäischen Freunde kennengelernt hatte. Symmachus war ein hochgebildeter Mann, der zutiefst mit der antiken römischen Kultur und Religion verbunden war.
Er war sofort bereit, Augustinus nach Mailand zu empfehlen, weil der keiner christlichen Kirche angehörte. Denn für den Adel in Rom, der noch an der alten römischen Religion festhielt, war der Einfluss der arianischen und der katholischen Kirche am Kaiserhof in Mailand ohnehin viel zu groß. Deshalb brauchte man dort einen Mann, der den Christen Paroli bieten konnte. Und das sollte Augustinus sein. Dass er Manichäer war, interessiert dabei nicht, wichtig war nur, dass er kein Christ war.
Im Herbst 384 trat Augustinus dann in Mailand tatsächlich seine neue Stelle an. Er hatte inzwischen sogar seine Lebensgefährtin und seinen Sohn nach Mailand nachkommen lassen, um nun mit ihnen in der neuen Umgebung zusammenzuleben. Allerdings hatte Augustinus die Rechnung ohne seine Mutter Monnica gemacht. Sobald sie von dem Umzug ihres Sohnes erfahren hatte, reiste auch sie ihm von Nordafrika nach Mailand nach. Sie wollte sich nicht damit zufrieden geben, dass Augustinus sich ihrem Einfluss entzogen hatte.
Der Cambridger Kirchenhistoriker Henry Chadwick:
"Seine Mutter, die ihn aufopfernd bis nach Mailand verfolgt hatte, erkannte ganz deutlich, dass die ungebildete Tisch- und Bettgenossin ihres Sohnes seinem Wunsch nach Auszeichnung und Ehre in der großen Welt ganz entschieden im Wege stand."
Monnica redete deshalb so lange auf ihn ein, bis er seine nicht standesgemäße Lebensgefährtin, mit der er 13 Jahre zuammengewesen war, nach Nordafrika zurückschickte. Den gemeinsamen Sohn Adeodatus behielt Augustinus bei sich.
Der Augustinus-Experte Uwe Neumann:
"Für die Gefühle dieser Frau, deren Namen er übrigens nirgends mitteilt, hat er kein Wort übrig. Als Mensch hat Augustinus übrigens an dieser Stelle versagt, und dieses Versagen wiegt um so schwerer, als ihm für die Verletzung eines anderen Menschen jedes Empfinden fehlt. Die Liebe zwischen Mann und Frau wird von Augustinus im Wesentlichen nur als geschlechtliches Verhältnis aufgefasst."
Monnica organisierte dann innerhalb kurzer Zeit die Verlobung mit einem Mädchen, das aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie stammte. Ihre Mitgift sollte Augustinus gesellschaftsfähig machen. Da das Mädchen aber erst 12 Jahre alt war, musste der inzwischen dreißigjährige Augustinus noch zwei Jahre bis zu seiner Eheschließung warten.
Einem gesellschaftlichen Aufstieg standen nun keine Hindernisse mehr im Weg.
Augustinus scheint sich nun voll und ganz den Plänen seiner Mutter gefügt zu haben. Auch der christliche Glaube Monnicas, den er bisher als eine Religion der Altweiberfabeln abgelehnt hatte, begann ihn plötzlich zu interessieren.
Ausgelöst wurde dieses Interesse durch den Mailänder Bischof Ambrosius, den ersten intellektuellen Christen, den Augustinus in seinem Leben kennenlernte.
Durch die Begegnung mit Ambrosius erkannte er, dass der christliche Glaube nicht so primitiv sein musste, wie er ihn bisher erlebt hatte, sondern dass die christliche Religion durchaus auch den Gebildeten etwas zu sagen hatte. Er lernte von Ambrosius, der in der Tradition der griechischen Kirchenväter stand, die Texte der Bibel allegorisch auszulegen und nach ihrer übertragenen Bedeutung zu suchen.
Der Kirchenhistoriker Hans von Campenhausen: "Mit Staunen bemerkt Augustinus, wie sich durch die allegorische Auslegung die vermeintlichen Ungereimtheiten und Altweiberfabeln der Bibel tiefer verstehen lassen und wie hinter den scheinbar primitiven Vorstellungen der Texte eine gewaltige Gesamtschau Gottes, der Welt und der Menschen erkennbar wird."
Für Augustinus tat sich hier im Umgang mit den Heiligen Schriften ein völlig neuer Horizont auf. Er betont jetzt ausdrücklich, dass nichts gefährlicher sei, als die Bibel wörtlich zu nehmen. Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch: "Augustinus war vielen Theologen des 20. Jahrhunderts darin überlegen, dass er die Notwendigkeit einer philosophischen Bibelauslegung erkannte."
Durch Simplicianus, den Lehrer des Ambrosius, kam Augustinus dann in einen Kreis von Christen, für die die Lehre des Christentums und die Philosophie des Platonismus selbstverständlich übereinstimmten. Denn schließlich hatte Christus gesagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Und Platon sagte dasselbe von seinem Reich der Ideen.
Augustinus war begeistert, den Schlüssel zur Weisheit, nach dem er schon so lange gesucht hatte, endlich gefunden zu haben. Alles hing letztlich davon ab, dass die sinnliche und sichtbare Welt, die uns erkennbar umgibt, von der geistigen und unsichtbaren Welt, an der auch unsere Seele Anteil hat, unterschieden wird.
Dabei ist die unsichtbare Welt die wahre Welt. Und um zur wahren Erkenntnis zu gelangen, muss man sich möglichst von der sichtbaren Welt abwenden und sich auf sich selbst zurückziehen.
Durch das Studium der neuplatonischen Schriften konnte Augustinus auch endlich die Lehren des Manichäismus überwinden.
Der Kirchenhistoriker Ernst Dassmann: "Sie halfen ihm auch, sein Gottesbild zu klären, Gott rein geistig zu denken und nicht mit irgendwelchen Formen von Körperlichkeit zu verbinden. Sie befreiten ihn von dem Dualismus, der von zwei Göttern oder Prinzipien ausging, einem guten und einem bösen, und lehrten ihn zu begreifen, dass alles auf Gott als ein einziges Prinzip zurückgeführt werden muss und das Böse, das malum, nicht eine selbständige Wirklichkeit darstellt, sondern nur einen Mangel an Sein."
Jede Spekulation, die versuchte Gott in irgendeiner Weise dinghaft zu machen, weist er daher kategorisch zurück:
"Wenn du es begriffen hast, dann ist es nicht Gott."
Augustinus erschloss sich ein völlig neues Weltbild, in dem die Welt der Erfahrungen und das Leben der Menschen in sich keinen Wert haben, sondern sie sind nur ein Mittel, um ein ganz anderes Ziel zu erreichen. Enthusiastisch ruft er jetzt aus:
"Nur Gott und die Seele will ich erkennen, sonst nichts."
In seinen Bekenntnissen, die Augustinus viele Jahre später schrieb, schildert er seinen Weg zum Christentum dann im Rückblick in einer dramatischen Gartenszene. Er hört dort eine Kinderstimme singen „Nimm und lies“, darauf schlägt er eine Stelle in den Paulus–Briefen auf und ist bekehrt. In den anderen, früher verfassten autobiographischen Schriften des Augustinus fehlt dieser Bericht. Der Augustinus-Experte Uwe Neumann:
"Der Bericht der Bekenntnisse ist deutlich darauf angelegt, die anderen, weniger wunderbaren Motive in den Hintergrund treten zu lassen und die Bekehrung in gewisser Weise mythisch zu überhöhen."
Augustinus zieht sich schließlich für einige Monate mit einigen Freunden in ein Landgut am Comer See zurück, wo er gemeinsam mit den Freunden nach dem Vorbild von Ciceros Tusculum philosophisch-theologische Diskussionen führt.
Als er nach einem halben Jahr nach Mailand zurückkehrt, hat er seine philosophischen Studien und sein Verhältnis zum Christentum geordnet. Uwe Neumann: "Augustinus folgert, dass sich mit der Vernunft offensichtlich nur wenige befreien lassen, für die breite Masse muss die Autorität hinzukommen. Das Christentum hatte durch die Menschwerdung Christi dasjenige erfahrbar gemacht, was die antiken Philosophien für einen jeweils kleinen Kreis als Lehre anboten."
Christus verkörpert also in sichtbarer Form das, was die Philosophie in einer reinen, unsichtbaren Form sucht. Das Ziel für beide Wege ist immer: den Ursprung des Menschen in Gott zu erfassen. Wobei Augustinus „Gott“ jenseits von Raum und Zeit existierend denkt, denn in Raum und Zeit kann der Mensch keine letzte Glückseligkeit und Vollkommenheit finden.
In der Osternacht 387 lassen sich dann Augustinus, sein Sohn Adeodatus und Alypius, sein Jugendfreund, von Bischof Ambrosius in Mailand taufen. Augustinus gibt jetzt sein Amt als Rhetorikprofessor und seine Ehepläne auf.
Er beschließt in die Heimat nach Nordafrika zurückzukehren. Die Zeit des Suchens ist vorüber, ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Und da er inzwischen erstmals von christlichen Mönchen in Ägypten erfahren hat, die sich als Eremiten in die Wüste zurückziehen, um sich ganz der Kontemplation hinzugeben, beschließt auch er, künftig ein „monastisches“ Leben zu führen.
Der Kirchenhistoriker Hans von Campenhausen:
"Was Augustinus sich wünscht, ist ein stilles, philosophisches Leben mit Freunden zurückgezogen, ausschließlich auf Gott gerichtet und dem Streben nach wahrer Erkenntnis geweiht."
Einem Freund schreibt er, dass all sein Streben nur noch auf das „deificari in otio“, also auf das „in Ruhe Gott ähnlich werden“ ausgerichtet sei. Doch diese ersehnte Ruhe sollte nicht lange anhalten. Denn schon bald wurde Augustinus in die Wirren der Kirchenpolitik hineingezogen.
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© DLF - Gesendet: 02.01.2008
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