Der heilige Johannes Chrysostomos (344-407) warnt vor der Verweltlichung des geistlichen Stands und vor dem unwürdigen Empfang der Sakramente. Ein fiktives Interview im Rahmen einer Kirchenväter-Serie der überregionalen katholischen Wochenzeitung Die Tagespost. VON NATALIA SANMARTIN FENOLLERA
Ehrwürdiger Vater, Sie haben viel über das Priestertum nachgedacht und Texte geschenkt, die in unvergleichlicher Weise die Größe dieses Geheimnisses ausdrücken. In der schweren Krise der Kirche heute ist das Priestertum ein Zankapfel geworden. Ein Angriff folgt dem anderen, auch aus der Hierarchie, während Fragen wie der Zölibat, die wir für ausdiskutiert hielten, erneut zur Debatte stehen. Dennoch kommen die geistlichen Gefahren, denen der Priester täglich ausgesetzt ist und die Sie genau kennen, nur selten zur Sprache.
Ja, ich kenne die Größe dieses Amtes und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Der Geist eines Priesters ist heftigeren Stürmen ausgesetzt als die offene See. Und zu allem kommt die schreckliche Gefahr der Ruhmsucht, die gefährlicher ist als die von Dichtern erdachten Sirenen.
Sie haben die «Bestien» beschrieben, die Priester belauern. Können Sie uns erklären, welche das sind?
Zorn, Traurigkeit, Neid, Zwietracht, Verleumdung, Anklagen, Lüge, Heuchelei, Heimtücke, Verwünschungen gegen jene, die sich nichts zuschulden kommen ließen, Freude über die Mühsal der Amtsträger, Trauer über ihre treue Pflichterfüllung, das Gelobt-werden-wollen, Prestigedenken, die Lehre auf den Geschmack des Publikums herunterbrechen, Schmeicheleien, Geschwätz, Missachtung der Armen, Willfährigkeit gegenüber den Reichen, unbedachte Ehrungen und schädliche Gunst, die für diejenigen, die sie anderen erweisen, ebenso gefährlich sind wie für jene, die sie erhalten.
Stichwort Angst: Was können Sie uns dazu sagen?
Priester sollen sich vor der knechtischen Furcht hüten, die nur den schlechtesten Sklaven zukommt: der Furcht, sie könnten nicht frei sprechen und einer zur Schau getragenen Demut, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie sollen sich davor fürchten, gar nicht zu tadeln und zu strafen oder die Niedrigen übermäßig zu strafen und zu tadeln, gegenüber den Mächtigen aber den Mund nicht aufzutun.
Warum fürchten sich die Prälaten so davor, ihre Stimme zu erheben, um die Wahrheit zu verteidigen?
Weil jeder, der argwöhnisch fürchtet, seinen Posten zu verlieren, elend versklavt ist und sich geradezu verpflichtet sieht, Gott und die Menschen zu beleidigen.
Die Missbrauchskrise, die Zerstörung der Liturgie, die schlechte Ausbildung vieler Priester und die Verweltlichung mancher Geistlicher hat die Wahrnehmung der Würde des Priestertums verdunkelt. Es gibt viele gute Priester, aber auch viel Unwissen über das Geschenk des Priestertums.
Bedenkt man, was es für einen Mann aus Fleisch und Blut bedeutet, der seligen und reinsten Natur so nahekommen zu dürfen, kann man verstehen, welch große Ehre der Heilige Geist den Priestern erweist.
Und das große Geschenk, das dieser Schatz für die Kirche ist.
Sicher. Ohne das würdevolle Amt des Priestertums könnten wir nicht gerettet werden noch die versprochenen Güter erlangen. Wenn niemand ins Himmelreich kommt, der nicht aus Wasser und Heiligem Geist neu geboren wurde, wenn keinen Anteil am ewigen Leben hat, wer nicht den Leib des Herrn isst und sein Blut trinkt und das alles nur durch die Hände des Priesters geschehen kann – wie könnte er dem Feuer der Hölle entrinnen und zur Herrlichkeit gelangen, die uns bereitet ist?
Priester zeugen uns in geistlicher Weise, sie bringen uns durch die Taufe zur Welt. Durch sie ziehen wir Christus an, werden mit dem Sohn Gottes verbunden und werden Glieder jenes seligen Hauptes. Sie verdienten mehr Achtung als Würdenträger und Könige, und es wäre sogar angemessen, ihnen mehr Ehre zu erweisen als unseren Eltern. Denn die Eltern zeugen uns durch den Willen des Fleisches, die Priester sorgen dafür, dass wir aus Gott geboren werden.
Der Feminismus scheint auch in der Kirche ungebremst auf dem Vormarsch zu sein. Manche Kreise fordern mit Unterstützung eines Gutteils der Hierarchie eine immer aktivere Rolle der Frau. Die Frage nach dem Priesteramt für Frauen dürfte bald auf dem Tisch liegen, auch wenn das Lehramt in diesem Punkt glasklar ist. Wie beurteilen Sie das?
Das göttliche Recht hat Frauen vom Priestertum ausgeschlossen, sie versuchen aber hartnäckig, sich Zugang zum Amt zu verschaffen. Und da sie es allein nicht können, setzen sie dabei nun auf andere. Dabei maßen sie sich eine solche Macht an, dass sie zustimmen oder ausgrenzen wie es ihnen beliebt. Hier werden die Verhältnisse buchstäblich auf den Kopf gestellt, denn diejenigen, die Weisungen geben sollten, gehorchen, während diejenigen, die gehorchen sollten, erteilen Anweisungen.
Weil sie die Gleichberechtigung gegenüber den Männern einfordern.
Hoffentlich stehen Männer an der Stelle jener, denen es nicht gestattet es, zu lehren. Und was will ich mit lehren sagen? Der heilige Paulus gestattete ihnen nicht einmal, in der Kirche das Wort zu ergreifen. Ich habe gehört, dass einige von ihnen soweit gehen, sogar Würdenträger der Kirche zurechtzuweisen.
Seit etwa fünfzig Jahren besteht, wenngleich unter Auflagen, die Möglichkeit der Handkommunion. Zudem dürfen Laien als Kommunionhelfer wirken. Beide Praktiken haben sich etabliert. Wie stehen Sie dazu?
Wenn man berücksichtigt, dass es der Priester ist, der den Heiligen Geist anruft und dieses schaudererregende Opfer feiert, der Gott beständig mit seinen Händen berührt und die Schlüssel zum Himmel in der Hand hält – sagen Sie mir: Wo können wir diesen Mann einordnen? Wie sollten wir ihm nicht jede erdenkliche Reinheit und Religiosität erbitten? Denken Sie darüber nach, wie die Hände beschaffen sein müssen, die diese heiligen Dinge verwalten.
Das Nachsynodale Apostolische Schreiben «Amoris Laetitia» hat Personen, die objektiv im Zustand der schweren Sünde leben, die Tür zum Kommunionempfang geöffnet. In der Praxis wurde das vielerorts schon seit Jahren so gehandhabt. Wie schwer wiegt das in Ihren Augen?
«Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft keine Perlen vor die Säue.» Christus hat mit diesem Gesetz eine Vorschrift erlassen, die wir aus Dünkel und absurdem Ehrgeiz missachtet haben, als wir ohne respektvolle Unterscheidung Verführern, Ungläubigen und Lasterhafte zur Kommunion zugelassen haben. Kein Betrüger, Räuber, Ruchloser, Verleumder, keiner, der seine Brüder hasst, kein Geizhals, kein Betrunkener, kein Unzüchtiger, kein Neidischer, kein Wolllüstiger, kein Dieb, kein Intrigant trete hinzu, damit er sich nicht selbst richtet. Denn Judas hat unwürdig am Abendmahl teilgenommen und Jesus nachher ausgeliefert, damit wir daraus lernen, dass der Dämon in erster Linie diejenigen angreift, die unwürdig die Sakramente empfangen und sich selbst damit die größte Qual verursachen.
Was sollen Priester tun, wenn Gläubige in dieser Situation zum Tisch des Herrn hinzutreten?
Wenn wir sie kennen, verweigern wir ihnen die Kommunion. Unbekannte vertrauen wir Gott an, denn er kennt die Geheimnisse jedes Gewissens.
Die Autorin ist Journalistin und Romanautorin. Ihr Roman «Das Erwachen der Señorita Prim» wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Übersetzung aus dem Spanischen von Regina Einig
BIOGRAFIE & LESETIPPDer heilige Johannes Chrysostomos («Goldmund») kam 344 in Antiochia zur Welt. Seine Mutter Anthusa war eine tiefgläubige Frau. Er, der «das große Licht des Erdkreises» genannt werden sollte, war ein überaus erfolgreicher Redner. Er ließ sich taufen und lebte zuhause wie ein Mönch. Nach dem Tod seiner Mutter zog er sich in die Wüste zurück. Nach dem Empfang der Priesterweihe predigte er unermüdlich und wurde Bischof von Konstantinopel. Dort verkündete er das Evangelium auf den Dörfern, gründete Krankenhäuser, bekämpfte die arianischen Irrlehren und hielt bedeutende Predigten. Er musste seinen Bischofssitz verlassen und wurde zweimal verbannt. 407 starb er im Exil. Auf Bitten der Gläubigen wurde sein Leichnam nach Konstantinopel überführt. Er ist einer der vier großen griechischen Kirchenlehrer. Lektüretipp Benedikt XVI.: Johannes Chrysostomus, Zwei Mittwochskatechesen vom 19. September 2007 und vom 26. September 2007 Rudolf Brändle: Art. Iohannes Constantinopolitanus episcopus (Chrystostomus), in: Augustinus-Lexikon 3 (2004-2010) 693-696 Werke Johannes Chrysostomus: De sacerdotio (Band 1-6), Homilien des heiligen Johannes Chrysostomus über die Briefe des heiligen Paulus, Bibliothek der Kirchenväter |
© Die Tagespost vom 02.07.2020, Seite 12 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)
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