Vermittler griechischer Theologie in den Westen: Aus der Verbannung nach Kleinasien wurde für den gallischen Bischof Hilarius von Poitiers (315–368) eine geistlich und theologisch fruchtbare Zeit. Ein fiktives Interview im Rahmen einer Kirchenväter-Serie der überregionalen katholischen Wochenzeitung Die Tagespost. VON HANNS-CHRISTOF BRENNECKE
Exzellenz, in Poitiers, Ihrer Heimatstadt, wurden Sie schon bald nach Ihrer Taufe zum Bischof gewählt.
Nach der Ermordung des Kaisers Constans waren die Zeiten in Gallien sehr unruhig. Jahrelange Kriege und Militärputsche. Unter Kaiser Constantius wurden wir in Gallien mit den Kämpfen in den Kirchen des Ostens um den Arianismus, der die Gottheit Christi leugnete, konfrontiert. In Gallien hatten wir bisher nur wenig davon erfahren.
Aber Sie waren damals auch schon literarisch hervorgetreten?
Ich hatte versucht, das Evangelium nach Matthäus auszulegen.
Im Jahr 356 sind Sie auf einer Synode in Gallien verurteilt worden und mussten anschließend für vier Jahre ins Exil nach Kleinasien. Wie kam es dazu?
Ich bin von einem Mitbischof denunziert worden, gegen die kaiserliche Kirchenpolitik agitiert zu haben. Dabei hatten wir in Gallien fast keine Kenntnisse darüber. Vom Konzil von Nicaea hatte ich bis zu meiner Verbannung noch nie etwas gehört. Aber als ich davon erfuhr, war mir sofort bewusst, dass das der Glaube war, den ich bei der Taufe empfangen hatte und dass der Versuch des Kaisers, diesen Glauben auszutilgen, ein Angriff auf den christlichen Glauben war.
Wie haben Sie die Zeit des Exils erlebt?
Ich habe mich vor allem in Phrygien und den umliegenden Provinzen frei bewegen können. Außerdem gelang es mir, den engen Kontakt mit meinen gallischen Mitbrüdern aufrechtzuerhalten.
Wie haben Sie die Zeit in Kleinasien genutzt?
Das Konzil von Nicaea lag schon 30 Jahre zurück. Und im Osten waren die theologischen Debatten weitergegangen, von denen wir in Gallien nichts wussten. So habe ich mich bei den Mitbrüdern im Osten zunächst informiert. Glücklicherweise konnte ich soviel Griechisch, dass ich dazu in der Lage war. Für mich war es eine befreiende Entdeckung, dass es auch im Osten eine große Anzahl rechtgläubiger Bischöfe gab, auch wenn sie anders als wir im Westen dachten und formulierten. Sie waren keine Arianer, wie ich bisher angenommen hatte. Sie benutzten zwar nicht genau die Begriffe, die man in Nicaea gewählt hatte, aber waren rechtgläubig und versuchten, den Kaiser von seinem arianerfreundlichen Kurs abzubringen. Und anfangs durchaus mit Erfolg.
Aber Sie haben ja nicht nur selber für sich etwas gelernt, sondern Ihr Wissen Ihren gallischen Mitbrüdern vermittelt.
Besonders als der Kurs des Kaisers immer arianerfreundlicher wurde, habe ich mit Hilfe meiner inzwischen zu Freunden gewordenen kleinasiatischen Mitbrüder die gallischen Bischöfe über die Synoden seit dem Konzil von Nicaea informiert. Das Wichtigste war natürlich, lateinische Übersetzungen all der vielen Texte anzufertigen. So habe ich auch eine erste lateinische Übersetzung des Bekenntnisses von Nicaea nach Gallien geschickt. Inzwischen hatte ich mich auch mit dem Fall des Athanasius vertraut gemacht und meine gallischen Mitbrüder darüber unterrichtet. Da auch einige Bischöfe aus dem Westen dem Kaiser gegenüber nachgiebig geworden waren, hat es mich umso mehr gefreut, dass die gallischen Brüder treu zum Bekenntnis von Nicaea standen.
Sind Sie in Ihrem Exil Athanasius begegnet?
Leider nicht. Er war während meines Aufenthaltes im Osten in der ägyptischen Wüste in einem Versteck.
Kaiser Constantius hatte für das Jahr 359 ein Reichskonzil einberufen, das dann in zwei getrennten Konzilen für den Osten und den Westen stattfand. Sie waren auf Befehl des Kaisers auf dem Konzil der Bischöfe aus dem Osten anwesend.
Ich musste dort ein Bekenntnis vorlegen und habe dann an den Beratungen meiner griechischen Mitbrüder teilgenommen. Mit ihnen zusammen bin ich anschließend nach Konstantinopel gereist.
Während die Delegierten der beiden Konzile in der Hauptstadt auf den Kaiser warteten, haben Sie um eine Audienz beim Kaiser gebeten und ihm noch einmal Ihren Fall dargelegt. Hatten Sie und Ihre Mitbischöfe aus Kleinasien damals noch die Hoffnung auf ein gutes Ende des großen Reichskonzils?
Ja. Deswegen hatte ich mich ja auch direkt an den Kaiser gewandt.
Hatten Sie Erfolg?
Nein. Der Kaiser folgte den arianischen Feinden Christi. Meine Mitbrüder aus dem Osten wurden fast alle abgesetzt und in die Verbannung geschickt, einige sind dort gestorben.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich nutzte die Gelegenheit und kehrte nach Gallien zurück. «Die Zeit des Schweigens» war nun für mich vorbei – und ich habe eine Schrift gegen diesen Kaiser geschrieben, der sich nun als der Antichrist erwiesen hatte. Dieser Kaiser war schlimmer als die früheren Christenverfolger, denn er war ein falscher Christ. Nach außen «bekannte er Christus, um ihn in Wirklichkeit zu verleugnen».
Nach dem Tod des Constantius haben Sie in Italien und Gallien sich intensiv dafür eingesetzt, dass nun endlich das Bekenntnis von Nicaea zur Norm des christlichen Glaubens wurde.
Vor allem konnte ich viele abendländische Mitbischöfe davon überzeugen, dass meine kleinasiatischen Mitbrüder, die fast alle im Exil waren, rechtgläubig seien.
Deshalb sind Sie aber von einigen Mitbrüdern verdächtigt worden, selbst ein arianischer Häretiker zu sein.
Das war allerdings eine traurige Erfahrung. Leider sind auch meine Versuche gescheitert, den arianischen Bischof von Mailand durch den neuen rechtgläubigen Kaiser Valentinian absetzen zu lassen; ich wurde sogar gezwungen Mailand zu verlassen.
Sie sind dann nach Gallien zurückgekehrt und waren nach Ihrer Rückkehr in Ihr Bistum dann vor allem literarisch tätig.
Ich wollte meine gallischen Mitbrüder, die die griechische Sprache nicht beherrschten, an dem teilhaben lassen, was ich in Kleinasien erfahren hatte. Ich habe versucht, Ihnen die Fragen über die Dreieinigkeit Gottes, worüber im Osten schon so viel nachgedacht worden war, zu erläutern. Auch die Möglichkeiten der Auslegung der Heiligen Schriften, wie ich sie dort kennengelernt hatte, habe ich in einer Erklärung der Psalmen und mancher anderen Stellen aus den Schriften des Alten Bundes zu zeigen versucht. Im Osten habe ich den Hymnengesang kennengelernt und versucht, für meine gallischen Christen auch lateinische Hymnen auf Christus zu verfassen.
Wie sehen Sie die Zukunft des christlichen Glaubens in Gallien?
Bei uns in Gallien sind – ganz anders als in Kleinasien – noch nicht viele Menschen vom Glauben an Christus ergriffen. Aber ich bin da voller Hoffnung. Ich habe einen jungen Mann aus Pannonien kennengelernt – Martin heißt er, ein früherer Offizier der kaiserlichen Garde – der sich gar nicht so weit von Poitiers entfernt ganz und gar Christus zugewandt hat. Er hat einige Zeit bei mir verbracht, um mehr über unseren Glauben zu lernen. So kann ich für die Zukunft zuversichtlich sein.
Exzellenz, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Der Autor ist emeritierter Professor für ältere Kirchengeschichte (Patristik) an der Universität Erlangen.
BIOGRAFIE & LESETIPPHilarius wurde um 350, etwa zur Zeit der Ermordung des Kaisers Constans, Bischof von Poitiers. Seit 353 war Constantius Alleinherrscher; 356–360 Exil des Hilarius in Kleinasien (Phrygien), dort enge Kontakte zu homöusianischen Theologen, informiert in mehreren Schriften die gallischen Bischöfe über die theologischen und kirchenpolitischen Entwicklungen; 359 Teilnehmer der Synode von Seleukia, anschließend die Ereignisse in Konstantinopel, 361 Tod des Kaisers Constantius, Hilarius starb 367 oder 368 in Poitiers. Literaturhinweise Benedikt XVI.: Hilarius von Poitiers, Generalaudienz vom 10. Oktober 2007 H.C. Brennecke: Hilarius von Poitiers: Augustinus-Lexikon 3, 2004–2010, 341-346 (online: www.schwabeonline.ch/al) H.C. Brennecke: Hilarius von Poitiers: Theologische Realenzyklopädie 15, 1986, 315–322 Bibliothek der Kirchenväter
Exklusivbeitrag Ladaria SJ, Luis F.: Der Heilige Geist bei Hilarius von Poitiers (aus dem Spanischen übersetzt von Regina Einig; Originalbeitrag in: «Credo in Spiritum Sanctum». Atti del congresso teologico internazionale di Pneumatologia in occasione del 1600 anniversario del I Concilio di Costantinopoli. Roma, 22-26 marzo 1982 [hrsg. von J. Saraiva Martins], Rom: LEV 1983, S. 243–253) |
© Die Tagespost vom 28.05.2020, Seite 12 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)
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