Die frühe Kirche musste sich gegen Feinde von außen sowie Widerstände und Irrlehrer in den eigenen Reihen behaupten. Daran wuchs sie nicht nur, sondern schärfte im Zug der Auseinandersetzungen auch ihr geistliches und theologisches Profil. Konflikte entpuppten sich häufig als Tor zu größerer Klarheit in der Glaubenslehre. In fiktiven Interviews mit Kirchenlehrern gehen Wissenschaftler in einer neuen Serie der überregionalen katholischen Wochenzeitung Die Tagespost der Frage nach, welche Erfahrungen der jungen Kirche für die Christen heute bedenkenswert sind. Den Anfang macht der Austausch des Würzburger Oberhirten mit Bischof Caesarius von Arles (470–542), der missionarische Herausforderungen in Zeiten des Übergangs anpackte. VON BISCHOF FRANZ JUNG
Herr Erzbischof, leben in Zeiten des Übergangs – was bedeutet das für Sie als Hirte der provenzalischen Metropolie Arles?
Unsicherheit. Wir befinden uns seit Jahrzehnten in einer politisch instabilen Lage. Der Kampf um die Vorherrschaft in Gallien zwischen Westgoten, Franken, Burgundern und Ostgoten zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land. Das soziale Elend ist kaum in Worte zu fassen. Kulturell werden wir momentan Zeugen eines beispiellosen Zusammenbruchs der überkommenen Bildungsinstitutionen. Kirchlich macht uns die Auflösung der Disziplin und die mangelnde seelsorgliche Betreuung weiter Landstriche schwer zu schaffen.
Welche Maßnahmen gedenken Sie angesichts dieser vielfachen Herausforderungen zu ergreifen?
Wie Sie wissen, hat mich mein geistlicher Werdegang in jungen Jahren nach Lérins geführt. Das Leben in dem berühmten Inselkloster, das seit vielen Jahren ein Hort der Gelehrsamkeit ist, aus dem viele führende Geistliche Galliens hervorgegangen sind, hat auch mich geprägt. Die Liebe zum Tagzeitengebet wurde mir dort eingepflanzt wie die intensive Beschäftigung mit der Heiligen Schrift und mit den Vätern und nicht zuletzt der Sinn für das Gemeinschaftsleben. Dementsprechend habe ich an der Kathedralkirche in Arles die Tagzeitenliturgie eingeführt. Ich lebe selbst in einer Priestergemeinschaft, in der wir das Leben teilen und zusammen beten. Größten Wert lege ich auf die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, deren umfassende Kenntnis die unabdingbare Voraussetzung dafür ist, ein geistliches Amt übernehmen zu können. So bemühe ich mich, meinen Klerus zu prägen und zu stärken für seinen Dienst.
Was die Väter anbelangt, sagt man Ihnen eine besondere Verbundenheit mit dem heiligen Augustinus nach, stimmt das?
Seit langem faszinieren mich die Schriften Augustins, der ja in ähnlicher Weise schon als Bischof Akzente in der Seelsorge gesetzt hat. Im unseligen Gnadenstreit, der seit Jahren Südgallien erschüttert und später einmal als semipelagianische Kontroverse bekannt werden wird, war mir die Gnadenlehre Augustins eine wichtige Orientierung. Im Zweiten Konzil von Orange konnte ich ihr zum Durchbruch verhelfen. Ich erlaube mir zu bemerken, dass es sich dabei im Westen um das einzige Konzil handelt, das dogmatische Inhalte verhandelt hat, die sicher in ferner Zukunft noch einmal bedeutsam werden. Persönlich habe ich mir immer gewünscht, am Gedenktag des heiligen Augustinus aus dem Leben scheiden zu dürfen. Ich bin zuversichtlich, dass dieser langgehegte Wunsch auch in Erfüllung gehen wird.
Die Väterlektüre, heißt es, läge Ihnen bei der Priesterausbildung insgesamt am Herzen?
Da die Priester kaum noch die Möglichkeit haben, eine der einst so berühmten gallischen Rhetorenschulen zu besuchen, habe ich Kompendien aus den Väterhomilien für alle Sonn- und Festtage des Kirchenjahres zusammengestellt. Alles Zeitbedingte habe ich weggelassen, um dogmatisch verlässliche und geistlich tiefgehende Predigten meinen Seelsorgern an die Hand zu geben. Ziel ist eine gute und flächendeckende Verkündigung in den Landpfarreien und deren Filialen. Das Predigtrecht der Priester gegen den Widerstand meiner bischöflichen Kollegen zu erstreiten, hat mich im Übrigen manche Anstrengung gekostet. Aber es war der Mühe wert, denn die Menschen haben Anspruch auf eine gute Verkündigung.
Man munkelt, das Verhältnis zu Ihren bischöflichen Mitbrüdern sei nicht immer das Beste?
Sehen Sie, in Zeiten des Umbruchs winkt immer die Versuchung, sich in die Wagenburg zurückzuziehen. Ich konnte mich mit dieser Mentalität nie anfreunden. Auch wenn es einem Tabubruch gleichkommt, habe ich mich bewusst in der Verkündigung für eine einfache Sprache entschieden, den sogenannten schlichten Stil, in der Fachsprache auch sermo rusticus» genannt. Verständlichkeit und Anschaulichkeit geht mir beim Predigtdienst immer vor Kunstfertigkeit.
Es liegt mir fern, andere anzuklagen. Aber mit Verlaub, ich kann dem gekünstelten Latein so mancher Mitbrüder nichts abgewinnen. Es hat immer den Hauch der Selbstbezüglichkeit, mit der man sich seiner kulturellen Überlegenheit versichert und sich erhaben dünkt über das ungebildete Volk. Letztlich ist das eine Form der Distanzierung von den Menschen und ihren Nöten, der ich herzlich wenig abgewinnen kann, auch wenn es in den klerikalen Kreisen Galliens derzeit en vogue ist.
Ist aus dieser Haltung auch Ihr beachtliches soziales Engagement zu verstehen?
Als Oberhirte der Metropole Arles bin ich tagtäglich mit unendlichem Leid konfrontiert. Unser Glaube drängt uns, darauf eine Antwort zu geben.
Unübersehbar ist das Heer der Flüchtlinge, die sich vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in die Stadt geflüchtet haben. Zu ihnen gesellen sich die zahllosen Kriegsgefangenen, die darauf warten, von irgendjemandem freigekauft zu werden. Hungersnot und Krankheit sind die üblichen Begleiterscheinungen. Außergewöhnliche Not verlangt nach außergewöhnlichen Maßnahmen. So habe ich mich dazu entschieden, das Gold der Kelche und der Innenausstattung der Kirchen zu veräußern, um mit dem Erlös Gefangene freikaufen zu können. Damit habe ich mir gehörigen Ärger eingehandelt bei meinen Mitbischöfen wie in Rom. Aber Christus hat seinen Jüngern aufgetragen, weder Silber noch Gold mit sich zu führen. Sein Brot hat er auch nicht in Silberschüsseln getaucht und sein Kreuz war aus Holz. Grund genug also, sich von irdischen Schätzen frei zu machen, wenn es um das Seelenheil so vieler Menschen geht. Mir ist es darüber hinaus gelungen, das erste Krankenhospital in Gallien als Mustereinrichtung aufzubauen. Die Fügung des Himmels erlaubt es mir dankenswerterweise auch immer wieder, mit Getreidespenden die größte Not unter der Bevölkerung zu lindern. Es bleibt meine unverrückbare Ansicht, dass der caritative Einsatz für eine glaubwürdige Verkündigung mindestens ebenso wichtig ist wie die Predigt und der Gottesdienst.
In Ihren Predigten nehmen Sie häufig Bezug auf pagane Praktiken Ihrer Gläubigen. Was hat es damit auf sich?
Bis der christliche Glaube wirklich die Herzen der Menschen erreicht, ist es ein langer Weg. Ich beobachte mit Sorge, wie Christen in ihren alltäglichen Vollzügen in neuheidnische Bräuche zurückfallen wie das Befragen der Horoskope, die naturmagische Verehrung von Quellen und Bäumen, das Ausüben von Zauberriten und die Wahrsagerei. Es gibt eben keinen neutralen Raum. Wo der Glaube nicht die Herzen prägt, machen sich andere, pseudoreligiöse Vollzüge breit. Hier bemühe ich mich intensiv um Aufklärung und sehe das als missionarische Herausforderung.
Sie haben die erste Regel für Ordensschwestern im Abendland verfasst. Was hat Sie dazu bewogen?
Seit meiner Zeit im Kloster bin ich der festen Überzeugung, dass die Kirche eine kontemplative Mitte braucht. Gerade in diesen hektischen und unübersichtlichen Zeiten brauchen wir Menschen, die stellvertretend für andere das unablässige Gebet pflegen. Deshalb war mir die Gründung des Frauenklosters in Arles ein Herzensanliegen.
Um die Schwestern auf ihrem Weg zu unterstützen, habe ich mich darangemacht, eine Regel für Nonnen abzufassen. In der Tat etwas Neues, für das ich allerdings auf die reiche monastische Tradition Südgalliens zurückgreifen konnte.
Erfüllt es Sie mit Stolz, als erster Metropolit von Papst Symmachus das Pallium verliehen bekommen zu haben?
Ich betrachte es als Auszeichnung, die im Übrigen einherging mit der Verleihung des Titels eines Päpstlichen Vikars für Gallien». Auch wenn ich aufgrund der politischen Wirren diese Aufgabe nur bedingt wahrnehmen konnte, ging mein Bestreben immer dahin, trotz aller Tendenzen zur Spaltung die Einheit der Kirche zu wahren und die Bildung von Nationalkirchen arianischer Prägung auf gallischem Boden zu unterbinden.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Ich bemühe mich nach Kräften um ein gutes Einvernehmen mit der gerade herrschenden Macht. Die permanent wechselnden Herrschaftsverhältnisse haben mich aber zum wiederholten Mal in lebensbedrohliche Situationen gebracht, da man mich mehrfach der Illoyalität zieh. Kirche soll der Stabilisierung irdischer Macht dienen, so die landläufige Auffassung. Dem habe ich mich immer widersetzt. Wir haben einen Verkündigungsauftrag, zu dessen Wahrnehmung wir uns natürlich abstimmen mit den gerade Herrschenden. Aber es gilt trotz allem, die Freiheit der Kirche zu behaupten.
Was wollen Sie zum Schluss unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Die Wirren unserer Tage könnten einen mutlos werden lassen. Mir geht es darum, aus der Vertiefung in die Heilige Schrift und aus dem Geist der Kontemplation die Erneuerung der Kirche voranzutreiben, die Einheit im Glauben zu wahren und dabei die Armen nicht zu vergessen. Das Wort des Propheten Jesaja «Rufe, halte dich nicht zurück!» (Jesaja 58,1) war mir dabei immer wieder Ansporn weiterzumachen und nicht resigniert zu verstummen. Diesen Mut wünsche ich meinen Lesern von Herzen.
HINTERGRUNDDer große Prediger und engagierte Seelsorger Caesarius von Arles entstammte einer adligen gallorömischen Familie. Sein Schüler Cyprian von Toulon verfasste 542/49 die Vita des Caesarius. Dieser war zunächst Mönch des Klosters Lérins, ehe er zwischen 502 Bischof von Arles, dem damaligen Zentrum des südlichen Galliens, wurde. Besondere Bedeutung erlangte Caesarius bei der 2. Synode von Orange, die den Semipelagianismus verurteilte. In seinem schriftlichen Nachlass stechen vor allem die Predigtsammlungen hervor. 238 Sermones enthalten Predigten zu den christlichen Festen, zeigen aber auch eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Heidentum, das in der gallischen Gesellschaft nach wie vor präsent war. Er erläuterte die Spendung der Sakramente und die Feier des Stundengebets, die Pflicht zur Sonntagsmesse und zum Empfang der Eucharistie an Hochfesten. Augustinus nannte ihn den größten Volksprediger. Darüber hinaus sind seine Regeln für Mönche und Nonnen überliefert. Caesarius starb am 27. August 542 in Arles. Literaturempfehlung Franz Jung: Cyprian von Toulon: Das Leben des heiligen Caesarius von Arles. Carthusianus Verlag. ISBN: 978-3941862258, EUR 24,90 |
© Die Tagespost vom 30.01.2020, Seite 12 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)
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