Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.
Confessiones 1,1
Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.
Bekenntnisse 1,1
Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V.
Jahresvollversammlung 2013
Jahresvollversammlung der
Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V.
Würzburg, Exerzitienhaus Himmelspforten, 22. Juni 2013
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Festvortrag
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Buchpräsentation
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Pressebericht
„... ut ecclesiam emendes ...“:
Was ist Katholische Reform?
Das 15. und das 16. Jahrhundert als Epoche der Kirchengeschichte
Festrede zur Jahresvollversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V. am 22.06.2013
Von Prof. Dr. theol. Dr. phil. Harm Klueting
Mittlere und Neuere Kirchengeschichte
Universitäten Köln und Fribourg (Schweiz)I. Einleitung
Unser Geschichtsbild ist bis in die katholische Kirchengeschichtsschreibung hinein protestantisch geprägt. Zwar übernehmen katholische Kirchenhistoriker und Theologen nicht das traditionelle protestantische, auf Luther selbst zurückgehende Verständnis, wonach die evangelische Kirche die wiederhergestellte alte Kirche und die Kirche unter dem Papstprimat eine neue Kirche ist. Aber schon die Vorstellung, dass die Neuzeit mit der Reformation begann, ist auf protestantischem und auf deutschem Boden entstanden. Wie falsch oder wie einseitig sie ist, zeigt der Blick auf Italien oder Spanien.
Im 19. Jahrhundert institutionalisierte und professionalisierte sich die Geschichtswissenschaft. In dieser Zeit war die deutsche Geschichtswissenschaft international – in Europa wie in Nordamerika – führend und entwickelte Methoden, prägte Begriffe und schuf Paradigmen, die bis heute gelten. Und diese deutsche Geschichtswissenschaft lag in protestantischer Hand, während Katholiken als Historiker und katholische Geschichtsschreibung marginalisiert waren und bis ins 20. Jahrhundert – von hervorragenden Ausnahmen wie dem Historiker Konrad Repgen abgesehen – marginalisiert blieben und auch heute, nachdem an die Stelle der protestantischen Orientierung eine die Grenzen der politischen Parteien und der Konfessionen überwölbende liberale und zumeist völlig säkulare Orientierung der führenden Historiker getreten ist, marginalisiert sind.
In den Jahren 1839 bis 1847 veröffentlichte der 1795 geborene Lutheraner Leopold von Ranke seine sechs Bände umfassende „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“ – ein Werk, das heute kaum noch gelesen wird, das aber bis heute von fundamentaler Bedeutung für das Bild der Epoche ist. Ranke führte den Begriff Reformation als Epochenbegriff ein, der bis dahin ungebräuchlich war. Im 16. Jahrhundert und auch noch nach Luther hatte reformatio noch wie im Mittelalter eine viel breitere Bedeutung. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts, 1692, bezog ein anderer Lutheraner, Veit Ludwig von Seckendorff, Reformation nur noch auf Luthers Kirchenkritik, sein Handeln und die Ausbildung einer neuen Kirche. Seckendorff schuf die Grundlage für den modernen Reformationsbegriff, den Ranke weltweit verbreitete und zum Namen des Zeitalters von 1517 bis 1555, dem Jahr des Augsburger Religionsfriedens, erhob. Auf Ranke geht auch der Begriff Gegenreformation zurück. Indem er die Gegenreformation als Zeitabschnitt auf die Reformation folgen ließ, bereitete er der Verwendung von Gegenreformation als Epochenbezeichnung den Weg, die der Altkatholik Moriz Ritter mit seinem seit 1889 erschienenen Werk „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreiβigjährigen Krieges“ für die Zeit nach 1555 und bis 1648 einführte. Diese Bezeichnung bürgerte sich danach auch außerhalb Deutschlands ein − englisch Counter-Reformation, französisch la Contre-Réforme, italienisch contra-riforma.
Ich belasse es bei der Andeutung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg bei manchen Historikern Bedenken bezüglich des Begriffes Gegenreformation aufkamen, weil dieser die katholischen Entwicklungen lediglich als Reaktion auf die protestantische Reformation erscheinen lässt, und nenne nur den Namen Ernst Walter Zeeden – ein Konvertiten aus dem Protestantismus. Ebenfalls nur hinweisen möchte ich auf Wolfgang Reinhard, einen zum Zeitpunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils jungen katholischen Historiker, der seit den 1970er Jahren die Gegenüberstellung einer Epoche der Reformation und einer – im Gegensatz dazu als reaktionär verstandenen – Epoche der Gegenreformation zu überwinden suchte und die „relativ kurzfristige evangelische Bewegung“, in der er „den Kulminationspunkt von zwei Jahrhunderten voller Reformstreben“ sah, von einem „ebenfalls runde zwei Jahrhunderte anhaltenden Prozess der ‚Konfessionalisierung‘“ unterschied. Mit den „zwei Jahrhunderten voller Reformstreben“ war Reinhard auf dem richtigen Weg, während er sich mit dem Begriff Konfessionalisierung dem aus rein sozialgeschichtlicher Perspektive formulierten, seitdem unter Profanhistorikern schon fast inflationär verbreiteten Konzept der Konfessionalisierung anschloss. Von Katholischer Reform will er ebenso wie von Gegenreformation nicht mehr sprechen, sondern nur noch von katholischer Konfessionalisierung. An die Stelle einer protestantischen Prägung des Geschichtsbildes trat damit eine sozialgeschichtliche Ausrichtung der Kirchengeschichte, die auch von manchen Kirchenhistorikern propagiert wird.
Die Bezeichnung Katholische Reform geht auf Hubert Jedin zurück, der 1946 den Doppelbegriff katholische Reformation und Gegenreformation einführte. Er nahm damit die 1880 von Wilhelm Maurenbrecher verwendete Bezeichnung katholische Reformation auf. Maurenbrecher hatte darunter die von Italien und Spanien ausgehende Erneuerung innerhalb der Kirche verstanden. Es gab also eine protestantische Reformation mit ihren Ausgangsorten in Deutschland und in der Schweiz und eine katholische Reformation mit ihren Hauptschauplätzen in Italien und Spanien. Jedin gab den Begriff Gegenreformation aber nicht auf, sondern behielt ihn bei für die antiprotestantische Rekatholisierung in der Zeit nach dem Konzil von Trient, also nach 1563. Das sehen die nicht, die Gegenreformation durch Katholische Reform ersetzen, weil das irgendwie gefälliger und sozusagen „ökumenischer“ klingt. Bei Jedin ist Katholische Reform älter als Gegenreformation und geht dieser zeitlich voraus. Das beachten jene nicht, die Katholische Reform mit Tridentinischer Reform gleichsetzen oder erst mit dem Konzil von Trient beginnen lassen. Es ist also zu fragen, wann die Katholische Reform begann. Die richtige Antwort gibt Konrad Repgen: Die „Anfänge der katholischen Reform [lagen] im frühen 15. Jahrhundert.“ Die Katholische Reform hat somit nicht nur lange vor dem Tridentinum, sondern auch lange vor der Reformation und lange vor Luther begonnen und war mitnichten Reaktion auf die Reformation. Der Zusammenhang ist umzukehren: die Katholische Reform war nicht Folge der protestantischen Reformation, sondern die protestantische Reformation ging aus der Katholischen Reform hervor, die dann allerdings unter den Druck der protestantischen Reformation geriet und sich dadurch intensivierte.
II. Avignon – Pest – Schisma
Nimmt man Reinhards „zwei Jahrhunderte voller Reformstreben“ vor seiner „relativ kurzfristigen evangelischen Bewegung“ wörtlich, so gelangt man an den Anfang des 14. Jahrhunderts. Das 14. und das 15. Jahrhundert sahen neben national- und territorialkirchlichen Bestrebungen, die von weltlichen Herrschern wie den französischen Königen – Stichwort: Gallikanismus – ausgingen und von Intellektuellen jener Zeit wie Marsilius von Padua in seinem 1324 in Paris vollendeten „Defensor pacis“ propagiert wurden, die Diskreditierung von Papsttum, Kirche und Klerus durch das Avignoneser Papsttum, den Schwarzen Tod und das Große abendländische Schisma, aber auch die Konzilien von Konstanz und Basel, den Gegensatz von Konziliarismus und Papalismus und die Observanzbewegungen der Mendikantenorden und auch die Reformen von Kastl, Melk und Bursfeld der Benediktiner.
1304 wurde mit Clemens V. ein Franzose Papst. 1309 verlegte er die Papstresidenz von Rom nach Avignon, löste das Amt des Papstes somit vom Grab des hl. Petrus und brachte es unter den bestimmenden Einfluss des französischen Königtums. Mit Clemens V. begann der Luxus des päpstliches Hofes, verbunden mit Ämterschacher, Korruption und Nepotismus. Mitten in die Zeit des Avignoneser Papsttums fiel der Schwarze Tod, die verheerende Pestepidemie der Jahre 1347 bis 1352, der etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas zum Opfer fiel. Die Pest offenbarte nicht nur die Hilflosigkeit der mittelalterlichen Medizin, sondern auch das Versagen von Kirche und Geistlichkeit und führte so in eine „Krise des europäischen Klerus“. Während es unter einfachen Weltpriestern und unter Mendikanten – wie auch unter Nonnen – , die sich um die Sterbenden kümmerten, in großer Zahl Pestopfer gab, berichten zeitgenössische Autoren von höhergestellten Priestern, die den Todgeweihten aus Angst vor Ansteckung die Sterbesakramente nicht mehr reichten, und von Pfründeninhabern – Pfarrern, Domherren, Bischöfen – , die sich der Ansteckungsgefahr unter Missachtung seelsorgerlicher Pflichten durch Rückzug an scheinbar sichere Orte zu entziehen versuchten. Es gab aber auch selbstlose Pflege Kranker und Bestattung Gestorbener, etwa durch Mitglieder der Bruderschaft der Scuola della Carità in Venedig, von denen Hunderte ihren Einsatz mit dem Tod bezahlten. Doch trug das Bruderschaftswesen als laikale Bewegung zum Ansehensverlust des Klerus bei. Dasselbe gilt für Notordinationen von Personen mit Weihehindernissen als Reaktion auf den pestbedingten Priestermangel und für Notmaβnahmen wie die Übertragung der Spendung des Sterbesakraments an Laien wie 1349 in England durch den Bischof von Bath. Das lieferte antiklerikalen Bestrebungen Argumente. Eine typische Gestalt der Generation des Schwarzen Todes war der um 1320 geborene englische Weltpriester John Wiclif. Mit seinem strengen Schriftprinzip, mit seiner Ablasskritik, seiner Ablehnung der Heiligen- und Reliquienverehrung, des Zölibats und des Mönchtums, seiner Kritik an der Eucharistielehre und seiner Hochschätzung der Predigt als Verkündigung des Wortes Gottes, der er sakramentalen Charakter zuerkennen konnte, und mit seinem gegen die Päpste erhobenen Antichrist-Vorwurf nahm er Luther vorweg, auch wenn er die Rechtfertigung sola fide et sola gratia ebenso wie Jan Hus in Prag, der andere Vorläufer Luthers, noch nicht lehrte.
So standen das Papsttum in Avignon und der Schwarze Tod am Beginn eines Zeitalters der Reform, das als Bewegung der Observanz, der Rückbesinnung auf die alten Ordensideale, in den Mendikantenorden begann und darin ihren Schwerpunkt hatte. Ich komme darauf zurück.
Erst Gregor XI. verlegte die Papstresidenz 1377 endgültig nach Rom zurück. Doch endete damit der Niedergang des Papsttums nicht. Nach Gregors Tod begann mit der Doppelwahl von 1378 das Große abendländische Schisma: Urban VI. in Rom und Clemens (VII.) in Avignon, die christliche Welt gespalten in die Obödienz von Rom und die Obödienz von Avignon. 1409 trat die Obödienz von Pisa hinzu: drei Päpste! Der Niedergang des Papsttums führte zu verstärkten Reformforderungen, wie sie schon Dante, Birgitta von Schweden, Katharina von Siena und andere erhoben hatten, zum Ruf nach einer reformatio ecclesiae in capite et in membris, einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern, wie es 1410 in einer Flugschrift des Dietrich von Niem hieß. Der Begriff reformatio wurde populär.
III. Konstanz und Basel-Ferrara-Florenz
Der Pisaner Papst Johannes (XXIII.) berief das Konzil von Konstanz ein, um seine Stellung zu festigen, doch setzte das Konzil ihn 1415 ab. Der römische Papst Gregor XII. konstituierte 1414 das Konzil und erklärte 1415 seinen Rücktritt. Den Avignoneser Papst Benedikt (XIII.) setzte das Konzil 1417 ab. Danach wurde 1417 in Konstanz Oddone Colonna als Martin V. zum Papst gewählt. Das Schisma war beendet. Das Konzil hatte drei Aufgaben: causa unionis oder Beseitigung des Schismas, causa fidei oder Beseitigung der Ketzerei und causa reformationis oder Verbesserung der kirchlichen Zustände. Bei der causa unionis war das Konzil ein großer Erfolg. Bei der causa fidei verurteilte das Konzil die Lehren von John Wiclif und Jan Hus. Die causa reformationis blieb unerledigt. Dennoch war Konstanz ein Reformkonzil.
Die Diskreditierung des Papsttums verschaffte der konziliaristischen Idee Verbreitung. Nur auf konziliaristischem Weg war ein Ende des Schismas möglich. 1415 verabschiedete das Konzil das Dekret „Haec sancta“ und brachte darin zum Ausdruck, dass es von Christus selbst unmittelbare Gewalt erhalten habe und über dem Papst stehe. „Haec sancta“ war aber kein grundsätzlicher Verfassungsartikel, sondern bezog sich auf den konkreten Fall, in dem drei Päpste gegeneinander standen. Eigentlich viel wichtiger war das Dekret „Frequens“, mit dem das Konzil 1417 festsetzte, dass das Konzil eine ständige Einrichtung sein und in regelmäβigen Abständen einberufen werden sollte. Das war eine echte Reformmaßnahme. Martin V. hielt sich an „Frequens“ und berief nach Konstanz das Konzil von Pavia-Siena von 1423/24 und danach 1431 das nächste Konzil, das nach seinem Tod 1431 in Basel eröffnet wurde.
Das Konzil von Basel wurde durch den Konflikt mit Martins Nachfolger Eugen IV. zum großen Fiasko. Eugen IV. erklärte das Konzil im Zusammenhang mit der Hussitenfrage für aufgehoben und berief ein neues Konzil nach Bologna. Das löste die Radikalisierung des Konziliarismus aus. Das Konzil leistete dem päpstlichen Auflösungsdekret keine Folge, erneuerte „Haec sancta“ und gab diesem jetzt – anders als Konstanz – grundsätzliche Bedeutung. Ein Konzil könne, weil es seine Macht direkt von Christus erhalten habe, gegen seinen Willen von niemandem aufgelöst oder verlegt werden. Eugen IV. kapitulierte. Nachdem das Konzil 1437 eine Liste der gegen den Papst erhobenen Vorwürfe zusammengestellt und ihn aufgefordert hatte, in Basel zu erscheinen, verlegte Eugen IV. das Konzil jedoch von Basel nach Ferrara, von wo es 1439 nach Florenz transferiert wurde. In Ferrara-Florenz ging es unter dem Druck der osmanischen Expansion, die 1453 zum Fall von Konstantinopel führte, um die Union mit den Kirchen der Orthodoxie, die mit Kaiser Johannes VIII. Palaiologos, dem Patriarchen von Konstantinopel, den Metropoliten von Nikaia, Ephesos und Kiev und Repräsentanten der drei orientalischen Patriarchen auf dem Konzil vertreten waren. Das Unionskonzil hatte Erfolg und führte zur Anerkennung des Papstprimates – und dennoch scheiterte es. Das von dem byzantinischen Kaiser, von Metropolit Bessarion von Nikaia und dem Moskauer Metropoliten Isidoros, einem Griechen, unterzeichnete Unionsdekret, das „Florentinum“, wurde im Osten und vor allem in Russland von Großfürst Vasilij II. nicht rezipiert.
Ein Teil der Basler Konzilsväter ging nicht nach Ferrara, sondern blieb in Basel. Dieses Rumpfkonzil definierte 1439 den Vorrang des Konzils vor dem Papst als Dogma und erklärte Eugen IV. für abgesetzt. Der Papst reagierte mit der Verdammung der Basler Versammlung. 1448 zwang der Stadtrat von Basel die verbliebenen Konzilsteilnehmer zum Verlassen der Stadt, die danach noch bis 1449 in Lausanne tagten. Für die Kirchenreform hat das Konzil von Basel nichts geleistet. 1516 verwarf das V. Laterankonzil das konziliaristische Dogma des „Conciliabulums Basileensis“, wie es sich ausdrückte.
IV. Katholische Reform als realer und als diskursiver Prozess: Italien
Viele verbinden die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts mit dem sog. Renaissancepapsttum, das vor allem mit seinen Schattenseiten – Nepotismus, Prunk- und Luxuskonsum, moralischer Verfall – hervorsticht und allenfalls durch die in seiner Zeit entstandenen Werke der Architektur, der Malerei und der Bildhauerei zu gewinnen vermag. Aber dieses Renaissancepapsttum, das mit Paul II. seit 1464 begann, bedarf dringend einer Neubewertung. Zumindest ist es nicht richtig, wenn gesagt wird, dass „Rom und das Papsttum seit Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Konzil von Trient, also ein Jahrhundert lang, reformresistent war.“ Das zeigen die umfassenden Reformvorschläge des Kardinals Nikolaus Cusanus in seiner „Reformatio generalis“ von 1459 und die von ihm verfasste große Reformbulle Pius’ II., des Humanisten Enea Silvio Piccolomini, die wegen des Todes des Papstes 1464 nicht mehr zum Abschluss kam. Sogar in den Jahren des Pontifikates des Borja-Papstes Alexander VI., 1492 bis 1503, gab es an der Kurie eine Reformkommission. Außerdem war das Papsttum längst nicht – und in dieser Zeit weit weniger als später – die einzige Schlüsselstelle, wie auch Reformstreben nicht dasselbe ist wie eine vollendete und durchgesetzte Reform. Es war ein diskursiver Prozess – begleitet von tatsächlich verwirklichten Reformen vor allem in den Mendikantenorden.
Katholische Reform als diskursiver Prozess – als Reformdebatte und als Reformbestrebungen – , teilweise aber auch als reale Reform, tritt uns in Italien in kleinen Gemeinschaften von Klerikern und Laien und bei Einzelpersonen entgegen. Einer von ihnen war der Augustiner-Eremit Aegidius von Viterbo, der als Reformator der Augustiner-Eremiten, als Legat Leos X., als Kardinal und als Bischof von Viterbo Reformaktivitäten entfaltete, so dass es bei ihm nicht bei der bloßen Reformdebatte blieb. Am 3. Mai 1512 hielt er die Eröffnungsrede des immer noch im Schatten der Reformation stehenden V. Laterankonzils und stellte dabei die Kirchenreform als Hauptaufgabe des Konzils heraus. Aus dieser Rede stammt das lateinische Zitat im Titel meines Vortrags: „… ut ecclesiam emendes …“. Aegidius von Viterbo sprach, an Leo X. gewandt, von „Voces monentis Dei ac praecipientis ut synodum habeas, ut ecclesiam emendes“ – von „Worten des mahnenden und befehlenden Gottes, dass er“ – der Papst – „ein Konzil halten und dass er die Kirche verbessern möge“. Im Mittelpunkt dieser Rede in San Giovanni in Laterano stand die Analyse der Krise der Kirche jener Zeit, deren Ursache Aegidius im Streben nach irdischen Gütern sah: „Video, video, nisi vel hoc concilio, vel alia ratione nostris moribus modum imponamus, nisi nostram humanarum rerum cupiditatem, malorum fontem, cedere divinarum amori compellamus actum de republica esse Christiana“ – „Ich sehe, ich sehe, wenn wir nicht durch dieses Konzil oder auf irgendeine andere Weise unserer Art des Handelns ein Maß setzen, wenn wir nicht wider unser Begehren nach irdischen Gütern, aus dem so viele Übel entspringen, der Liebe zu Gott und seiner Sache einen Raum erzwingen, dann ist es um die Christenheit geschehen“.
Ein anderer war der Dominikaner und Kardinal Thomas de Vio Cajetan − jener Cajetan, der Luther 1518 in Augsburg zu verhören hatte − , der auf dem V. Laterankonzil die Autorität des Papstes gegen die Lehren des Konziliarismus verteidigte. Mit seinem am 8. Dezember 1517, nur fünf Wochen nach Luthers Ablassthesen, abgeschlossenen Traktat „De indulgentia“, der der Bulle „Cum postquam“ zur Klärung der kirchlichen Lehre über den Ablass von 1519 zugrunde lag, suchte er die im Mittelalter ungeordnet gebliebene Ablasstheologie zu klären.
Venedig war ein Zentrum der Katholischen Reform. Aus dem hier seit 1505 bestehenden Kreis ging die radikale Reformschrift an Leo X., der „Libellus ad Leonem X“, hervor. In Venedig wirkten der spätere Kamaldulenser und Gründer der Reformkongregation von Monte Corona Tommaso (Paolo) Giustiniani, der Verfasser des „Libellus“, und Gasparo Contarini. In Venedig – bei der Osterbeichte in San Sebastiano, der Kirche der Hieronymiten – kam der spätere Kardinal Contarini – wie man durch einen Quellenfund Hubert Jedins von 1943 weiß – 1511 zu der Erkenntnissein, dass keine menschliche Bußleistung dem Menschen vor Gott Gerechtigkeit verschaffen könne, sondern nur das Sühneleiden Christi, das als Gnade Gottes im Glauben zu empfangen sei? Das war die Rechtfertigungslehre, zu der Contarinis Geburtsjahrgangsgenosse Luther erst 1518 gelangte. Jedin erklärt den Contarini von 1523, der Luthers Schriften gekannt haben müsse, für katholisch, weil er seine Erkenntnis von 1511 „katholisch deutete“. Contarini gehörte in Venedig zu den humanistisch beeinflussten Theologen, den Spirituali, deren Ansichten manches von dem vorwegnahmen, was später von Luther vertreten wurde, die aber dennoch katholisch blieben.
Zu den Spirituali zählte auch der Abt des Benediktinerklosters San Giorgio Maggiore in Venedig, Gregorio Cortese, der später an der Vorbereitung des Konzils von Trient beteiligt war. Auch im Kardinalskollegium und unter italienischen Bischöfen gab es reformbereite Kräfte wie die Kardinäle Oliviero Carafa, den 1511 gestorbenen Erzbischof von Neapel und späteren Kurienkardinal, der unter Alexander VI. in der erwähnten Reformkommission wirkte, oder Gian Matteo Giberti, der 1527 Bischof von Verona wurde. Unter Clemens VII. war er an der Kurie tätig. 1527 verließ er Rom und ging nach Verona. Er brach mit der Lebensweise anderer italienischer Bischöfe, die in Rom lebten und ihr Bistum als Pfründe nutzten. Giberti ging in sein Bistum, visitierte den Diözesanklerus, richtete ein Priesterseminar ein, reformierte Klöster und sorgte für soziale Einrichtungen. Er nahm das Bischofsideal des Konzils von Trient vorweg. Auch hier blieb es nicht beim bloßen Diskurs über Reformen. Giberti stand in Verbindung mit der Bewegung des Evangelismo italiano und war von dessen theologischen Auffassungen beeinflusst. Der Evangelismo italiano, zu dem auch die Spirituali um Contarini und den späteren Erzbischof von Canterbury Reginald Pole, der seit 1532 in Italien lebte und 1536 Kardinal wurde, gehörten, war eine katholische Reformbewegung vor und nach dem Tridentinum. Durch die Erhebung Contarinis zum Kardinal 1535 und den Eintritt anderer in kuriale Ämter konnte der Evangelismo lange vor Trient an der Kurie Einfluss erlangen und zu dem Weg zum Konzil von Trient beitragen. War die Bewegung auch heterogen, so spielte die Rechtfertigung aus dem Glauben ohne Werke für den Evangelismo doch eine so große Rolle, dass er nach der Einrichtung der römischen Inquisition 1542 zeitweise unter Protestantismusverdacht geriet.
V. Vorwegnahme des Tridentinums: Spanien
Das wichtigste Land der Katholischen Reform vor Luthers Auftreten war Spanien. 1492 fand die Reconquista, die jahrhundertelange Rückeroberung der 711 von den Muslimen eroberten Iberischen Halbinsel für den Katholizismus, mit dem Fall von Granada ihren siegreichen Abschluss, nachdem die Eheschließung Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragon 1469 die Voraussetzung für die Einigung Spaniens geschaffen hatte. Die Reconquista gab Spanien einen ganz eigenen Charakter und ließ die Katholische Reform wie deren nichtmilitärischen Zweig erscheinen. Die beiden Katholischen Könige – 1496 verlieh Alexander VI. Isabella und Ferdinand den Titel Reyes Católicos – stellten die Erneuerung der Kirche in den Dienst der Einheit ihrer Reiche. 1478 wurde auf dem Nationalkonzil von Sevilla die Reform der spanischen Kirche beschlossen, die von den Königen gemeinsam mit den Bischöfen vorangetrieben und gegen Einflussnahme von außen, auch gegen das Papsttum, abgesichert werden sollte – hier zeigt sich, dass der Blick allein auf das Papsttum in die Irre geht. Dazu gehörte die strenge Einhaltung der Residenzpflicht der Bischöfe und des Klerus. Das Nationalkonzil von Sevilla von 1478 nahm wichtige Reformen des Konzils von Trient voraus.
Hervorragende Vertreter der Katholischen Reform in Spanien waren der aus dem Franziskaner-Observantentum kommende und seit 1495 amtierende Erzbischof von Toledo Francisco Ximénes de Cisneros, seit 1507 Kardinal, und der Erzbischof von Granada, Hernando Talavera y Mendoza. Beide führten in ihren Diözesen Reformen durch, mit denen sie die tridentinischen Reformen vorwegnahmen. Dazu gehörte neben Diözesansynoden – im Erzbistum Toledo seit 1497 – Visitationen des Klerus und Richtlinien für die Seelsorge, die Abfassung einer „Breve doctrina“ genannten Zusammenfassung der Glaubenslehren für die Katechese und die Gründung von Einrichtungen für die Priesterausbildung und die Hebung des Bildungsstandes des Seelsorgeklerus. Cisneros hatte 1499 entscheidenden Anteil an der Gründung der 1508 eröffneten Universidad Alcalá de Henares. Hier wurde − maßgeblich gefördert von Cisneros − eine Neuedition des Alten und Neuen Testaments, die „Biblia Sacra Polyglotta“ oder „Complutensische Polyglotte“, erarbeitet. Als Ordensreformer − seit 1496 war Cisneros Visitator der spanischen Franziskaner, seit 1499 Visitator und Reformator aller Mendikanten in Spanien − „beseitigte er,“ wie Mariano Delgado schreibt, „Missstände, die in Mitteleuropa zum Anlass für die Reformation wurden“.
VI. Katholische Reform als Observanzbewegung
Die Reformen und Reformbestrebungen hingen mit den Observanzbewegungen der Mendikanten und mit den sich ihnen als Tertiaren anschließenden Laien zusammen. Das gilt auch für die erwähnten benediktinischen Reformkongregationen, auf die ich aus Zeitgründen nicht eingehe. Kirchenreform wurde auf weite Strecken als Reform des Ordenslebens wahrgenommen und die Reform des Ordenslebens als Grundlage der Kirchenreform verstanden. Auch das verkennen jene, die ein als reformresistent wahrgenommenes Papsttum mit der Nichtexistenz von Reformen gleichsetzen. Das verkennen aber auch die Kirchenhistoriker, die der Geschichte der Orden kaum Beachtung schenken und diese den Ordenshistorikern überlassen, welche zumeist nur die Geschichte ihres eigenen Ordens im Blick haben. Tatsächlich spielte die Observanz – Reform durch Rückbesinnung auf die alten Ordensideale – der Dominikaner, Franziskaner, Augustiner-Eremiten und Karmeliten als Teil und als Mitte der Katholischen Reform eine zentrale Rolle, gerade auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Bei den Franziskanern gab es die Observanten eigentlich schon von Anfang an. 1317 verwarf Johannes XXII. die Lehre der absoluten Armut und exkommunizierte die streng observanten Spiritualen, die als Eremitengemeinschaften fortbestanden. Aus ihnen ging die Observanzbewegung hervor, womit sich der Orden 1334 spaltete. 1407 reformierte die hl. Colette die Klarissen. Wichtig wurde das Generalkapitel von Assisi 1430. 1446 bestätigte Eugen IV. die Autonomie der Observanz. 1517 trennten sich die beiden Ordenszweige der Franziskaner-Konventualen – oder Minoriten – und der Franziskaner-Observanten, bevor die radikale Observanz den Weg zu der 1528 erfolgten Gründung des Kapuzinerordens einschlug.
Bei den Dominikaner führten die Pestverluste der Predigerkonvente seit 1348 und die Spaltung des Ordens durch das Schisma 1378 in eine Krise. Seit 1389 versuchte der Ordensmeister Raimund von Capua in der römischen Obödienz der Dominikaner eine innere Erneuerung zu verwirklichen. Unter Raimund von Capua setzte 1388 auch in der deutschen Ordensprovinz die Observanzbewegung ein – 1389 in Colmar unter Konrad von Preußen, 1431 in Basel unter Johannes Nider, 1464 in Köln – , aber auch 1451 in S. Domenico in Venedig und 1493 unter Girolamo Savonarola in S. Marco in Florenz und ebenso in den Frauenklöstern der Dominikaner – 1397 in Schönensteinbach im Elsass, 1428 in St. Katharinen in Nürnberg, 1438 im Katharinenkloster in Colmar und 1466 im Kloster Engelpforten in Gebweiler. Bei den Karmeliten entstand 1432 die Reformkongregation von Mantua. In den beiden deutschen Provinzen reformierte seit 1451 der Generalprior Johannes Soreth, der bis zu seinem Tod 1471 als Reformer aktiv blieb. Seit 1502 bestand die karmelitische Reformkongregation von Albi in Südfrankreich. 1524 begann die Reform unter dem Ordensgeneral Nikolaus Audet.
Besonders erwähnen möchte ich die Observanzbewegung bei den Augustiner-Eremiten, zunächst in der Toskana, ausgehend von dem Kloster in Lecceto bei Siena 1387, dann seit 1421 mit der Reformkongregation von S. Giovanni a Carbonara in Neapel, in Deutschland seit dem Konzil von Konstanz und vor allem seit 1461. 1461 wurde Andreas Proles Vikar der Observantenkongregation der Augustiner-Eremiten in Sachsen und Thüringen. Unter ihm und unter seinem Nachfolger Johann von Staupitz breitete sich die Reformtätigkeit über die Konvente der Provinz aus. Eines der 30 Klöster, die sich der Observanz anschlossen, war der Konvent in Erfurt, der auch das Generalstudium der Provinz trug. In diesen Konvent kam 1505 der junge Martin Luther als Novize. Mit Staupitz, seit 1503 Generalvikar der observanten Kongregation, begegnete dem jungen Luther ein Ordensreformer als Lehrer und väterlicher Freund. In seinen Schriften hob Staupitz die erwählende Gnade Gottes hervor, so dass man darin Luthers Rechtfertigungslehre antizipiert sehen kann.
VII. Luther und die Katholische Reform
Martin Luther kam aus der Observanz der Augustiner-Eremiten – wenn man das nicht schon vorher gewusst hätte, dann wäre das spätestens seit dem Aufsatz des evangelischen Kirchenhistorikers Hans Schneider von 2007 über den „Staupitz-Streit“ deutlich. 1507, nach dem Noviziat, empfing Luther die Priesterweihe und begann in Erfurt mit dem Theologiestudium. 1508 versetzte ihn Staupitz nach Wittenberg, wo er sein Theologiestudium fortsetzen sollte. Nach dem Erwerb des Baccalaureats kehrte er nach Erfurt zurück. 1510 ging wieder nach Wittenberg. Schneider bringt diesen Ortswechsel mit Luthers Rolle in der Observanz in Verbindung. Seit 1510 habe er bei Auseinandersetzungen unter den observanten Klöstern als dessen Mitarbeiter auf Staupitz’ Seite gestanden. Auch Luthers Reise nach Rom 1510/11 im Auftrag von Staupitz stand in diesem Zusammenhang. Nach der Rückkehr aus Rom nahm er im Mai 1512 mit Staupitz an dem Kapitel seines Ordens in Köln teil, bevor er im Oktober 1512 in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert wurde und die Professur der Bibelwissenschaft übernahm. Schneider charakterisiert Luthers Reformation als „Auseinandersetzung [...] um die rechte ‚observantia religiosa‘“ in Fortsetzung der Ordensreform im Orden der Augustiner-Eremiten. So kann man zu dem Ergebnis kommen: „Der Augustiner-Eremit Martin Luther ist in seinen Anfängen Teil einer Observanzbewegung und Reform der Augustiner-Eremiten. Die Reformation ist eine aus dem Ruder gelaufene Ordensreform und letztlich eine an Radikalität nicht zu überbietende Observanzbewegung im Sinne einer Aufgabe der evangelischen Räte und damit einer Aufgabe des anscheinend nicht reformierbaren Religiosentums“.
Der Luther der Ablassthesen von 1517 wird heute auch von evangelischen Lutherforschern als „noch nicht evangelisch“ betrachtet, die die sog. „reformatorische Erkenntnis“ – die iustitia Dei sola fide et sola gratia – zwischen Frühjahr und Herbst 1518 ansetzen. Es gab aber schon lange vor Contarini und vor Luther Stimmen, die die iustificatio des Sünders vor Gott ähnlich sahen – Bernhard von Clairvaux, der 400 Jahre vor Luther das iustificare sola fide vertrat, oder der 1308 gestorbene Franziskaner Duns Scotus, der Luthers Auffassung nahe kam. Nach ihm konnte Gott durch Eigenleistungen des Menschen zu nichts veranlasst werden, auch nicht zur Rechtfertigung des Sünders. Den evangelischen Theologen Albrecht Ritschl hat das schon im 19. Jahrhundert schlussfolgern lassen: „Es ist also eine falsche Ansicht, dass der lateinische Katholicismus des Mittelalters in der Pflege der Werkgerechtigkeit und Verdienstlichkeit aufgeht“. Zwar ist richtig, dass die Frömmigkeit der beiden Jahrhunderte vor der Reformation das fromme und gute Handeln des Menschen als Weg zum göttlichen Heil betonte. Richtig ist aber auch, dass Luther zu seiner Auffassung von der Rechtfertigung durch seine Auslegung des Römerbriefs und in Anlehnung an Augustinus gelangte. Schon für Augustinus war der Mensch völlig auf Gottes Gnade angewiesen, weil er unter dem peccatum originale, der Erbsünde, stand. Diesen Sündenbegriff teilte Luther.
Von Contarini, dem späteren Kardinal, der schon 1511 zu einer ganz ähnlichen Sicht der iustificatio des Sünders vor Gott sola gratia gelangt war, unterschied sich Luther dadurch, dass er unter den Bedingungen des im Sommer 1518 aufgenommenen Ketzerprozesses seine Position radikalisierte und in der Leipziger Disputation mit Johann Eck – von diesem in die Enge getrieben – im Juli 1519 nicht nur den Papst, sondern unter Bezug auf Jan Hus auch allgemeine Konzilien für irrtumsfähig erklärte, damit auch den konziliaristischen Standpunkt hinter sich ließ und die Autoritätsfrage – Papst oder Konzil? – seitdem mit einem Weder-Noch und mit dem sola scriptura-Prinzip beantwortete und damit auch das Traditions-Prinzip verwarf. Das war der entscheidende Bruch zwischen dem katholischen Reformer aus dem Augustiner-Eremitenorden und dem protestantischen Reformator. Was folgte, waren 1520 Luthers Antichrist-Vorwurf gegen den Papst, die Entfaltung seiner Lehre von Gesetz und Evangelium und damit seiner Rechtfertigungslehre sowie mit seiner Lehre vom Allgemeinen Priestertum aller Getauften die Aufhebung des Unterschiedes von Klerus und Laien und die Wegargumentierung des Weihepriestertums.
Luthers „Adelsschrift“ vom Juli 1520 – der Schlüsseltext der Reformation – war seine letzte Schrift vor dem mit der Bulle „Decet Romanum Pontificem“ Leos X. vom 3. Januar 1521 ausgesprochenen Bann und vor der am 8. Mai 1521 folgenden Reichsacht gegen ihn. Im Februar 1522 erschien seine 1521 verfasste Schrift „De votis monasticis iudicium“, in der er die Gelübde und die Verpflichtung auf die evangelischen Räte verwarf und stattdessen die alltägliche Arbeit im weltlichen Beruf als Erfüllung des göttlichen Willens verstand.
VIII. Trient
1536 berief Paul III. ein Konzil nach Mantua, das die reformatorischen Lehren verurteilen und die Reform der Kirche voranbringen sollte. Die protestantischen Reichsfürsten wurden eingeladen, blieben aber ebenso fern wie die Franzosen, worauf das Konzil nach Vicenza verlegt und 1539 aufgehoben wurde. Für 1542 berief der Papst ein neues Konzil ein, das Ende 1545 in Trient eröffnet wurde und mit dem Abschluss der dritten Tagungsperiode 1563 endete. Deutsche Bischöfe waren nur in der zweiten Tagungsperiode 1551/52 in größerer Zahl anwesend, ebenso Vertreter einiger protestantischer Reichstände.
Mit der dogmatischen Abgrenzung gegenüber dem Protestantismus durch die Dekrete über Schrift und Tradition, die Vulgata als verbindlichen Bibeltext, die Erb- oder Ursünde, die Rechtfertigung und über die Sakramente wurden schon in der ersten Tagungsperiode während der Jahre 1545 bis 1547/49 grundlegende Elemente der katholischen Glaubenslehre festgelegt und gegen ihre reformatorische Infragestellung gesichert, die teilweise – wie die durch Luthers sola scriptura verworfene Tradition – seit der Kirchenväterzeit oder – wie die seit dem 12. Jahrhundert herausgebildete Lehre von der Siebenzahl der Sakramente – seit dem Hohen Mittelalter bekannt und somit nichts neues waren, aber jetzt präziser als zuvor formuliert und verbindlich gemacht wurden. Mit dem „Decretum de iustificatione“ wurde dem reformatorischen sola fide et sola gratia eine ausgearbeitete und verbindliche katholische Rechtfertigungslehre entgegensetzt. In der zweiten Tagungsperiode wurde das mit dem Dekret über die Eucharistie und der Lehrschrift über das Buβsakrament und in der dritten mit den Lehrschriften über die Kommunion unter beider Gestalt und über das Messopfer und mit den Dekreten über den Laienkelch, das Fegefeuer und die Ablässe sowie mit den Lehrschriften über das Sakrament der Weihe und das Sakrament der Ehe mit dem Ehedekret „Tametsi“, das die auf das II. Laterankonzil von 1139 zurückgehende Lehre von der Ehe vorschrieb und die Formpflicht bei der Eheschlieβung einführte, und schließlich mit dem Dekret über die Anrufung, die Verehrung und die Reliquien der Heiligen und über die heiligen Bilder fortgeführt. Diese dogmatischen Festlegungen waren durch die Theologie Luthers und Zwinglis und anderer notwendig geworden und insofern Reaktion auf die protestantische Reformation, aber auch Katholische Reform, weil Unklarheiten der Glaubenslehre beseitigt wurden. Man kann sagen, dass die Kirche durch die Theologie der protestantischen Reformatoren veranlasst wurde, ihre Glaubenslehre präzise zu fassen und verbindlich zu formulieren. Deutlich ist das etwa beim Dekret über die Ablässe, nachdem die Ablasslehre im Mittelalter unbestimmt geblieben war, oder beim „Decretum de invocatione, veneratione et reliquiis sanctorum et sacris imaginibus“.
Das Konzil verabschiedete auch zwei Disziplinardekrete. Das erste war das Dekret über die Residenzpflicht der Bischöfe und Pfarrer von 1547. Das Konzil nahm damit die in Spanien vom Nationalkonzil von Sevilla 1478 dekretierte Residenzpflicht der Bischöfe und des Klerus auf, wie es auch ein Spanier war, Bischof Diego de Álava y Esquivel von Astorga, von dem im März 1546 der erste Anstoß zur Befassung des Konzils mit dem Residenzproblem ausging. So wird bei der Residenzpflicht bzw. der Bischofs- und Klerusdisziplin die enge Verbindung zwischen der – vortridentinischen und vorreformatorischen – Katholischen Reform in Spanien und Trient deutlich. Das Residenzdekret, das in der dritten Tagungsperiode noch einmal erörtert wurde, war in Trient kaum durchzusetzen, weil „sich die Bischöfe selbst vom Kopf bis zu den Füßen reformieren“ mussten. Dabei war das Residenzdekret nur ein Kompromiss − und das nicht nur wegen der adeligen Fürstbischöfe des Reiches mit ihren Bistumskumulationen, mit denen bis zur Säkularisation von 1803 eine mit dem Tridentinum nicht zu vereinbarende Form des Bischofsamtes bestand. Am Ende der dritten Tagungsperiode trat das „Decretum de seminariorum erectione et regime“, das Seminardekret, hinzu, nach dem in jeder Diözese ein Priesterseminar zu errichten war. Mit dem Seminardekret und mit dem Residenzdekret formulierte das Konzil ein Bischofsideal. Der Bischof sollte nicht als Herrscher fungieren – wie die Bischöfe in Deutschland, die zugleich Landesfürsten waren − und nicht weltliche Pracht entfalten wie viele Bischöfe an der Kurie in Rom, sondern Seelsorger seiner Diözese sein.
IX. Schluss
Mit den dogmatischen Dekreten und den beiden Disziplinardekreten wurde die vor allem in Spanien und Italien seit dem 15. Jahrhundert geführte Reformdiskussion in konkrete Beschlüsse umgesetzt. Nicht die protestantische Reformation war, wie Wolfgang Reinhard meinte, der „Kulminationspunkt von zwei Jahrhunderten voller Reformstreben“. Der Kulminationspunkt der schon im 14. Jahrhundert einsetzenden Katholischen Reform war das Konzil von Trient. Die Reformation Martin Luthers und Ulrich Zwinglis kam aus der Katholischen Reform, sprengte deren Rahmen aber mit der reformatorischen Antwort auf die Autoritätsfrage. Die Rechtfertigungslehre war nicht der entscheidende Punkt. Das sola fide et sola gratia konnte auch – das zeigt Contarini – „katholisch gedeutet“ (Jedin) werden, was an der Frage des freien Willens und am Sündenbegriff hing. Auch hier leistete das Konzil – mit dem „Decretum de justificatione“ und dem „Decretum de peccato originali“ entscheidendes. Wenn Klaus Ganzer schrieb, die „theologische Arbeiten des Konzils [sei] zum Teil von einer konfessionalistischen Ende der Abgrenzung bestimmt“, so halte ich das für ein Urteil aus der Perspektive unserer Zeit und deshalb für unhistorisch.
Präsentation des Bandes „Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik“
Von Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA
Hochverehrter, lieber Herr Bischof Friedhelm,
verehrte Mitglieder unserer Gesellschaft,
meine Damen und Herren!Es ist die 10. wissenschaftliche Publikation und wohl die letzte, die ich als Herausgeber der Reihe ‹Res et Signa› auf unserer diesjährigen Vollversammlung präsentieren darf – Christof Müller, nunmehr Leiter des Zentrums, wird die Reihe weiterführen. Ich freue mich sehr, ein Buch präsentieren zu dürfen, das das Schöne zum Thema hat. Gibt es Schöneres?
ugustinus war nicht nur Theologe, Philosoph, Psychologe, Pädagoge – dies sind Berufsfelder, die man mit seinem Namen gerne verbindet –, er war auch Künstler. Das lateinische Wort ‹ars› für Kunst wie das griechische τέχνη bezeichnet nicht nur handwerkliches Können, sondern auch die schönen Künste, die bildenden Künste, die Wissenschaften. Augustin studierte bekanntlich Rhetorik, die Kunst der Rede, und nach seiner Ausbildung lehrte er an Hochschulen den kunstvollen Umgang mit der Sprache, ehe er in seinem dreißigsten Lebensjahr als Rhetor an den Kaiserhof nach Mailand berufen wurde.
In der Zeit, die er noch als Privatdozent in Karthago verbracht hatte, muss er sich aufs Intensivste auch mit der Ästhetik ganz allgemein beschäftigt haben. Seinen Bekenntnissen zufolge stellte er sich damals Fragen wie, ob wir ‹sonst etwas liebten als das Schöne› oder ‹was überhaupt schön und was Schönheit sei› (4,20). Solche Problemstellungen motivierten ihn zur Abfassung eines ersten Werkes überhaupt –, dem er den Titel De pulchro et apto – Über das Schöne und das Angemessene gab. Dieses Werk ging leider verloren. Offensichtlich war ihm das Thema der Ästhetik so wichtig, dass er nach seiner Bekehrung noch in Mailand den Plan zu einer viele Bände umfassenden Enzyklopädie Über die sieben freien Künste fasste. Sich ihrer bedienend, sollten Leser befähigt werden, ‹vom Körperlichen zum Unkörperlichen wie auf gesicherten Stufen aufzusteigen› (retr. 1,6). Der Neubekehrte machte sich zwar mit Eifer daran, doch die Enzyklopädie blieb ein Torso. Außer den sechs Büchern Über die Musik sind nur noch Bruchstücke vorhanden. Sie lassen allerdings bereits die Prinzipien einer Ästhetik erkennen, deren rationaler Charakter nicht zu übersehen ist. In summa: Das Schöne gefällt deshalb, weil sein Schönsein einsichtig ist.
Diesen rationalen Charakter seiner Ästhetik verdankte Augustinus zweifelsohne weithin den Neuplatonikern. Mit deren Philosophie kam er noch vor seiner Bekehrung in Berührung, und zu ihr bekannte er sich von Ausnahmen abgesehen zeit seines Lebens. Einer der Kerngedanken jener Philosophie war die erwähnte Lehre vom ‹Aufstieg› über eine hierarchisch gestuft gedachte Ordnung alles Seienden zu deren Quelle. Ebenso übernahm Augustin von den Neuplatonikern die Unterscheidung und Scheidung alles Seienden zwischen einem Bereich des ‹Draußen› für alles Materielle und einem Bereich des ‹Drinnen› für alles Geistige. Das sinnlich wahrnehmbare Schöne an den Dingen in Raum und Zeit sei ja lediglich Abglanz jener raum- und zeitenthobenen Schönheit, die Augustin mit dem Dreieinigen Gott identifizierte. In seiner Schrift Über die wahre Religion steht der Satz, der diesen Sachverhalt auch sprachlich vollendet illustriert: «Geh nicht nach außen, in dich selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit» (72). Der Satz ist bis in seine Diktion hinein neuplatonisch. Nichts anders brachte das Leitwort unseres Studientages zum Ausdruck: «Redi ... ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas – Kehre dich ... zum Schönen hin, damit du zur Schönheit zurückkehrst».
Unser Studientag 2011 war insofern bemerkenswert, als für seinen Auftakt ein eigener Abend im Toscana-Saal der Würzburger Residenz, einem der schönsten Hörsäle der Universität, anberaumt wurde. Dr. Thomas Goppel MdL und Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung wies in seiner Begrüßung auf die Rolle hin, die das Schöne gegenwärtig in der Werbung, in den Medien, in der Welt der Mode und der Models spiele. Dabei werde das Schöne häufig zum Fetisch, besonders dann, wenn das Verständnis des Schönen an der Oberfläche bleibe. Nicht so beim Kirchenvater Augustinus, der in der Hinwendung zum Schönen den Zugang zur Tiefendimension auch der Wahrheit zu entdecken lehrte.
Referent des Abends war der über ein ästhetisches Thema promovierte Bischof von Würzburg Dr. Friedhelm Hofmann, Mitglied der Liturgiekommission bei der Deutschen Bischofskonferenz und Experte für das Schöne in der Verkündigung des Glaubens der Kirche. Das Thema seines Referates lautete: Universale Schönheit in der Kunst bei Augustinus. Anhand einiger Frühschriften und der Confessiones legte er nicht nur die Prinzipien der Ästhetik des Kirchenvaters dar, er wies zugleich auf dessen didaktisches und pastorales Anliegen hin, den Gläubigen zu zeigen, wie sie im sinnlichen Vollzug des Kultes die Schönheit Gottes als des ‹deus artifex› begreifen können.
Alle weiteren Referate fanden tags darauf im Burkardushaus der Diözese statt. Im Hinblick auf die erwähnte Verankerung der Ästhetik Augustins im Neuplatonismus war es uns ein Anliegen, Plotins Theorie des Schönen und der Kunst auf unserem Studientag behandelt zu bekommen. Es gelang uns dafür Werner Beierwaltes als Referenten zu gewinnen, gilt er doch «als der weltweit beste Platoniker der Gegenwart». Gerade als solcher vermochte er – so die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel zu seinem 80. Geburtstag – «überzeugende Antworten auf die Frage geben, wie das Christentum sich die Philosophie der Antike anverwandeln und die Grundlage einer bedeutenden europäischen Kultursymbiose finden konnte».
Es versteht sich, dass an einem Studientag über die Ästhetik Augustins Gott, Inbegriff der Schönheit – «pulchritudo pulchrorum omnium» (conf. 3,10) –, unbedingt zur Sprache kommen muss. Das Referat Über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus übernahm Prof. Johann Kreuzer aus Oldenburg, habilitiert mit der Arbeit Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin. Darin geht es um die Erkenntnis dessen, von dem der Kirchenvater in seinen Confessiones klagend und doch rühmend zugleich bekennt: «Spät hab’ ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab ich dich geliebt» (10,38).
Augustinus unterscheidet nicht nur die rein rationale, die zeit- und raumenthobene ‹ars› von der in der Zeit und im Raum ausgeführten – also den Künsten, den ‹artes› im herkömmlichen Sinn –, er scheidet sie auch. Die konstitutiv aus Zahlen, Verhältnissen und Gesetzmäßigkeiten bestehenden Kunstgattungen haben Anteil an einer sie übersteigenden Rationalität. An keiner anderen der Künste legte er so häufig und so intensiv diese seine Auffassung von der Bedeutung der Ästhetik für einen auf die Transzendenz hin ausgerichteten Kunstgenuss dar als an der Musik. Deshalb hatten wir dieser Kunstgattung diesmal, sowohl was die Theorie als auch die Praxis betrifft, gebührend Zeit und Platz in unserem Programm eingeräumt.
Zunächst referierte Frau Dr. Silke Wulf ebenfalls aus Oldenburg über die musikalische Ästhetik Augustins und dessen Musiktheorie. Ihr Beitrag Gestaltung der ‹aequalitas numerosa› – Augustinus Über die Musik vermittelt diese Schrift als ein philosophisches Werk über die Gestaltung des Schönen. Sie zeigt auf, inwiefern antike Denkmodelle von dem spätantiken Kirchenvater in das eigene Denken aufgenommen und gedeutet werden.
Unsere Studientage tragen stets auch der außerordentlich hohen Wirkungsgeschichte Augustins Rechnung. Frau Dr. Anja Heilmann, ausgewiesene Kennerin der Musiktheorie des Boethius, lenkte in ihrem Referat Musiktheorie und musikalische Ästhetik bei Boethius den Blick auf die in der Musik wirkenden Zahlen, für die Boethius sich, wie Augustinus neuplatonischer Tradition folgend, besonders interessierte.
Schließlich wagten wir diesmal gerade im Hinblick auf die beiden Referate über die musikalische Ästhetik in der Spätantike ein Novum. Frau Dr. Gabriele Ziegler, Leiterin des Cassian-Projektes in Münsterschwarzach und gute Bekannte unseres Zentrums für Augustinus-Forschung, bot uns mit ihrem Ensemble für mittelalterliche Musik einige klangvolle Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters.
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Lassen Sie mich nochmals in aller Kürze auf Augustinus zurückkommen. Ich sagte eingangs, er war Rhetor und als solcher Künstler. Dies blieb er auch als Seelsorger. In der ältesten Biographie über ihn – sie stammt aus der Feder seines Zeitgenossen und Mitbischofs Possidius – rühmt dieser den Gewinn, den Leser aus den Werken des Kirchenvaters immer noch ziehen könnten. Weit größer sei jedoch der Gewinn derer gewesen, die ihn persönlich im Gottesdienst sehen und ihn als Prediger hören konnten. Er predigte in der Weise biblisch, dass er deren Texte auf Christus und die Kirche hin auslegte. Weil indes in der Bibel – speziell in den Psalmen – die Betenden immer wieder zum Gesang, ja sogar zum Griff nach Musikinstrumenten aufgefordert werden, geriet der predigende Bischof bei der Auslegung solcher Stellen geradezu ins Schwärmen. Der 150. Psalm, der letzte des Psalters, beginnt bekanntlich mit dem Vers: «Lobet Gott in seinen Heiligen, lobt ihn in seiner mächtigen Feste», und der Psalmist zählt daraufhin die Instrumente auf, mit denen Gott zu loben sei. Der Prediger Augustinus erklärt zunächst den musikalischen Charakter dieser Instrumente. Dann aber bezieht er sie metaphorisch auf die Gläubigen, denn sie selbst sollen ‹die Posaune› sein, «die Harfe, die Zither, die Pauke, das Saitenspiel, der Chor, die Flöte, die Zimbel, die alle gar herrlich klingen, weil sie zusammenklingen» (en. Ps. 150,8).
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Wie schon in früheren Veröffentlichungen der auf unseren Studientagen gehaltenen Referate widmet das Zentrum für Augustinus-Forschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg auch diesen Band einem seiner Mäzene, ohne deren finanziellen Unterstützungen sie nicht leisten könnte, was zahlreiche Rezensionen über seine bisherigen Publikationen rühmend anerkennen.
Gewidmet ist der Band Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik dem Privatdozenten Dr. med. Dr. med. dent. Josip S. Bill, Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V., für seine schon Jahre währenden finanziellen Hilfen zur Förderung unserer Projekte. Da Josip S. Bill, ein in Fachkreisen weltweit anerkannter Schönheitschirurg, im vergangenen Jahr 2012 seinen 50. Geburtstag feierte, betrachten wir im Nachhinein unsere ‹dedicatio› gerade im Blick auf die im Band 10 der Reihe ‹Res et Signa› erörterten subtilen Bezüge des Schönen in Raum und Zeit zu deren Quelle, dem raum- und zeitlos Schönen, als ideale Festgabe.
Text und Übersetzung der Widmung
Karl Heinz Chelius
AUGUSTINI DIVI PATRIS FAUTORI PRINCIPI MAXIMOQUE
ASSIDUO SECTATORIQUE LIBERALISSIMO NOBIS OMNIBUS
MULTISQUE EXTRA SODALITATEM NOSTRAM ILLUSTRI FAMA
OPINIONE OMNIUM PERNOTISSIMO
DOMINO PRAENOBILI AC DOCTISSIMOIOSEPHO ALEXANDRO BILL
(PROPRIE IOSIP SASCHAE CROATICAE LINGUAE VERNACULAE)DUPLICITER VEL UTRIUSQUE MEDICINAE HONORIFICE PROMOTO,
DEINDE EIUSDEM ARTIS ODONTOIATRICAE FACULTATE
MUNEREQUE PRAEDITO,CUM MANU ERUDITA SECURI SUBTILIQUE MOLLIQUE VEL
ARTIFICIO HABILISSIMO PERITISSIMOQUE EI CHIRURGO
ODONTOIATRICO APTISSIMO MAGISQUE IDONEO
GLORIAM ET LAUDEM SUMMAM
ET HONORES SINGULARES ASSENTIUNT HOMINES AEGROTI
ET PER TOTUM TERRARUM COLLEGAE EXTRANEI ATTRIBUUNT.AMPLISSIMO VIRO OMNIUMQUE LAUDE CELEBRATISSIMO
AUGUSTINUM PULCHRITUDINIS ELEGANTIARUMQUE VENUSTIQUE
CULTOREM SEQUENTI
LIBELLUM DE EIUSDEM AUCTORIS DOCTRINA DEDICARE,
PRAESERTIM EIDEM SOCIETATIS NOSTRAE PRAESIDI VICARIO
EX IMIS VISCERIBUS NOBIS FAS EST
IURIQUE HONORI LAUDABILI PARTICIPIBUS SODALI
DECEM LUSTRA SOLEMNITER PERAGENTI
STUDIISQUE NOSTRIS PROVEHENDIS
HAUD EXIGUAM QUOTANNIS PARTEM
LUCRI LIBERALITATE PROFUNDENTI
ANIMO GRATISSIMO OMNES MAGNOQUE PLAUSU
GAUDENTES SODALES.HERBIPOLI, A.D. X. KAL. IUL. A. MMXIII.
Des heiligen Vaters Augustinus
großem, andauerndem, hochherzigem Begünstiger und
Förderer des Fortgangs der augustinischen Studien,
uns allen und auch außerhalb der Gesellschaft nach Meinung vieler wohlbekanntem,
vornehmem und gelehrtem HerrnJoseph Alexander Bill
(eigentlich Josip Sascha in seiner kroatischen Muttersprache)doppelt ehrenvoll in beiden Fachrichtungen der Medizin promoviert,
danach mit der Befähigung zur Zahnheilkunde und der
Aufgabe, diese zu lehren, betraut,
die er mit behender, gelehrter und subtiler Hand und
dem Geschick des zahnärztlichen Chirurgen
und seiner besonderen gelehrten Kunstfertigkeit ausübte
und die ihm den größten Ruhm und Beifall
seiner Patienten sowie auch der auswärtigen Kollegen
auf dem gesamten Erdkreis einbrachte.Dem ansehnlichen und mit höchstem Lob ausgezeichneten Gelehrten,
der Augustin als Bewunderer der Eleganz und der Schönheit folgt,
ist es nur recht und billig,
zumal dem Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung
und nicht zuletzt zur
Feier seines 50. Geburtstages,
aus tiefstem Herzen,
als einem Mitglied der Gesellschaft
für seine jahrelange großmütigste Unterstützung,
für die er einen nicht unerheblichen Teil seines Verdienstes zur Verfügung stellt,
einen Band mit Referaten zum
Schönen in Raum und Zeit und dessen Quellen zu widmen,
wofür ihm alle Mitglieder beifällig und freudig applaudieren.Würzburg, Exerzitienhaus Himmelspforten, den 22. Juni 2013.
Cornelius Mayer / Christof Müller / Guntram Förster (Hrsg.): Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik. «redi ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas» (Augustinus, sermo 177,9). Beiträge des IX. Würzburger Augustinus-Studientages vom 16./17. Juni 2011. (Cassiciacum. Forschungen über Augustinus und den Augustinerorden 39,10 = Res et Signa. Augustinus-Studien 10). Würzburg: Augustinus bei Echter, 2013, 160 Seiten. ISBN 978-3-429-04183-0 (Brosch.). EUR 25,00
Die Tagespost vom 27.06.2013, Seite 5
Als Luther den Weg nach Trient verpasste
Jahresversammlung der Augustinus-Gesellschaft: Was ist katholische Reform? Von Regina Einig
Würzburg (DT) Die Vorbereitungen auf das Lutherjahr 2017 rücken neben den katholischen Wurzeln des Augustinermönchs auch die Tücken der Kirchengeschichtsschreibung ins Blickfeld. Ordensgeschichte und Kirchenreform greifen durch viele Epochen der Kirchengeschichte so eng verzahnt ineinander, dass sie nahezu synonym erscheinen mögen, Reform und Reformation hingegen sind zweierlei. Und schon an der Bezeichnung „Reformator“ für Doktor Martin Luther scheiden sich die ökumenischen Geister.
Zur Frage „Was ist katholische Reform?“ bot der Kirchenhistoriker Harm Klueting am Samstag den Teilnehmern der Jahresversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinusforschung in Würzburg eine Fülle interessanter Überlegungen. Ausgehend von den Reformbestrebungen des fünfzehnten Jahrhunderts in Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien zeigte er auf, dass die katholische Reform lange vor Luther und dem Konzil von Trient mit der Bewegung der Observanz – der Rückbesinnung auf ursprüngliche Ideale in den Orden – als diskursiver Prozess begonnen hatte. „Kirchenreform wurde auf weite Strecken als Reform des Ordenslebens wahrgenommen und die Reform des Ordenslebens als Grundlage der Kirchenreform verstanden“, unterstrich Klueting. Die katholische Reform sei nicht Folge der protestantischen Reformation gewesen, sondern die protestantische Reformation aus der katholischen Reform hervorgegangen. Diese sei dann allerdings unter den Druck der protestantischen Reformation geraten und habe sich dadurch intensiviert.
Jahrzehnte, bevor Luther die öffentliche Bühne betrat, verliehen das Papsttum in Avignon und die Folgen der Pest Stimmen Gewicht, die Reformen in der Kirche forderten. Als Meilenstein der katholischen Reform des fünfzehnten Jahrhunderts hob Klueting das Dekret „Frequens“ hervor, mit dem das Konzil von Konstanz 1417 festsetzte, dass das Konzil eine ständige Einrichtung sein und in regelmäßigen Abständen einberufen werden sollte. Insbesondere in Spanien wurden zahlreiche Reformen des Konzils von Trient vorweggenommen: So legte schon das Nationalkonzil von Sevilla 1478 Reformen für die spanischen Diözesen fest, die durch die Beschlüsse von Trient für die Weltkirche verbindlich wurden, darunter die Residenzpflicht für Bischöfe und Weltpriester. Bedeutende vortridentinische Reformer wie Erzbischof Francisco Ximénez de Cisneros und Erzbischof Hernando Talavera y Mendoza führten bereits vor Luthers öffentlichem Wirken Diözesansynoden sowie Visitationen des Klerus ein und gründeten diözesane Priesterseminare.
Mit Nachdruck widersprach Klueting der These vom reformresistenten Renaissancepapsttum. Das zeigten schon die „umfassenden Reformvorschläge des Kardinals Nikolaus Cusanus“. Auch Ordensgeistliche wie der Augustiner-Eremit und spätere Kardinal Aegidius von Viterbo sprachen die Übel der Zeit unumwunden an. Aegidius sah das Streben nach irdischen Gütern als Ursache der Kirchenkrise seiner Zeit und forderte Papst Leo X. zu Beginn des V. Laterankonzils 1512 auf, „dass er die Kirche verbessern möge“.
Dass nicht alle Auffassungen Luthers in Kirchenkreisen neu waren, veranschaulichte Klueting am Beispiel des Sündenbegriffs Augustins, den Luther teilte und auch anhand der Überzeugung des heiligen Bernhard von Clairvaux, allein durch Glauben gerechtfertigt zu sein. Zudem hatte der humanistisch beeinflusste Venezianer Theologen Gasparo Contarini 1511 – sieben Jahre vor Luther – die Auffassung formuliert, dass keine menschliche Bußleistung dem Menschen vor Gott Gerechtigkeit verschaffen könne, sondern nur das Sühneleiden Christi, das als Gnade Gottes im Glauben zu empfangen sei. Damit hatte er die Rechtfertigungslehre im Kern vorweggenommen. Auch der Augustiner-Eremit Johann von Staupitz, der seit 1503 Generalvikar der observanten Kongregation war, der der Erfurter Konvent angehörte, hob in seinen Schriften die erwählende Gnade Gottes hervor.
In Staupitz begegnete der junge Novize Martin Luther einem der führenden Reformer der Augustiner-Eremiten in Sachsen und Thüringen. Der junge Augustinermönche Martin Luther geriet allerdings rasch in ordensinterne Auseinandersetzungen. Als „aus dem Ruder gelaufene Ordensreform“ wird die Reformation heute auch unter evangelischen Lutherforschern diskutiert. Dass der radikalisierte Mönch aus Wittenberg schließlich nicht nur den Papst, sondern auch allgemeine Konzilien für irrtumsfähig erklärte und das Traditionsprinzip der Kirche mit dem „sola scriptura-Prinzip“ ausschalten wollte, führte, wie Klueting unterstrich, zum „entscheidenden Bruch“ mit den Reformern im Augustiner-Eremitenorden. Fazit: Nicht die Rechtfertigungslehre war der entscheidende Punkt für die konfessionelle Spaltung, sondern die reformatorische Antwort auf die Autoritätsfrage sprengte den Rahmen der katholischen Reform.
Quelle: www.die-tagespost.de