Rezensionen
Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 9 (2004) 223-227 (K. Kahnert)
CORNELIUS MAYER (Hrsg.), CAG 2: Corpus Augustinianum Gissense. Die elektronische Edition der Werke des Augustinus von Hippo. Zweite, überarbeitete und verbesserte Ausgabe mit wesentlich vereinfachter Benutzerführung und aktualisierter Literaturdatenbank. CD-ROM und viersprachiges gebundenes Handbuch. Basel: Schwabe 2004. Einzelplatzlizenz: € 980,– (für CAG- 1-Benutzer gegen Rücksendung der Original-CD: € 780,–); Mehrbenutzerlizenz: € 1.500,– (für CAG-1-Benutzer gegen Rücksendung der Original-CD: € 1.200,–). ISBN 3-7965-2060-X.
Das überlieferte Œuvre Augustins umfaßt mehr als 100 Schriften. Daß es sich dabei um fünf Millionen Wörter handelt, weiß nur, wer die elektronische Edition benutzen kann. Natürlich besteht das Verdienst der Ausgabe nicht darin, Wörter zählen zu können; die genannte Zahl macht jedoch deutlich, um welch ein gigantisches Unternehmen es sich handelt, zumal die CD nicht nur die Texte Augustins nach der jeweils besten gedruckten kritischen Edition enthält, sondern noch dazu eine Datenbank bietet, die mit über 27.000 Titeln mehr als die Hälfte der weltweit vorhandenen Sekundärtexte verzeichnet. Die elektronische Erfassung der Augustin-Literatur wurde 1983 im Zusammenhang mit dem Augustinus-Lexikon begonnen und wird seither permanent erweitert und aktualisiert. Registrierte Lizenznehmer des CAG 2 können online oder mittels kostenloser CDs den Datenbestand ihrer Installation auf dem neuesten Stand halten.
Bereits das Benutzerhandbuch beeindruckt: Es ist sorgfältig gesetzt, fest eingebunden, viersprachig (wie auch die Software: deutsch, englisch, französisch und spanisch), 233 Seiten stark und enthält nach dem Vorwort des Herausgebers Hinweise zur Geschichte und Entwicklung des CAG, zur Textstrukturierung und -pflege, zu den Zitatnachweisen, zur Lemmatisierung der Texte und zur Erfassung der Sekundärliteratur. Den anschließenden Installationshinweisen folgt eine ausführliche, allgemeinverständliche und mit farbigen Abbildungen versehene Dokumentation des Programms: der Menüs, der Navigation durch die Texte, der Suche in der Textdatenbank, der trunkierten und lemmatisierten Suche, der Suche mit Jokern, logischen Operatoren oder über Indices sowie aller Einstellungen, die das Programm bietet.
Der Dokumentation angehängt sind die sechs Appendices ›I: Die Werke Augustins in chronologischer Reihenfolge‹, ›II: Augustins Werke in Werkgruppen‹ (wie etwa ›Philosophische Schriften‹, ›Lehrbücher‹, ›Exegetische Schriften‹), ›III: Bibliographie zu den Tabellen der Enarrationes in Psalmos‹, ›IV: Liste der Referenzen‹, ›V: Karl Heinz Chelius, Augustins Werke und kritische Editionen‹ und ›VI: Liste der nicht-lemmatisierten Wörter‹. — Die dritte Appendix ›Bibliographie zu den Tabellen der Enarrationes in Psalmos‹ bedarf einer näheren Erläuterung: Die Epistulae und die Enarrationes wurden in der zweiten Auflage mit Zusatzinformationen versehen; so findet sich über dem Textfenster dieser Editionen ein kreisförmig blau eingerahmtes ›i‹ – ein Informationspunkt als link zu genauen Mitteilungen über Absender, Adressat und Datierung (im Falle der Briefe) bzw. über Kategorie, Ort und Datum (im Falle der Psalmenauslegungen); von dort aus finden sich weitere links zu Tabellen mit Informationen über Lokalisierung, Datierung, Quellen und Argumente sowie abweichende bzw. weitergehende Lokalisierungen und Datierungen einzelner Predigten oder Predigtgruppen. Warum nun das Handbuch mit einer zweieinhalbseitigen Bibliographie (mit Literatur, die sich zum Teil auch in der Datenbank wiederfindet) zu den Tabellen der Enarrationes versehen wurde, wird allerdings nicht recht deutlich (zumal der Datenbestand des Programms aktualisiert werden kann, was bei einem gebundenen Buch ungleich schwieriger ist). — Appendix 4 ›Liste der Referenzen‹ enthält die Schlagwörter der Literaturdatenbank, in der man neben anderen in der Kategorie ›Referenzen‹ recherchieren kann (die übrigen Kategorien sind: ›Autor‹, ›Titel‹, ›Bemerkungen‹ und ›Bibliographie‹). — Im vierten Anhang findet sich eine Tabelle (Abkürzung, Titel, Ausgabe) mit den derzeit im CAG 2 verwendeten kritischen Editionen – erstellt auf der Grundlage von K. H. Chelius, »Verzeichnis der Werke Augustins«, in: Augustinus-Lexikon 1 (1986-1994), S. XXVI-XLII.
Im Vergleich mit der ersten Auflage ist besonders zu erwähnen, daß der Textbestand der Epistulae um die Briefe erweitert wurde, die an Augustin gerichtet sind, daß einige Augustintexte verbessert, aktualisiert und ergänzt wurden, daß die Literaturdatenbank um Tausende von Titeln erweitert wurde und nicht zuletzt, daß eine komplett neue viersprachige (bei der Installation, aber auch jederzeit später auf eine Sprache festlegbare) Erschließungssoftware entwickelt wurde. Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier, das hier nicht unerwähnt bleiben darf. Die Navigation durch die Schriften ist nun leichter: Es ist möglich, mehrere Texte zugleich geöffnet zu halten, und die Suche nach Zitaten, einzelnen oder mehreren Wörtern ist durch Indizes erleichtert worden. — Die Texte wurden lemmatisiert, d. h., alle Lemmata wurden ihren jeweiligen Grundformen zugeordnet, so daß durch eine Suche nach ebendiesen Grundformen auch alle flektierten Wörter angezeigt werden: eine außerordentlich große Recherchehilfe! — Die Zitate, deren es im Gesamtwerk Augustins zahlreiche gibt, können farbig hervorgehoben werden, ihre Quellen sind sämtlich in eckigen Klammern nachgewiesen; griechische Wörter werden mit allen diakritischen Zeichen wiedergegeben.
Nach dem Programmstart öffnen sich zwei Fenster: ein Textfenster (das zunächst leer bleibt, nach der Auswahl eines Textes aber mit ebendiesem seitenweise gefüllt wird) und ein Navigationsfenster mit sechs ›Karteikarten‹. Deren Reiter (›Werkliste‹, ›Textdatenbank‹, ›Suchergebnis‹, Literaturdatenbank‹, ›Indices‹ und ›Lesezeichen‹) ermöglichen den Zugriff auf die Texte Augustins, auf die Sekundärliteratur, auf die Treffer einer Recherche, auf die Indices und auf individuelle Anmerkungen bzw. Lesezeichen. Besonders die drei Indices bieten eine enorme Hilfe bei der Suche: Klickt man einen Indexeintrag an, überträgt das Programm die logischen Operatoren und den ausgewählten Eintrag automatisch in die Suchmaske. Auf diese Weise ermöglicht der Index ›Lemmata‹ die bereits erwähnte Suche nach allen Flexionsformen eines Wortes über dessen Grundform; mit Hilfe des Indexes ›Griech. Wörter‹ lassen sich alle griechischen Wörter im Gesamtwerk Augustins auffinden; der Index ›Zitate‹ bietet die differenzierte Suche nach Bibelzitaten (AT und NT), nach Fremdzitaten (alphabetisch geordnet) und Selbstzitaten (nach alphabetischer Textauswahl); die so beschriebenen hervorragenden Recherchemöglichkeiten lassen sich sicher zu Recht als eines der Herzstücke des Programms bezeichnen. Ein weiteres ist die Möglichkeit des Suchfensters ›Textdatenbank‹, entweder in ausgewählten Augustinschriften (bzw. in allen zugleich) oder in einer kategorisierten Textauswahl zu suchen – etwa nur in den philosophischen oder dogmatischen Texten, in Lehrbüchern oder exegetischen Schriften. Ein ausgeklügeltes System miteinander verknüpfbarer Kategorien ermöglicht es hier, die Suche so umfassend oder auch so eingeschränkt wie möglich zu gestalten: Mit der ›Volltextsuche‹ wird der gesamte Text der ausgewählten Schrift(en) durchsucht; die Suche im ›Normaltext‹ durchsucht nur diejenigen Passagen der Texte, die nicht unter eine der übrigen Kategorien (wie etwa ›Bibelzitat‹, ›Fremdzitat‹, ›Selbstzitat Augustins‹, ›Bibelzitat in Fremdzitat‹ etc.) fallen. — Nun soll hier nicht das Handbuch ersetzt werden: Die Hinweise machen deutlich, daß das Programm ein einzigartiges Recherche-Instrument darstellt, in das man sich ein wenig einzuarbeiten hat, wenn man all seine Möglichkeiten ausschöpfen will. Das allerdings wird jeder Augustinforscher gerne auf sich nehmen, und erleichtert wird dies durch die perfekte Dokumentation im Handbuch.
Abschließend eine kritische Bewertung: Ein derart umfassendes Projekt kann wohl kaum fehlerfrei vollendet werden. Dies ist dem Herausgeber und seinem umfangreichen Stab an Mitarbeitern durchaus bewußt, denn die Benutzer werden ausdrücklich gebeten, mögliche Mängel oder Lücken an die Redaktion weiterzugeben. Ein solcher Mangel sei hier genannt; er betrifft die Kategorie ›Referenzen‹ der Literaturdatenbank, die womöglich ein Problem birgt; diese Vermutung legt folgendes Problem nahe: Wer z. B. nach Literatur zu Augustins Soliloquia sucht, kann dies laut Referenzen-Liste über das Schlagwort ›Soliloquia = sol.‹ tun, wird jedoch keinen Treffer landen; die manuelle Eingabe ›Soliloquia‹ bringt zwei Einträge zutage, so daß man vermuten könnte, es sei nicht mehr Sekundärliteratur zu diesem Dialog erfaßt worden. Gibt man das Stichwort jedoch in der Kategorie ›Titel‹ ein (sucht also nach Beiträgen, in deren Titel das Wort ›Soliloquia‹ vorkommt), werden 16 Titel angezeigt. Da dieselbe Datenbank auf der Homepage Augustins (www.augustinus.de) 188 Titel anzeigt, scheint hier ein Fehler vorzuliegen, der sicherlich noch behoben wird – Aktualisierungen und Verbesserungen der Software wie der Datenbestände sind ja, wie bereits beschrieben, vorgesehen. — Ein weiterer, allerdings eher marginaler technischer Mangel besteht darin, daß das Programm sog. ›Wheel-Mäuse‹ nicht zu unterstützen scheint. Wer sich daran gewöhnt hat, sein Maus-Rad zu benutzen, um sich durch Texte zu bewegen, muß sich damit abfinden, die Scrollbars zu verwenden. — Über die nicht unmittelbar einleuchtende Notwendigkeit, die im Corpus Christianorum übliche Ersetzung aller Buchstaben ›v‹ durch ›u‹ für alle Texte zu übernehmen, kann aus philologisch-editorischer Sicht trefflich gestritten werden, und ebenso kann die Tatsache, daß auch am Satzanfang auf Majuskeln verzichtet wurde, mißfallen – all dies wirft jedoch nicht den geringsten Schatten auf eine sorgfältig, benutzerfreundlich und durchdacht gestaltete Edition von über 100 Werken auf einer einzigen Datenscheibe: Es handelt sich um ein herausragendes Projekt und Produkt, das seinesgleichen sucht, das zwar dem Freund gebundener Bücher die ausführliche Lektüre der Druckwerke nicht ersetzen wird, das jedoch sowohl für die Recherche als auch für das Stöbern in Texten, die nicht jeder zur Hand hat, ein unersetzliches Hilfsmittel sein wird! — Für die Abfassung seiner Retractationes hätte Augustin ein solches Instrument sicher gern selbst genutzt.
Klaus Kahnert (Bochum)