Theologie und Philosophie 87 (2012) 119-125 (H.-J. Sieben)
Augustinus-Lexikon, Vol. 3. Herausgegeben von Cornelius Mayer. Redaktion Andreas E.J. Grote: Basel: Schwabe AG 2004-2010, LVIII/1294 Seiten, ISBN 978-3-7965-2777-7
Haben wir in früheren Rez. (ThPh 63 [1988], 267f.; 64 [1989], 265f.; 66 [1991], 249f.; 70 [1995], 576f.; 73 [1998], 583-585; 76 [2001], 280-282) das allzu langsame Voranschreiten des Unternehmens immer wieder bedauert, so räumen wir jetzt ein: Es lohnt sich geduldig zu warten, denn es gelingt den Hgg., auf diese Weise die mit dem ersten Bd. erreichte Qualität zu halten, wenn nicht sogar noch zu steigern: Kaum ein Artikel ohne zumindest ein interessantes Detail. Wir beschränken uns bei den 277 Lemmata des vorliegenden Bds. auf eine sehr subjektive Auswahl bzw. auf uns in ihnen speziell interessierende Aspekte und halten uns, was die Reihenfolge angeht, an die von den Hgg. unterschiedenen vier Kategorien und beginnen mit den Begriffen. – Gleich das erste Lemma figura (C. Mayer) weist die spezifischen Qualitäten des Augustinus-Lexikons auf, zeigt große Quellennähe und gibt präzise Information über das Thema: voraugustinischer und allgemeiner Sprachgebrauch bei Augustinus (= A.), seine Bibelhermeneutik, deren heilsgeschichtlicher und theologischer Rahmen. Dazu gehört wesentlich der «dominierend christologische-soteriologische» und «eschatologische Skopus» dieser Exegese. «Die Figuralexegese A.s eröffnet und schärft den Blick für Gottes Heilshandeln in der Geschichte, das aber die Ewigkeit zum Ziel hat. Sie verankert die einzelnen Heilsereignisse in Christus, in dem die ‹dispensatio temporalis› kulminiert. Die als figura interpretierten Fakten verweisen ... in bezug auf das Verstehen der vergangenen Heilstaten nicht nur gleichsam horizontal nach vorne, sondern zugleich auch vertikal auf jenes Reich am Ende ohne Ende (ciu 22,30), in dem ‹Gott über alles in allem herrschen wird› (1 Cor 15,28)». – Zu den zentralen Begriffen des augustinischen Denkens gehört das Gegensatzpaar foris/intus (N. Fischer). A. eignet es sich sowohl aus der philosophischen Tradition (Plato, Aristoteles, Plotin) an, «gebraucht es aber eigenständig und im Kontext neuer Fragestellungen». Zu den Anwendungsfeldern gehören sowohl theologische Fragen (Spuren des dreieinen Gottes im inneren und äußeren Menschen, «Grundmuster für Spiritualität und Exegese sowie für Ekklesiologie und Eschatologie» usw.), als auch philosophische Probleme. «Den Weg von außen nach innen und schließlich zu Gott als dem Innersten hat A. in den conf. als die Erfahrung seines besonderen Weges zu Gott und zugleich als Weg aller Menschen dargestellt». – Forma (F.-B. Stammkötter/Chr. Müller) kommt bei A. etwa 2000-mal vor, und, heißt es in der Zusammenfassung des Lemmas, «entsprechend groß ist seine Bedeutungsvielfalt, die sich jedoch im Rahmen der Überlieferung hält». In der Seins- und Schöpfungslehre muss der Begriff vor «dem Hintergrund der griechischen Philosophie gesehen werden», in der Schriftauslegung «benutzt A. den Begriff forma vor allem im christologischen und soteriologischen Kontext» (forma dei/forma servi). Das Begriffspaar bezeichnet «die Größe und Gnadenhaftigkeit der Heilstat Christi». Adam ist trotz seiner Sünde «Typus, forma futuri, des wahren, neuen und ersten sündenfreien Menschen Jesus Christus». A. verwendet forma auch synonym mit regula im Sinne von Norm der Sittlichkeit gleicherweise für Mann und Frau. – Das für A.s Ethik wichtige Begriffspaar frui/uti (H. Chadwick) gründet in der neuplatonischen Antithese zwischen ewig und zeitlich. Der erste Teil des Lemmas geht auf diesen philosophischen Hintergrund näher ein, der zweite entwickelt A.s Theorie der bloß zu gebrauchenden und der zu genießenden ‹Dinge›. Der dritte Teil befasst sich speziell mit der magna quaestio, dem ‹Gebrauch› von Personen, wie er in doctr.chr. 1 diskutiert wird, und kommt dabei zu dem ernüchternden Ergebnis: «A.s language is not tightly logical in this work, and the diversity of interpretations may reflect the fact that he was being exploratory and almost tentative». – Gratia (V.H.Drecoll) wird zu Recht vergleichsweise viel Raum, nämlich fast 40 Seiten, eingeräumt. Da «das Denken A.s nicht als Abfolge verschiedener Stadien, die durch Brüche von einander getrennt sind, zu beschreiben» ist, «sondern als kontinuierliches Weiterdenken in Auseinandersetzung mit verschiedenen Denkansätzen», besteht der zentrale Teil des Artikels in einer sehr detaillierten «Nachzeichnung von A.s Gnadenlehre in ihrer Entwicklungslinie». Dem gehen voraus Ausführungen über den voraugustinischen Gebrauch von gratia, die derzeitige Forschungssituation und «sprachliche Beobachtungen zu gratia bei A.». Es folgen zwei erheblich kürzere Abschnitte über die exegetischen und systematischen Schwerpunkte der augustinischen Gnadenlehre. Im ersten werden die entscheidenden Paulusstellen in Bezug auf seine Gnadenlehre entwickelt (Röm 7, Röm 5, Röm 9, 1 Kor 4,7, 2 Kor 3,6), im zweiten wird die gegebene Interpretation erläutert und von anderen Auffassungen abgegrenzt. Dazu gehört 1) die nähere Kennzeichnung des Interpretationsansatzes, nämlich «dass A.s Gnadenlehre durch seinen Gottesbegriff geprägt wird». (Dieser «hat auch den Vorteil, einen theologischen Angelpunkt zu benennen, von dem aus sich die Entwicklung der Gnadenlehre von den Cassiciacum-Schriften bis Simpl. 1,2 einerseits, die verschiedenen Ausrichtungen in den späteren Werken andererseits erklären lassen»), 2) der Hinweis auf die christologische Ausrichtung von A.s Gnadenlehre, die mit der Entdeckung der Bedeutung Christi in seiner Bekehrung in Verbindung steht, 3) die Erklärung, dass die Konzeption einer «gnadenhaften Erlösung als Stadienabfolge» A. davor bewahrt, «einfach holzschnittartig zwischen Christen und Nichtchristen zu unterscheiden», 4) die Versicherung, dass die Alternative «individualistische oder ekklesiologisch-sakramentale Gnadenlehre» am augustinischen Denken vorbeigeht, 5) und 6) die Zurückweisung der Thesen, dass die augustinische Gnadenlehre auf seiner Erbsündenlehre beruhe, und dass A.s Gnadenlehre «eine bloße Fortschreibung seiner frühen Erkenntnislehre» darstelle. Zum Autor des für ein A.-Lexikon kapitalen Lemmas gratia sei noch angemerkt, dass er zum vorliegenden Bd. noch weitere 16 Lemmata beigesteuert und sich damit den Löwenanteil an Artikeln gesichert hat. – Gratias agere (M. Klöckener) ist ein gutes Beispiel dafür, wie so mancher Artikel dieses Lexikons auch unmittelbar für die Pastoral verwendbar ist. Behandelt werden die Stichworte Dank für die Schöpfung, die Erlösung, das Handeln Gottes in der Geschichte, im Leben des Menschen, Dankbarkeit als christliche Grundhaltung, vor allem Danksagungen in der Eucharistiefeier, jeweils, versteht sich, mit Hinweis auf die entsprechenden Quellentexte. – Der informative Artikel haeresis/haeretici (G. Wurst) (Wortbedeutung, philosophische versus christliche haeresis, starrsinniges Verhalten im Irrtum, Häresie und Kirche, Häresie und Schisma, providentieller Nutzen, kirchliche Reaktion und staatliche Zwangsmaßnahmen) schließt mit dem Hinweis auf A.s Polemik im Zusammenhang dieses Begriffs: «So hat A. nicht zuletzt auch mit seinem Beitrag zur ‹ars maledicendi› die Stellung nachfolgender Jahrhunderte gegenüber theologisch Andersdenkenden mitgeprägt». – Die in der Literatur schon häufig traktierte humiliatio/humilitas (C. Mayer) wird, was A. selber angeht, relativ knapp und präzise in folgenden Schritten abgehandelt: 1. a. Sprachgebrauch, 2. h. als ontologisch-anthropologische Kathegorie und als spezifisch christliche Tugend, 3. Verlust der h. durch die superbia und die Dialektik zwischen superbia und h., 4. der Christus humilis, 5. die h. des Christen im Licht der Gnade, 6. die h. im Dienste des ‹Aufstiegs ›. Der Artikel schließt mit einem Zitat. A.s Antwort auf die Frage nach dem Weg, der zum Ziel des Lebens führt: ea est autem prima humilitas, secunda humilitas, tertia humilitas et quotiens interrogares, hoc dicerem (ep. 117). – Das Lemma imago (I. Bochet) behandelt u.a. auch das Bild Gottes im Menschen, genauer in der anima. Zu diesen Spekulationen A.s vor allem in trin. heißt es treffend: «Le but d’A. n’est pas une théorie systématique des analogies trinitaires, mais de ‹faire expérimenter à l’âme, par un retour sur elle-même, le fait qu’ elle est l’image de la Trinité›: la dynamique de l’exercitatio animi importe donc plus que le détail des analogies». – Unter interpretatio (J.J.O’Donnell) verbirgt sich eine perfekte Abhandlung über die Quellen von und den Einfluss auf A.s Schriftauslegung, ihre Prinzipien, ihre Arten und Anwendungsfelder, schließlich ihre Praxis. Sie kommt zu dem Ergebnis: «The overall effect of his i. of scripture is to concentrate on the experience of Christianity in this world and time, decisively informed and shaped by the historical experience recorded in scripture. Neither historical past nor prophetic future retains a strong hold on his interest». Das vom selben Autor stammende Stichwort interpretatio nominis ergänzt den vorausgehenden Artikel um einen wichtigen Aspekt: A.s Umgang mit der etymologischen Auslegung von Namen.
Nach sorgfältiger Analyse zum voraugustinischen und frühaugustinischen Sprachgebrauch des in der abendländischen Theologie seit der Reformation stark umkämpften Begriffs der iustificatio (A. Schindler) heißt es zum ‹Wesen› dieses Begriffs: «Dass der Glaube beim Empfang der geschenkten Gerechtigkeit die entscheidende Rolle spielt, sagt A. mit Paulus unendlich oft. Dass A. aber an eine Imputation denkt, wie man sie aus Luthers Rechtfertigungslehre kennt und wie es auch Röm 4,5 nahelegen könnte, ist so gut wie ausgeschlossen. Der Mensch bleibt für A. nicht in sich ein Sünder, der zugleich durch ‹Zurechnung› gerecht wird, sondern er wird durch die i. gerecht, bleibt aber vor allem wegen der Vergänglichkeit und Wandelbarkeit seiner Natur, die sich besonders in der ‹concupiscentia› zeigt, ein Sünder, bis der Tod alle Sündhaftigkeit tilgt». – Liberum arbitrium (Chr. Müller) thematisiert die viel diskutierte Frage, ob A.s Gnadenlehre nicht nur verbal, sondern auch systematisch überzeugend die menschliche Willensfreiheit verteidigt. Der Abschnitt «Stationen des l.ar. bei A.» zeigt die lange Entwicklung in dieser Frage. Am Anfang steht die uneingeschränkte Affirmation der Freiheit als Voraussetzung jeglicher «Tugend und Glückseligkeit», am Ende, im Kontext der Polemik gegen Julian, die Zementierung der «Ohnmacht des menschlichen Wahlvermögens». Der «Versuch einer Synthese» lautet: «A. entwirft somit eine bipolare Spannungseinheit von endlicher Freiheit und göttlicher Macht und Gnade, die er letztlich nicht zugunsten des einen und zu Lasten des anderen Pols aufheben möchte, doch begünstigt diese Spannungseinheit Paradoxien und situationsbedingte oder polemische Einseitigkeiten in seinen Aussagen. Gerade im Kontext der Prädestinationslehre droht A.s Betonung der Omnipotenz Gottes, seine Anthropologie endlicher Freiheit und seine Soteriologie der ‹Befreiung in Christus› auszuhöhlen». – Die Frage unde malum beschäftigt A. wie ein roter Faden in allen Phasen seines Denkens. Das Lemma malum (H. Häring) zeichnet die jeweils sich abwechselnden ‹Lösungen› (m. als privatio boni, als Ordnungsprinzip, als Sünde, als universale Sünde Adams, m. in der Geschichte) detailreich und präzise nach und kommt zu dem wohl von einem Großteil der neueren Forschung mitgetragenen Schluss: «In jeder seiner Denkphasen tritt A. als Zertrümmerer des Dualismus an, aber jedesmal erreicht er keine Aufhebung, sondern eine Verschiebung der Frage: von einem ontischen zu einem existentiellen, einem soteriologischen, schließlich zu einem geschichtlichen Modell. Dass A. nie dualistisch denken will, ist unbestreitbar; zugleich aber hinterlässt seine geniale Hermeneutik eine Lehre und eine Wirkungsgeschichte voller Widersprüche».
Wir kommen zu den von den Begriffen nicht immer leicht zu unterscheidenden Realia.
Filia-filius (Th. Fuhrer/V.H. Drecoll) unterscheidet einen fünffachen Gebrauch: in Bezug auf ein genealogischen Verhältnis, in Bezug auf Christus, in Bezug auf Gläubige als adoptierte ‹filii dei›, in Bezug auf spirituelle Sohn-/Tochterschaft, in Metaphern und Gleichnissen. Zu Recht liegt der Schwerpunkt des Lemmas im christologischen Gebrauch, in dem es um das Verhältnis von Christus zum Vater geht, wo der Sohnestitel «das Verhältnis zum Vater einerseits als Abhängigkeit, andererseits als Gleichheit [bezeichnet]». – Finis (Chr. Müller) wird außer im ontologischen und ethischen Sinn von A. vor allem im Zusammenhang seiner Eschatologie verwendet (finis saeculi). Hier wendet er «die Ungewissheit über das Wann und Wie des Weltendes ... in den Appell zu Wachsamkeit und Entschiedenheit im Glauben». Trotz der Warnung vor vorschneller Deutung gewisser Fakten als Zeichen des kommenden Weltendes hält er dank der biblischen Prophezeiungen «einige bedeutsame Aussagen über die Eschata für möglich». «Es gehört zu den zukunftweisendsten Prinzipien der a. Lehre von den ‹letzten Dingen›, dass sie letztlich Christus und Gott selbst als Inbegriff des eschatologischen finis begreifen: Gott wird einmal ‹alles in allem› (vgl. 1 Cor 15,28) und damit selbst das Endziel sein ...» – Frater (R. Dodaro) geht erst am Schluss kurz auf ‹brüderliche Liebe› ein und besteht im Wesentlichen in der Aufzählung der Personen, die A. als Brüder bezeichnet oder so anredet. – Natürlich bekommt man in einem Artikel wie Gallia (V.H.Drecoll) ganz nebenbei auch interessante Informationen über A. selber, z.B. dass er nie in Gallien gewesen ist, dass er nur wenige Briefe dorthin geschrieben hat und dass dort die conf. schon sehr früh bekannt gewesen sind. – Zu Recht davon ausgehend, dass die conf. «nahezu sämtliche Themen der a. Anthropologie» behandeln, schließt das Lemma homo (C. Mayer) (u.a. mit den Abschnitten: der Antagonismus in der Anthropologie des jungen A., Erschaffung und Ausstattung des h., der h. in der Perspektive von Sünde und Gnade, das Prinzip der Innerlichkeit in der Anthropologie A.s, gesellschaftliche Aspekte des h.) sehr glücklich mit einer Interpretation der conf., die die Biographie des A. als konkrete Anthropologie versteht: 1. Der anthropologisch-theologische Skopus der Confessiones; 2. Die unter dem Stigma der Sünde gezeichnete Kindheit und Jugend; 3. Das Drama der Bekehrung, 4. Der h. novus, 5. Der h. in der Spannung von Zeit und Ewigkeit, 6. Der Himmel als Ziel der Pilgerschaft. – Der für A.s Lebensweg entscheidenden Beschäftigung mit Ciceros Hortensius, die sich hauptsächlich in drei Phasen vollzieht (386/7 Dialoge von Cassiciacum; 397-401 conf.; ab 413 trin., c.Jul.) ist der nach thematischen Gesichtspunkten aufgebaute Artikel Hortensius (K. Schlapbach) gewidmet: 1. Lektüreerlebnis, 2. Äußere und körperliche Güter, 3. Wahrheitssuche, 4. Eschatologie usw. Das Lemma wird durch eine sehr instruktive Vorstellung des Cicerowerkes eingeleitet. – Vor einer Reihe von Jahren wurde A. von dem französischen Historiker Le Goff als «le vrai père du purgatoire» bezeichnet, das Lemma ignis purgatorius (A. Wlosok) zeigt dagegen mit sehr guten Argumenten, dass der Bischof von Hippo «der offenbar verbreiteten Annahme eines derartigen Reinigungsfeuers mit großer Zurückhaltung gegenüber[stand]». – Aus dem sehr informativen und eine komplexe Materie behandelnden Artikel Imperium Romanum (J.H. Szidat) – dieses ist immerhin «der politische Raum, in dem A. lebt und in dessen Welt er denkt» – halten wir die kapitale Aussage fest: «A. löst die Bindung der ‹ecclesia› an das Schicksal des Reiches, wie sie sich etwa bei Ambrosius, Hieronymus und Orosius findet. Das I. R. hat für A. keine providentielle Bedeutung für den Bestand der Kirche». – Italia (C.Sotinel) behandelt Italien zur Zeit A.s, seinen fünfjährigen Aufenthalt dort, seine späteren bleibenden Beziehungen mit dem Land, schließlich seine Vorstellung von Italien: «Conceptuellement, l’Italie d’A. est l’Italie virgilienne ou varronienne, une Italie, qui s’identifie à Rome comme coeur de l’Empire et du monde, dont il se sert comme référence historique ou mythologique». – Was Reisen zur Zeit A.s konkret bedeuteten, mit welchen Mitteln sie unternommen wurden, was im näheren und weiteren Sinn dazu gehörte, was das Reisen speziell für Christen besagte, welche Reisen ganz konkret A. vor und nach seinem Episkopat unternahm, welche Anlässe es dazu gab und welche Zwecke damit verbunden waren, welchen Umfang und welche Reichweite sie hatten, wie A. das Reisen grundsätzlich bewertete, zeigt mit aller nur wünschenswerten Genauigkeit und Anschaulichkeit der Artikel itinera (K. Vössing). A. betone «die Unerheblichkeit jeder Fortbewegung für die Ferne oder Nähe zu Gott». Bei ihm überwiege «die Konnotation der Fremdheit und damit der Gefährdung, der Anstrengung, der Bedürftigkeit und der Sehnsucht nach der Heimat». – Das informative Lemma Iudaei (J. van Oort) stellt zum Schluss die Frage: War A. ein Antisemit, und antwortet: «Although A. is quite dissimilar to the marked prejudice against the Jewish people of contempory Church Fathers like Chrysostom, Cyril of Alexandria, the Ambrosiaster or his mentor Ambrose, he nevertheless betrays indications of a certain dislike». – Nach dem Lemma lectio (M. Margoni-Kögler) stellen die augustinischen Predigt-Corpora «die wichtigste Quelle für die Kenntnis der (Schrift)-Lesungen im 4./5. Jh. in eucharistischen und nicht eucharistischen Liturgiefeiern Nordafrikas» dar. Die Vorstellung der konkreten Ergebnisse (Anzahl, Abfolge und Arten der liturgischen Lesungen bei A., Zuweisungen der Schriftlesungen zu spezifischen Gottesdiensten, A.s Auswahl der gottesdienstlichen Schriftlesungen) schließt mit einem sehr übersichtlichen ‹Lesungsrepertoire für die Herrenfeste›». – «A. hat sich der Sprache mit hoher Reflexion bedient und scharfsinnig über sie geurteilt». Der Artikel lingua (W. Hübner) behandelt die verschiedensten Aspekte des Phänomens (Praxis, Reflexion, in der Bibel usw.), hinzu kommen dann noch eigene Lemata über die griechische (B. Neuschäfer), hebräische (J. Dochhorn), lateinische (W. Hübner) und punische Sprache (K. Jongeling) bei A. Was die lateinische Sprache angeht, so werden behandelt A.s eigener Stil, seine Umgangssprache und die Stilunterschiede der einzelnen Werke, A. als Sprach- und Stilkritiker. Das Lemma über die punische Sprache stellt die bei A. vorzufindenden punischen Wörter zusammen und schreibt A. eine gewisse Kenntnis des Punischen zu, die aber wohl nicht bis zum fließenden Sprechen reichte. – Was die allgemeine rhetorische Tradition mit dem Lehnwort Tropen bezeichnet, hat A. wohl «in eigener Leistung» Locutionum modi genannt und muss deswegen auch unter diesem Lemma im vorliegenden Lexikon gesucht werden. Das Lemma (Chr. Tornau) behandelt A.s Theorie nach doctr.chr. und die davon abweichende exegetische Praxis (Synekdoche, Metonymie, Katachrese und Hyperbel). – Das umfassende Lemma Manichaei (V.H.Drecoll) behandelt in einem ersten Teil den Manichäismus unter Absehung von A., die folgenden Abschnitte gehen praktisch auf alle Fragen des Manichäismus ein, die sich in Bezug auf A. stellen lassen: A. als Manichäer, Motive seiner Hinwendung zum Manichäismus, A. als überzeugter Manichäer, Loslösung vom Manichäismus, A.s Auseinandersetzung mit dem Manichäismus in ihren verschiedenen Formen (Konversionsbemühungen, Ontologie, Exegese, Disputationen, antimanichäische Werke), Manichäismusvorwürfe gegen A., Einfluss des Manichäismus auf A.s Denken. In diesem letzten Abschnitt wird, weit entfernt von den groben Manichaeismusvorwürfen eines Teils der älteren Forschung, nach «Grundstrukturen» gefragt, «in denen A.s Denken bestimmte Linien seines früheren Denkens fortzusetzen scheint. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass solche Linien immer mit anderen Einflüssen konvergieren, andererseits, dass A. an wesentlichen Punkten Veränderungen vornimmt und sich mit seiner eigenen Vergangenheit kritisch auseinandersetzt». Diese bleibenden Grundstrukturen samt ihren Veränderungen werden konkret für den Bereich der Gottes-, der Sündenlehre, der Christusfrömmigkeit, der Schriftbezogenheit seiner Theologie usw. aufgezeigt.
Unter den 29 Lemmata der dritten Kategorie, den Werken, fällt das Urteil in dem im Übrigen sehr aufschlussreichen Artikel De gestis Pelagii (A. Kessler) schließlich auch kritisch aus: «Von einer – wohlwollend formuliert – gewissen Doppelbödigkeit des Pelagius ist ... auszugehen. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch auch, dass A. in gest.Pel. den Bogen der Interpretation des öfteren überspannt bzw. sich in Spitzfindigkeiten verliert. Trotz aller gegenteiligen Rhetorik in gest. Pel. akzeptiert A. das Urteil von Diaspolis letztlich nicht; somit sind auch seine Worte nicht ganz frei von derjenigen Zweideutigkeit, die er selbst dem Pelagius vorwirft.» – Das noch vor A.s Taufe entstandene De immortalitate animae (V.H. Drecoll) fällt «durch das vollständige Fehlen christlicher Terminologie» auf. «Die Schrift könnte auch von einem Nichtchristen stammen und ist darin unter den Werken A.s singulär.» Man sieht in ihm eine vorbereitende Skizze zu sol. – Das Indiculum (F.Dolbeau), eine Liste (oder sind es zwei?) von Werken A.s, gehört neben den retr. zu den Texten, die als ‹äußeres› Kriterium bei der Frage nach der augustinischen Autorschaft herangezogen werden. Das betreffende Lemma behandel sehr detailliert den derzeitigen Stand der Frage nach seinem Autor, seinem Entstehungsort und seiner Abfassung. – Das Lemma Ad inquisitiones Ianuarii (J. Rexer), das «wichtigste liturgische Dokument A.s» und zugleich das «erste liturgiewissenschaftlichen Handbuch», beendet die sorgfältige Analyse des Textes mit einer grundsätzlichen Aussage zum Liturgieverständnis A.s: «Die ‹sacramenta› der Liturgie deutet A. in inq.Ian. aufgrund derselben hermeneutischen Grundsätze wie die biblischen Zeichen. Er erklärt die zeitlichen, das christliche Osterfest umkreisenden Symbole als ‹sacramenta› entsprechend den ‹sacramenta› der Heiligen Schrift. Dieser Begriff ist dabei besonders von der Zeichenhaftigkeit und der Verweisfunktion auf das Heil der Gläubigen bestimmt.» – Den «inhaltlichen Schwerpunkten» im Lemma In Iohannis evangelium tractatus (H. Müller), als da sind: die Auslegung des Prologs, die Auseinandersetzung mit Häresien, die Vermittlung trinitarischer Lehren, geht folgende überraschende Einladung an die Forschung voraus: «Io.eu.tr. ist unter den umfangreicheren Schriften A.s die am wenigsten erschlossene; eine umfassende theologische Analyse steht noch aus. Die folgenden Ausführungen sind als erste Ansätze zu betrachten». Voraus gehen eine akribische Darstellung der Zusammensetzung des Werkes und der Entstehungsgeschichte seiner einzelnen Teile und Ausführungen über seine Form (Genera und Stil, die liturgischen Voraussetzungen, die exegetischen Prinzipien und die homiletischen Charakteristika).
Was schließlich die 45 Personen-Lemmata angeht, so sei zumindest auf zwei hingewiesen. Der sich mit dem schwierigen, streckenweise gespannten Verhältnis zwischen A. und dem Betlehemer Mönch befassende Artikel Hieronymus (A. Fürst) erreicht seinen spannenden Höhepunkt beim Vergleich ihres beidseitigen «theologischen Profils». Ihr gemeinsamer Antipelagianismus sei eine «schiefe Allianz», heißt es. Hieronymus habe mit seinen Vorstellungen «faktisch den Pelagianern in die Hände» gearbeitet. «Dogmatische Implikationen, auf die A. Hieronymus aufmerksam machen wollte, lagen freilich außerhalb von dessen Horizont.» «Nicht nur in den inhaltlichen Aussagen, sondern auch in der Dynamik und Tiefe der Denkbemühung blieb Hieronymus die Gnaden- und Erbsündenlehre A.s fremd.» Ausführlich werden im Folgenden die Peripetien des die Forschung seit langem interessierenden Briefwechsels dargestellt. – Der Artikel Hilarius (H. Chr. Brennecke) benennt die einzelnen Rekurse A.s auf den berühmten gallischen Kirchenvater, bilanziert aber insgesamt: «Im Gesamtwerk A.s spielt der etwa ein halbes Jh. ältere Bischof von Poitiers trotz seiner Bedeutung als Schriftausleger und Vermittler der griechischen trinitarischen Diskussion eine eher geringe Rolle».
Zahlreiche Artikel behandeln Sachverhalte, die man nie unter dem betreffenden Lemma suchen würde, deswegen wird für die Benutzung des fertigen Lexikons ein sehr detailliertes Sachverzeichnis von größter Wichtigkeit sein. Auch eine kleine Kritik sei angemerkt: Die unter staatlicher Leitung stehende Begegnung zwischen Donatisten und Katholiken im Jahre 411 wird S. 77 kaum zutreffend als ‹Synode› statt als ‹Religionsgespräch› bezeichnet. S. 897, 1. Abs., 7. Z. v.u. ist das ‹I› wohl ein Druckfehler. Weisen wir zum Schluss noch auf einige Lemmata hin, die vom Herausgeber und Gründer des Lexikons selber behandelt werden. Es sind die in die Tradition eingegangenen Formulierungen A.s filius istarum lacrimarum, inquietum est cor nostrum, intellectum valde ama, interior interio meo. Hier ist auch die Gelegenheit, Cornelius Mayer zu seinem Jahrhundertwerk zu beglückwünschen und ihm dafür zu danken. Wie er selbst im Vorwort feststellt, ist mit dem vorliegenden Bd. «über die Hälfte der vorgesehenen Lemmata publiziert». Die noch ausstehende andere Hälfte wollen wir geduldig erwarten.
H.-J. Sieben S.J.
Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung in unserem Webportal.
Weiterführende Links
www.theologie-und-philosophie.de
Rezension zu Augustinus-Lexikon Vol. 3 in «Die Tagespost» (Harm Klueting)
Internetpräsenz «Augustinus-Lexikon»