ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Walthari – Wissenschaftsforum – Besprechungen/Wiss. 5 – 15. April 2015 (E. Dauenhauer)

Dodaro, R.; Mayer, C.; Müller, Chr. (Hrsg.):
Augustinus-Lexikon,
Grote, A. E. J. Redaktion
In Verbindung mit Bochet, I. Dolbeau, Fr. u.a.
Vol. 4, Fasc. 3/4: Optatus episcopus Mileuitanus bis Pelagius, Pelagiani
Schwabe Verlag, Basel, 2014, Sp. 322- 639, 54,50 Euro

Die Bearbeitungszeit von zwei Jahren für diesen Teilband mag dem Leser vor Augen führen, welch immenser Aufwand erforderlich ist, um die zerstreuten Fundstellen für jeden der 55 Einträge zu ermitteln und konzeptstimmig zu formulieren, dazu abwechselnd in verschiedenen Sprachen.

Primärtext ist die internetbasierte Gesamtausgabe der Originalwerke des Augustinus von Hippo (354-430) mit allen Schriften, Predigten und Briefen. Für Theologen, die sich einen Sinn dafür bewahrt haben, wie sehr das Christentum auch auf frühen nachbiblischen Fundamenten aufruht, entwickelt sich das Augustinus-Lexikon (AL) immer mehr zu einer Schatzkammer. Für nichttheologische Fachwissenschaftler aller Richtungen, für Philosophen und Feuilletonisten, die wissen, daß ohne Geschichtsbewußtsein kein intellektueller Staat zu machen ist, bietet das Lexikon eine kulturelle, also nicht nur theologische Orientierung allererster Klasse. Am Beispiel des Eintrags ›Otium ‒ negotium‹ von Hermann-Josef Sieben läßt sich die Blickweite exemplarisch erfahren:

Unter I. wird der voraugustinische Wortgebrauch mit Bezug auf Vergil, Cicero und Seneca vorgestellt. Das Bedeutungsspektrum von Otium reicht von Waffenruhe, Muße, Ruhe und freie Zeit bis Friede und weisheitlichem Lebensstil. Negotium steht jeweils für das Gegenteil.

Bei II. geht es um die allgemeine Begriffsverwendung bei Augustinus. Er übernimmt die Bedeutungen freie Zeit in Absetzung zur Arbeit (labor) und Studium, ergänzt sie aber um ›Ruhestand nach der Lebensarbeit‹ und um die Seelenruhe als befreiten Zustand von fleischlichen Gewohnheiten. 1 Tm 5.13 scheint Pate gestanden zu haben für die Gefahr des Müßigganges bei unverheirateten Frauen. Manche Leser werden hier wohl an gegenwärtige Zustände denken.

Unter III. werden die spezifischen Begriffsverwendungen beim Kirchenvater vorgestellt: Rückzug aus den Staatsgeschäften »mit dem Ziel zur Erlangung von ›sapientia‹« (H.-J. Sieben). Im Zustand des otium(s) liberale empfand Augustinus das Glück des Philosophierens und des Schreibens. Als gesteigerte Lebensweise wird das »christianae vitae otium«, der Rückzug aus der Welt beschrieben, wiederum verbunden mit dem Streben nach Weisheit nicht nur als Mönch. Dem monastischen otium billigt er den Vorzug eines »deificari in otio« zu, einer kontemplativen Lebensweise mit immerwährendem Lob Gottes. Doch sollten Mönche sich keine irdisch mögliche Vollkommenheit einbilden. Soweit an der caritas orientiert, billigt Augustinus allen Lebensweisen, also auch dem negotium (der Geschäftigkeit), Gleichwertigkeit zu. Auch das ist von aktueller Bedeutung, was hier wohl nicht weiter erläuterungsbedürftig ist.

Zahlreiche weitere Einträge in diesem Teilband sind in gleicher Weise nicht nur historisch informativ, sondern auch von aktueller Referenzialität: de origine animae (über den Ursprung der Seele), origo (erkenntnistheoretisch bedeutsam), paenitentia (Umkehr, Reue, Buße, einer der Hauptartikel mit über dreißig Spalten), paganus, paradisus, pars-totum, participatio, pauci, paupertas, pax und pecunia. Theologische Schwergewichte sind außerdem die drei ordo-Artikel und die Einträge zu peccatum sowie die Ausführungen über Paulus apostolus.

Daneben werden auch einige andere historische Gestalten vorgestellt (Origenes u.a.). Wer pauci liest, wird erstaunt sein über die anhaltende Aktualität auch im demokratischen Zeitalter. Der ausführliche Text zu paganus vermittelt am eindrücklichsten ein Bild des Kirchenvaters. Hier kommt eine spezifische Weltanschauung zum Ausdruck, von der auch nichttheologische Leser sich stark angesprochen fühlen dürften. Augustinus sieht sich mit dem antiken Bildungskanon und mit den hochgebildeten Heiden (pagani) konfrontiert und weist alle Versuche (darunter den Polytheismus und literarischen Reduktionismus), den biblischen Glauben aufzuweichen, energisch zurück. Gleichzeitig duldet er »die Vergil- und Cicerolektüre neben dem Psalmgesang« (Chr. Tornau). Ganz ohne Selbstwiderspruch kommen selbst Heilige nicht durch‘s Leben.

© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com

Alle bisher im virtuellen Magazin WALTHARI erschienenen Rezensionen zum Augustinus-Lexikon im PDF-Format:

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 4, Fasc. 3/4 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 4, Fasc. 1/2 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 3, Fasc. 7/8 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 3, Fasc. 5/6 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 3, Fasc. 1/2 und 3-4 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 2 --- Walthari

pdfRez. Augustinus-Lexikon Vol. 1 --- Walthari