ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Dieser Artikel entstammt dem Augustinus-Lexikon und ist in dessen 4. Band, Faszikel 3/4 (2014) auf den Spalten 403-406 erschienen.

1. Name, geographische Lage und archäologischer Befund – 2. Sozialer, kultureller und politischer Kontext – 3. Spezifische Bedeutung für A. – 4. Monnicas Epitaph

1. Name, geographische Lage und archäologischer Befund. – O., von ‹ostium› (‹Tor›, ‹Mündung›), liegt in der Nähe Roms (↗Roma) an der Mündung des Flusses Tiber ins Meer (bei A. daher ‹O. tiberina› (conf. 9,17.23) [1]). Der Name der Stadt wird noch heute in italienischer Sprache ebenso wie in der lateinischen Antike verwendet, doch ist die moderne Siedlung (‹Lido di O.›) von der antiken (‹O. antica›) ca. vier km entfernt, da sich die Tibermündung durch zunehmende Verlandung weiter in Richtung Meer verschoben hat. Dieser Prozeß hatte bereits in der Spätantike eingesetzt. Zu A.s Zeit befand sich die Siedlung zwar noch an ihrer ursprünglichen Stelle, doch hatte sie ihre Funktion als Hafenstadt verloren.

Anmerkung. – [1] Ib.: «... illic apud Ostia tiberina, ubi remoti a turbis post longi itineris laborem instaurabamus nos nauigationi».

2. Sozialer, kultureller und politischer Kontext. – Auch wenn das spätantike O. schon seit ca. 3 Jahrhunderten nicht mehr unmittelbar am Hafen lag, war es doch durch die Nähe zu der Ortschaft Portus geprägt, wo von Claudius und Trajan ca. fünf km weiter im Norden der neue Hafen angelegt worden war. Die beiden Orte waren durch die ‹uia seueriana› gut verbunden (an der Straße: der wichtige Friedhof der Isola Sacra). In O. blieben die Agenturen und Firmen mit ihrer Verwaltung, außerdem die immer herrschaftlicheren Wohnsitze derer, die im Laufe der Zeit durch den Handel zur See reich geworden waren. Die Gesellschaft der durchaus wohlhabenden Stadt bot im 4. Jh. ein eindrucksvolles Bild kultureller Vielfalt: Griechisch, Armenisch, Syrisch und Ägyptisch hörte man auf den Straßen ebenso wie Latein, und bis heute ist in kaum einer römischen Stadt ein so dichtes Netz von Kultorten aller denkbaren religiösen Strömungen erkennbar wie in O. [2]. Es kann als sicher gelten, daß das Christentum in einer solchen Stadt schon sehr früh Fuß gefaßt hat, vermutlich schon vor Konstantin, auch wenn archäologisch von diesen Anfängen nichts nachweisbar ist [3]. Immerhin wurde vor wenigen Jahren die Kathedrale der Stadt entdeckt und ausgegraben: eine recht bescheidene Basilika des 4. Jh.s am Stadtrand in der Nähe der Mauer [4]. Außerhalb der Stadt befanden sich christliche Coemeterialbasiliken [5]. Gerade in O. war es für die neue Religion leicht, eine erste Keimzelle zu bilden, aber schwer, sich endgültig durchzusetzen. Noch Ende des 4. Jh.s wurden dort heidnische Tempel wieder aufgebaut [6], gestürzte Statuen wieder aus der Gosse gezogen und zur Verehrung aufgestellt (cf. etwa CIL 14,4721). Eine christliche Kapelle mitten im Zentrum ist erst errichtet worden, als die Stadt schon kaum mehr besiedelt war: ein bescheidenes Märtyrerheiligtum setzt sich halb auf die offenbar nicht mehr benutzte Hauptstraße [7]. Umgekehrt war innerchristlich die Bedeutung der Stadt schon im 4. Jh. hoch. Das spiegelt sich in der besonderen Wertschätzung, die ihr Bischof genoß. A. weiß von dem Brauch, daß der Bischof von O. den römischen Bischof zu weihen hatte (breuic. 3,29; ↗Episcopi Romani) [8].

Anmerkungen. – [2] Cf. Rieger, Heiligtümer. Darunter befindet sich auch eine alte und bedeutende Synagoge. – [3] Cf. Brenk; Boin 195sq. – [4] Cf. Bauer/Heinzelmann. – [5] Die bedeutendste ist die 1976 gefundene Basilica di Pianabella, wohl auch der bescheidene Vorgängerbau der heutigen Kirche S. Aurea; cf. Mastrorilli 118. – [6] Hercules-Tempel: cf. Rieger, Sanctuaires 249. – [7] Cf. Brenk 264sq. – [8] Bis heute wird die Kathedrale von O. (das Kirchlein S. Aurea) jeweils dem ranghöchsten Kardinal (Kardinaldekan) als Titelkirche zugewiesen; cf. auch Tempesta.

3. Spezifische Bedeutung für A. – In A.s Leben wurde O. wichtig, weil es die letzte Station in seiner italienischen Lebensphase war (↗Augustinus (uita), 1,533, ↗Italia, 3,755). Nach seiner Bekehrung und Taufe in Mailand wollte er sich von dort mit seiner Mutter ↗Monnica nach Afrika einschiffen; dort ist seine Mutter schließlich vor der geplanten Abreise gestorben (cf. conf. 9,23-33). Die genauen Orte, an denen sich diese Ereignisse in O. abspielten, sind nicht bekannt. Sicher ist jedenfalls, das die berühmte Vision von O. (↗Ascensio, ascensus) und die Trauer A.s nicht in einer vom Christentum geprägten Atmosphäre der Kontemplation stattfanden, sondern im Kontext einer pulsierenden, multikulturellen Stadt in Meeresnähe. Mutter und Sohn hatten vielleicht bereits den Fahrausweis für die Überfahrt nach Afrika gelöst. Sie mußten mehrere Tage auf das Schiff warten und mögen in einer Herberge übernachtet haben. In dieser Zeit befiel Monnica ein hohes Fieber, das sie nicht überlebte.

4. Monnicas Epitaph. – Nach ihrem Tod im Herbst 387 wurde Monnica wunschgemäß (cf. conf. 9,27sq.) in O. beigesetzt (nicht im vorgesehenen Grab in der afrikanischen Heimat). Der genaue Ort ihres Grabes ist unbekannt, doch dürfte er an der großen Straße von O. nach Rom gelegen haben, nach antiker Sitte vor den Toren der Stadt, vermutlich nicht weit vom Grab der Märtyrerin Aurea [9]. Dort ganz in der Nähe ist 1946 durch Zufall ein Bruchstück jener Inschrift aufgetaucht, die ein ehemaliger Konsul namens Bassus nach Monnicas Tod an ihrem Grab hat anbringen lassen [10]. In kompliziertem Latein preist die Inschrift die Bedeutung von Mutter und Sohn. Das Dokument ist bemerkenswert, bezeugt es doch, zu welchem Ruhm A. in Rom schon in der Antike gelangt war; dies um so mehr, wenn – wie meist geschehen – die Inschrift wenige Jahrzehnte nach dem Tod Monnicas datiert wird. Indes sprechen epigraphische Grunde und literarische Parallelen eher für eine Datierung in die Zeit Gregors des Großen (um 600) [11]. Der vollständige Text ist seit langem bekannt, weil in mehreren mittelalterlichen Handschriften überliefert; frühere Zweifel an der Echtheit wurden durch das aufgefundene Fragment gegenstandslos [12]. Es mag daher auch sein, daß die Gebeine der Monnica echt sind, die zunächst in S. Aurea verehrt und am 9. April 1430 von O. nach Rom gebracht wurden, wo sie sich bis heute in der Kirche S. Agostino (ehemals S. Trifone) befinden.

Anmerkungen. – [9] Cf. Mastrorilli. – [10] Zum Fund cf. Casamassa; Überblick über die seitherige Forschung bei Boin 199-202, zu Bassus ib. 200. – [11] Cf. Boin 202-209. – [12] Cf. Wischmeyer; Germoni.

Bibliographie. – F.A. Bauer/M. Heinzelmann, L’église épiscopale d’Ostie: Ostia ... 278-282. – D.R. Boin, Late Antique Ostia and a Campaign for Pious Tourism: Epitaphs for Bishop Cyriacus and Monica, Mother of Augustine: JRS 100 (2010) 195-209. – B. Brenk, La christianisation d’Ostie: Ostia ... 262-271. – A. Casamassa, Ritrovamento di parte dell’elogio di S. Monica: RPARA 27 (1951-1954) 271-273. – P. Germoni, Epitaphe de sainte Monique: Ostia ... 437. – D. Mastrorilli, La tomba di s. Monica ad Ostia: fonti ed evidenze archeologiche: Santa Monica nell’Urbe. Dalla tarda antichità al Rinascimento. Storia, Agiografia, Arte (a cura di M. Chiabò/M. Gargano/R. Ronzani), Roma 2011, 113-128. – Ostia. Port et porte de la Rome antique (éd. par J.-P. Descœudres), Chêne-Bourg, Genève/Paris 2001. – C. Pavolini, Ostia, Roma 2006. – (A.-)K. Rieger, Les sanctuaires publics à Ostie de la République jusqu’au Haut Empire: Ostia ... 247-261. – Ead., Heiligtümer in Ostia, München 2004. – C. Tempesta, L’Episcopio di Ostia antica: Santa Monica nell’Urbe. Dalla tarda antichità al Rinascimento. Storia, Agiografia, Arte (a cura di M. Chiabò/M. Gargano/R. Ronzani), Roma 2011, 129-143. – W. Wischmeyer, Zum Epitaph der Monica: RQ 70 (1975) 32-41.

Martin Wallraff