ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Ein neuer Fortsetzungsband des Augustinus-Lexikons bestätigt die Qualität des gesamten Projekts. Von HARM KLUETING

Augustinus-LexikonAugustinus-LexikonAls Hochschullehrer hat man immer häufiger darüber zu klagen, dass Studenten die großen wissenschaftlichen Enzyklopädien ignorieren und oft gar nicht mehr kennen und stattdessen Basiswissen aus dem Internet „herunterladen“, wofür sich das Wort „googeln“ eingebürgert hat – nicht selten mit bis ans Groteske oder ans Satirische grenzenden Missverständnissen. Dabei entstehen auch in unserer Zeit, von der breiteren Öffentlichkeit auch der sogenannten Gebildeten kaum bemerkt, immer noch wissenschaftliche Lexika von allerhöchster Qualität.

Das gilt insbesondere für das von dem emeritierten Universitätsprofessor für Dogmatik und Dogmengeschichte Cornelius Mayer OSA initiierte und von dem von ihm gegründeten Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg unter seinem Nachfolger Christof Müller getragene „Augustinus-Lexikon“, das man nur als hochkarätig im besten Sinne bezeichnen kann. Der erste Band erschien bereits 1994, bevor der zweite und der dritte 2002 und 2010 folgten. Seit 2012 erscheint der vierte Band, wie üblich in als „Fasciculum“ bezeichneten Lieferungen, von denen hier Lieferung 5/6 anzuzeigen ist.

Fasciculum 5/6 beginnt mit Spalte 641 und setzt mitten im Satz inmitten des Artikels „Pelagius, Pelagiani“ ein und endet mit Spalte 960 kurz vor dem Abschluss des Artikels „Prouerbium, Prouerbia“, zu lesen „Proverbium, Proverbia“, also „Spruch, Sprüche“. Dazu gehören auch die „Proverbia“ oder die „Sprüche Salomos“, die der Leser der Einheitsübersetzung der Bibel als „Buch der Sprichwörter“ kennt, beziehungsweise deren Bedeutung für Augustinus (354–430). Das ist ja der Sinn dieses Forschungslexikons: das Werk des heiligen Augustinus zu erschließen, was das Augustinus-Lexikon wegen der großen Bedeutung des Bischofs von Hippo für die christliche Theologiegeschichte jedoch zu einem weit über Person und Werk des Augustinus hinausreichenden Lexikon der Theologie und Theologiegeschichte macht.

„Es gibt also neben den deutschsprachigen Artikeln auch Beiträge auf Französisch und Englisch“

Die Lieferung 5/6 des vierten Bandes enthält 61 Artikel, und zwar gemäß der guten Tradition des Augustinus-Lexikons in der jeweiligen Arbeitssprache des Verfassers. Es gibt also neben deutschsprachigen Beiträgen auch Artikel auf Französisch und auf Englisch. Das ist für ein Werk von der Bedeutung des „Augustinus-Lexikons“ und vor dem Hintergrund einer mehrsprachigen Wissenschaftswelt richtig und begrüßenswert, will man eine in den Geisteswissenschaften und in der Theologie völlig unangemessene Vorherrschaft des Englischen vermeiden und die deutsche sowie die französische Forschung zu Wort kommen lassen. Auf einem anderen Blatt steht allerdings, dass unsere Studenten – und das gilt leider ganz besonders für Theologiestudenten, katholische wie evangelische – zunehmend unfähig sind, französische Texte zu verstehen und oft kaum bereit sind, englische Texte zu lesen.

Von den 61 Artikel gelten – zählt man den „halben“ Artikel „Pelagius, Pelagiani“ zu dem theologischen Widersacher des Augustinus, Pelagius (360–420) und seinem Werk mit – 13 Personen; der Artikel „Platon, Platonici“ gehört nicht dazu, weil der Verfasser, Michael Erler, das Leben des griechischen Philosophen Platon (427–347 v. Chr.) nicht einbezieht, sondern den Platonismus bei Augustinus und das Verhältnis von Platonismus und Christentum behandelt. Man begegnet dem donatistischen Bischof Petelianus, einem jüngeren Zeitgenossen des Augustinus und ebenfalls in theologischen Kontroversen mit ihm, dem Apostel Petrus, dem jüdischen Exegeten und Philosophen Philon von Alexandria, einem Zeitgenossen Jesu, dem aus Ancyra stammenden, 376 gestorbenen Photin von Sirmium, der die Lehre des Adoptianismus vertrat, wonach Jesus ein von Gott lediglich adoptierter Mensch war, dem römischen Senator Valerius Pinianus, Vater der heiligen Melanie d. J. (383–439), die als Asketin auf dem Ölberg bei Jerusalem lebte, dem Philosophen und Begründer des Neoplatonismus Plotin (204–270) und dem Trierer Ponticianus, ein nordafrikanischer Christ, der 381 von Trier nach Mailand kam. Er erzählte dem jungen Augustinus auf der Grundlage der „Vita Antonii“ des Athanasius von der Bekehrung des ägyptischen „Mönchsvaters“ Antonius und von der Wendung zweier seiner Trierer Kollegen zum Mönchsleben und scheint die Szene in jenem Garten in Mailand im August 386 vorweggenommen zu haben, die Augustinus in seinen „Confessiones“ im Zusammenhang mit seinem eigenen Konversionserlebnis berichtet. Darüber hinaus begegnet der Leser dem 234 in Tyros geborenen neuplatonischen Philosoph Porphyrius, Schüler und Anhänger des heiligen Augustinus Possidius von Calama (um 370 – um 437), der mit ihm gegen den Pelagianismus und den Donatismus stritt, dem häretischen Bischof von Ávila in Spanien Priscillian (vor 350–385), der vornehmen Römerin und Witwe Anicia Faltonia Proba, die 410 mit anderen römischen Frauen nach Nordafrika kam und sich als Asketin dem Kreis um Augustinus anschloss, und dem asketischen Schriftsteller Prosper (um 390–455) aus Aquitanien, ein Laie und Mitstreiter des Augustinus gegen den Pelagianismus.

Von den 48 Sachartikeln sind einige nur Verweise auf andere Bände oder andere Fascicula: „Perturbatio“ (Leidenschaft, Erregung) auf „Affectus“, „Plebs“ (Volk) auf „Populus“, „Potus“ (Trinken, Trank) auf „Cibus“ (Nahrung), „Proprium“ (Eigentum) auf „Commune“ (Gemeingut). Von den übrigen seien hier nur genannt: „Pentecoste“ (Pfingsten) – von Augustinus ekklesiologisch im Sinne der Begründung der Universalität und Einheit der Kirche und typologisch in dem Sinne gedeutet, dass er die Geistsendung der Übergabe des Gesetzes am Sinai gegenüberstellt – „Persona“ (Person), „Pietas“ (Frömmigkeit), „Piscis“ (Fisch), „Poena“ (Strafe, Buße), „Preces“ (Gebet), „Principium“ (Anfang) – und anderen mit den Äußerungen des Augustinus zu Genesis 1, 1 („Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“) und zu Johannes 1, 1 („Im Anfang war das Wort“) oder „Promissio“ (Verheißung). Unter theologiegeschichtlichen – und ökumenischen – Aspekten besonders interessant ist der Artikel „Praedestinatio“ (Vorherbestimmung). Zur „Doppelten Prädestination“ bei Augustinus, die im 16. Jahrhundert bei Jean Calvin in seiner „Institutio Religionis Christianae“ (Buch III, Kapitel 21) und danach, vor allem seit der Dordrechter Synode von 1618/19 und bis in die Zeit der protestantischen Aufklärungstheologie, für den Calvinismus eine zentrale Rolle spielte, schreibt der Tübinger evangelische Kirchenhistoriker Volker Henning Drecoll: „Sind die ,praedestinati‘ normalerweise diejenigen, die als Erwählte und Berufene begnadet zum ewigen Leben geführt werden, so gebraucht Augustinus an etwa 20 Stellen Formulierungen, in denen neben der Erwählung auch die Festlegung der Bestrafung der Nicht-Erwählten mit dem Begriff ,praedestinatio‘ verbunden wird. Diese Stellen kommen der Vorstellung einer doppelten ,praedestinatio‘ zumindest nahe.

Der Begriff der doppelten praedestinatio ist allerdings insofern problematisch, als er eine Gleichartigkeit zwischen Erwählung und Nichterwählung suggeriert, die im augustinischen Denken so nicht vorhanden ist: Bei den Erwählten schafft Gott das gute Wollen und Tun und korrigiert das Schlechte, die Nicht-Erwählten hingegen belässt er in ihrer Sündhaftigkeit und bestraft sie entsprechend. Allerdings ist durch die Festlegung der ,praedestinatio‘ auch festgelegt, wer bestraft wird. Insofern teilt sich die Menschheit in zwei Gattungen. … Allerdings ist dies nicht der vorherrschende Gebrauch bei Augustinus, der in der Regel unter den ,praedestinati‘ die Erwählten versteht“.

Augustinus-Lexikon. Hrsg. von Robert Dodaro, Cornelius Mayer u. Christof Müller, Redaktion Andreas E. J. Grote. Bd. 4, Fasc. 5/6: Pelagius, Pelagiani – Prouerbium, Prouerbia (Prv). Schwabe, Basel 2016, Spalte 641–960, ISBN 978-3-7965-3504-8, EUR 65,–

© Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur vom 5. April 2018, Seite 13

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