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Ein Streifzug durch Augustinus' Werk „Vom ersten katechetischen Unterricht“ im Horizont der Neuevangelisierung. Ein Gastbeitrag des wissenschaftlichen Leiters des Zentrums für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg für die überregionale katholische Wochenzeitung Die Tagespost. Von CHRISTOF MÜLLER
Eine Situationsanalyse: Das Christentum ist nur eine Religion unter vielen Sinnangeboten in einer unübersichtlich gewordenen Welt; viele Zeitgenossen sind allenfalls rudimentär über die Bibel und das christliche Credo informiert, obwohl die Suche nach Lebensorientierung allenthalben in der Luft liegt; Christen tun sich schwer damit, ihre frohe Botschaft authentisch und ebenso takt- wie wirkungsvoll zu verkünden.
Eine Beschreibung der Gegenwart? In erster Linie handelt es sich hierbei um eine Zeitdiagnose der Spätantike, gestellt und formuliert durch einen ihrer hellsten Köpfe: Augustinus von Hippo (354–430). In zweiter Linie trifft diese Charakterisierung auch auf die Lage unseres Christentums zu Anfang des 21. Jahrhunderts zu. Wäre es da allzu verwegen, eine einschlägige literarische Antwort des Kirchenvaters auf die Herausforderung seiner Zeit dahingehend zu befragen, in wieweit sie das aktuelle Programm der Neuevangelisierung zu inspirieren vermag?
Eine Rahmenatmosphäre schaffen, die einen anregenden Dialog wortwörtlich auf Augenhöhe ermöglicht
Mit Augustins Schrift „De catechizandis rudibus“ (cat. rud.), entstanden um das Jahr 400, halten wir die einzige erhaltene – und von daher im Laufe der Kulturgeschichte immer wieder intensiv rezipierte – „Fundamentalkatechese“ der Alten Kirche in den Händen. Die an einen um Rat fragenden Amtskollegen gerichtete Schrift zeichnet inhaltliche und methodische Linien einer ersten Neuevangelisierung von Erwachsenen, und zwar in ihren theoretischen Grundlagen wie auch in ihrer praktischen Entfaltung in Form zweier biblisch-heilsgeschichtlich unterfütterter Musterkatechesen. Gewiss wird sich die Kirche der Gegenwart nicht jeden einzelnen Gedanken zu eigen machen können, doch vermögen wir erstaunlich viele Einsichten, Prinzipien und Empfehlungen Augustins für unsere Zeit zu adaptieren.
Die Kirche und der einzelne Christ sind laut Augustinus von der inneren Logik des Evangeliums her berufen, aufgeschlossenen Zeitgenossen den Grund ihres eigenen Glaubens, Hoffens und Liebens vorzustellen und damit in die heilvolle Hinwendung Gottes zu seiner Schöpfung einzuschwingen – im besten Fall ein existenzieller und religiöser Gewinn nicht nur für den angesprochenen Mitmenschen, sondern auch für den Katecheten selbst. Dieser wird indes nur dann überzeugend Gottes Liebe verkünden und weitergeben können, wenn er ohne Selbstüberforderung achtsam mit seiner eigenen Person und Religiosität umgeht und eine ansteckende christliche hilaritas – das heißt einen gelassenen Frohmut – ausstrahlt, fernab des gelangweilten Überdrusses, der allzu professionelle Katecheten bisweilen abstoßend oder ermüdend wirken lässt.
Der angesprochene Mitmensch rangiert nicht als Evangelisierungs-„Objekt“, sondern als eine von Gott geliebte Person, die in ihren Daseins-Fragen wie auch in ihren konkreten Daseins-Formen „abzuholen“, anzunehmen und ernstzunehmen ist.
Als möglichen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch empfiehlt Augustinus die Glücks- und Sinnsuche eines jeden Menschen, in deren Horizont die christliche Heilszusage eingebracht werden kann. Adressatenorientierung heißt für Augustinus zum Beispiel aber auch, eine dem Gesprächspartner angemessene – bitte nicht schulmeisterliche, hingegen durchaus mit Esprit gewürzte – Diktion zu wählen, sich in der Argumentation dessen Interesse und Vorbildungsgrad anzupassen und eine Rahmenatmosphäre zu schaffen, die einen anregenden Dialog ermöglicht – wortwörtlich auf Augenhöhe, weswegen dem Gesprächspartner unter anderem ein Stuhl anzubieten ist!
„Da wir nun allen dieselbe Liebe schulden, aber nicht bei allen dieselbe Medizin anwenden dürfen, liegt eben diese Liebe selber in gleicher Weise mit den einen in Wehen, mit den andern ist sie entkräftet, ... zu den einen beugt sie sich nieder, zu den andern steigt sie empor, zu den einen ist sie ermunternd, zu den andern streng, zu keinem abweisend“ (cat. rud. 23).
Cat. rud. zufolge soll der Christ den Noch-Nichtchristen zwar an dessen Standpunkt abholen, ihn jedoch zum Weitergehen einladen, indem er ihm das Christentum als Antwort auf sein bewusstes oder unbewusstes Fragen und Streben anbietet. So kann das Evangelium der Neuevangelisierung – die frohe Botschaft von Gott und seiner in Christus sinnenhaft erfahrbar gewordenen Menschenliebe – im Horizont der menschlichen Sinn- und Glückssuche zur Sprache kommen, und zwar in zweierlei Hinsicht konkretisiert und kontextualisiert: Im Blick auf den Hörer der Botschaft, dessen Lebens- und Erfahrungshintergrund aufzugreifen ist, wie auch im Blick auf die Botschaft selbst, die in Form von erzählender Theologie, für Augustinus vor allem mit Bezug auf Bibeltexte, vergegenwärtigt werden sollte.
Bibel und Credo als „Ur-Kunden“ des christlichen Glaubens dürfen, ja müssen mit bestimmten Akzentsetzungen versehen werden, die sich aus der Person und der Situation des Gesprächspartners ergeben, aber auch von den christlichen Glaubenszeugnissen her gefordert sind.
Für cat. rud. besteht der „Kanon im Kanon“ dieser Glaubenszeugnisse in der theologischen Lehre vom Erlösungswerk Christi. Gemäß Augustins typologischer Exegese verkündet nicht nur das Neue, sondern – bildhaft verhüllt – auch schon das Alte Testament und somit die gesamte Heilsgeschichte die erlösende und befreiende Wahrheit des ganzen Christus. Wenn dem nichtchristlichen Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts eine solche bildliche, häufig auch für einen Weissagungsbeweis herangezogene Lesart der biblischen Geschichte eher schwerlich zu vermitteln sein dürfte, bleibt die dahinterstehende kerygmatische Intention hingegen durchaus angemessen, insofern sie die zeitlich, räumlich und weltanschaulich universale Anschlussfähigkeit des Christusgeschehens und der christlichen Glaubensgemeinschaft reklamiert.
Das Christentum als Antwort auf bewusstes oder unbewusstes Fragen und Streben anbieten
Gemäß seiner klassisch-rhetorischen Ausbildung folgt für Augustinus auf die erzählerische Entfaltung der Frohbotschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen der ermahnende Aufweis ihrer praktischen Konsequenzen. Das christliche Ethos verdichtet sich in cat. rud. folgerichtig im biblisch beglaubigten Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, dessen Radikalität nicht opportunistisch die Spitze abgebrochen werden darf: „Wir müssen also den Glaubenskandidaten davor warnen, jenen Leuten nachzustreben, die nicht wirklich, sondern nur dem Namen nach Christen sind“ (cat. rud. 21).
Dass die Kraft zur Gottes- und Nächstenliebe sich dabei nicht der moralischen Größe des endlichen sittlichen Subjekts, sondern der Liebesmacht Gottes verdankt, findet bei Augustinus zuweilen expliziten Ausdruck: „Wenn ... der, der uns zuhört – vielmehr durch unseren Mund Gott zuhört –, allmählich Fortschritte macht in der Lebensführung und in der Kenntnis des Glaubens und voll Eifer den Weg Christi beschreitet, wird er niemals so dreist sein, diesen Erfolg uns oder sich selber zuzuschreiben; er wird vielmehr sich selber, uns und alle anderen, die er als Freunde liebt, in dem und dessentwegen lieben, der ihn als Feind geliebt hat, um ihn zu rechtfertigen und sich zum Freund zu machen“ (cat. rud. 11).
© Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur vom 25.01.2018, Seite 15
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