Das ZAF veranstaltete einen hochkarätigen Workshop über Unfreundlichkeit und Polemik im Briefkorpus Augustins Von PROF. DR. CHRISTOF MÜLLER
Das Briefkorpus Augustins ist nicht nur eine einzigartige Quelle zur Spätantike, sondern darüber hinaus ein wertvoller Forschungsgegenstand für sehr verschiedene Wissenschaftsdisziplinen. Trotz einer wachsenden Zahl an Publikationen über die rund 310 überlieferten Schreiben von und an Augustin gilt indes nach wie vor der Befund des renommierten Tübinger Kirchengeschichtlers Volker H. Drecoll aus dem Jahr 2009: «Eine Aufarbeitung des augustinischen Briefkorpus ... steht ... zum größeren Teil noch aus» (Theologische Literaturzeitung 134 [2009] 877). Im Blick auf dieses Forschungs- und Publikationsdesiderat hat sich seit 2010 ein knappes Dutzend an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich der weltweiten Augustinus-Forschung unter Leitung des Zentrums für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg zu einer Equipe zusammengefunden, um sich auf den Weg zu einer umfassenden Kommentierung der Briefkorrespondenz Augustins zu machen.
Mit der vom ZAF in Kooperation mit der genannten Equipe veranstalteten Tagung «Unfreundlichkeit und Polemik im Briefkorpus Augustins» wurde nunmehr ein weiteres Modul zur Erschließung der augustinischen Korrespondenz realisiert. Der hochkarätig besetzte internationale und interdisziplinäre Workshop fand am 6. und 7. Oktober im Würzburger Burkardushaus statt und wurde wesentlich von der Thyssen Stiftung finanziert. Mit der Wahl des Themenschwerpunkts ‹Unfreundlichkeit und Polemik› erweiterten die Veranstalter den in den letzten Jahren entwickelten Fokus auf Augustins Korrespondenz um eine wesentliche Perspektive. Insofern Augustins Briefe generell im intentionalen Spannungsfeld von Freundschaftsbrief – das ‹positive› Extrem – und Polemik – das ‹negative› Extrem – angesiedelt sind, hatte sich zunächst eine Behandlung der Dimension ‹Dialog und Freundschaft› nahegelegt, die u.a. durch den 10. Augustinus-Studientag (im Jahr 2012) und den 12. Augustinus-Studientag (im Jahr 2014) abgedeckt wurde. Die jetzt durchgeführte Tagung konnte gewissermaßen das andere ‹intentionale Extrem› brieflicher Korrespondenz bei Augustinus ausloten: die Polemik. Um subtile, vermittelte und gebrochene Phänomene innerhalb brieflicher Korrespondenz nicht durch einen zu engen Begriff von ‹Polemik› a priori auszublenden, erweiterten die Veranstalter die Fragestellung auf den weicheren und weiteren Begriff der ‹Unfreundlichkeit›: Auf diese Weise kamen auch Briefwechsel Augustins mit wirklichen oder vermeintlichen ‹Freunden› und mit kirchlichen ‹Brüdern›/‹Schwestern› in den Blick, in denen Polemik allenfalls als ‹feine Prise› oder als mehr oder weniger gut kaschierter Subtext in Erscheinung tritt.
Die Auswahl der insgesamt 15 an der Tagung teilnehmenden Personen – der Referierenden, aber auch der ‹lediglich› Diskutierenden – war von den Veranstaltern sorgfältig durchdacht worden. Es handelte sich um eine bewusst internationale und interdisziplinäre Gruppe von Augustinus-Forschenden mit gemeinsamer ausgewiesener Expertise für die antike/spätantike Epistolographie und zumal für das Briefkorpus Augustins, aber auch mit je unterschiedlichen wissenschaftlichen Schwerpunkten und ‹Alleinstellungsmerkmalen›. Die meisten Teilnehmenden konnten im Laufe der letzten Jahre bereits im Rahmen von Forschungsprojekten, Tagungen oder Publikationen kooperieren – eine ausgezeichnete Voraussetzung für die produktive Arbeits- und Gesprächsatmosphäre, von der die Veranstaltung geprägt war.
Nach einer Einführung in Thematik und Methodik des Workshops durch den Leiter des ZAF, Prof. DDr. Christof Müller, erhellte Frau Prof. Dr. Danuta Shanzer (Wien) mit ihrem launigen Vortrag «‹Backwards in high heels›: Detecting Unfriendliness Across the Abyss of Time» grundsätzliche hermeneutische Fragestellungen des Tagungsthemas. Dr. Ingo Schaaf (Konstanz/Rom) warf sodann einen komparatistischen Blick auf «Polemik und Unfreundlichkeit in den Briefen des Hieronymus» und skizzierte diesen etwa zeitgleich mit Augustinus lebenden, wirkenden und schreibenden Kirchenvater mit seiner teilweise groben Polemik als Folie, vor der die brieflichen ‹Unfreundlichkeiten› des Bischofs von Hippo eher wohldosiert und subtil wirken – Unfreundlichkeiten, die Prof. Dr. Christian Tornau, Latinist der Universität Würzburg, in Form einer «Topik der Polemik in Augustins Briefen» überzeugend zu ordnen und zu charakterisieren wusste. Gegen Abend des ersten Workshop-Tages analysierte Christopher Nunn, ein Nachwuchswissenschaftler aus Heidelberg, «Grußformeln als Medium der Polemik in Augustins Briefen» mithilfe digitaler und statistischer Methoden – eine beeindruckende Demonstration der Fruchtbarkeit moderner, technisch gestützter Verfahren auch in den Geisteswissenschaften.
Der zweite Workshop-Tag wurde von Dr. Rafał Toczko (Toruń, Polen) eröffnet, der die Tagungsteilnehmer unter dem Titel «The Ways of Ridiculing the Opponents in Augustine’s Letters» mit einer Fülle an Beispielen für den Humor Augustins verblüffte. Sein Kollege Dr. Stanisław Adamiak (Warschau) präsentierte «Unfriendly and Polemical Elements in Augustine’s Correspondence with Other Clerics» und machte deutlich, dass der Kirchenvater auch Amtsbrüder nicht vor ihm notwendig erscheinender Kritik, der ‹correctio fraterna›, verschonte. Einen weiteren Höhepunkt und zugleich den Abschluss der Workshop-Referate stellte die erwartet geist- und kenntnisreiche Gedankenskizze von Frau Prof. Dr. Hildegund Müller (Wien/Notre Dame, Indianapolis) dar: Sie wies auf «Grenzen der Polemik: Diplomatie und verweigerte Invektive in Augustins Briefen» hin und charakterisierte Augustinus – ungeachtet seiner kämpferischen Seite – insgesamt als einen ‹Mann des Dialogs›.
Welches Resümee des als überaus anregend empfundenen Workshops konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Ende des zweiten Tages ziehen? Zwar schien eine Quintessenz des Tagungsertrags angesichts der Vielfalt der zugrundegelegten Wissenschaftsdisziplinen und -methoden kaum auf einen kurzen Begriff zu bringen. Doch hoben die Teilnehmenden als besonders bemerkenswert die selbst für Experten überraschende Erkenntnis hervor, wie ergiebig und facettenreich die Suche nach Polemik und Unfreundlichkeit im augustinischen Briefkorpus ausfällt. Dabei wirkt das Gros der von Augustinus selbst formulierten Angriffe als weniger mit dem ‹Säbel›, in Form von scharfer Attacke oder persönlicher Beschimpfung, als vielmehr mit dem ‹Florett› ausgeführt, d.h. in Form von feinen Stichen, häufig getragen von pädagogischem oder pastoralem Impetus. Als umso wichtiger erwies sich der Imperativ für eine zukünftige umfassende Kommentierung des augustinischen Briefkorpus, Inhalt auf der einen und Form/Sprache/Stil auf der anderen Seite eng aufeinander zu beziehen, um nicht nur den manifesten Text, sondern auch den latenten Subtext und Kontext eines Schreibens oder einer Korrespondenz zu erfassen und zu erhellen.
Angesichts des reichen Ertrags der Tagung vereinbarten die Veranstalter mit den Referierenden die Publikation der deutsch- und englischsprachigen Beiträge in einem Themenheft der renommierten Zeitschrift für Antikes Christentum (ZAC); nach Rücksprache mit den Herausgebern von ZAC wird die gebündelte Veröffentlichung für Anfang 2018 ins Auge gefasst.
Weiterführender Link
Das ‹Epistulae-Projekt› des ZAF