Eine Besprechung des Augustinus-Zitatenschatzes von P. Prof. Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA (6. Printauflage - zugleich die erste E-Book-Version) erschien am 10. Juni 2015 im Wissenschaftsforum der virtuellen Zeitschrift ‹Walthari›. Rezensent Prof. Dr. Erich Dauenhauer rühmt die lateinisch-deutsche Zitatensammlung als einen «Geistesschatz» und wünscht vielen der ausgewählten Sentenzen «eine Zitatenkarriere im öffentlichen Bewusstsein». Nachstehend dokumentieren wir mit freundlicher Genehmigung des Autors die Rezension im Wortlaut.
Mayer, C.: Augustinus-Zitatenschatz.
6., erheblich erweitere und durchweg kommentiert Fassung mit 13 Abbildungen,
herausgegeben vom Zentrum für Augustinusforschung e.V.
an der Julius Maximilian-Universität Würzburg 2014, 275 Seiten
Welch ein Geistesschatz! Der Begründer und jahrzehntelange Hauptherausgeber des Augustinus-Lexikons macht seinen Lesern ein unschätzbares Geschenk, indem er als intimer Kenner der Schriften, Briefe und Predigten des Kirchenvaters eine lateinische Sentenzensammlung vorlegt, sie ins Deutsche übersetzt und sie gleich auch noch kommentiert. Wer auch nur eine Vorahnung von den Mühen lexikalischen Arbeitens hat, staunt über dieses Alterswerk Mayers (er ist über achtzig Jahre alt) und wird ihm lebenslang dankbar sein. Denn zu dieser Sentenzensammlung wird man so häufig greifen wie zu den bekannten Zitatenausgaben der Vorsokratiker, Stoiker, Moralisten, Aufklärer usw. Vor Jahren hatte ich in diesem Walthari-Portal beklagt, daß dem Bildungsbürger frühantike Autoren gegenwärtiger seien als spätantike und mittelalterliche christliche Denker. Heraklit ja, für Tertulian, Augustinus oder Thomas von Aquin keine Vorlagen. Pater Mayer hat nun die Lücke mit einem funkelnden Textcorpus teilweise geschlossen. Augustinus ist nicht mehr nur mit seinem berühmten Zeitzitat zu vergegenwärtigen (266 f.), ein Teil des mächtigen Gedankengutes kann in den bildungsbürgerlichen und wissenschaftlichen Sentenzenkanon eingehen, griffbereit in jeder gut sortierten Handbibliothek. Allerdings sollte man, um den Glanz und Klang im Original zu erfassen, einigermaßen des Lateinischen mächtig sein, wie Mayer selbst betont.
Neunzig Stichwörter erschließen wesentliche Lehrbestandteile und vermitteln eine erstaunliche Nähe und Aktualität. Natürlich herrschen theologisch bedeutsame Lemmata vor: Auferstehung, Christ sein, Christus/Christologie, Erbsünde, Eucharistie, Gebet/Gotteslob, Glaube, Glaube/Hoffnung/Liebe, Glaube und Werke, Gnade, Gnade und Freiheit, Gott, Gottesliebe, Heilige Schrift, Heiliger Geist, Himmel, Kirche, Kreuz, Maria, Menschwerdung Christi, Religion, Sünde, Tod und Leben bei Gott, Trinität u.a. Von den tugend- und erkenntnisphilosophischen Stichwörtern seien genannt: Askese, Demut, Erkennen und Wahrnehmen, Gedächtnis, Gerechtigkeit, Intellekt, Idee(n), Leben/Dasein, Ordnung, Philosophie/Philosophen, Rechtfertigung, Sein und Seiendes, Selbsterkenntnis, Sprache und Rede, Tugend(en), Wahrheit, Weisheit, Wille und Willensfreiheit, Wissen und Wissenschaft, Wort, Zahl und Zahlen, Zeit, Zeiten und Zeitlichkeit. Daneben wurden politische, psychologische, pädagogische und naturkundliche Begriffe aufgenommen: Amt, Autorität/Vernunft, Bildung, Eloquenz/Rhetorik, Lehren und Lernen, Licht, Mensch(sein), Natur(en), Staat und Staatswesen, Welt und Weltalter. Schließlich finden sich nicht eindeutig klassifizierbare Lemmata: Freundschaft, Friede, Herz, Krieg, Kunst/Künstler/ und Kunstgenuß, Sehnsucht, Suchen und Finden und Verdienst(e). Gerne hätte man, in der Epoche der Genderwirren, etwas über Ehe und Familie vom Kirchenvater erfahren, aber dazu muß man im Augustinus-Lexikon nachschlagen (coniugium/matrimonium).
- Ich wähle, um die Einträge exemplarisch zu veranschaulichen, das Stichwort Krieg. Mayer führt drei Zitate an, deren erstes lautet:
»Pacem habere debet voluntas, bellum necessitas, ut liberet deus a necessitate et conservet in pace.« (S. 153). Übersetzt: »Auf den Frieden hin muß der Wille ausgerichtet sein, der Krieg darf (nur) Folge des Zwanges sein, damit Gott (die den Krieg führen müssenden) vom Zwang befreit und (sie) im Frieden bewahrt.«
Im Kurzkommentar heißt es: »Augustinus vertrat die Auffassung, daß ein Krieg dann und nur dann gerechtfertigt sei, wenn es um die Wiederherstellung der gerechten Friedensordnung geht. Ein ›bellum iustum›, ein ›gerechter Krieg‹, muß sozusagen die ultima ratio sein. Galt bei den Römern die Devise: ›Si vis pacem, para bellum – Willst du den Frieden, so rüste zum Krieg‹, so lautete bei Augustinus die Losung: ›... fac iustitiam – ...‹ schaffe Gerechtigkeit«.
Neben ausführlichen Texten findet sich eine Fülle lakonischer Sentenzen, denen man eine Zitatenkarriere im öffentlichen Bewußtsein wünscht:
- »Hier kann ich sein und will es nicht, dort will ich sein und kann es nicht, elend bin ich«.
Lateinisch: »Hic esse valeo nec volo, illic volo nec valeo, miser utrobique« (S. 158). - »Wem wären die Zeiten lästig, wenn nicht Menschen sich gegenseitig lästig wären?«
»Cui molesta sunt tempora, si homines sibi non sunt molesti?« (S. 159). - »Lieben wir denn etwas außer dem Schönen?«
»Num amamus aliquid nisi pulchrum?« (S. 211). - »Nimm die Gaben der Natur in Augenschein.«
»Ipsa naturalia dona circumspice« (S. 223). - »Die Zunge des Menschen ist ein täglich sich entzündender Herd (an Verlockungen).«
»Cotidiana fornax nostra est humana lingua« (S. 230). - Und ewig aktuelle: »superflua divitum, necessaria sunt pauperum« (S. 20).
© Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer, ausgenommen die Originalzitate. Aus: www.walthari.com