Liebe zwischen „Eros“ und „Caritas“: Die wichtigste göttliche Tugend war das Thema des Würzburger Augustinus-Studientags. VON REGINA EINIG
Das brennende Herz ist in der bildenden Kunst mehr als ein bloßes Attribut des Kirchenvaters Augustinus (354-430). Es verweist auf seine „so trivial klingende und doch so tollkühne Überzeugung, dass der tiefste Grund und das höchste Ziel von Mensch und Welt ,Liebe‘ heißt“, stellte Christof Müller, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Augustinusforschung an der Universität Würzburg und Herausgeber des Augustinus-Lexikons am Freitag beim diesjährigen Augustinus-Studientag fest. Wie kein anderer Begriff steht die Liebe im Spannungsfeld von Missverständnissen und Wunschdenken. Dem Kirchenvater waren in der Deutung des Liebesbegriffs religiöse Ideale und Inhalte ebenso vertraut wie heidnische Banalisierung.
Die Lehre Augustins ist geprägt durch Platon
Als platonisch geprägter Christ habe Augustinus die Aufgabe übernommen, die heidnische Tradition des „Eros“-Gedankens mit dem biblischen Liebesgebot ins Verhältnis zu setzen und sogar positiv zu vermitteln, stellte Müller fest. Das weite Feld des „Herzstücks“ der Theologie und Philosophie Augustins zwischen „Konkupiszenz“ und „Caritas“ steckte er nuancenreich ab und ließ auch Überlegungen zur Sprache Augustins einfließen. Die mitunter kritisierte Zersplitterung des augustinischen Liebesbegriffs mochte er nicht in der Terminologie des Kirchenvaters auszumachen. Die umfassende Spannbreite des deutschen Wortes „Liebe“, das in seiner Semantik instinktgesteuerten Sex wie ganzheitliche menschliche Bindung, ebenso aufopfernden Einsatz für die Mitmenschen wie auch vergeistigten Transzendenzbezug bezeichnen kann, lasse sich mitnichten säuberlich in die lateinische Trias von „amor“, „dilectio“ und „caritas“ unterteilen. Augustinus verwende diese Vokabeln zwar nicht synonym, doch bildeten sie bei ihm eine ausgesprochen große Schnittmenge.
„Liebesordnung“ ist Schlüsselbegriff um Augustinus zu verstehen
Als Schlüsselbegriff zum augustinischen Liebesverständnis stellte Müller die sogenannte „Liebesordnung“ vor, in der sich die neuplatonische Seinshierarchie spiegele. Lieben bedeute für Augustinus daher, „eine Sache um ihrer selbst willen zu begehren“ – wobei das Höchstmaß der „Liebe“ im eigentlichen Sinn sich folgerichtig auf Gott, zu richten habe. Erst in ihm finde das unruhige Herz des Menschen seine Ruhe beziehungsweise seine Erfüllung.
Die Grenzen des augustinischen Liebesbegriffs verortete Müller an der theozentrisch-hierarchischen „Liebes-Ordnung“. Zum einen lasse Augustins Ethik, indem in ihrem intentionalen Ansatz alles auf den Letztzweck der Gottesliebe hinauslaufe, doch eine Leerstelle bei der Wahl der diesem Zwecke dienlichen Mittel: Der vielzitierte und häufig falsch interpretierte Spitzensatz des augustinischen Ethos „dilige et quod uis fac – liebe, und dann tue, was du willst“ steht Müller zufolge interessanterweise zuvörderst im Kontext der Donatisten-Bekämpfung und soll den zuletzt auch staatlich sanktionierten paternalistischen Druck auf die religiösen Abweichler legitimieren – zu deren eigenem Seelenheil und ganz gemäß der biblischen Weisheit und Weisung: „Wen Gott liebt, den züchtigt er“. Zum anderen vermöge der Kirchenvater zwar die Nächstenliebe in Beziehung zur Gottesliebe zu setzen, integriere aber die erotische Liebe nicht wirklich positiv.
War Augustinus ein Gegner des Eros?
Dass diese Haltung in der Antike keine Seltenheit darstellte, legte der Münchner Moraltheologe Christof Breitsameter in seinen Ausführungen über Augustinus und die sinnliche Liebe dar. Die Auffassung, sinnliche Liebe sei etwas grundsätzlich Verderbtes, darf Augustinus allerdings nicht unterstellt werden. Im Denken des Kirchenvaters spiegelt sich vielmehr ein Motiv heidnischer Philosophie, demzufolge der Mensch sich von Leidenschaften nicht überwältigen lassen darf, sondern durch Vernunft über seine Leidenschaften herrschen soll.
Breitsameter verteidigte Augustinus gegen den Vorwurf des Rigorismus. Im Unterschied zu anderen antiken Autoren differenziere der Kirchenvater zwischen Lust und Geschlechtlichkeit und verteidige die geschlechtliche Natur des Menschen als Schöpfung Gottes, die es schon im Paradies gab. Die Lust widerspreche dem ursprünglichen Bild des Schöpfers, während der Gebrauch der Geschlechtlichkeit innerhalb der Ehe gut sei: Ziel der Geschlechtlichkeit sei das Zeugen von Nachkommen.
Wie durch und durch personal der Liebesbegriff Augustins ist, veranschaulichte die Prager Philosophin Lenka Karfíková über die Liebe als ein Gleichnis der Dreifaltigkeit an dem Augustinus-Zitat aus dem Werk über die Dreieinigkeit „De trinitate VIII“: „Doch du siehst in der Tat die Dreifaltigkeit, wenn du die Liebe siehst.“ In Augustins Denken werde die Liebe zwischen zwei göttlichen Personen – Vater und Sohn – in einem Dritten personifiziert: dem Heiligen Geist, der als göttliche Gabe Vater und Sohn verbindet und zugleich die Dreifaltigkeit offenbart.
Der Weg zu Gott ist ein Aufstieg zur Wahrheit
Ausführlich ging Karfíková auf platonische Motive in Augustins Schrift über die Dreieinigkeit ein. Insbesondere Platons Vorstellung vom Aufstieg zur Wahrheit, zum Guten hat die augustinische Vorstellung des Weges zu Gott maßgeblich geprägt. Karfíková grenzte diesen geistlichen Aufstieg zugleich von Missverständnissen eines allein auf menschlicher Leistung beruhenden Kraftaktes ab. Die unvollkommene menschliche Erkenntnis brauche den Glauben. Letztlich gründe auch die Liebe des Menschen im Glauben. Die Aussage „Gott ist die Liebe“ aus dem ersten Johannesbrief verstehe Augustinus als völlige Gleichsetzung der Liebe mit Gott. Die Philosophin beschrieb, welche Konsequenz der Kirchenvater daraus zog: Liebe sei nicht nur ein Medium, sondern zugleich Gegenstand: „Wer den Nächsten liebt, liebt auch notwendigerweise die Liebe selbst“, daher sei Nächstenliebe für Augustinus eine Bedingung der Gottesliebe“. In diesem Punkt grenze sich der Kirchenvater von den Neuplatonikern ab.
Hannah Arendt und Augustinus
Frauke Kurbachers Ausführungen über die jüdische Publizistin Hannah Arendt (1906–75) und Augustinus rundeten den Studientag ab, der mit dem populären Missverständnis ausräumte, Augustinus habe mit dem viel zitierten Satz „liebe und dann tue, was du willst“ im Sinne einer Laissez-faire-Haltung argumentiert oder eine liberale Geisteshaltung an den Tag gelegt.
Nach Müllers Ankündigung, sich im Lauf des Jahres der Martin-Buber-Forschung zuzuwenden, bleibt zu hoffen, dass das Zentrum für Augustinusforschung auch in Zukunft als wissenschaftlich profilierte Adresse für Geisteswissenschaftler im Allgemeinen und Patristiker im Besonderen erhalten bleibt. Müllers überaus verdienstvolles Wirken für die Augustinusforschung ist indes noch nicht zu Ende: Im Lauf des Jahres soll der fünfte Band des Augustinus-Lexikons erscheinen.
© Die Tagespost vom 24.06.2021, Seite 13 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)
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