ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

DER SERMO 220 - EINE IN DER OSTERNACHT IN HIPPO GEHALTENE PREDIGT ÜBER DEN SINN DES OSTERFESTES

Von Cornelius Petrus Mayer OSA.

Thema des Sermo. Diese wohl noch in die Presbyterzeit Augustins zurückreichende Kurzansprache hat Grund, Sinn und Ziel des liturgischen Feierns überhaupt zum Thema - freilich im Blick auf Ostern. Gleich im ersten Satz formuliert der Prediger nicht nur den Kern der christlichen Verkündigung, nämlich dass Christus «für uns - pro nobis» gestorben ist (Rm 5,6), er fügt sogleich noch hinzu, dass dies nach der neutestamentlichen Verkündigung (cf. Hbr 7,27; 9,12) nur einmal geschehen ist. Er illustriert sodann dieses ‹pro nobis› rhetorisch wirksam durch eine aus zehn Gliedern bestehende Reihe von Gegenbegriffen. Sie sollen Christi Heilswerk dem Hörer möglichst plastisch vor Augen stellen: Der zu erlösende Mensch ist ein Sünder, ein Knecht, ein Gefangener, ein Kranker, ein Elender, ein Bedürftiger, ein Verlorener, ein in die Sklaverei Verkaufter, Teil einer Herde und nicht zuletzt ein Geschöpf. Demgegenüber ist der Erlöser der Gerechte, der Herr, der Freie, der Arzt, der Gesegnete, der Begüterte, der sich auf die Suche Begebende, der Loskäufer, der Hirt und wieder nicht zuletzt der Schöpfer.

Die Doppelnatur Christi. Wer dieser Christus ist, verdeutlichen abermals Gegensatzpaare seiner doppelten Natur: Christus ist verborgener Gott in menschlicher Gestalt. Er behielt was er zeitlos ist, seine göttliche Natur, gibt aber hin, was er in der Zeit geworden ist, sein menschliches Leben. Denn zum Werk der Erlösung war die Menschwerdung des Sohnes Gottes notwendig. An der sogenannten Inkarnationschristologie hielt der Kirchenvater fest. Gerade weil Christus an Gottes Kraft und Unveränderlichkeit teilhat, vermag er in der Schwäche und in der Leidensfähigkeit seiner menschlichen Natur unser Heil zu wirken, was der Prediger im Anschluss an den Römerbrief 4,26 mit dem doppelten ‹propter - wegen› bündig wiedergibt: ‹unserer Sünden wegen dahingegeben, unserer Rechtfertigung wegen auferweckt›.

Die Festfeier von Ostern und die ihr zugrunde liegende Wahrheit. Nach dieser kurzen, aber rhetorisch wie inhaltlich höchst konzisen Darstellung der Mitte des christlichen Glaubens, wendet der Prediger sich seinem Thema zu. Wieder geht er dialektisch vor, indem er das ‹ueritas - Wahrheit› genannte einmalige Osterereignis und die jährlich wiederkehrende ‹solemnitas - Festfeier› von Ostern, zwar einander gegenüberstellt, aber auch aufeinander bezieht. Die Wahrheit von Christi Kreuzestod und Auferstehung als ‹semel factum›, als ‹einmaliges Geschehen›, ist gewiss nicht identisch mit der ‹saepius celebranda solemnitas›, der ‹häufiger wiederkehrenden Festfeier›. Dennoch ‹west› das Geschehene - um mit dem Philosophen Heidegger zu sprechen - in der Festfeier, die durch das ‹factum celebrandum›, durch ‹das zu feiernde Geschehene›, auf das sich die Feier bezieht, das Geschehene dem Vergessen entreißt.

Ostern als Ereignis in der Geschichte und Ostern als kultische Feier dieses Ereignisses. Mit einer den Kennern der historisch-kritischen Exegese seltsam erscheinenden Auslegung des Psalmverses 75,11 versucht der Prediger die sachliche Differenz zwischen dem österlichen Ereignis in der Geschichte und der wiederholten Feier dieses Ereignisses zu erhärten. Die lateinische Übersetzung Augustins ist ein nicht leicht zu verstehender Text, der nicht den hebräischen Urtext, sondern bereits die Übersetzung der Septuaginta zur Vorlage hatte. Im besagten Vers ist von einer zweifachen ‹cogitatio› die Rede: einer ‹cogitatio hominis› und einer ‹reliquiae cogitationis› genannten. Unter der ersteren darf man wohl jenes Denken und Sinnen des Menschen verstehen, dessen Gegenstand das österliche Ereignis als solches zu sein scheint. Unter der zweiten hingegen eine Art residuales, reflexives, rückwirkendes, rück-ständiges Denken und Sinnen, dessen Gegenstand die kultische Feier, der sakramentale Vollzug des Osterfestes, ist. Wie bei den Sakramenten generell soll der ‹denkende Mensch› seine Aufmerksamkeit nicht auf die Zeichen, ‹signa›, sondern auf die von den Zeichen bezeichnete Sache, ‹res›, lenken. Daher die Mahnung, die ‹exhortatio›, gegen Ende des Sermo, die Feier der Osternacht kultisch so zu begehen, dass der Kult das Ereignis nicht zu-, sondern aufdeckt. Denn der Grund des Feierns ist nicht der Kult, sondern das dem Kult zugrundeliegende Ereignis der Auferstehung des Gekreuzigten.

Der an Christi Auferstehung gebundene Kult. Der mit seiner Gemeinde Ostern feiernde Augustinus wusste freilich als ehemaliger Manichäer, welche verhängnisvolle Rolle der vom Heilshandeln Gottes in der Zeit losgelöste Kult im Leben des Menschen spielen kann. Aber nicht nur die Manichäer, auch die paganen Religionen hatten ihre Mythen, die ihren Zauber allem voran durch den Kult auf die Feiernden ausübten. Man braucht nur an die diversen zur Zeit Augustins noch lebendigen Auferstehungsmythen zu denken, etwa an den Mythos von Isis, Osiris und Horus in Ägypten oder an den orientalischen Mythos vom Naturgott Adonis. Dass Christen Ostern nicht so feiern sollten, dies war dem predigenden Seelsorger ein zentrales Anliegen. Andererseits konnte Augustin als Seelsorger die suggestive Kraft des Kultes, die dieser gerade über die sakramentalen Feiern mit ihren ausgeprägten Riten auf Ungebildete wie auf Gebildete ausübte, nicht hoch genug einschätzen. Er erblickte in dem alljährlich wiederkehrenden österlichen Festkreis die wichtigste Zeit seiner pastoralen Aktivitäten. Gewissenhaft und gründlich bereitete er die ihm anvertrauten Gläubigen auf das Fest aller christlichen Feste vor, indem er sie anhielt, bei aller Feier, den Grund des Feierns nicht aus dem Auge zu verlieren. So gesehen war und ist der Kult ein Mittel der Verkündigung, auf den die Kirche nicht verzichten darf.

Rhetorische Kunstgriffe des Sermo 220. Abschließend sei noch auf einige rhetorische Kunstgriffe hingewiesen. Gegenbegriffe, Antithesen, wie die schon erwähnten, befinden sich nicht nur am Beginn des Sermo, sie durchziehen den ganzen Text. Christus ist als Erlöser ein ‹deus latens› und ‹homo apparens› (Homoioteleuton zugleich); ferner ein ‹uirtute uiuificans› (Alliteration) und ‹infirmitate moriens›, ein ‹diuinitate immutabilis› und ‹carne passibilis›. Deutlich und pointiert wird das ‹semel factum› des einmal Geschehenen von dem ‹saepius celebrandum› der kultischen Feier abgehoben. Einprägsame Formulierungen wie ‹noctis praeclara solemnitas› und ‹noctem illustrem facere›, sodann ‹doctos facere praedicta ueritate› und ‹irreligiosos facere deserta solemnitate› werden den Kenner und Liebhaber der lateinischen Sprache erfreuen und ergötzen.

Sermo CCXX   Predigt 220
scimus, fratres, et fide firmissima retinemus, ‹semel› Christum mortuum esse pro nobis; pro peccatoribus iustum, pro seruis dominum, pro captiuis liberum, pro aegrotis medicum, pro miseris beatum, pro egenis opulentum, pro perditis quaesitorem, pro uenditis redemptorem, pro grege pastorem, et quod est omnibus mirabilius, pro creatura creatorem: seruantem tamen quod semper est, tradentem quod factus est; deum latentem, hominem apparentem; uirtute uiuificantem, infirmitate morientem, diuinitate immutabilem, carne passibilem: ut ait apostolus, «qui traditus est propter delicta nostra, et resurrexit propter iustificationem nostram».   Wir wissen, Brüder, und wir halten daran aufs Zuversichtlichste fest, dass Christus ‹nur einmal› für uns gestorben ist: für die Sünder der Gerechte, für die Knechte der Herr, für die Gefangenen der Freie, für die Kranken der Arzt, für die Elenden der Gesegnete, für die Bedürftigen der Begüterte, für die Verlorenen der sie Suchende, für die in die Sklaverei Verkauften der Loskäufer, für die Herde der Hirt, und was über all das hinaus noch bewundernswerter ist, für die Geschöpfe der Schöpfer. Dieser behielt zwar, was er immer war, gab aber hin, was er geworden war, der verborgene Gott, der als Mensch erschien, der durch seine Kraft (alles) belebt, in seiner (menschlichen) Schwäche stirbt, der in seiner Gottheit seine Unveränderlichkeit bewahrt, aber im Fleisch sich der Leidensfähigkeit ausliefert, «der», wie der Apostel sagt, «wegen unserer Sünden dahingegeben wurde, und der wegen unserer Rechtfertigung auferweckt wurd(Rm 4,26).
hoc semel factum esse, optime nostis. et tamen solemnitas tanquam saepius fiat, reuolutis temporibus iterat, quod ueritas semel factum tot scripturarum uocibus clamat. nec tamen contraria sunt ueritas et solemnitas, ut ista mentiatur, illa uerum dicat. quod enim semel factum in rebus ueritas indicat, hoc saepius celebrandum in cordibus piis solemnitas renouat. ueritas quae facta sunt, sicut facta sunt aperit: solemnitas autem non ea faciendo, sed celebrando, nec praeterita praeterire permittit.   Ihr wisst sehr gut, dass dies einmal geschehen ist. Und dennoch ist es richtig, dass die Festfeier im Laufe der Zeit häufig (nur) das wiederholt, was die Wahrheit als das einmal Geschehene mit den Stimmen so vieler Schriften verkündet. Es stehen somit die Wahrheit (des einmal Geschehenen) und die (wiederkehrende) Festfeier (des einmal Geschehenen) in keinem Gegensatz zueinander. Man kann nicht sagen, letztere sei eine Fiktion, erstere (nur) Wirklichkeit. Was nämlich die Wahrheit als einmaliges Geschehen ankündigt, das erneuert die regelmäßig wiederkehrende Festfeier in den frommen Seelen. Die Wahrheit macht Geschehenes als solches offenbar, während die Festfeier das Geschehene nicht einfach wiederholt, sondern im Kult begeht, und es (auf diese Weise) dem Vergessen entreißt.
denique «pascha nostrum immolatus est Christus». ille utique semel occisus, qui «iam non moritur, mors ei ultra non dominabitur». proinde secundum uocem ueritatis, semel pascha dicimus factum, et ulterius non futurum: secundum autem uocem solemnitatis, omni anno dicimus pascha uenturum. sic intelligi arbitror quod in Psalmo scriptum est: «cogitatio hominis confitebitur tibi, et reliquiae cogitationis diem solemnem celebrabunt tibi». nisi enim quod de rebus temporaliter gestis dicitur cogitatio memoriae commendaret, nullas post tempus reliquias inueniret. ideo cogitatio hominis intuens ueritatem domino confitetur: reliquiae uero cogitationis quae sunt in memoria, notis temporibus non cessant celebrare solemnia, ne ingrata cogitatio iudicetur.   Mit einem Wort: «Unser ‹pascha›, Christus, ist geopfert worden» (1 Cor 5,7). Jener also wurde einmal getötet, der «nicht mehr stirbt, über den der Tod keine Macht mehr hat» (Rm 6,9). Aus diesem Grunde sprechen wir in bezug auf die Wahrheit von ‹Pascha› als von einem Geschehen, das in Zukunft nicht mehr wiederkehrt; in bezug auf die Festfeier hingegen sprechen wir vom ‹Pascha›, das jährlich wiederkehrt. Ich denke, auf solche Weise ist zu verstehen, was im Psalm geschrieben steht: «Des Menschen Gedenken soll es Dir bekennen, und die Reste vom Gedenken sollen Dir einen Festtag feiern» (Ps 75,11). Ihr seht, was bezüglich der Ereignisse in der Zeit gesagt wird: würde das Gedenken sie nicht dem Gedächtnis anvertrauen, so fände man von Vergangenem überhaupt nichts zurückgelassen. Aus diesem Grunde (dies besagt der Psalmvers) gilt das auf die Wahrheit (des österlichen Geschehens) konzentrierte Gedenken des Menschen dem Herrn; die übrigen jedoch im Gedächtnis zu kultischen Feiern in festgesetzten Zeiten aufbewahrten, verhindern, dass unser Gedenken als undankbar beurteilt werde.
ad hoc pertinet noctis huius tam praeclara solemnitas, ubi uigilando tanquam resurrectionem domini per cogitationis reliquias operemur, quam semel factam cogitando uerius confitemur.   Darauf bezieht sich die herrliche Festfeier unserer Osternacht, in der wir Vigil haltend durch den Rückstand unseres Denkens und Sinnens die Auferstehung des Herrn begehen, die wir als einmal stattgefundenes Ereignis unmittelbar bedenkend eigentlich angemessener bekennen.
quos ergo fecit doctos praedicata ueritas, absit ut faciat irreligiosos deserta solemnitas. haec istam noctem per totum mundum fecit illustrem. haec demonstrat christianorum agmina populorum, haec confundit tenebras Iudaeorum, haec euertit idola paganorum.   Es sei darum fern, dass uns, die die verkündete Wahrheit wissend gemacht hat, der Verzicht auf die Festfeier (dieser Wahrheit) der Irreligiosität zeihe. Sie (die Festfeier) hat (nämlich) diese Nacht auf der ganzen Welt in einen hellen Glanz versetzt. Sie macht die Heerscharen christlicher Völker sichtbar; sie zerreißt die Finsternis, in der sich die Juden (immer noch) befinden; sie wirft die Götzenbilder der Heiden über den Haufen.

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[PL 38 p. 1089] Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum