Der Sermo 262
Von Cornelius Petrus Mayer OSA
Datierung des Sermo.
Die Datierung dieser Predigt auf den 4. Mai des Jahres 411 lässt sich mit annähernder Sicherheit feststellen. Nach langen Auseinandersetzungen mit den Donatisten stand die Konferenz in Karthago vom 1.-8. Juni dieses Jahres unter der Leitung des Comes Marcellinus kurz bevor. Während der Bischofszeit Augustins fiel das Fest Christi Himmelfahrt zweimal auf den 4. Mai, im Jahr 411 und im Jahr 422. Die Anspielungen auf die Lehre der Donatisten im Abschnitt 3 sprechen für das Jahr 411 als Datum. Der 4. Mai war zugleich der Gedenktag des Lokalheiligen Leontius, des Märtyrers und Gründers der nach ihm benannten Basilika in Hippo . Offensichtlich wurde am Gedenktag dieses Heiligen stets eine Predigt über ihn gehalten. Aber nun müsse sein Gedenktag dem höheren Herrenfest weichen, erklärt der Prediger im Abschnitt 2.
Der christologisch-soteriologische Skopus des Sermo.
Mit der programmatischen Aussage, «Dominus Iesus» – wer erinnert sich beim Lesen dieser Predigt nicht an die gleichnamige Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre vom 6. 8. 2000? – eröffnet der Bischof seine Himmelfahrtspredigt. Zwar nennt er ‹den vierzigsten Tag nach seiner Auferstehung› als Datum der Himmelfahrt Christi und er historisiert auch im Unterschied zu der heutigen Exegese die österlichen Erzählungen des Neuen Testamentes, aber in den Darlegungen seiner Predigt spielt dies alles nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist ihm der Glaube über die zwei Naturen Christi, über die seiner zeitlos göttlichen und über die seiner menschlichen in der Zeit. Daran werden die Hörer zuallererst wieder durch die Gegensatzpaare (siehe die Erklärung zum Sermo 220) erinnert. Der ‹dominus Iesus› ist im Besitz aller Prädikate Gottes – freilich mit Ausnahme jener, die nach dem Trinitätsglauben der Kirche dem Vater und dem Hl. Geist als Personen reserviert sind. ‹Dominus Iesus› ist als der Inkarnierte ebenso im Besitz der Prädikate des Menschen. Nicht weniger wichtig ist der Glaube an das soteriologische Ziel der Menschwerdung. Nach dem Plan der Heilsgeschichte, in welche die vierzig Tage integriert sind, bewirkt er, der ‹dominus Iesus,› unsere Wiedergeburt, ermöglicht er unsere Teilhabe an seiner Unsterblichkeit: «er ist geboren, damit wir wieder geboren würden; er ist gestorben, damit wir nicht für immer stürben».
Der Glaube an die Himmelfahrt Christi – die Rolle der Zeugen.
Augustinus hat den Wahrheitsanspruch des Christentums bereits in seinen früheren Schriften zu begründen versucht, in der bald nach seiner Bekehrung im Jahr 386 entstandenen De ordine – Über die Ordnung, ferner in der um 390 geschriebenen De uera religione – Über die wahre Religion sowie der unmittelbar darauf um 391/392 verfassten De utilitate credendi – Über den Nutzen des Glaubens. Er stützte sich dabei vor allem auf das Begriffspaar ‹auctoritas – ratio›, Autorität und Vernunft. Er scheidet zwar beide, aber im Blick auf die Offenbarung lässt er sie aufeinander bezogen sein. Das beide Verbindende ist das inkarnierte ‹uerbum dei›, also der ‹dominus Iesus›, denn als das ‹uerbum› ist er der Inbegriff der Vernunft, der ‹ratio›, des lógoß, als solcher aber ist er Inhaber der nicht mehr hinterfragbaren Autorität . Mit dieser Autorität hat es der christliche Glaube letzten Endes nach Augustinus zu tun. Der Appell an die Glaubwürdigkeit der Zeugen im Abschnitt 3 der Predigt gründet darin. Deshalb bezieht auch der Prediger die Psalmverse 18,4-5 auf die, «die dies gesehen haben, und uns dies wissen ließen». Das verkündete Wort von der Himmelfahrt Christi, das soll das Psalmenzitat unterstreichen, ist nicht ihr, sondern Gottes Wort. Gerade als solches bewirkt es den Glauben, der die Glaubenden zum Feiern ‹auf dem ganzen Erdkreis› motiviert.
Christi Himmelfahrt im Lichte des Psalmverses 56,6.
Die Autorität Christi und der damit verbundene Glaubensanspruch ist auch der Bibel eigen. Sie ist sein Wort, er ist ihr eigentlicher Verfasser . Deshalb entfaltet der Prediger das Festgeheimnis vom Psalmvers «Erheb dich über die Himmel, Gott» ausgehend. Wie dies schon die frühe Kirche handhabte und wie die Liturgie dies bis zum heutigen Tag handhabt, erblickt Augustinus im zitierten Vers, der zur Tagesliturgie gehört haben dürfte, eine prophetische Voraussage, ein ‹praedictum›, das mit der Himmelfahrt Christi in Erfüllung ging . Der Vokativ, ‹deus – Gott› zielt unmöglich auf Gott, den Vater. Mit ihm ist der ‹Erniedrigte›, der Inkarnierte, gemeint. Und abermals kann sich der Prediger nicht genug tun, mit Hilfe der Evangelien im Erniedrigten, in dem im Mutterschoß Eingeschlossenen, in dem in der Krippe Liegenden etc. etc., den zu erkennen zu geben, der in Wahrheit als der Allmächtige die Erniedrigung lediglich zu unserem Heil auf sich nahm. Gleich einer umgekehrten Klimax bewegt und erstreckt sich diese Erniedrigung von der Menschwerdung bis zum Kreuzesgeschehen. Dem schon ‹Begrabenen›, der die äußerste Grenze der Erniedrigung erreicht hat, gilt sodann der Gottes Heilshandeln krönende Imperativ: «exaltare». Zu Recht soll der sich erheben, dessen Platz im Himmel ist. Flankiert wird das ‹exaltare› noch durch ein weiteres Psalmwort, wonach Gott es ist, ‹der den Hilflosen aus dem Staub emporhebt und den Armen aus dem Schmutz erhöht› (Ps 112,7-8). Geschickt bezieht der Prediger diese Verse zugleich auf den Glaubenden, denn ohne die Gnadengabe des Glaubens an den Gekreuzigten und Erhöhten, vermag auch der Mensch sich aus eigener Kraft nicht (ins Heil) zu erheben.
Der ekklesiologische Skopus der Himmelfahrt Christi.
Kennzeichnender Weise kommt Augustin bei seinen Ausführungen zur Himmelfahrt Christi auch auf die der Kirche zu sprechen. Er tut dies am Ende des Sermo. Der in den Himmel Aufgefahrene werde von den Glaubenden erwartet, denn der Gerichtete wird als Richter wiederkommen, sagt der Prediger in Übereinstimmung mit dem kirchlichen Credo. Nun hat Jesus seinen Aposteln richterliche Funktion bei seiner Wiederkunft verheißen (Mt 19,28). Das ‹exaltare› gilt somit auch ihnen, wenngleich erst in Form der Verheißung. Am Inkarnierten ist sie bereits in Erfüllung gegangen. Indes, im zitierten Psalmvers ist nach der allegorisierenden Exegese Augustins nicht nur von Christus, sondern auch von seiner Kirche die Rede. Ihr, der ‹gloria Christi›, der ‹Herrlichkeit Christi›, der ‹Braut›, der ‹Geliebten›, der ‹Taube› – der Prediger kann sich nicht genug tun, die Kirche zu preisen – gilt ebenso das ‹exaltare›. Die an die Himmelfahrt Christi glauben, werden darum zu Recht an der noch ausstehenden der Kirche festhalten. Auch im Zitat aus 1 Cor 11,7 sieht Augustinus seine Auslegung von Ps 56,12 bestätigt.
1. dominus Iesus, patris unigenitus et gignenti coaeternus, pariter inuisibilis, pariter immutabilis, pariter omnipotens, pariter deus; propter nos, ut nostis, et accepistis, et tenetis, factus est homo, forma assumpta humana, non amissa diuina: potens occultus, infirmus manifestus; sicut nostis, natus est, ut renasceremur; mortuus est, ne nos in aeternum moreremur.
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Der Herr Jesus, der Einziggeborene des Vaters und gleichewig dem Erzeuger, in gleicher Weise unsichtbar, in gleicher Weise unveränderlich, in gleicher Weise allmächtig, in gleicher Weise Gott, ist, wie ihr wisst, und wie ihr es (im Glauben ) empfangen habt und (daran) festhaltet, Mensch geworden, indem er menschliche Gestalt annahm, ohne die göttliche verloren zu haben. Er ist mächtig im Geheimen und augenscheinlich schwach. Wie ihr wisst, ist er geboren, damit wir wieder geboren würden; er ist gestorben, damit wir nicht für immer stürben. |
ille continuo, id est, die tertio resurrexit: nobis resurrectionem carnis in fine promisit. exhibuit se discipulorum oculis uidendum, manibusque tractandum; persuadens quod factus erat, non auferens quod semper erat. conuersatus est cum eis diebus quadraginta, sicut audistis, intrans et exiens, manducans et bibens; non iam indigentia, sed totum potentia: et manifestans eis carnis ueritatem, in cruce infirmitatem, a sepulcro immortalitatem.
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Jener ist bald darauf, nämlich am dritten Tag auferstanden und verhieß (auch) uns die Auferstehung des Fleisches am Ende der Tage. Er gab sich seinen Schülern zu sehen und ließ sich von ihren Händen berühren. Er überzeugte sie, dass er ist, was er wurde (nämlich Mensch), ohne aufzugeben, was er immer war (nämlich Gott). Er verkehrte vierzig Tage mit ihnen, wie ihr gehört habt, ein- und ausgehend, essend und trinkend - jetzt allerdings nicht mehr aus Bedürfnis, sondern aus der Fülle seiner Macht. (So) offenbarte er ihnen die Wahrheit seiner Menschwerdung, die Ohnmacht am Kreuz, die Unsterblichkeit durch die Auferstehung aus dem Grab. |
2. hodiernum ergo diem ascensionis ipsius celebramus. occurrit autem huic ecclesiae alia uernacula solemnitas. conditoris basilicae huius sancti Leontii hodie depositio est. sed dignetur obscurari stella a sole. ergo de domino potius, quod coeperamus, loquamur. gaudet bonus seruus, quando laudatur dominus. | 2. Heute feiern wir also den Tag seiner Himmelfahrt, wenngleich diese Kirche ein anderes, heimisches Fest begeht. Heute ist der Begräbnistag des hl. Leontius, des Gründers dieser Basilika. Es ziemt sich aber, dass ein Stern vor der Sonne verblasst. So lasst mich eher, wie ich begann, vom Herrn sprechen. Es erfreut doch den guten Diener, wenn sein Herr gepriesen wird. |
3. hodierno ergo die, hoc est, quadragesimo post resurrectionem suam, dominus ascendit in caelum. non uidimus: sed credamus. qui uiderunt praedicauerunt, et orbem terrarum impleuerunt. scitis qui uiderunt, et qui nobis indicauerunt: de quibus praedictum est, «non sunt loquelae neque sermones, quorum non audiantur uoces eorum. in omnem terram exiit sonus eorum, et in fines orbis terrae uerba eorum». ergo et ad nos uenerunt, et nos de somno excitauerunt. ecce celebratur hodiernus dies toto orbe terrarum | 3. An diesem heutigen Tag also, das ist der vierzigste nach seiner Auferstehung, stieg der Herr zum Himmel hinauf. Wir haben dies nicht gesehen, aber wir glauben es. Die dies gesehen haben, haben es verkündet, und (mit ihrer Botschaft) erfüllten sie den Erdkreis. Ihr wisst, wer sie waren, die dies sahen, und die dies uns wissen ließen: jene, von denen im Voraus verkündet wurde: «Es sind keine Worte, keine Reden, man hört deren Stimme nicht. (Dennoch) ergeht ihr Schall über alles Land, bis ans Ende der Welt ihre Sprache» (Ps 18,4-5). Somit erreichten (ihre Worte) auch uns, und sie weckten uns aus dem Schlaf. Siehe, (aus diesem Grunde) wird der heutige Tag auf dem ganzen Erdkreis gefeiert. |
4. recolite Psalmum. cui dictum est, «exaltare super caelos, deus»? cui dictum est? numquid deo patri diceretur, «exaltare», qui nunquam est humiliatus? exaltare tu: tu qui fuisti in uentre matris inclusus; tu qui in illa factus es, quam fecisti; tu qui in praesepi iacuisti; tu qui ubera tanquam paruulus in uena carnis suxisti; tu qui portans mundum, portabaris a matre: tu quem Simeon senex paruulum agnouit, magnumque laudauit: tu quem uidua Anna uidit sugentem, et cognouit omnipotentem: tu qui esuristi propter nos, sitisti propter nos, fatigatus es in uia propter nos: - numquid esurit panis, aut sitit fons, aut fatigatur uia? - tu qui omnia ista pertulisti propter nos: tu qui dormisti, et tamen non dormitas, custodiens Israel: postremo, tu quem uendidit Iudas, quem Iudaei emerunt, et non possederunt: tu apprehense, ligate, flagellate, spinis coronate, in ligno suspense, lancea percusse, tu mortue, tu sepulte, «exaltare super caelos, deus». | 4. Bedenkt den Psalm. Zu wem wurde gesagt: «Erheb dich über die Himmel, Gott» (Ps 56,6)? Wem wurde dies gesagt? Sollte es etwa Gott, dem Vater gesagt sein, «erhebe dich», der nie erniedrigt war? Du erhebe dich: du, der du im Schoß der Mutter eingeschlossen warst; du, der du in jener (Mensch) geworden bist, die du erschaffen hast; du, der du in der Krippe lagst; du, der du die Mutterbrust gleich einem Säugling in die Ader des Fleisches säugtest; du, der die Welt trug, wurdest von der Mutter getragen; du, den der Greis Simeon als Säugling erkannt hat und als Großen gepriesen hat; du, den die Witwe Anna als Säugling gesehen hat und als den Allmächtigen kennen lernte; du, der zu unserem Heil Hunger und Durst erlitt, der du dich müde wandertest für uns - kann denn das Brot hungern, die Quelle dürsten, der Weg ermüden? - du, der du dies alles unseretwegen erduldet hast: du, der schlief, und der du dennoch nicht schläfrig bist. der du über Israel wachst: du, den Judas verkaufte, den die Juden kauften und dennoch nicht besaßen, du, Ergriffener, Gefesselter, Gegeißelter, mit Dornen Gekrönter, ans Holz Gehängter, mit der Lanze Durchbohrter, du Toter, du Begrabener: «erheb dich über die Himmel, Gott». |
exaltare, inquit, exaltare super caelos, quia deus es. sede in caelo, qui pependisti in ligno. iudex exspectaris uenturus, qui exspectatus es iudicatus. quis ista credat, nisi illo faciente, qui erigit de terra inopem, et de stercore exaltat pauperem? ille ipse inopem carnem suam erigit, et collocat eam cum principibus populi sui, cum quibus iudicaturus est uiuos et mortuos. cum eis collocauit hanc inopem carnem, quibus dicit: «sedebitis super duodecim sedes, iudicantes duodecim tribus Israel». | Erheb dich, sagt er, erheb dich über die Himmel, denn Gott bist du. Ergreife deinen Platz im Himmel, der du am Holz hingst. Du wirst erwartet als Richter, der du erwartet wurdest als Gerichteter. Wer will dies alles glauben, wenn nicht jener dies bewirkt, der den Hilflosen aus dem Staub empor hebt und aus dem Schmutz den Armen erhöht? (cf. Ps 112,7-8)? Jener selbst erhöht sein armseliges Fleisch und er setzt es an die Seite der Fürsten seines Volkes, mit denen er die Lebenden und die Toten richten wird. Er hat sein hilfloses Fleisch an die Seite jener gesetzt, denen er sagte: «Ihr werden auf zwölf Thronen sitzen, um die zwölf Stämme Israels zu richten» (Mt 19,28). |
5. «exaltare» ergo «super caelos, deus». iam factum est, iam impletum est. sed dicimus, quomodo futurum praedictum est, «exaltare super caelos deus»; non uidimus, sed credimus: ecce ante oculos nostros est quod sequitur, «exaltare super caelos, deus, et super omnem terram gloria tua». non credat illud, qui non uidet istud. quid est enim, «et super omnem terram gloria tua»? nisi, super omnem terram ecclesia tua, super omnem terram matrona tua, super omnem terram sponsa tua, dilecta tua, columba tua, coniux tua. ipsa est gloria tua, «uir quidem», ait apostolus, «non debet uelare caput, cum sit imago et gloria dei: mulier autem gloria uiri». si mulier gloria uiri ecclesia gloria Christi. | 5. «Erhebe dich» also «über die Himmel, Gott». Dies ist bereits geschehen, dies ist bereits erfüllt. Aber, sagen wir, auf welche Weise ist Künftiges vorhergesagt, (wenn es heißt), «erhebe dich über die Himmel, Gott». Wir haben dies nicht gesehen, sondern wir glauben es. Siehe (jedoch), es steht noch aus, was im Vers unmittelbar folgt: «Erhebe dich über die Himmel, Gott, und deine Herrlichkeit über die ganze Erde» (Ps 56,12). Es werde jenes nicht glauben, wer dieses nicht sieht. Was heißt es denn, «und deine Herrlichkeit über die ganze Erde», wenn nicht deine Kirche über die ganze Erde, wenn nicht deine Gattin über die ganze Erde, wenn nicht deine Braut über die ganze Erde, wenn nicht deine Geliebte, deine Taube, deine Gemahlin. Sie selbst ist deine Herrlichkeit. «Der Mann nämlich», sagt der Apostel, «braucht nicht sein Haupt zu verhüllen, da er Gottes Ebenbild und Herrlichkeit ist; die Frau aber ist die Herrlichkeit des Mannes» (1 Cor 11,7). Wenn (also) die Frau des Mannes Herrlichkeit ist, so ist die Kirche die Herrlichkeit Christi. |
[PL 38 p. 1207-1209] Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum]