ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

Sermo 256

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Datierung des Sermo.

Augustinus war bereits als Priester ein so berühmter Prediger, dass er während des Generalkonzils der Gesamtprovinz Afrika, das am 23. Oktober 393 in Hippo abgehalten wurde, vom versammelten Episkopat beauftragt wurde, die Predigt über das Thema ‹De fide et symbolo – Über Glaube und Bekenntnis› zu halten . Verständlicherweise war dies erst recht bei jenen Konzilien der Fall, an denen er bereits als Bischof teilnahm. Für die Datierung des vorliegenden Sermo 256 gibt es äußere wie innere Kriterien . Wie der letzte Satz dieses Sermo verrät, hielt der Bischof ihn am 5. Mai 418. Denn auf den 6. Mai fiel das Fest der Heiligen Marianus und Jacobus (beide afrikanische Märtyrer und deshalb in Karthago gefeiert). Augustin verschob jedoch die zu Ehren dieser Märtyrer fällige Predigt auf den darauf folgenden Mittwoch mit der Begründung, er sei der Arbeit auf dem Konzil verpflichtet und dort wohl unabkömmlich. Wie der Tenor des Sermo 256 erkennen lässt, behandelte man auf jener großen afrikanische Synode die ‹causa›, den theologischen Streitfall der Pelagianer. Dabei ging es, wie noch näher zu zeigen sein wird, vorzüglich um das schriftgemäße Verständnis der Begehrlichkeit und der diese überwindenden Gnade. Dennoch zählt der Sermo im Blick auf die Interpretation des ‹Alleluja› mit zu den schönsten Sermones der Osterzeit.

Der österliche Charakter des Sermo und sein Kernthema: die gegenwärtige Verfassung des Menschen im ‹Todesleib›.

Der 5. Mai dürfte 418 ein Sonntag in der Quinquagesima der Osterzeit gewesen sein. In dieser Zeit, so belehrt uns Augustinus des öfteren, erscholl in den Gottesdiensten der Kirche das Alleluja. Mit diesem Gedanken eröffnet er auch diesen Sermo, indem er seine Freude darüber zum Ausdruck bringt, zusammen mit den Brüdern in Karthago das Alleluja singen zu dürfen, und zwar «mit dem Leben und mit der Zunge, mit dem Herzen und mit dem Mund, mit den Stimmen und mit den Sitten». Nun ist der Alleluja-Gesang ein Himmel und Erde umfassendes Gotteslob. Engel und Menschen singen es, freilich in unterschiedlicher Verfassung, denn im Himmel gibt es kein ‹Gesetz in den Gliedern, das mit dem Gesetz des Geistes in Streit liege›. Mit dieser Anspielung auf Rm 7,23 ist der Prediger bei seinem Thema: die gegenwärtige Verfassung des Menschen im ‹Todesleib›.

Die Tragik des schuldverfallenen Menschen.

Der Mensch ist ein ‹Bekümmerter – sollicitus›, stellt der Prediger zunächst fest. Er lebt inmitten der Versuchungen, so belehrt ihn die Hl. Schrift (Iob 7,1; Mc 14,38; Mt 6,12sq.). Sie belehrt ihn aber auch darüber, dass Gott, dem unser Alleluja gerade inmitten unseres Bekümmertseins gilt, uns vom Bösen befreit. Allein, die Pelagianer verkennen als Feinde der paulinischen Erlösungslehre die Bedeutung der göttlichen Hilfe bei der Beantwortung der Frage des Menschen: wie wird mir Heil zuteil? Pointiert verweist der Prediger seine Zuhörer auf ihre eigene Selbsterfahrung: «Kehre zu dir zurück und betrachte dich selbst». Die Verflechtung des Bösen mit dem eigenen Ich kann ernsthaft Reflektierenden nicht entgehen. Die Befreiung vom Bösen ist eng an die Befreiung des Menschen von sich selbst gebunden. Das ist der Zirkel des Bösen, dem keiner aus eigener Anstrengung entrinnt. Der Apostel Paulus, der reichlich zitiert wird, spricht treffend von einem ‹anderen Gesetz der Sünde, das in seinen Gliedern herrscht und ihn gefangen hält› (Rm 7,22-23). – Der Prediger fingiert nur einen Dialog. Einer dieser fingierten Gesprächspartner, offensichtlich ein Pelagianer, möchte ‹das andere Gesetz› aus Rm 7,22-23, das jeden Menschen bedrängt, als Fremdbestimmung verstanden wissen. Aber Augustin insistiert auf der Aussage der Römerstelle, dieses ‹andere Gesetz› herrsche gerade auch in den Gliedern des Apostels. Und weil dieser paradigmatisch von sich spreche, schreie er eigentlich in allen Menschen: «Ich unglücklicher Mensch, wer wird mich befreien?» Befreien wovon? Nicht aus den Engpässen des Lebens – solche Antwort suggerieren wieder die Gegner der Gnade -, sondern «aus diesem Todesleib», antwortet der Prediger Rm 7,24 zitierend.

Die Frage nach der Befreiung des Menschen vom ‹Todesleib›.

Ein zweiter Gesprächspartner versucht den ‹Todesleib› im Sinne der platonischen Philosophie zu interpretieren. Dieser sei nur eine Art Kerker der Geistseele, nicht das Ich, das im Sinne jener Philosophie allein der ‹Geist – spiritus› ist. Der folgende Passus zeigt, wie lebendig Augustinus predigte, indem er die Zuhörer fiktiv in den Disput mit einbezog. Zugleich tut er dies mit dem Apostel Paulus, ‹dem erlesenen Gefäß› (Act 9,15), dem eine christliche Zuhörerschaft die Kompetenz aufgrund seiner Autorität im anstehenden Disput gewiss nicht absprechen könne. Rhetorisch effektiv wendet er sich an ihn: «Antworte du, Apostel; antworte, ich beschwöre dich!» und nicht weniger affektiv appelliert er an die Zuhörer, das vom Apostel Verkündete zu hören, das von ihm Geschriebene zu lesen und kurz, alles Geschehene zu glauben. Thesenhaft lässt der Prediger sodann den Standpunkt des Platonikers wiederholen, und darauf den Apostel seine Lehre entfalten.

Das paulinische Bekenntnis von der siegreichen Gnade Christi.

Der fingierte Disput konzentriert sich zunächst auf die Klärung des Begriffes ‹Todesleib – corpus mortis huius›. Der Prediger lässt eine Sequenz von Fragen vom Apostel beantworten. Danach wohnt das ‹Ich – ego› zwar sowohl ‹in mente – in der Vernunft› als auch ‹in carne – im Fleisch›, aber in einer eigentümlichen Spaltung. Die Begriffe ‹mens› und ‹caro›, häufiger ‹spiritus› und ‹caro› , bezeichnen bei Augustinus den durch die Sünde herbeigeführten Zwiespalt im Menschen, und zwar auch in dem schon erlösten, aber noch hier in der Vergänglichkeit lebenden, eschatologisch unvollendeten. Dieser Christ-Mensch ist nach dem Selbstverständnis des Apostels von Fall zu Fall ein ‹Sieger – uictor›, nämlich dann, wenn er der Versuchung widersteht, aber prinzipiell ist er ‹ein Kämpfer – luctator›. Der Disput verlagert sich nun auf die Frage nach der Befreiung vom Todesleib. Wird dieser bei der eschatologischen Vollendung des Menschen vernichtet, so dass dieser nur als ‹spiritus – Geist› weiter lebt? Nein, lässt Augustinus den Apostel antworten. Jener, dessen Tod bereits bevorsteht, trennt sich nur ‹auf Zeit – ad tempus› von seinem Leib ‹als Fleisch – caro›. Es gibt eine Rückkehr in den Leib, allerdings nicht mehr in diesen ‹Todesleib – caro mortis huius›. Der Apostel lehrt nämlich, ‹dieses Verderbliche› und ‹dieses Sterbliche›, womit der Leib gemeint ist, müsse sich ‹mit Unverderblichem› und ‹mit Unsterblichem› bekleiden (1 Cor 15,53). Der Prediger redet aber nicht einem ‹anderen› Leib das Wort, sondern demselben: «ipsum accipio – ihn selbst empfange ich». So lautet die österliche Botschaft, die von der Erfüllung der jesajanischen Verheißung kündet: «Der Tod wurde durch den Sieg verschlungen». Für die Sünde werde dann kein Platz mehr sein. Daher solle das Alleluja erschallen.

Der Sinn und das Ziel des österlichen Alleluja-Gesanges.

Der österliche Alleluja-Gesang hat aber hier und jetzt schon seinen hinreichenden Grund. Denn, so fährt Augustinus im dritten Teil seiner österlichen Predigt 1 Cor 10,13 zitierend weiter, wenngleich der Mensch den Gefahren und Versuchungen der Welt ausgesetzt ist, so lässt Gott es doch nicht zu, dass dieser ‹über seine Kraft hinaus› versucht wird. Gott schafft mit der Versuchung auch den Ausweg; er verleiht das ‹sustinere posse›, das ‹Überstehenkönnen› . Der Prediger legt bei allem Unterschied zwischen dem gegenwärtigen (‹modo›) und dem künftig verherrlichten (‹tunc›) Status des Leibes größten Wert auf dessen Identität. Als Begründung dafür dient ihm Rm 8,10sq., wonach es Gottes Geist ist, der sowohl die Auferweckung Christi von den Toten als auch die endzeitliche Verlebendigung der sterblichen Leiber der Menschen bewirkt. Er differenziert aber – rhetorisch wieder durch die Sequenz von ‹hic – ibi› bzw. ‹illic› äußerst wirkungsvoll – hinsichtlich der Verfassung derer, die hier wie dort das gleiche Alleluja singen. Jedoch, dem Prediger geht es um den Alleluja-Gesang «jetzt – modo». Die ‹adhortatio – Ermahnung› als fester Bestandteil der Predigt hat dies zum Inhalt. Sie gehört mit zu den gelungensten und auch meistzitierten Texten aus dem Predigtwerk des Bischofs. Der treffende Vergleich des Alleluja-Gesanges mit dem Gesang beim Wandern ermöglicht es dem Prediger, die Aufmerksamkeit des Hörers auf den wichtigen Fortschritt im geistig-geistlichen Leben zu lenken. Die besagte ‹adhortatio› kann nicht mehr kürzer und bündiger zum Ausdruck gebracht werden als mit dem Imperativ: «canta et ambula»! «Ambula» steht für das «in bono profice – im Guten schreite voran»! Wohl im Blick auf die in der Predigt dargelegte Lehre von der Gnade, die der Ostern auferstandene Herr wirkt, vergisst Augustinus nicht hinzuzufügen: «in recta fide profice – im rechten Glauben schreite voran» – dann freilich auch «in bonis moribus – in guten Sitten», denn beide zusammen garantieren das ‹in bono proficisci – das Fortschreiten im Guten›. Rhetorisch wieder meisterhaft der Schlusssatz, ein unüberhörbarer Nachklang: «noli errare, noli redire, noli remanere – geh nicht in die Irre, schreite nicht rückwärts, bleib nicht zurück»!

 

Sermo 256

1. quoniam placuit domino deo nostro, ut hic constituti praesentia corporali, etiam cum uestra caritate illi cantaremus alleluia, quod Latine interpretatur, ‹laudate dominum›; ‹laudemus dominum›, fratres, uita et lingua, corde et ore, uocibus et moribus. sic enim sibi dici uult deus alleluia, ut non sit in laudante discordia. concordent ergo prius in nobis ipsis lingua cum uita, os cum conscientia. concordent, inquam, uoces cum moribus, ne forte bonae uoces testimonium dicant contra malos mores.

Predigt 256

1. Dem Herrn unserem Gott hat es gefallen, dass ich in meiner Anwesenheit in Liebe vereint mit Euch das ‹Alleluja› singen durfte, das in Latein (Deutsch) so viel bedeutet wie ‹lobet den Herren›; ‹lasst uns den Herrn loben›, Brüder, mit dem Leben und mit der Zunge, mit dem Herzen und mit dem Mund, mit den Stimmen und mit den Sitten. Auf solche Weise will nämlich Gott von uns das Alleluja gesungen wissen: es sei keine Zwietracht im Lobenden. Es sollen also in uns die Zunge mit dem Leben übereinstimmen, der Mund mit dem Gewissen. Ich wiederhole, übereinstimmen sollen die Stimmen mit den Sitten, damit nicht etwa die guten Stimmen gegen die schlechten Sitten Zeugnis ablegen.

o felix alleluia in caelo, ubi templum dei angeli sunt. ibi enim concordia summa laudantium, ubi est exsultatio secura cantantium: ubi nulla ‹lex in membris repugnat legi mentis›; ubi non est rixa cupiditatis, in qua periclitetur uictoria caritatis. hic ergo cantemus alleluia adhuc solliciti, ut illic possimus aliquando cantare securi. O seliges Alleluja im Himmel, wo die Engel Gottes Tempel sind. Dort nämlich herrscht höchste Eintracht unter den Lobenden, wo der unbekümmerte Jubel der Singenden herrscht, wo keinerlei ‹Gesetz in den Gliedern mit dem Gesetz des Geistes im Streit liegt› (cf. Rm 7,23), wo es keinen Hader der Begierde gibt, der den Sieg der Liebe gefährdet. Hier also lasst uns als Besorgte das Alleluja so singen, auf dass wir es einst dort ohne Sorgen singen können.
quare hic solliciti? non uis ut sim sollicitus, quando lego, «numquid non tentatio est uita humana super terram?» non uis ut sim sollicitus, quando mihi adhuc dicitur, «uigilate et orate, ne intretis in tentationem»? non uis ut sim sollicitus, ubi sic abundat tentatio, ut nobis ipsa praescribat oratio, quando dicimus, «dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris»? quotidie petitores, quotidie debitores. uis ut sim securus, ubi quotidie peto indulgentiam pro peccatis, adiutorium pro periculis? cum enim dixero propter praeterita peccata, «dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris»: continuo propter futura pericula addo et adiungo, «ne nos inferas in tentationem». quomodo est autem populus in bono, quando mecum clamat, «libera nos a malo»? Weshalb sind wir hier bekümmert? Willst du nicht, dass ich bekümmert sei, da ich doch lese: «Ist nicht Versuchung des Menschen Leben auf Erden?» (Job 7,1) Willst du nicht, dass ich bekümmert sei, da mir doch gesagt wird: «Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet»? (Mc 14,38). Willst du nicht, dass ich bekümmert sei, wo doch die Versuchung derart überhand nimmt, dass selbst das Herrengebet uns mit den Worten zu beten anleitet: «Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern»? (Mt 6,12). Täglich sind wir somit Bittsteller, täglich Schuldner. Willst du, dass ich unbekümmert sei, wo ich doch täglich um Vergebung meiner Sünden bitte und um Hilfe in Gefahren? Sage ich (jedoch) im Blick auf die vergangenen Sünden, «vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern» so füge ich im Blick auf die künftigen Gefahren sogleich noch hinzu: «und führe uns nicht in Versuchung» (Mt 6,13). Wie sollte sich das Volk in einem guten Zustand befinden, wenn es mit mir schreit: «befreie uns von dem Bösen»? (ib.)
et tamen, fratres, in isto adhuc malo cantemus alleluia deo bono, qui nos liberat a malo. quid circum inspicis unde te liberet, quando te liberat a malo? noli longe ire, noli aciem mentis circumquaque distendere. ad te redi, te respice. tu es adhuc malus. quando ergo deus te ipsum liberat a te ipso, tunc te liberat a malo. apostolum audi; et ibi intellige a quo malo sis liberandus. «condelector», inquit, «legi dei secundum interiorem hominem; uideo autem aliam legem in membris meis repugnantem legi mentis meae, et captiuantem me in lege peccati, quae est». ubi? «captiuantem», inquit, «me in lege peccati, quae est in membris meis». Und dennoch, Brüder, lasst uns in dieser immer noch bösen Zeit das Alleluja singen dem guten Gott, der uns vom Bösen befreit. Was siehst du herum, wovon er dich befreien soll, wenn er dich vom Bösen befreit? Du brauchst nicht in die Weite gehen, du brauchst dein Augenmerk nicht rundherum schweifen lassen. Kehre zu dir zurück und betrachte dich selbst. Immer noch bist du böse. Wenn also Gott dich selbst von dir selbst befreien wird, dann wird er dich auch vom Bösen befreien. Höre den Apostel (Rm 7,22-23) und verstehe dort das Böse, von dem du befreit werden sollst: «Ich freue mich», sagt er, «am Gesetz Gottes in meinem Inneren; ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meines Geistes im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, das herrscht ...» - wo? - «das mich gefangen hält», sagt er, «im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht».
putaui quia captiuauit te sub nescio quibus ignotis barbaris: putaui quia captiuauit te sub nescio quibus gentibus alienis, uel sub nescio quibus hominibus dominis. Ich dachte, es habe dich unter irgendwelchen unbekannten Barbaren gefangen gehalten; ich dachte, es habe dich unter irgendwelchen fremden Stämmen, unter irgendwelchen Herrschaften gefangen gehalten.
«quae est», inquit, «in membris meis». exclama ergo cum illo: «miser ego homo, quis me liberabit?» unde quis liberabit? dic unde. alius dicit ab optione, alius de carcere, alius de barbarorum captiuitate, alius de febre atque languore: dic tu, apostole, non quo mittamur, aut quo ducamur; sed quid nobiscum portemus, quid nos ipsi simus, dic: «de corpore mortis huius». de corpore mortis huius? «de corpore», inquit, «mortis huius». «Das (Gesetz) herrscht», sagt er (aber), «in meinen Gliedern». Schrei also mit ihm: «Ich unglücklicher Mensch, wer wird mich befreien?» Wer wird wovon befreien? Sag, wovon! Der eine sagt, von der Willkür, der andere aus dem Gefängnis, der Dritte aus der Gefangenschaft der Barbaren, der Vierte aus dem Fieber und aus dem Siechtum. Sag du es, Apostel, nicht wohin wir gesendet oder wohin wir geführt werden, sondern was wir mit uns herumschleppen, was wir selber sind. Sag es: «Aus diesem Todesleib». Aus diesem Todesleib? Ja, so sagt er: «Aus diesem Todesleib» (Rm 7,24).

2. alius dicit: corpus mortis huius non ad me pertinet: carcer meus est ad tempus, catena mea est ad tempus: in corpore mortis sum ego; non corpus mortis sum ego. argumentaris, ideo non liberaris. ego enim, inquit, spiritus sum; caro non sum, sed in carne sum: cum fuero liberatus a carne, quid erit mihi deinde cum carne? huic argumentationi uultis, fratres, ut ego respondeam, an apostolus? si ego respondero, contemnetur fortassis magnitudo uerbi propter uilitatem ministri. taceo potius. audi mecum doctorem gentium: audi mecum uas electionis, ut a te tollatur controuersia dissensionis.

2. Ein anderer mag sagen: Dieser Todesleib ficht mich nicht an; er ist auf Zeit mein Kerker, auf Zeit meine Kette. Ich befinde mich zwar in einem Todesleib, ich bin aber nicht der Todesleib. Du argumentierst, daher wirst du auch nicht befreit. Ich bin nämlich, so sagt er (weiter), Geist und nicht Fleisch, wenngleich ich im Fleisch bin. Werde ich also einst vom Fleisch befreit sein, was werde ich dann mit dem Fleisch zu tun haben? Brüder, wollt ihr, dass ich diesem Argument antworte oder der Apostel? Wenn ich antworte, wird vielleicht die Größe des Wortes wegen der Niedrigkeit des Dieners verachtet werden. Ich schweige (also) besser. Höre mit mir den Lehrer der Heiden, höre mit mir das Gefäß der Erwählung, damit von dir der Streit der Meinungsverschiedenheit genommen wird!

audi, sed dic prius quod dicebas. nempe hoc dicebas: non sum ego caro, sed spiritus sum. in carcere meo gemo: quando fuerit hoc uinculum et hoc ergastulum dissolutum, ego liber abscedo. terra terrae redditur, spiritus caelo recipitur: uado ego, dimitto quod non sum. ergo hoc dicebas? hoc, inquit.

 

Höre, aber wiederhole, was du vorher gesagt hast: Hast du nicht gesagt: Ich bin nicht Fleisch, sondern Geist. In meinem Kerker seufze ich. Wann (endlich) werden diese Fessel und dieses Zuchthaus zunichte werden, so dass ich als freier Mensch (von hinnen) scheide! Die Erde wird der Erde wiedergegeben, der Geist wird durch den Himmel aufgenommen. So fahre ich dahin; ich verlasse, was ich nicht bin. Hast du dies gesagt? Ja, sagte er, dies.
non tibi ego respondeo: responde, apostole; responde, obsecro te. praedicasti, ut audireris; scripsisti, ut legereris; totum factum est, ut credereris. dic: «quis me liberabit de corpore mortis huius? gratia dei per Iesum Christum dominum nostrum». Ich antworte dir nicht. Antworte du, Apostel; antworte, ich beschwöre dich! Du hast gepredigt, damit man dich hört; du hast geschrieben, damit man dich liest; all das ist geschehen, damit man dir glaubt. Sprich: «Wer befreit mich aus diesem Todesleib? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn» (Rm 7,24b-25a).
unde te liberat? «de corpore mortis huius». Wovon befreit er dich? «Von diesem Todesleib».

sed non es tu ipse corpus mortis huius? respondet: «igitur ipse ego mente seruio legi dei, carne autem legi peccati».

 

Bist aber nicht du selbst dieser Todesleib? Er antwortet: «So diene ich selbst mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde» (Rm 7,25b).

sed «ipse ego»: quomodo per diuersa ipse tu? ‹mente›, inquit, quia diligo; ‹carne›, quia concupisco: uictor quidem, si non consentio; adhuc tamen luctator, urgente aduersario.

 

Aber (dieses) «ich selbst», wie kann dies bei unterschiedlichen Dingen zu deinem ‹du selbst› werden? ‹Mit der Vernunft›, sagt er, (diene ich) weil ich liebe; ‹mit dem Fleisch› (sagt er, diene ich), weil ich begehrlich bin. Zwar bin ich Sieger, wenn ich (der Begierde) nicht zustimme; dennoch aber (bin ich) immer noch auch ein Kämpfer, ein vom Gegner Bedrängter.
et quomodo cum fueris, o apostole, ab hac carne liberatus, iam non eris tu nisi spiritus? respondet apostolus, morte iam imminente, debito quod nemo euadit: carnem non in aeternum pono, sed ad tempus sepono. Wie aber, du Apostel, (wie aber) wird es sein, wenn du von diesem Fleisch befreit sein wirst? Wirst du dann nur mehr Geist sein? Der Apostel antwortet, da mein Tod bereits bevorsteht, bin ich wie jedermann sein Schuldner. Ich lege das Fleisch nicht für immer ab, sondern auf Zeit beiseite.
ergo rediturus es ad corpus mortis huius? et quid? ipsius uerba potius audiamus. Wirst du also zu diesem Todesleib zurückkehren? Und wozu? Lasst uns vorzüglich seinen Worten lauschen.
quomodo redis ad corpus, unde tam pia uoce liberandum te esse clamasti? respondet: redeo quidem ad corpus, sed iam non mortis huius. Auf welche Weise wirst du zu deinem Leib zurückkehren, von dem du befreit werden wolltest, wie du mit so frommem Flehen wünschtest? Er antwortet: Zwar kehre ich zum Leib zurück, aber nicht mehr zu diesem Leib des Todes.
audi, imperite, contra quotidianas lectionum uoces surde: audi quomodo redit ad corpus quidem, sed non mortis huius. non quia aliud erit corpus, sed quia «oportet corruptibile hoc induere incorruptionem, et mortale hoc induere immortalitatem». Höre, du Unkundiger, unfähig, die Verkündigung der täglichen Lesungen wahrzunehmen; höre, auf welche Weise er zum Leibe zwar zurückkehrt, aber nicht zu dem des Todes. Nicht, weil der Leib ein anderer sein wird, sondern weil «dieses Verderbliche sich mit der Unverderblichkeit und dieses Sterbliche sich mit der Unsterblichkeit bekleiden muss» (1 Cor 15,53).

fratres mei, quando dicebat apostolus corruptibile hoc, mortale hoc, quodam modo carnem sua uoce tangebat. non ergo aliud. non, inquit, pono corpus terrenum, et accipio corpus aereum, aut accipio corpus aethereum. ipsum accipio, sed non iam mortis huius. quia «oportet corruptibile», non aliud, sed «hoc, induere incorruptionem; et mortale», non aliud, sed «hoc, induere immortalitatem. tunc fiet sermo qui scriptus, est, absorpta est mors in uictoriam». cantetur alleluia. «tunc fiet sermo qui scriptus est»: qui sermo, non iam pugnantium, sed triumphantium: «absorpta est mors in uictoriam». cantetur alleluia. «ubi est, mors, aculeus tuus?» cantetur alleluia. «aculeus autem mortis est peccatum». sed «quaeres locum eius, et non inuenies».

Meine Brüder, als der Apostel sagte, ‹dieses Verderbliche, dieses Sterbliche›, da berührte er gleichsam das Fleisch mit seiner Stimme. Es ist also kein anderer Leib. Er sagte, ich lege nicht den irdischen Leib ab, und empfange (an seiner Stelle) einen luftartigen, oder einen ätherischen. Ich empfange denselben, allerdings nicht mehr den dieses Todes. Denn, «Verderbliches» - kein anderes, sondern «dieses (Verderbliche) - «muss sich mit der Unverderblichkeit bekleiden; und «Sterbliches» - kein anderes, sondern «dieses (Sterbliche) - «muss sich mit der Unsterblichkeit bekleiden. Dann wird sich das Wort erfüllen, das geschrieben wurde: ‹Der Tod wurde durch den Sieg verschlungen›» (1 Cor 15,53-54; Is 25,8). Es möge (daher) das Alleluja gesungen werden! «Dann wird sich das Wort erfüllen, das geschrieben wurde». Das Wort - nicht mehr der Kämpfenden, sondern der Triumphierenden: «Der Tod wurde durch den Sieg verschlungen». Es möge (daher) das Alleluja gesungen werden! «Tod, wo ist dein Stachel?» Es möge das Alleluja gesungen werden! «Der Stachel des Todes aber ist die Sünde» (1 Cor 15,55sq.). Aber, «willst du ihren Platz suchen, du wirst ihn nicht finden» (Ps 36,10)

3. sed etiam hic inter pericula, inter tentationes, et ab aliis, et a nobis cantetur alleluia. «fidelis enim deus, qui non permittet», inquit, «uos tentari super id quod potestis». ergo et hic cantemus alleluia. adhuc est homo reus, sed fidelis est deus. non ait, non permittet uos tentari: sed, «non permittet uos tentari super id quod potestis; sed faciet cum tentatione etiam exitum, ut possitis sustinere».

 

3. Aber auch hier, zwischen den Gefahren und zwischen den Versuchungen, möge von anderen und von uns das Alleluja erklingen. «Gott ist nämlich getreu»; sagt der Apostel, «er wird es nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet» (1 Cor 10,13). Daher lasst uns auch hier das Alleluja singen! Zwar ist der Mensch immer noch ein Angeklagter, aber Gott ist treu. (Der Apostel) sagt nicht, (Gott) lässt es nicht zu, dass ihr versucht werdet, sondern: «er lässt es nicht zu, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet; er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, so dass ihr sie überstehen könnt».

intrasti in tentationem: sed faciet deus etiam exitum, ne pereas in tentatione: ut quomodo uas figuli, formeris praedicatione, coquaris tribulatione. sed quando intras, exitum cogita: quia fidelis est deus, «custodiet dominus introitum tuum, et exitum tuum».

Du bist in Versuchung geraten; aber Gott wird auch einen Ausgang schaffen, damit du in der Versuchung nicht zugrunde gehst. Gleich dem Gefäß eines Töpfers wirst du durch die Verkündigung geformt und in der Drangsal gekocht. Aber wenn du in Versuchung gerätst, denke an den Ausweg: Gott ist eben getreu, (er), «der Herr wird deinen Eingang überwachen und auch deinen Ausgang» (Ps 120,8).
porro autem, cum factum fuerit corpus hoc immortale et incorruptibile, quando perierit tota tentatio; quia «corpus quidem mortuum est»: quare mortuum est? «propter peccatum. spiritus autem uita est», apostoli uerba sunt: quare? «propter iustitiam». remittimus ergo mortuum corpus? non, sed audi: «si autem spiritus eius qui suscitauit Christum a mortuis, habitat in uobis; qui suscitauit Christum a mortuis, uiuificabit et mortalia corpora uestra». Weiter aber, sobald dein Leib unsterblich und unverderblich geworden sein wird, wenn jedwede Versuchung zu Ende sein wird; weil «der Leib zwar tot ist» - warum ist er tot? «wegen der Sünde». «Der Geist aber ist Leben», dies sind Worte des Apostels. Warum (aber ist der Geist Leben)? «Wegen der Gerechtigkeit» (Rm 8,10). Lassen wir demnach einen toten Leib zurück? Nein, höre doch: «Wenn aber der Geist dessen, der Christus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, (so) wird er, der Christus von Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen» (Rm 8,11).

modo enim corpus animale, tunc spirituale. «factus est» enim «primus homo in animam uiuentem, nouissimus homo in spiritum uiuificantem». ideo «uiuificabit et mortalia corpora uestra propter inhabitantem spiritum eius in uobis».

Gegenwärtig ist der Leib ein beseelter, dann wird er ein vom Geist durchdrungener sein. Ist doch «der erste Mensch zu einem von der Seele belebten erschaffen worden, der letzte aber zu einem lebendigmachenden Geist» (1 Cor 15,45). Deshalb «wird er auch eure sterblichen Leiber wegen seines in euch wohnenden Geistes lebendig machen» (Rm 8,11).
o felix illic alleluia. o secura. o sine aduersario. ubi nemo erit inimicus, nemo perit amicus. ibi laudes deo, et hic laudes deo: sed hic a sollicitis, ibi a securis; hic a morituris, ibi a semper uicturis; hic in spe, ibi in re; hic in uia, illic in patria. Welch herzerfreuendes Alleluja, welch sorgenfreies, welch unangefochtenes (wird es dort geben). Wo kein Feind sein wird, geht (auch) kein Freund verloren. Dort gebührt Gott Lob, und hier gebührt Gott Lob: aber hier wird es ihm von Bekümmerten zuteil, dort von Sorgenfreien; hier von Sterblichen, dort von immer Lebenden; hier in Hoffnung, dort in Wirklichkeit; hier auf dem Weg, dort zu Hause.
modo ergo, fratres mei, cantemus, non ad delectationem quietis, sed ad solatium laboris. quomodo solent cantare uiatores; canta, sed ambula: laborem consolare cantando, pigritiam noli amare: canta, et ambula. quid est, ambula? profice, in bono profice. sunt enim, secundum apostolum, quidam proficientes in peius. tu si proficis, ambulas: sed in bono profice, in recta fide profice, in bonis moribus profice: canta, et ambula. noli errare, noli redire, noli remanere. Gegenwärtig also, meine Brüder, lasst uns singen, nicht zum Vergnügen bei der Erholung, sondern zur Entlastung bei der Arbeit. So wie Wanderer zu singen pflegen; singe, aber marschiere: Lindere deine Strapaze durch den Gesang, liebe nicht die Trägheit: Singe und marschiere! Was heißt das: Marschiere? Mach Fortschritte, im Guten schreite voran! Es gibt nämlich welche, so der Apostel, die zum Schlechteren hin voranschreiten. Wenn du Fortschritte machst, dann marschierst du: Aber (wie gesagt), schreite im Guten voran, im rechten Glauben schreite voran, in guten Sitten schreite voran: Singe und marschiere! Geh nicht in die Irre, schreite nicht rückwärts, bleib nicht zurück!
conuersi ad dominum. Wenden wir uns zum Herrn ...
die crastina sanctorum martyrum Mariani et Iacobi festiuitas illucescit; sed, quoniam causa tantae congregationis sancti concilii adhuc aliquantulum occupati sumus, die tertio eiusdem diei natalis ipsius, adiuuante domino, debitum sermonem reddemus uobis.

Morgen feiern wir das Fest der heiligen Märtyrer Marianus und Jakobus. Da wir aber durch den Gegenstand, der auf einem so großen Konzil verhandelt wird, immer noch eine Zeit lang beschäftigt sind, werden wir den Sermo, den wir euch schulden - so Gott will -, zwei Tage nach dem Geburtstag (dieser beiden Heiligen) nachholen.