ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Augustinus – Eucharistie – Ökumene

Vortrag auf dem nationalen Eucharistischen Kongress in Köln am 8. Juni 2013. Von Christof Müller

 

1. Eucharistie ohne Strahlkraft?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Eucharistie leidet, ungeachtet ihrer grundsätzlich elementaren Bedeutung für das Christsein, im zeitgenössischen Katholizismus Europas vielerorts an sklerotischer Auszehrung. Dass dieses lebenswichtige Organ des kirchlichen Organismus gegenwärtig an Vitalität und Strahlkraft verliert, liegt sicherlich zum einen in der Schwäche der ‹Angebotsseite›, dem flagranten Priestermangel, begründet, zum anderen jedoch ebenso im fortschreitenden Schwund der ‹Nachfrage›, sinnenfällig im rückläufigen Gottesdienstbesuch: Offenbar scheint dieses kirchliche ‹Realsymbol› zurzeit nicht mehr diejenige Aufmerksamkeit, ja Faszination auslösen und binden zu können, die ihm über Jahrhunderte zukam, und das ausgerechnet in einer Zeit, die für alles mögliche – und unmögliche – an Symbolik mehr als aufgeschlossen ist.
Möchte Kirche ihre Symbolkompetenz im Bereich der Sakramente wiederbeleben, so legt sich der grundlegenden Empfehlung des letzten Konzils zufolge zweierlei nahe: einerseits der Blick auf die gegenwärtigen ‹Zeichen der Zeit›, andererseits die Rückbesinnung auf die Fülle der Frömmigkeits- und Theologiegeschichte, und hierbei nicht zuletzt auf den Kirchenvater Augustinus. Dessen Eucharistieverständnis schöpfte reichlich und reichhaltig aus den geistigen, geistlichen und rituellen Traditionen seiner Epoche, wirkte aber umgekehrt auch seinerseits traditionsbildend – und zwar in einem Maße und in einer Vielschichtigkeit, dass selbst einander befehdende theologische Schulen sich jeweils mit Versatzstücken aus seiner Eucharistielehre munitionieren zu dürfen glaubten. Der Kirchenvater selbst hatte es freilich noch vermocht, die unterschiedlichen Facetten seines und des dahinterstehenden biblischen Eucharistieverständnisses in einer spannungsreichen Synthese zu ‹verbinden›. Dieses ‹Verbindende› können wir nicht nur in äußerer und formaler Hinsicht, sondern auch in innerer und inhaltlicher Hinsicht als das Besondere und Spezifische der Lehre Augustins vom Altarsakrament begreifen.

2. Geschichte des Eucharistieverständnisses

Der ‹Verbindungscharakter› der Eucharistie nach Augustinus soll später in fünf Hinsichten näherhin aufgezeigt und ausgefaltet werden. Doch damit wir die Eucharistielehre Augustins in ihrer Leistung und Bedeutung noch fundierter einschätzen können, sei zunächst ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Sakramentes von Leib und Blut Christi geworfen: auf die Initialzündung durch Jesus, auf die ersten Entfaltungen im Neuen Testament und auf die theologischen Reflexionen im Laufe der ersten christlichen Jahrhunderte.

2.1. Grundlagen des Eucharistieverständnisses in der Urgemeinde und im Neuen Testament

Grundgelegt, wenn auch nicht zwingend von dorther deduzierbar, ist die eucharistische Praxis der Kirche durch die sogenannten ‹Einsetzungsberichte› des Neuen Testaments. Die Evangelien sowie einige Paulusbriefe erwähnen in je eigenem Stil und in je eigener Inszenierung das ‹Letzte Abendmahl›, in dessen Zuge Jesus mit seinen Jüngern ein Abschiedsessen feiert und dabei das Brot mit ihnen bricht. Hören wir den ‹Einsetzungsbericht› in der Version von Mt 26,17-30: «Am ersten Tage der Ungesäuerten Brote ... setzte Jesus sich zu Tisch mit den Zwölfen. ... Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte, brach es, gab es den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihn den Jüngern und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, dass vergossen wird für die Vielen zur Vergebung der Sünden. Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächst des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg».

Diejenigen frühchristlichen Traditionen bzw. Gemeinden, die hinter dem Lukasevangelium und hinter den Paulusbriefen stehen, verbanden diesen Bericht mit dem sogenannten ‹Wiederholungsbefehl› Jesu: «Tut dies zu meinem Gedächtnis». Aus diesem biblischen Befund ersehen wir: Zwar kennt das Neue Testament noch nicht den Terminus technicus ‹Eucharistie› (= Danksagung), wohl aber die damit gemeinte Sache, nämlich das aus einem Brotbrechen und einer Becherhandlung bestehende, auf Jesu Person und Werk bezogene Kultmahl der Christen. Die dahinterstehende Praxis Jesu kann nicht letztgültig rekonstruiert werden, doch ist es höchst wahrscheinlich, dass Jesus selbst ein letztes, seine Existenz und seine Botschaft symbolisch verdichtendes Mahl mit den Seinen gefeiert hat. Unsicher bleibt, ob er spezifische Handlungen und Worte seines letzten Gemeinschaftsmahls als Stiftung einer zu wiederholenden Feier verstanden wissen wollte oder ob dieser Gedanke auf eine nachösterliche – durchaus folgerichtige – Deutung von Seiten der ersten Christen zurückgeht.

In jedem Fall jedoch ist die eucharistische Praxis der jungen Kirche eine von Jesu Handeln her mögliche und vom nachösterlichen Christusglauben her sogar notwendige Konsequenz. Diese eucharistische Mahlfeier stand in der frühesten christlichen Zeit zunächst im Zusammenhang mit der sogenannten ‹Agape›, dem Liebesmahl der jungen Gemeinden. Die ersten Christen trafen sich in einer ihrer Wohnungen, erzählten sich gegenseitig von Jesus Christus und ihrem Glauben an seine verborgene Gegenwart, beteten und aßen zusammen. Als Abschluss des Essens wurden Brot-Brechen und Becher-Reichen in einem symbolisch verdichteten Akt der Erinnerung und Vergegenwärtigung Jesu Christi zusammengefasst, der im Laufe der Zeit immer stärker ritualisiert und in voller Feierlichkeit und Bedeutungsträchtigkeit wohl am ‹Herrentag› (Sonntag) begangen wurde. Ein eindrucksvolles Panorama eines frühchristlichen ‹Liebesmahles› stellt uns Paulus in 1 Kor 11,17-34 vor Augen – ein Schlüsseltext für das paulinische Eucharistieverständnis, obwohl – oder gerade weil – er deutlich macht, dass das eucharistische Liebesmahl, die Feier des einen Leibes Christi, selbst im Frühchristentum nicht immer im Zeichen der Einheit und der geschwisterlicher Harmonie stand. Zugleich klingen hier bereits etliche Motive an, die wir in der Eucharistielehre Augustins wiedererkennen werden. «Ich kann es nicht loben, dass ihr nicht zu euerm Nutzen, sondern zu eurem Schaden zusammenkommt. Zum Ersten höre ich: Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt, sind Spaltungen unter euch; und zum Teil glaube ich es. ... Wenn ihr nun zusammenkommt, so hält man da nicht das Abendmahl des Herrn. Denn ein jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg und der eine ist hungrig, der andere ist betrunken. Habt ihr denn nicht Häuser, wo ihr essen und trinken könnt? Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, die nichts haben? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch loben? Hierin lobe ich euch nicht. Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm das Brot, dankte, brach es und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Wer nun unwürdig von dem Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet, der isst und trinkt sich selbst zum Gericht».

In den ersten Jahrzehnten nach Jesu Tod wurde die mit dem rituellen Brotbrechen innerhalb der Agape verbundene religiöse Bedeutung immer weiter entfaltet. Zunächst standen die Erinnerung an Jesus, seinen heilsvermittelnden Tod und seine Auferstehung sowie der Ausblick auf seine Wiederkunft und den Anbruch des Reiches Gottes im Mittelpunkt. Später kommen weitere Interpretamente hinzu, z.B. der Opfer- und Sühnegedanke und der Bundesgedanke. Schon bei Paulus schlägt sich auch der Sakramentalgedanke nieder, der in Anlehnung an die antiken Mysterien in den konkreten Realien – also in Brot und Wein – die göttliche Wirklichkeit zur gegenwärtigen Erscheinung und Erfahrbarkeit kommen sieht. Damit die paulinischen Gemeinden diese sakramentale Vergegenwärtigung nicht im Sinne von Magie missverstehen, bindet Paulus sie jedoch an Glaube, Hoffnung und Liebe zurück: an das glaubende Gedächtnis an Jesus Christus, an die hoffende Erwartung seiner Wiederkehr und an die liebende Gemeinschaft des ‹ganzen Leibes Christi›, der christlichen Gemeinschaft. Hören wir einen entsprechenden Abschnitt aus 1 Kor 10,16f.: «Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben Teil an dem einen Brot». Im vermutlich relativ spät entstandenen Johannesevangelium wird die Eucharistie schließlich in die Opfersprache des ‹Essens und Trinkens von Christi Fleisch und Blut› gekleidet; doch ähnlich wie Paulus, bindet auch der Verfasser des Johannesevangeliums diese zu magischen Mißverständnissen einladenden Bilder an ein Korrektiv: nämlich den Gedanken der persönlichen, personalen Gemeinschaft der Eucharistiefeiernden mit Christus und mit Gott.

2.2. Einige Grundlinien des Eucharistieverständnisses in Mittelalter und Neuzeit

Innerhalb des neutestamentlichen Kanons sind damit im Großen und Ganzen schon alle diejenigen grundlegenden Bedeutungen und theologischen Interpretamente grundgelegt, die in der späteren Glaubens- und Theologiegeschichte aufgegriffen sowie entfaltet, systematisiert und begründet wurden. Dabei setzten verschiedene theologische Denker und Schulen natürlich durchaus unterschiedliche Akzente in ihrer Auswahl, Weiterführung und Ausdeutung des biblisch Tradierten. Die meisten Theologen vermochten die Spannung der vielfältigen, teilweise sehr unterschiedlichen Interpretationsansätze des Neuen Testaments zu bewahren oder blieben in ihren Akzentsetzungen doch jedenfalls innerhalb des Spektrums der in der Schrift angelegten Modelle und Möglichkeiten; andere hingegen neigten zu einer Einseitigkeit, die die Gefahr eines Verlustes der biblischen und frühchristlichen Grundlagen sowie eines Missverstehens der Eucharistie mit sich brachte. Der tiefgreifendste und am häufigsten wiederkehrende Streit um das rechte Verständnis der Eucharistie entzündete und entzündet sich z.T. bis auf den heutigen Tag im Gegeneinander zweier Extrempositionen, die man als ‹Realismus› und als ‹Symbolismus› grobcharakterisieren kann. Der ‹Realismus› in seiner Radikalform sieht Brot und Wein, über die die Wandlungsworte der Eucharistiefeier gesprochen wurden, gleichsam ‹material› in Fleisch und Blut Jesu Christi verwandelt, ja nahezu ‹verzaubert›. Der ‹Symbolismus› in seiner Radikalform sieht Brot und Wein auch im Kontext der Eucharistie lediglich als ‹Zeichen› für das Heil in Christus – ein Heil, das selbst jedoch mit diesen bloßen Zeichen keinerlei inneren Kontakt hat, sondern als Bezeichnetes das ‹ganz Andere› bleibt. Die Eucharistiestreitigkeiten zwischen Realisten und Symbolisten brachen im Laufe des Mittelalters immer wieder auf, bis hin zur Schwelle der Neuzeit, als die Reformatoren sich gegen die realistische sogenannte ‹Transsubstantiationslehre› der Katholiken verwahrten und die symbolische Seite des Eucharistieverständnisses stark machten: Luther in gemäßigter Form, Calvin und zumal Zwingli in radikalsymbolistischer Zuspitzung. Erst seit der liturgischen Bewegung zwischen dem I. und dem II. Vatikanischen Konzil gelangte zumal die katholische Theologie der Eucharistie wieder spürbar zu jener Breite und Fülle der Aussagen, wie sie noch in der Balance des Neuen Testaments gegeben war; spätestens seit dem II. Vatikanischen Konzil haben katholische und evangelische Theologie, aber auch katholische und evangelische Kirche einseitige Frontstellungen überwunden und zu einer Annäherung ihrer Positionen gefunden, die unter der Formel steht: Eucharistie ist ‹Real-Symbol› der Vergegenwärtigung Jesu Christi. Darüber hinaus wurde aber auch endlich aufs Neue erkannt und realisiert, dass das Eucharistieverständnis sich mitnichten in der Frage ‹Realismus› oder ‹Symbolismus› erschöpft, sondern noch ganz andere – vielleicht sogar wichtigere – Dimensionen in sich birgt.

3. Das Eucharistieverständnis bei Augustinus

Suchen wir in der Glaubens- und Theologiegeschichte nach Lehren und Lehrern, die in beispielhafter Weise die ganze Breite und Fülle des biblischen Zeugnisses vom Herrenmahl aufnehmen, ausbalancieren und vertiefen, so lohnt sicherlich der Blick in die Spätantike und dort zumal auf Augustinus von Hippo. Nun hat Augustinus freilich kein eigenständiges, monographisches Werk über das Thema der Eucharistie geschrieben – ganz abgesehen davon, dass er nur ganz selten den griechischen Begriff ‹eucharistia› verwendet, sondern meist vom ‹sacramentum corporis et sanguinis Christi – Sakrament des Leibes und Blutes Christi› spricht, bisweilen auch vom ‹sacrificium›, dem ‹Opfer› bzw. der ‹Opferfeier›. Wenn Augustinus der Eucharistie also auch keine spezielle Schrift widmet – anders als z.B. dem Sakrament der Taufe –, so ist die eucharistische Thematik in seinen Schriften doch nahezu omnipräsent.

3.1. Formale Zugänge Augustins zur Eucharistielehre

Unter welchem Blickwinkel indes kommt die Eucharistielehre konkret ins Gesichtsfeld Augustins? Drei Perspektiven seien herausgegriffen, nämlich Exegese, Apologetik und Pastoral.

3.1.1. Exegese

Zum einen nähert sich Augustinus der Eucharistie im Kontext der Exegese, der Bibelauslegung. Als er sich als junger Mann nach seiner Bekehrung zunehmend enger in den christlichen und kirchlichen Kosmos hineinvertiefte und einbinden ließ, entdeckte er immer stärker die Bedeutung der Bibel und der Bibellektüre: für den einzelnen Menschen und Christen, für die christlichen Gemeinden, für die gesamte Kirche wie auch für die Theologie. In den folgenden Jahrzehnten erarbeitete und publizierte er immer wieder exegetische Schriften, Auslegungen bestimmter Bibelteile oder Bibelbücher des Alten und des Neuen Testamentes, hier zumal der Briefe des Paulus, aber auch der Evangelien. In diesen Zusammenhängen stieß er selbstverständlich auch auf die Erzählungen vom ‹Letzten Abendmahl› Jesu und seiner Jünger und von den Abendmahlfeiern der Urchristen sowie auf die ersten theologischen Reflexionen darauf, wie sie sich vor allem in den Paulinischen und in den Johanneischen Schriften finden. Stieß der Exeget Augustinus bei der Auslegung bestimmter Bibelstellen auf derlei Passagen, nahm er häufig die Gelegenheit wahr, um einige grundlegendere Überzeugungen seiner Sicht der Eucharistie einzuflechten.

3.1.2. Apologetik

Ein zweiter Zugang Augustins zur Eucharistielehre ergibt sich aus dem Kontext der apologetischen Aktivitäten und Veröffentlichungen des Kirchenvaters. Apologie: das heißt Verteidigung, Begründung und Entfaltung des christlichen und kirchlichen Glaubens und Handelns gegenüber Personen oder Gruppierungen anderer Meinung, Lehre oder Weltanschauung. Die zahlreichen apologetischen Schriften Augustins richten sich dabei vor allem gegen drei gegnerische Positionen: gegen den Manichäismus, gegen den Donatismus und gegen den Pelagianismus. Der Manichäismus, so genannt nach dem Religionsstifter Mani aus dem 3. Jahrhundert, war eine Religionsgemeinschaft mit gnostischen Grundvorstellungen, d.h. mit einem dualistischen Welt- und Menschenbild, das die Wirklichkeit als kosmischen Kampf zwischen dem Reich des Lichtes und dem Reich der Finsternis begreift. Unter Aufnahme einiger Elemente aus der Bibel lehrten und praktizierten die Manichäer kultische Handlungen, die dem allgemein-christlichen und speziell katholischen Verständnis von Liturgie und Sakrament zuwiderliefen. Augustinus wird den Manichäern gegenüber insbesondere die symbolische und geistige Dimension der kirchlichen Eucharistiefeier unterstreichen und von magischen Ritualen absetzen.

Der Donatismus, der sich auf den nordafrikanischen Bischof Donatus aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts zurückführt, formierte sich ursprünglich als Protestbewegung gegen die Praxis der Großkirche, Christen, die ihrem Glauben angesichts staatlicher Christenverfolgung abgeschworen hatten, nach einer Zeit der Buße wieder in die Gemeinde aufzunehmen und erneut zu Sakramenten und Ämtern zuzulassen. Bis zum Ende des 4. Jahrhunderts wuchs der Donatismus vor allem in Nordafrika zu einer bedrohlichen Konkurrenz für die katholische Kirche an. Augustinus kämpfte insbesondere gegen das exklusive Kirchen- und Sakramentenverständnis der Donatisten und betonte im Gegenzug zuvörderst die ‹katholische› Weite und die liebende Einheit der Kirche sowie die Gründung der Sakramente auf Christus, nicht auf die Christen und ihre die Kirche spaltende Moralität bzw. Amoralität.

Der Pelagianismus schließlich, benannt nach dem Mönch Pelagius, einem Zeitgenossen Augustins, wurde insofern zu einem Hauptgegner insbesondere des älteren Augustinus, als seine Vertreter in Augustins Augen nicht die Notwendigkeit der Erlösung und die Tiefe des göttlichen Gnadenwirkens erkannten und anerkannten, sondern zu sehr auf die freie Willenskraft und auf die moralische Anstrengung des Menschen setzten. Wenn Augustinus in seiner Eucharistielehre immer wieder die Christusbezogenheit, die Sündenvergebung und die Gnadenwirkung des Altarsakraments betonen wird, so ist dies sicherlich zum Gutteil seiner Apologetik gegenüber dem Pelagianismus geschuldet.

3.1.3. Pastoral

Nach dem exegetischen und dem apologetischen sei noch ein dritter und letzter – vermutlich wichtigster – Zugang Augustins zur eucharistischen Thematik angesprochen: die Tatsache, dass Augustinus, ab 391 als Priester und einige Jahre später als Bischof, einer Gemeinde, der Kirche von Hippo, vorstand und als solcher nahezu jeden Tag Gottesdienst zu feiern hatte, häufig auch mit eucharistischem Teil. Kein Wunder, dass er in diesem Kontext seine vielgerühmten Predigten nutzte, um seine Gemeinde an die elementare Bedeutung gerade der Eucharistie für das Christsein und für das Kirchesein zu erinnern und sie mit Herz und Verstand in das sakramentale Geschehen der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi hineinzunehmen. Vor diesem Hintergrund unterstreicht Augustinus zumal in seinen Predigttexten in wortgewaltigen Formulierungen und in packenden Bildern seine Überzeugung, dass die Gemeinde im Feiern der Eucharistie selbst dem ‹einen Leib Christi› anverwandelt wird, dass sich im Feiern der Eucharistie das Kirche-Jesu-Christi-Sein tatsächlich vollzieht und ratifiziert.

3.2. Inhaltliche Schwerpunkte des augustinischen Eucharistieverständnisses im Zeichen der ‹Verbindung›

Möchte man versuchen, die aus den genannten Zugangsweisen heraus entwickelten Anliegen und Elemente der augustinischen Eucharistielehre zusammenzufassen und zu systematisieren, so legt sich meines Erachtens – ich hatte es eingangs erwähnt – in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht der Leitbegriff der ‹Verbindung› nahe. Im Folgenden sei das augustinische Verständnis der Eucharistie als ‹Sakrament der Verbindung› in fünf Hinsichten näher entfalten: 1. Eucharistie als Verbindung mit Christus; 2. Eucharistie als Verbindung der kirchlichen Gemeinschaft; 3. Eucharistie als Verbindung von Ritus und Ethos; 4. Eucharistie als Verbindung von Zeichengeber, Zeichenempfänger und Bezeichnetem; 5. Eucharistie als Verbindung der heilsgeschichtlichen Zeiten.

3.2.1. Eucharistie als Verbindung mit Christus

Eucharistie ist für Augustinus ein ‹Sakrament›. Diese ‹Sakramentalität› der Eucharistie ist für uns mittlerweile eine terminologische Selbstverständlichkeit, doch war dieser Begriff erst zu Beginn des 3. Jahrhunderts von Tertullian in das christliche Latein eingebracht worden, und zwar zunächst nicht im speziellen Sinn unserer heutigen Sakramente, sondern im allgemeineren Sinn von ‹heiligen Zeichen›. Die Eucharistie nun ist für Augustinus neben der Taufe das zentrale und wichtigste der christlichen ‹heiligen Zeichen›. Diese sakramentalen Zeichen haben laut Augustinus die wunderbare und heilsbedeutende Eigenschaft, dass sie die Gläubigen nicht nur auf die Heilswirklichkeit, die Erlösung in Christus, verweisen, sondern sie sogleich mit dieser verbinden: Augustinus vertritt in der Spannung von ‹Realismus› und ‹Symbolismus› also eine Synthese: Eucharistie ist – so würden wir heute sagen – ‹Real-Symbol›. Doch führt Augustins Gedankengang noch weiter: Die vom ‹Zeichen›, also von Brot und Wein der Eucharistiefeier, bezeichnete ‹Sache› ist im Falle der Eucharistie nämlich Christus, und zwar der ‹ganze Christus› (totus Christus) als Einheit von ‹Haupt› und ‹Gliedern›, wie der Kirchenvater insbesondere mit Bezug auf den paulinischen Ersten Korintherbrief und den deuteropaulinischen Epheserbrief unterstreicht. Eucharistie ist für Augustinus also wesentlich Verbindung mit und in Christus; im Vollzug der Eucharistie erfährt die Verbindung der Kirche mit ihrem verherrlichten Haupt ihre Bestätigung und Verdichtung. «Jenes Brot, das ihr auf dem Altar seht ..., ist der Leib Christi. Jener Kelch ... ist das Blut Christi. Durch beides wollte Christus, der Herr, uns seinen Leib und sein Blut anvertrauen, das er für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat» (Sermo 227). «Indem ihr von Christus das Leben erhaltet, seid ihr ein Leib mit ihm. ... Der Apostel (Paulus) erwähnt, dass dies in der Schrift vorausgesagt sei: ‹Die beiden werden in einem Fleisch sein›» (Sermo Denis 3,4 mit Bezug auf Eph 5,31f.). In und mit der Feier der Eucharistie ist Christus also in seiner Kirche real gegenwärtig und assimiliert die Gläubigen in seinen mystischen Auferstehungsleib. «Lasst uns also uns gegenseitig beglückwünschen und danksagen, nicht nur Christen geworden zu sein, sondern Christus. Versteht ihr dies? Erfasst ihr die Gnade unseres Hauptes über uns? Bestaunt dies und freut euch darüber: Christus sind wir geworden. Ist nämlich jener das Haupt, so sind wir die Glieder. Der ganze Mensch ist jener und wir» (In Iohannis evangelium tractatus 21,8).

3.2.2. Eucharistie als Verbindung der kirchlichen Gemeinschaft

Die Gemeinschaft des ‹totus Christus›, des ‹ganzen Leibes Christi›, impliziert auch die innige Verbindung der ‹Glieder› des ‹Leibes› untereinander, wobei die verbindende Liebe freilich durch das ‹Haupt› gestiftet und gewährleistet wird. Die Eucharistie ist der innigste Ausdruck und Vollzug dieser Liebe des ‹ganzen Christus› zu sich selbst, wie Augustinus des öfteren mit Verweis auf 1 Kor 10,17 ausführt: «Ein einziges Brot, ein einziger Leib sind wir, die vielen» (Sermo 227). Gerade in seinen Predigten stellt der mit seiner Gemeinde Eucharistie feiernde Kirchenvater die Symbolträchtigkeit von Brot und Wein im Blick auf die kirchliche Gemeinschaft heraus, verbinden sich doch die vielen Körner in dem einen Brot und die vielen Trauben in dem einen Wein. Der begnadete Rhetor gießt sein Eucharistieverständnis bisweilen in geradezu mystische Formeln: «Manducate vinculum vestrum – Esst euer Verbindungsband!» (Sermo Denis 3,3). Für ‹Häretiker› und ‹Schismatiker› hingegen – wie Augustinus seine Gegner nennt – bleibt die Eucharistie wirkungslos, insofern diese sich selbst außerhalb des Leibes Christi platzieren und willentlich aus dessen Liebeseinheit ausscheiden. Die von Augustinus unterstrichene ‹Communio›(= Gemeinschafts)-Dimension dieses Sakraments wurde in der nachaugustinischen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte der katholischen Kirche häufig vernachlässigt, bis sie im 20. Jahrhundert wieder in den Vordergrund rückte und im II. Vatikanum sogar lehramtlich festgeschrieben wurde: So charakterisiert z.B. die Konzilskonstitution Lumen gentium in ihrer Nr. 11 die Eucharistie als ‹Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens›, insofern sie das Sakrament der ‹Einheit des Volkes Gottes› ist, die durch sie bezeichnet wie auch bewirkt wird.

3.2.3. Eucharistie als Verbindung von Ritus und Ethos

Mit dem soeben Ausgeführten klingt zugleich schon die augustinische Verbindung von Eucharistie und Moral, von Ritus und Ethos an. «Wer das Geheimnis der Einheit empfängt und das Band des Friedens nicht aufrechterhält, der empfängt das Geheimnis nicht für sich, sondern das Zeugnis gegen sich» (Sermo 272, erneut mit Bezug auf Paulus). Auch in diesem Sinnkontext deutet Augustinus das sakramentale Element allegorisch aus: Das eucharistische Brot wird ‹gebacken› aus dem ‹Wasser der Taufe› und aus dem ‹Feuer der Liebe›, der ‹Glut› des Heiligen Geistes (vgl. Sermo 227). Daher gehören für Augustinus Liturgie und Diakonie, gehören Eucharistie und Ethos zusammen: «Wie sich dies Band der Einheit umwandelt in euch, wenn ihr es esst und trinkt, so wandelt ihr euch um in Christi Leib, wenn ihr fromm und folgsam wandelt» (Sermo Denis 3,3). Eucharistisches Ethos heißt für den ‹Lehrer der Gnade› indes selbstredend nicht ‹Werkgerechtigkeit›, sondern gelebte ‹Ortho-Praxis› (d.h. richtiges Handeln) aus lebendiger ‹Ortho-Doxie› (also aus dem richtigen Glauben) heraus: «Löst euch nicht wieder auf, esst das Band eurer Einheit; erkennt eure Würde, trinkt euren Preis» (Sermo Denis 3,3). «Ihr antwortet ‹Amen› zu dem, was ihr selbst seid, und unterschreibt es durch diese Antwort. Du hörst: ‹Leib Christi› und antwortest: ‹Amen›. Sei ein Glied am Leibe Christi, auf dass dein ‹Amen› wahr sei» (Sermo 272). Gemäß der augustinischen Intention spiegelt das ‹Sollen› der Christen ihr christusgeschenktes, gnadenhaftes ‹Sein› als Glieder des vom ‹Feuer der Liebe zusammengebackenen› ‹totus Christus› wider. «Die Eucharistie ist somit unser tägliches Brot. Allerdings ist sie es nur, wenn wir sie auch mit dem Geist und nicht allein mit dem Magen empfangen» (Sermo 57,7).

3.2.4. Eucharistie als Verbindung von Zeichengeber, Zeichenempfänger und Bezeichnetem

Gehen wir noch einmal auf den Problemhorizont ‹Realismus› versus ‹Symbolismus› ein: Für Augustinus ist das Geschehen der Eucharistie kein bloßes, abstraktes Verweisen auf eine ganz andere Wirklichkeit, ebenso wenig aber ein material-magischer Vorgang; vielmehr werden die materiellen Elemente von Brot und Wein erst durch das Hinzutreten des geistig-geistlichen Heilswortes zu heiligen Zeichen und zum Sakrament, gleichsam zu einem ‹sichtbaren Wort› (In Iohannis evangelium tractatus 80,3; vgl. Sermo 229,3). «Das, was du siehst, vergeht, aber das, was es bezeichnet, das Unsichtbare, das vergeht nicht, es bleibt bestehen» (Sermo 227). Die eigentliche Pointe der eucharistischen Realsymbolik Augustins liegt nun darin, dass er über das sakramentale Zeichen den Zeichengeber (letztlich Gott in Christus), den Zeichenempfänger (die versammelte Gemeinde) und das Bezeichnete (den ‹Leib Christi›) nicht nur einander annähert, sondern geradezu miteinander identifiziert: «Diese Dinge heißen Sakramente, weil in ihnen das eine mit den Augen gesehen, das andere mit dem Geiste verstanden wird. Wenn du den Leib Christi verstehen willst, so höre den Apostel ...: ‹Ihr aber seid der Leib Christi und seine Glieder›. Wenn ihr also der Leib Christi und seine Glieder seid, so liegt euer eigenes Mysterium auf dem Tische des Herrn. Euer eigenes Mysterium empfanget ihr ... Seid, was ihr seht, und empfanget, was ihr seid» (Sermo 272). Die Opfergabe auf dem Altar ist «Zeichen einer Sache, die wir selbst sind» (Sermo 227). In solcherlei dialektischen und dialektisch gekonnten Formulierungen bringt der Kirchenvater in aller Deutlichkeit und Nachdrücklichkeit das Wesen der Eucharistie als Selbstvollzug der Kirche zum Ausdruck: Kirche als Einheit des ganzen Leibes des auferweckten Christus. «Empfangt es (das Sakrament) also so, dass ihr es auf euch selbst bezieht, dass ihr die Einheit im Herz habt und das Herz stets nach oben heftet» (Sermo 227). Diese zugleich existentiale wie ekklesiale Interpretation von Eucharistie durch Augustinus gehört wohl zum Originellsten wie auch Wertvollsten seines sakramententheologischen Vermächtnisses.

3.2.5. Eucharistie als Verbindung der heilsgeschichtlichen Zeiten

Über den Gedanken, dass in und mit der Eucharistie der mystische Leib des ganzen Christus sich selbst vollzieht und feiert, verbinden und durchdringen sich im augustinischen Sakramentenbegriff die heilsgeschichtlichen Zeiten. Das ‹Sakrament des Leibes und Blutes Christi› wird in der christlich-kirchlichen Gegenwart gefeiert, es erinnert und vergegenwärtigt dabei aber zugleich das historisch in der Vergangenheit liegende Kreuzesopfer Jesu Christi. Durch Brot und Kelch wollte Christus uns seinen Leib und sein Blut anvertrauen, das er für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat (vgl. Sermo 227); «was wir in der Eucharistie empfangen, das sind wir selbst durch die Gnade, durch die wir erlöst sind» (Sermo Guelferbytanus 7,1). Noch weit stärker als den Vergangenheitsbezug akzentuiert der Kirchenvater indes den transzendent-eschatologischen und damit den Zukunftsbezug: «Wenn Ihr nämlich Christi Glieder geworden seid, wo befindet sich dann euer Haupt? Glieder haben ein Haupt. Wäre das Haupt nicht vorangegangen, könnten die Glieder ihm nicht folgen. Wohin ging unser Haupt? ... Am dritten Tag erstand er (Christus) von den Toten, er fuhr in den Himmel, er sitzt zur Rechten des Vaters. Also befindet sich unser Haupt im Himmel ... Siehe, es wird empfangen, es wird verzehrt, es wird verspeist: ... Eure Hoffnung richte sich nicht auf das Irdische, sondern auf das Himmlische ... Denn was ihr hier auf Erden noch nicht seht, doch glaubt, das werdet ihr dort sehen, wo ihr euch ohne Ende freuen werdet» (Sermo 227). Durch das aktuelle Mitfeiern des Sakramentes des Leibes Christi sind, bleiben und werden die Christen also in die reale Gegenwart des gekommenen und wiederkommenden Christus einbezogen, der sich selbst seinen eschatologischen mystischen Leib auferbaut: «So beginnt ihr nun zu empfangen, was ihr auch zu sein begonnen habt» (Sermo Denis 3,4).

3.2.6. Zwischenbilanz zu Augustins Eucharistieverständnis

Um eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen: Augustinus hat in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts eine biblisch inspirierte Eucharistielehre entwickelt, verkündet und umgesetzt, die mit ihren fünf skizzierten Dimensionen von ‹Verbindung› auch heute noch von impulsegebender Bedeutung für die Kirche und ihr sakramentales Leben sein kann. Freilich – unterbelichtet bleiben bei ihm zum einen der innere radikal-reale Geschichtsbezug des ‹Herrenmahls›, zum anderen und damit zusammenhängend die ‹Körperlichkeit› des Sakramentes von ‹Fleisch und Blut Jesu Christi› bzw. die ‹Materialität› des Sakramentes von ‹Brot und Wein›. Aufgrund seiner neuplatonisch geprägten, das ‹Geistige› gegenüber dem ‹Körperlichen› einseitig privilegierenden Seins- und Zeichenlehre neigt Augustinus zu einer allzu raschen ‹Spiritualisierung› des Sakramentenstifters Jesus Christus wie auch der sakramentalen Elemente, die in Augustins Augen allererst mittels Überwölbung durch das geistig-geistliche Wort ihren symbolischen Mehrwert erhalten.

Neben dem Neuplatonismus dürfte übrigens auch der Manichäismus – als Negativfolie – das Eucharistieverständnis des Kirchenvaters beeinflusst haben: Auf keinen Fall wollte er dieses Sakrament in die Nähe der manichäischen Mythologeme des ‹Iesus patibilis – leidenden Jesus› (vgl. Contra Faustum 20,11) und des ‹Christus-Essens› (vgl. Contra Faustum 20,13) gerückt sehen. Indes und trotz alledem: Grandios und wegweisend ist und bleibt Augustinus insofern, als er die Eucharistie – zugleich differenziert und konzentriert – als das christliche Realsymbol der ‹Vermittlung› und ‹Verbindung› charakterisiert: der Verbindung der Menschen mit Gott sowie der Verbindung der Menschen untereinander – und dies alles im Zeichen des einenLeibes Christi›.

4. Einige Impulse des augustinischen Eucharistieverständnisses für die Ökumene

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich im letzten Hauptteil meines Vortrags einige Impulse des augustinischen Eucharistieverständnisses für die Ökumene skizzieren. Schon rein theologiegeschichtlich-formal betrachtet, bietet sich der spätantike Theologe Augustinus als ein möglicher Mittler zwischen den großen abendländischen Konfessionen des Christentums an, insofern er seine Lehre diesseits der Kirchenspaltungen des Mittelalters entwickelte und insofern die katholische Tradition und die protestantisch-reformatorische Innovation gleichermaßen aus dem augustinischen Gedankenpool schöpften, um ihr je eigenes Verständnis von Eucharistie nicht nur von der Heiligen Schrift, sondern auch von den frühen Kirchenvätern her zu stützen – die orthodoxe Kirche soll in meiner Betrachtung ausgeblendet bleiben, da die Wirkungsgeschichte des ‹westlichen› Kirchenvaters im kirchlichen ‹Osten› doch sehr begrenzt blieb. Freilich müsste nun im Einzelnen näherhin analysiert und ausgelotet werden, inwieweit katholische und evangelische Ausprägungen des Eucharistieverständnisses sich tatsächlich im konkreten Rückblick und Rückgriff auf eine ihrer gemeinsamen Wurzeln, nämlich Augustinus, erneut einander annähern ließen. Ein solch gewaltiges und umfassendes Programm kann in meinem bescheidenen Referat nicht geleistet werden, doch möchte ich immerhin einen wesentlichen Impetus Augustins aufgreifen: die augustinische Grundüberzeugung, dass das ‹sacramentum corporis et sanguinis Christi› wesenhaft das ‹Sakrament der Verbindung› ist, wie ich es vorhin in fünf Aspekten zu skizzieren versucht habe. Könnte es nicht sein, dass Augustins Verständnis der Eucharistie als ‹Sakrament der Verbindung› und der ‹Einheit› eine Auswertung für die ‹Verbindung der Konfessionen› und für die ‹Einheit der Kirche› möglich, vielleicht sogar zwingend macht?

Dass ich diese Frage mit einem differenzierten ‹Ja› beantworten möchte, darf ich im Folgenden in drei kurzen Reflexionen begründen, die die oben umrissenen Elemente der augustinischen Eucharistielehre aufgreifen und interpretieren werden.

4.1. Eucharistie im Zeichen der Einheit mit Christus und der Einheit der Heilsgeschichte

Als ein Spezifikum der augustinischen Lehre von der Eucharistie – es wird im augustinischen Terminus des ‹sacramentum corporis et sanguinis Christi› bereits deutlich – hatten wir die Einheit der Eucharistie und der Eucharistiefeiernden mit Jesus Christus sowie die in der Eucharistie sich vollziehende Einheit der Heilsgeschichte herausgearbeitet – bitte vergegenwärtigen Sie sich die Gliederungspunkte 3.2.1 und 3.2.5. Dieses Spezifikum gehört sicherlich zum konsensfähigen und konsensstiftenden Glaubens- und Lehrgut sowohl der katholischen wie auch der evangelischen Lehre von der Eucharistie bzw. vom Abendmahl. Die Reformatoren und die Kirchen der Reformation waren nicht zuletzt deshalb auf Distanz zur Großkirche des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit gegangen, weil sie in deren Eucharistieverständnis und zumal in deren Eucharistie-Praxis den bleibenden inneren Bezug zu Offenbarung und Erlösung im geschichtlichen Jesus Christus gefährdet sahen. In der Tat sind im Katholizismus der fraglichen Zeit wohl etliche Fehlentwicklungen im Bereich der Eucharistie zu konstatieren, die den Christusbezug dieses Sakraments faktisch aushöhlten. Dazu gehörte unter anderem ein allzu ontisch-realistisches, ja nahezu magisches Verständnis vom ‹Opfer Christi› bzw. der sakramentalen Erneuerung dieses Opfers und ein allzu ontisch-realistisches, ja nahezu magisches Verständnis von ‹Brot und Wein› als ‹Leib und Blut Christi›: Diese Ausprägungen des Eucharistieverständnisses hielten entgegen dem Anschein den Christusbezug der Eucharistie gerade nicht lebendig, sondern führten eher zu dessen Verdinglichung und machten ihn gleichsam zur Verfügungsmasse des kirchlichen ‹Magiers›, des Priesters. Solche Einseitigkeiten, auf die protestantische Theologen und Kirchen geradezu allergisch reagierten bzw. gelegentlich bis heute reagieren, erfahren durch Augustins christologische und heilsgeschichtliche Durchdringung der Eucharistielehre ein wichtiges Korrektiv. Für Augustinus ist die eucharistische Opferung und sind die eucharistischen Gaben von Brot und Wein ‹Zeichen›, ‹signa›, die ganz im Dienst des Verweisens auf die eigentliche soteriologische ‹Sache›, ‹res›, stehen: nämlich das ein für alle Mal vollzogene Opfer des Fleisch und Blut gewordenen Jesus Christus, dessen vergangene Erlösungstat freilich in die Gegenwart der kirchlichen Gemeinschaftsfeier hineinreicht und dort anamnetisch vergegenwärtigt wird – ein Gedanke, der im Katholizismus erst mit und seit der Eucharistielehre des Zweiten Vatikanums wieder zu lehramtlicher Dignität gelangt ist. Dass Augustinus hingegen trotz der Betonung der Zeichenhaftigkeit der Eucharistiefeier kein radikaler Sakramenten-Symbolist ist, schlägt sich besonders in der ekklesiologischen Einbindung seiner Eucharistielehre nieder. Im Feiern des Altarsakraments vollzieht sich real und gegenwärtig Erlösung – und zwar als Ratifizierung und Selbstvollzug des ‹Leibes Christi› auf Basis der ‹Materie› der kirchlichen Gemeinde. Mit diesem real-symbolischen wie auch ekklesiologischen Verständnis von Eucharistie entspricht Augustinus zwei Anliegen, die insbesondere der katholischen Tradition am Herzen lagen und liegen – dies jedoch in einer Ausprägung, vor der die Kirchen der Reformation nicht zurückschrecken müssen, insofern der Bezug zur Heilsgeschichte und die Subjektrolle Christi im eucharistischen Geschehen rundum gewahrt bleiben.

4.2. Eucharistie im Zeichen der Einheit des Leibes Christi und ihres Vollzugs

Wie wir gehört haben, impliziert die originelle Art und Weise, wie Augustinus die Eucharistie in der Christologie und in der Heilsgeschichte verankert, die Lehre von der ‹Einheit des Leibes Christi›, des ‹totus Christus›, als welchen der Kirchenvater die Kirche – und dabei insbesondere die Eucharistie feiernde Kirche – begreift. Die Eucharistiefeier ist derjenige Ort bzw. dasjenige Geschehen, an dem bzw. in dem sich die vom ‹Haupt Christus› her gestiftete und gewährleistete Einheit des ‹Leibes Christi› aktualisiert und aktuell vollzieht. Im gemeinsamen Feiern der Eucharistie bringen die Christen laut Augustinus in erster Linie nicht eine aus formaler Kirchenzugehörigkeit statuierte Einheit zum Ausdruck, sondern realisieren die von Christus grundsätzlich und grundlegend bereits angelegte Einheit aller derjenigen, die sich von ihm rufen lassen und sich auf ihn berufen. Lässt sich aus dieser Überzeugung Augustins nicht die Ermutigung ableiten, dass Christen trotz der historischen und empirischen Grenzen zwischen ihren kirchlichen Institutionen und deren Selbstverständnis gemeinsam Eucharistie feiern und damit, allen Konfessionsgrenzen zum Trotz bzw. alle Konfessionsgrenzen im Augenblick der Feier überwindend, ihre grundlegende Einheit in Christus nicht nur zum Ausdruck bringen, sondern, ‹per opere operato›, im realsymbolischen Sakrament sogar ratifizieren, aktualisieren, verdichten und vertiefen? Freilich: Es liegt mitnichten auf der Fluchtlinie der augustinischen Eucharistielehre, dass Christen die konkret-geschichtlichen Ausprägungen, Traditionen, Ämter und Gebote – bis hin zu den Gesetzen des Codex Iuris Canonici – schlichtweg ignorieren und mit einem weltanschaulich buntgescheckten Freundeskreis in ihrem Wohnzimmer fröhlich-enthusiastisch Interkommunion feiern. Wohl aber würde ich mit Augustinus im Rücken dafür plädieren, die jetzt schon vorhandenen Ausnahmeregelungen in Richtung einer ‹begrenzt offenen Kommunion›, die vom Ökumenismusdekret des Vatikanum II und vom Codex Iuris Canonici eingeräumt werden, weit offensiver und intensiver zu nutzen als bisher und sich um deren sukzessive Ausweitung zu bemühen. Könnte vor dem Hintergrund der augustinischen Leib-Christi-Eucharistielehre nicht auch die katholische Kirche ihre christlichen Schwestern und Brüder aus den Kirchen der Reformation gelegentlich einladen, an einer katholischen Eucharistiefeier teilzunehmen, und zwar im Geiste von Augustins sermo 272: «Euer eigenes Mysterium liegt auf dem Tische des Herrn. ... Seid, was ihr seht, und empfanget, was ihr seid», und im Geist von Augustins sermo Denis 3,3: «Manducate vinculum vestrum - Esst euer Verbindungsband!»?

4.3. Eucharistie im Zeichen gemeinsamer Praxis der Konfessionen

Ein letzter Gedanke sei zum Abschluss meiner Impulse schließlich noch angemerkt. Auch und gerade eine ‹offene Kommunion›, d.h. die Zulassung von Christen der je anderen Konfession zur eigenen Eucharistiefeier, wie es die Kirchen der Reformation bei ihrem Abendmahl bereits gestatten, vollzieht sich nicht in kontextfreiem Raum. Greifen wir zur Verdeutlichung und Bestätigung dieser Einsicht erneut auf eine Facette des augustinischen Eucharistieverständnisses zurück, das wir in unseren vorausgegangenen Reflexionen als ‹Verbindung von Ritus und Ethos› charakterisiert hatten. Das eucharistische Brot, so Augustins Allegorie, wird nicht nur aus dem ‹Wasser der Taufe› und den ‹Körnern des Glaubens› gebacken, sondern auch mittels des ‹Feuers der Liebe›, Inbegriff des Heiligen Geistes. Das hieße in Adaptation für die Frage der Ökumene: Nur wenn die Christen unterschiedlicher Konfessionen vom Geist der gegenseitigen Liebe bewegt sind, ist ihre Einheit in der Eucharistie echt und echt christlich. Für Augustinus muss sich die schwesterliche und brüderliche Liebe der Christen, des einen Leibes Christi, im Frieden der Glieder untereinander ausdrücken und niederschlagen: «Wer das Geheimnis der Einheit empfängt und das Band des Friedens nicht aufrechterhält, der empfängt das Geheimnis nicht für sich, sondern das Zeugnis gegen sich», heißt es in sermo 272. Friede in und aus der Kraft des Heiligen Geistes: das kann z.B. heißen, dass Christen unterschiedlicher Konfession miteinander beten; Friede in und aus der Kraft des Heiligen Geistes: das kann indes wohl auch heißen, das Christen miteinander um die Wahrheit ringen und um den Glauben streiten – freilich im Geist der Liebe, die Gott durch Christus in die Glieder seines Leibes gegossen hat. Lassen Sie mich noch eine weitere Facette ergänzen: Einheit von Ritus und Ethos bedeutet auch, dass Christen unterschiedlicher Konfessionen den Geist ihrer christlichen Liebe nicht nur in ihrer Gemeinsamkeit in christlichen Vollzügen und in ihrer wechselseitigen Beziehung innerhalb des binnenkirchlichen Raumes spiegeln, sondern darüber hinaus für ihre gemeinsame Praxis in der Welt und für die Welt fruchtbar machen und bündeln. Gemeinsamer Kampf und gemeinsame Kontemplation der Christen verschiedener Konfessionen – das könnten modern formulierte Implikationen desjenigen ‹Ethos› sein, das Augustinus mit dem ‹Ritus› der Eucharistie verbunden wissen möchte.

5. Neue Strahlkraft der Eucharistie?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich hoffe, dass ich Sie ein wenig für meine Einsicht und Ansicht erwärmen konnte, dass die Besinnung auf das Eucharistieverständnis des spätantiken Bischofs, Seelsorgers und Theologen Augustinus von Hippo unserem gegenwärtigen, bisweilen kränkelnden eucharistischen Leben ein wenig auf die sakramentalen Beine, vielleicht sogar Sprünge helfen könnte. Die Impulse, die in dieser Hinsicht von Augustinus ausgingen und ausgehen, bewegen sich, so versuchte ich aufzuzeigen, in vielerlei Hinsicht im Horizont von ‹Verbindung› und ‹Einheit›. Die ‹Einheit des einen Leibes Christi› dürfte innerhalb dieser ‹Einheits›-Eucharistielehre nochmals den Mittelpunkt darstellen – oder besser und augustinischer formuliert: deren ‹Herzstück›. Wenn die Einheit im Herzen und die Einheit der Herzen, die die Christen auszeichnet und auszeichnen sollte, sich noch stärker als bisher in der Einheit der Eucharistiefeier über die Konfessionsgrenzen hinweg ausdrückt, dürfte auch dies nicht unwesentlich dazu beitragen, die Strahlkraft der Eucharistie wieder neu zum Leuchten zu bringen: als gebündelter Lichtstrahl hinein in die Kirchen und als gebündelter Lichtstrahl hinaus in die Welt.