Tempus vestigium aeternitatis
Augustins Zeitauslegung im 11. Buch seiner Confessiones
Von Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA
(Münster, 24. Januar 2005)
Augustins Confessiones sind eine Autobiographie von höchst eigenartigem Inhalt und von nicht weniger eigenartiger Form. Trotzdem sind ihre Struktur und ihr Aufbau klar: Ihr Verfasser erzählt in den ersten 9 Büchern aus seinem Leben von der Kindheit bis zum Tode seiner Mutter, indem er zugleich seine geistige Entwicklung bis zur Bekehrung im 32. Lebensjahr darstellt. Er überspringt dann rund ein Jahrzehnt und reflektiert im 10. Buch über seine gegenwärtigen spirituellen Erfahrungen. In den Büchern 11-13 verlässt er das Genre des Biographischen überhaupt und wendet sich der Deutung des biblischen Schöpfungsberichtes zu.
Dieser Wechsel der literarischen Gattung in ein und demselben Werk gab der Wissenschaft viele Rätsel auf. Es gibt Dutzende von Versuchen, die Frage nach der Einheit der Confessiones zu beantworten. Mir scheint die von Erich Feldmann vorgelegte die schlüssigste zu sein. Danach gilt es zu bedenken, dass Augustin 9 Jahre lang Manichäer war, und deren antikirchliche Polemik allem voran den biblischen Schöpfungsbericht zum Ziel hatte. Gerade weil es den Manichäern dem jungen Augustin gegenüber gelang, den biblischen Schöpfungsbericht mit seinem Gottesbild zu diffamieren, sah der Verfasser der Confessiones sich gezwungen, nicht nur zu zeigen, wie er nach langen Irrwegen zu Gott zurückfand und wie er nunmehr zu seinem Gott stand, sondern paradigmatisch am biblischen Schöpfungsbericht auch aufzuzeigen, wie sich dieser Gott der Offenbarung dem Menschen zu erkennen gibt[1].
Gott nämlich ist der eigentliche Gegenstand, um den das augustinische Denken kreist. Augustin hat dies in den bald nach seiner Bekehrung abgefassten Alleingesprächen in dem vielzitierten Satz gleichsam auf die Formel gebracht: «Gott und die Seele will ich erkennen»[2]. Die zehn Jahre später entstandenen Confessiones illustrieren diesen Satz auf ihre Weise. Denn Augustin hatte sich inzwischen geistig insofern weiterentwickelt, als er sich durch ein intensiviertes Bibelstudium speziell durch das der Briefe des Apostels Paulus die Gnadenlehre des Römerbriefes zu eigen machte. Die Confessiones sind überhaupt so etwas wie ein Hohes Lied auf die Gnade[3].
Indes, der Bischof von Hippo verstand die Gnade nie so, als wirke diese an den natürlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen vorbei. Zeit seines Lebens teilte er die Überzeugung, der Mensch könne aufgrund seiner Geistausstattung zur Erkenntnis und Erfahrung Gottes gelangen. Nur – und das betonte er zunehmend – reichten diese Fähigkeiten allein, d.h. ohne Hilfe der Gnade, zur Erlangung des Heils nicht aus. Einer natürlichen Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung, das wusste der Kirchenvater sehr wohl, rühmten sich auch Philosophen wie z.B. die Neuplatoniker, denen er, wie wir gleich sehen werden, die Voraussetzungen seiner eigenen Lehre von der Erkenntnis und der Erfahrung Gottes auf dem Weg philosophischer Reflexionen verdankte. Aus der Bedeutung der christlichen Gnadenlehre für das Heil folgerte Augustin nicht, der Christ dürfe die natürlichen Fähigkeiten, Gott zu erkennen und zu erfahren, vernachlässigen oder gar verschmähen. Im Gegenteil, der Gläubige, zumal der gebildete, solle sich bemühen, diese ihm von seinem Schöpfergott verliehenen Fähigkeiten in den ihm von seinem Erlösergott über die Offenbarung gewiesenen Heilsweg zu integrieren. Wie solche Integration vorgenommen werden könne, das entfaltet Augustin mustergültig im 11. Buch der Confessiones, in dem er über das Wesen der Zeit philosophisch und theologisch reflektiert.
Werfen wir, ehe wir uns jenem Buch zuwenden, einen Blick auf ein drittes Werk, das Augustin noch vor Inangriffnahme seiner Confessiones zu schreiben begann. Eduard Norden nannte es in seiner großen Untersuchung über die antike Kunstprosa ein brillantes Opus[4]. Der Bischof gab ihm den Titel De doctrina christiana – zu deutsch: Der christliche Unterricht bzw. Die christliche Unterweisung oder auch Wissenschaft[5].
Augustin beginnt seine Erörterung mit der lapidaren Feststellung: «Jedweder Unterricht hat entweder Sachen (res) oder Zeichen (signa) zum Gegenstand. Die Sachen werden jedoch durch die Zeichen erlernt»[6]. Freilich sind Zeichen ebenfalls Sachen, aber ungleich zu dem, was sie bezeichnen. Neben den natürlichen Zeichen wie z.B. dem Rauch, der als Sache und Zeichen zugleich eine andere Sache, nämlich Feuer anzeigt, gibt es das Heer konventioneller Zeichen wie z.B. die Sprache. Löwe als Wort ist etwas anderes als das damit bezeichnete Tier. Vom Zeichen heißt es deshalb definitorisch, es sei «eine Sache, die außer ihrer sinnenfälligen Erscheinung noch etwas anderes gedanklich nahe legt»[7]. Nach der Lehre Augustins ist den Zeichen eine erkenntnistheoretische Eigentümlichkeit zu eigen, der zufolge man die bezeichnete Sache stets schon kennen muss, wenn man deren Zeichen erkennen will[8].
Das Zeichen und die von ihm bezeichnete Sache werden in der antiken Philosophie als Begriffspaar ‹signum-res› zu einem sogenannten Schema zusammengefasst. Es gibt noch eine Reihe anderer Schemata. Erwähnt sei lediglich aus dem Bereich der Ontologie das Schema ‹veränderlich-unveränderlich›. Die Platoniker z.B. lehrten, das Veränderliche sei als Seiendes vom Unveränderlichen abhängig. Bei Augustinus heißt das Schema ‹mutabile-inmutabile›. Er verwendet es häufig, so auch in De doctrina christiana, denn die Sache, um deren Erkenntnis es ihm dort geht, ist Gott, die Sache schlechthin, weil unveränderlich, auf die alles Veränderliche im Sinne natürlicher Zeichen verweist. Der Bischof beruft sich auf Rm 1,20, wonach Gottes unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen werde[9].
In dem etwa 393 begonnenen, aber unvollendet gelassenen zweiten Genesiskommentar[10] interpretiert Augustin den Vers Gn 1,14b über die Erschaffung der Leuchtkörper am Himmelsgewölbe: «... sie sollen als Zeichen dienen sowohl für die Festzeiten als auch für die Tage und Jahre». Der Kommentar sagt nicht nur, die durch bestimmte Intervalle gekennzeichneten ‹tempora› seien ‹signa›, die als solche auf die über ihnen sich befindende unveränderliche Ewigkeit verwiesen, es heißt da noch: Die Zeiten verwiesen deshalb über sich hinaus, damit die Zeit selbst in ihrer auf die Ewigkeit verweisenden Funktion als Zeichen, als Spur der Ewigkeit erkannt werde – «ut signum, id est quasi uestigium aeternitatis tempus adpareat»[11].
Unschwer erkennt man auch hier das Schema ‹Zeit-Ewigkeit›, ‹tempus-aeternitas›. Setzt man an die Stelle des ‹signum-res›-Schemas in die Definition vom Zeichen jenes von ‹tempus-aeternitas›, so wird Zeit trotz der eigenartigen Brechung durch ihre Zurücknahme in die Innerlichkeit in den Confessiones, wie wir noch sehen werden, zu jener bezeichnenden Sache, ‹res significans›, die bei ihrer Wahrnehmung noch eine andere Sache, nämlich die Ewigkeit als ‹res significata› nahe legt, deren Spur sie ist.
Hinter dieser Interpretation der Zeit als ‹signum› bzw. als ‹uestigium aeternitatis› ist unschwer Platons kosmisch-zyklischer Zeitbegriff aus Timaios 37c zu erkennen, wonach die vollkommene Kreisbewegung der Gestirne ein bewegtes Bild der unbewegten Ewigkeit sein soll[12]. Bekanntlich bezeichnete Plotin in seiner Enneade 3,7 ‹Über Ewigkeit und Zeit› die Zeit ebenfalls als ein Abbild der Ewigkeit[13]. Mit Platon und Plotin wusste Augustin, wie sehr das Wissen um das Wesen der Zeit die Sehnsucht in der Seele schürt, sich der Ewigkeit, aus der sie hervorging, von der sie aber getrennt ist, wieder zuzuwenden. Die metaphysische Struktur des Kausalzusammenhangs von Ewigkeit und Zeit bildet deshalb auch das Fundament der Ethik der Platoniker und mutatis mutandis auch Augustins. Diese ist bei aller biblisch bedingten spezifischen Differenz eine Ethik der Innerlichkeit. Ihre Einübung fördert aufs wirksamste – freilich wie eingangs schon gesagt: nach erlangter Rechtfertigung durch die Gnade Christi – die Beschäftigung mit der Zeit, weil sie der geeignetste Stimulus zur Betrachtung der Ewigkeit ist.
Wenden wir uns nunmehr der Zeitauslegung im 11. Buch der Confessiones zu, so können wir zunächst feststellen, dass Augustin den Einstieg in dieses Thema mit der Klärung der Ewigkeit beginnt. Denn was es mit der Zeit als Abbild auf sich habe, werde erst deutlich, wenn man das Urbild von diesem Abbild erkannt habe[14]. Deshalb erörtert er auch zunächst das Wesen der Ewigkeit, ehe er im Kapitel 14 die Frage stellt: «quid est ergo tempus?»[15]. Aber Augustins Leitfaden sowohl für die Erörterung des Wesens der Ewigkeit wie auch der Zeit ist vorzüglich die Bibel, genau: Gn I,1 an deren Spitze der Satz steht: «in principio – im Anfang schuf Gott Himmel und Erde». Allerdings taucht Augustin diese Aussage sofort in das Licht seines ontologischen Schemas der Zweiteilung alles Seienden in Beständiges bzw. Veränderliches und in Unbeständiges bzw. Unveränderliches. Himmel und Erde rufen es selbst, dass sie das Sein nicht aus sich selbst haben. Ihre ständige Veränderung und ihr Wandel sprechen eine deutliche Sprache[16]. Der erschaffene Himmel und die erschaffene Erde verweisen auf ihren unerschaffenen Ursprung.
«In principio» assoziierte bei dem philosophisch gebildeten Augustin primär keine zeitlichen, sondern ontologische und spezifisch theologische Vorstellungen. Dieses ‹principium› ist für ihn niemand anders als der Logos von Jo 1,1, das ‹uerbum dei› , die zweite Person des dreieinigen Gottes, durch das bzw. durch den der zeitlose Gott alles Zeitliche schuf. Gottes Zeitlosigkeit aufzuzeigen, war für Augustin deshalb ein wichtiges Anliegen, weil die Gegner der biblischen Schöpfungslehre fragten, was denn Gott getan habe, bevor er die Zeit erschuf. Augustin antwortete: Gott könne der Zeit nicht in der Zeit vorausgehen, sonst würde er nicht allen Zeiten vorausgehen. Er überrage die Zeit nicht zeitlich, sondern durch sein Wesen, seine Seinshöhe[17].
Weil der Prozess der Schöpfung sich nach der biblischen Offenbarung über das Medium der Sprache vollzog – Augustin zitiert Ps 32,9: «du sprachst und sie waren erschaffen» –, deshalb entlasse die in sich verharrende Ewigkeit die Zeiten aus ihrem Stand sozusagen in der Form eines Diktates[18]. Wie wenig indes der in seiner Philosophie von der platonischen Eidetik abhängige Kirchenvater dieses schöpferische ‹Wort› sprachlich denkt, dies zeigt die Sorgfalt, mit der er die ‹zeitlich erklingenden Worte› vom ‹ewigen Wort im Schweigen› trennt. Vom letzteren heißt es: «aliud est, longe aliud»[19]. Dem Schöpfungswort fehlen ja gerade die Charakteristika der Sprache, die Stimme, ‹uox›, und die Silben, ‹syllabae›. Mit ihnen lässt sich eher die Zeit veranschaulichen, die Augustin gerne mit der Rezitation eines Gedichtes vergleicht, bei der die Silben und die Verse nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander, «posterioribus priora tollentem»[20], ausgesprochen werden können. Gottes Schöpferwort hingegen ist selbst Gott; es wird ewig von ihm ausgesprochen und umfasst jedwedes Detail mit dem Ganzen zugleich und unaufhörlich[21]. Seiendes dagegen, das zu sein beginnt und zu sein aufhört, ist gleichsam ‹vorprogrammiert›. Es kann sein ‹Programm› nur in Übereinstimmung mit der ewigen Vernunft ‹abwickeln›, wo in zeitloser Weise erkannt wird, ein Etwas müsse beginnen und enden[22]. Das Einmalige, punktuell sich Verwirklichende gründet in der Unveränderlichkeit seines Ursprungs[23].
Was nun an der Zeit, an diesem ‹inplicatissimum aenigma›[24], ist Zeichen der Ewigkeit? Was ist Zeit überhaupt? Augustin gesteht: «Wenn niemand mich danach fragt, so weiß ich es; sobald ich es jedoch einem Fragenden explizieren will, weiß ich es nicht»[25]. Denn wie soll das Wesen einer Sache einsichtig werden, das sich dem Wahrnehmenden sozusagen ständig entzieht? Und dennoch muss die Zeit mit ihrem Dreitakt von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit ein Etwas haben, das in ihr ankommt und vorübergeht. Es ist aber ebenso einsichtig, dass die ankommende und vorübergehende Gegenwart keine Gegenwart bleiben kann, weil sonst die Differenz zwischen Zeit und Ewigkeit und damit auch von Zeichen und Bezeichnetem aufgehoben wäre. Es liegt somit im Wesen der Zeit, dass sie bestrebt ist, nicht mehr zu sein: «tempus, nisi quia tendit non esse»[26].
Das entscheidende Glied im Dreitakt der Zeit ist das vom ‹noch nicht› und vom ‹nicht mehr› umfangene ‹praesens›. Doch was ist ‹praesens›? Unser Jahrhundert ist es nicht, denn es zerfällt in hundert Einheiten von Jahren, aus denen es sich begrifflich konstituiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Jahr, dem Monat, dem Tag und der Stunde, ja bis herab zur kleinsten Zeiteinheit. Gegenwart bleibt, was sich zeitlich nicht mehr teilen lässt. Sie mündet in die Aporie: «praesens nullum habet spatium»[27]. Was verweist aber dann auf die Ewigkeit, wenn die Gegenwart nicht fassbar wird?
Die Prophetien weisen einen Weg. Denn sie, die Künftiges vorherverkündeten, scheinen anzuzeigen, dass es ein ‹ubi› gibt, wo das noch nicht Geschehene irgendwie bereits vorhanden ist. Von einer Voraussage kann aber sinnvoll nur geredet werden, wenn das Zukünftige in die Gegenwart hereinragt, sei es, dass es in seinen Ursachen, sei es, dass es in seinen Vorzeichen wie der Sonnenaufgang in der vorausgehenden Morgenröte gegenwärtig wird. Nicht anders verhält es sich mit der Vergegenwärtigung des Vergangenen. Nur betrachtet der Geist nicht die Gründe und die Vorzeichen der Dinge, sondern ihre Spuren und Bilder, die sie in der ‹memoria› zurücklassen. Vergangenheit und Zukunft sind somit in der Seele in der Weise der Vergegenwärtigung[28].
Obgleich die weitere Erörterung sich auf das Vergangene und auf das Künftige erstreckt, so bleibt doch die Frage nach dem ‹praesens› das eigentliche Thema. Augustin versucht es sozusagen per extensionem einzufangen, indem er folgert: Es gibt drei Zeiten, eine Gegenwart aus Vergangenem, eine Gegenwart aus Gegenwärtigem und eine Gegenwart aus Zukünftigem. Aber alle diese Seinsweisen der Zeit sind allein in der Seele: «alibi ea non uideo»[29].
In der Geistseele ist das Vergangene gegenwärtig durch das Gedächtnis (memoria), das Präsentische gegenwärtig im Augenblick (contuitus) und das Künftige gegenwärtig in der Erwartung (expectatio). Erst über die durch die ‹memoria› bedingte innere Schau gewinnt Augustin einen Zugang zum Wesen der Zeit. «Die Innerlichkeit des Menschen erweist sich so als eine eigentümlich vermittelnde Mitte zwischen Zeit und Ewigkeit»[30]. Nur der ‹homo interior› erkennt die Zeichenhaftigkeit der Zeit. Denn die Seele verwandelt kraft ihrer Ähnlichkeit mit dem Ewigen – in ihr ist ja der Geist ‹imago dei›[31] – die Gegenwart in Dauer und überspannt somit das Nacheinander der Zeit zu einem sowohl differenzierbaren wie integrierbaren Gefüge[32]. Sie vermag von dem vor dem Auge ihres Geistes vorüberziehenden zeitlich Seienden Bilder, ‹imagines›, aufzunehmen und auf diese Weise dem Vorüberziehenden in ihrer ‹memoria› eine Art Bleibe zu verschaffen[33]. Allein an der Seele und in der Seele wird die Gegenwart habhaft. Dies wird von Augustin noch dadurch unterstrichen, dass er ausdrücklich jene Theorie zurückweist, die dem Wesen der Zeit außerhalb der Seele beikommen zu können meint und Zeit mit der Bewegung von Himmelskörpern identifiziert[34]. Das Fazit der Auseinandersetzung Augustins mit dem kosmischen Zeitbegriff der Antike lautet: Die Zeit ist mit der Bewegung von Körpern nicht identisch.[35]. Sie sei eher so etwas wie eine Ausdehnung, eine ‹distentio›[36].
Was aber meint ‹distentio›? Fest steht lediglich, dass die Bewegung der Körper durch die Zeit gemessen wird. Wer aber misst, wenn nicht der Geist, der einen Vorgang, z.B. die Rezitation eines Gedichtes reflex erfasst, indem er die Zeiträume (spatia) der Verse, der Versfüße und der Silben im Vorüberziehen zählt und miteinander vergleicht. Die Dauer der Verse, Versfüße etc. ist zwar eine Ausdehnung, aber diese ist mit dem Versmaß nicht eo ipso festgelegt, denn ein Vers kann schnell und langsam vorgetragen werden. Ihre Ausdehnung muss demnach eine Dimension der Seele sein[37].
Wie immer Augustin das Messen der Zeit veranschaulicht, stets mündet seine Erörterung darüber in eine Reflexion über die Tätigkeit der Seele, die durch ihre wunderbaren Fähigkeiten des Erinnerns, des Anblicks und des Erwartens der Zeit gleichsam einen Halt gebietet. «Den Eindruck (affectionem)», heißt es wörtlich, «den die vorübergehenden Dinge in dir (Seele) zurücklassen, der da bleibt, sobald jene vorübergegangen sind, den messe ich, wenn ich die Zeit messe. Entweder ist er (der Eindruck) also selbst Zeit, oder ich messe die Zeit nicht»[38].
Ist Zeit als ‹affectio animi› eine Sache des Geistes, so entspricht ihrer dreifaltigen Struktur auch die Struktur des Geistes. Dieser ist in bezug auf die Zeit ein erwartender, ein aufmerkender und ein sich erinnernder. Von den Verben ‹erwarten-expectare›, ‹aufmerken-adtendere› und ‹sich erinnern-meminisse› ist ‹adtendere›, obgleich ihm an und für sich kein Objekt zukommt, da die Zeit in ihrem Übergang aus dem ‹futurum› in das ‹praeteritum› im Geiste kein ‹spatium› für das ‹praesens› erkennen lässt, das bedeutsamste. Denn ‹Erwarten› wie auch ‹Sich erinnern› ist ohne ‹aufmerken› nicht denkbar. Der Geist ist dann aufmerksam, wenn er sich erwartend auf die Zukunft erstreckt und sich erinnernd beim Vergangenen weilt. Lange Zukunft ist lange Erwartung des Künftigen, lange Vergangenheit langes Gedenken des Vergangenen, auf das sich der Geist richtet. Darum heißt es gerade von dem in bezug auf die Zeit objektlosen Mittelglied der ‹attentio›, sie habe Dauer: «perdurat attentio»[39].
Somit ist es der Geist selbst, der sich in seiner Aktivität über den Augenblick hinaus erstreckt und die Weisen der Zeiten gleichsam unter ein Joch zwingt. Schon ehe er ein Lied aufzusagen im Begriffe ist, umspannt er in der Erwartung das Ganze: «in totum expectatio tenditur». Sobald dann das Lied gesungen wird, umspannt sogleich auch das Gedächtnis jenen Teil, der schon abgesungen ist: «tenditur in memoria mea». Durch dieses doppelte ‹tendere›, in das ‹noch nicht› und in das ‹schon› erweist sich die ‹attentio› in Wirklichkeit als eine ‹distentio›, Ausdehnung[40]. Nur in der Weise der ‹distentio› gelingt es also dem Geist, der Zeit das Stigma der Dauer zu geben und in der Dauer die Ewigkeit spiegeln zu lassen.
Indes, die über die ‹distentio animi› gewonnene Einheit einer zeitlichen Dauer kann in Wirklichkeit über die Vielheit ihrer Bestandteile nicht hinwegtäuschen. Dem über die Zeit durchweg existentiell reflektierenden Augustin entging dies nicht. Die als ‹distentio› sich empfindende Existenz strebt zwar nach Einheit, essentiell ist sie aber Unbeständigkeit und Vielheit. Die Confessiones drücken dies so aus: «nos multos, in multis per multa»[41]. Wahre Einheit besitzt Gott allein, der den Menschen über die Zeiten hinweg durch seinen menschgewordenen Sohn, den Mittler zwischen sich und uns, zur Beständigkeit ruft. Rhetorisch vollendet heißt es von ihm im Kommentar zum Psalm 101, Vers 25: «Wort vor den Zeiten, durch das die Zeiten geworden sind, geboren in der Zeit, obgleich Inbegriff des ewigen Lebens, ruft es die in der Zeit Existierenden, um sie mit der Ewigkeit zu beschenken»[42].
Will man die Beschaffenheit der augustinischen Zeitreflexion auf dem Hintergrund ihrer spirituellen Zielsetzung in ihrer vollen Tragweite erkennen, so darf man ihr Proprium, die Integration philosophischer und biblischer Gedankengänge nicht übersehen. Nachdem Augustin auf dem Höhepunkt seiner Erwägungen über Zeit und Ewigkeit angelangt ist, zieht er absichtlich das biblisch-neutestamentliche Gottesbild zu seinen abschließenden Überlegungen heran. Gewiss, Einheit und Vielheit sind Grundkategorien der neuplatonischen Ontologie. In des Bischofs Geist assoziieren jedoch diese Termini über die Offenbarung gewonnene theologische Einsichten. Das die existentielle Einheit garantierende Eine ist nicht das ἕν der Neuplatoniker, sondern der offenbarte dreieinige Gott und auch das der erstrebten Einheit widerstehende Viele ist nicht das aus dem ἕν Emanierte, sondern das von diesem dreieinigen Gott in Freiheit erschaffene Veränderliche, das ‹mutabile›. Augustin geht noch weiter. Er lässt die ganze christliche Soteriologie mitschwingen, wenn er bei der Formulierung der Quintessenz seiner Erörterungen im Buch 11 der Confessiones, dem ethischen Programm des «Sich-aus-dem-Vielen-Sammeln» und des ‹dem-Einen-Folgen›, den neuplatonischen Grundakkord anschlägt.
Im Sinne der schon dargelegten Zeichentheorie lautet diese Quintessenz: Der veränderliche, in der Zeit existierende Mensch muss den unveränderlichen Einen, Gott, je schon kennen, wenn er aus dem Vielen sich sammelnd jenem folgen will. Anders gewendet: Nur auf der Folie der zumindest erahnten Ewigkeit kann die Zeichenhaftigkeit der als ‹distentio animi› begriffenen Zeit als solche erkannt werden. Aus der Erkenntnis der Zeit als ‹signum› bzw. als ‹uestigium aeternitatis› resultiert dann für Augustin der vielsagende Imperativ, den er nicht mehr nur mit plotinischen, sondern unüberhörbar auch mit paulinischen, nämlich aus Phil 3,12-14 herangezogenen Formulierungen zum Ausdruck bringt: Strecke dich nach dem, was vor dir liegt, nämlich der Ewigkeit[43]. Der Italatext ermöglichte es Augustin, das paulinisch eindeutige Sich-Strecken nach vorne (ἔμπροσθεν) als ein Sich-
Strecken nach der ewig stehenden transzendenten Wahrheit auszulegen[44]. Das Greifen (adprehendere) nach der Ewigkeit geschieht nicht in der Weise der ‹distentio animi›, sondern «secundum intentionem»[45]. In der Auseinanderdehnung, der ‹distentio›, umgreift zwar der Geist die Zeit, aber erst in der Hindehnung, in der ‹intentio›, versucht er das zerteilte Dasein zu überwinden, indem er sich auf seinen Ursprung hin konzentriert.
Der Ursprung, auf den hin sich alles Dasein zu konzentrieren hat, ist für Augustin Gottes Wort, das als Mittler zwischen dem dreieinigen Gott und dem Menschen selbst in die Zeit eingegangen ist, um den Menschen den Weg aus der Zeit in die Ewigkeit zu zeigen. Es ist gewiss nicht ohne Bedeutung, dass der Mittler Christus zum Beginn und zum Abschluss der Zeitreflexion erwähnt wird. In ihm sieht Augustinus den Schlüssel zum Verständnis von Zeit und Ewigkeit. Programmatisch heißt es im vorletzten Kapitel von Buch 11 der Confessiones: «Ich werde stehen und gefestigt sein in dir, in meinem Urbild, deiner Wahrheit»[46]. ‹Urbild› und ‹Wahrheit› am Ende der Erörterung über die Zeit meinen den alle Geheimnisse umfassenden Schoß der Gottheit[47], in dem alles Geschaffene, die Zeit nicht ausgeschlossen, ihr eigentliches Sein hat.
Bereits im 18. Kapitel dieses Buches, in dem Augustin nach dem ‹ubi› der Zukunft und der Vergangenheit fragte, bekannte er sich zur Verankerung der Zeiten an einem transzendentalen ‹Ort›: «Ich weiß, wo immer sie auch sind, dort sind sie weder vergangen noch künftig, sondern gegenwärtig»[48]. Jetzt, da er das Sein der Zeiten in Gott beschreibt, veranschaulicht er die Differenz von Zeit und ihrem Urbild an der Erkenntnisweise, mit der Gott die Idee der Zeit schaut. Der Schöpfer der Zeit und der Zeiten durcheilt diese nicht wie der Mensch, der Teile der Zeiten in der Auseinandersetzung seines Geistes sozusagen abtastet und immer nur bruchstückhaft umgreift. Nein, Gott durchschaut im Stand den Stand der Zeiten: «anni tui omnes simul stant, quoniam stant»[49]. Er kennt sie ohne Änderung seines Wissens und er schafft sie ohne Wechsel in seinem Wirken[50]. Der Grund der Zeit liegt in der Zeitlosigkeit seines Seins.
Resümierend wird man sagen können, Zeit ist nach Augustinus geradezu ein Muster der von ihm als ‹natürliche Zeichen› gedeuteten Dinge der Schöpfung, denn zwischen ihr und der Ewigkeit besteht jene aus Ähnlichkeit und Unähnlichkeit resultierende Analogie, welche das Bezeichnende und das Bezeichnete verbindet, aber auch trennt. Die Zeit hat also an ihrer seinsstiftenden Idee, welche die mit dem ‹uerbum diuinum›, dem Wort Gottes, identische Ewigkeit ist, im Sinne der neuplatonisch-augustinischen Ontologie einen abgeschatteten Anteil[51]. «Weil die Ewigkeit als ontologische Umklammerung der Zeit stets schon ‹voraus›-liegt, vermag letztere trotz ihres Ver-Laufs, ‹tendit non esse›, sowohl in ihrem horizontalen Lauf (Geschichte) wie auch in ihrem durch die ‹distentio› des Geistes gleichsam zum Stillstand gebrachten ‹praesens› vertikal das ‹aliud›, das Anderssein der Ewigkeit anzuzeigen. Zeit bleibt für Augustin immer Spur von Ewigkeit, ja sie wahrt ihren Spurcharakter gerade darin, dass sie mit der Ewigkeit nicht identisch ist»[52]. Darin besteht aber, wie eingangs ebenfalls schon gezeigt, die Funktion der Zeichen.
Augustin hat die Zeit, speziell im Blick auf Gott, gerne mit einem ‹carmen› verglichen. Er tut dies auch am Ende seiner Erörterung über die Zeit: «Wäre ein Geist eines so großen Wissens und Vorauswissens mächtig, dass ihm alles Vergangene und Künftige bekannt wäre wie mir ein sehr vertrautes Lied, so wäre das ein überaus wunderbarer und zum Erschrecken erstaunlicher Geist. Denn, was schon längst vergangen ist und was in den restlichen Jahrhunderten sich noch ereignen wird, das läge offen vor ihm wie das Lied, das ich singe, vor mir offen liegt, wie viel vom Lied auch schon gesungen ist und wie viel auch von ihm noch übrig ist. Fern sei es aber, dass du, Schöpfer des Alls, Schöpfer der Seelen und der Leiber – fern sei es, dass du alles Künftige und Vergangene so wüsstest! Weit, weit wunderbarer und weit geheimnisvoller weißt du es. Dein Wissen ist nicht so, wie wenn einer etwas Bekanntes singt oder ein vertrautes Lied hört, wobei seine Stimmung schwankt und sein Sinn in der Erwartung der künftigen Töne und in der Erinnerung der schon gesungenen geteilt wäre. Das ist bei dir, dem unwandelbar Ewigen, dem wahrhaft ewigen Schöpfer der Geister nicht der Fall. So wie du ‹im Anfang Himmel und Erde› ohne Änderung deines Wissens kanntest, so hast du ‹im Anfang Himmel und Erde› ohne Wechsel in deinem Wirken geschaffen. Wer dies begreift, der bekenne es dir, und wer es nicht begreift, bekenne es ebenfalls! Wie bist du erhaben, dessen Wohnung die Herzen der Demütigen sind! Denn ‹du richtest die Gebeugten auf› (Ps 144,14) und es fallen die nicht, deren Höhe du bist – tu enim ‹erigis elisos›, et non cadunt, quorum celsitudo tu es»[53].
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[1] E. Feldmann trug seine These auf dem IX. Internationalen Patristischen Kongreß in Oxford vor. Der Vortrag wurde in spanischer Sprache veröffentlicht: Las «Confessiones» de Agustin y su unidad. Reflexiones sobre su composición: Augustinus 31 (1986) 113-122.
[2] Sol. 1,7.
[3] Siehe dazu C. Mayer, Augustins Bekehrung im Lichte seiner ‹Bekenntnisse›. Ein Exempel der kirchlichen Gnadenlehre: Augustinian Studies 17 (1986) 31-45.
[4] Die antike Kunstprosa 2, Leipzig 1898, 526.
[5] Zur Datierung, Absicht und Gliederung von De doctrina christiana siehe C.P. Mayer, Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie Augustins 2. Die antimanichäische Epoche, Würzburg 1974, 88-96. Dort auch weitere Literatur.
[6] Doctr. chr. 1,2.
[7] Ib. 2,1: ««signum est enim res praeter speciem quam ingerit sensibus, aliud aliquid ex se faciens in cogitationem uenire».
[8] Augustin entwickelte seine Zeichentheorie bereits in dem etwa 389 entstandenen Dialog De magistro. Dort, 10,33 befindet sich auch der zitierte Satz: «magis signum re cognita quam signo dato ipsa res discitur». Zur Datierung S.M. Zarb, Chronologia operum S. Augustini secundum ordinem retractationum digesta, Roma 1934, 33. Deutung des Dialogs auf dem Hintergrund der Ontologie Augustins: C.P. Mayer, Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus 1. Die Frühschriften, Würzburg 1969, 222-247.
[9] Doctr. chr. 1,4.
[10] Cf. S.M. Zarb, op. cit. 34sq.
[11] Gn. litt. inp. 13,38. Der aufschlußreiche Text lautet wörtlich: «uidetur mihi hoc, quod dixit: ‹in signis›, planum fecisse illud, quod dixit: ‹et in temporibus›, ne aliud acciperentur signa et aliud tempora. haec enim nunc dicit tempora quae interuallorum distinctione aeternitatem incommutabilem supra se manere significant, ut signum, id est quasi uestigium aeternitatis tempus adpareat».
[12] Nach sol. 1,4 vollzieht sich der Lauf der Himmelskörper nach in Ewigkeit feststehenden Gesetzen: «deus cuius legibus in aeuo stantibus motus instabilis rerum mutabilium perturbatus esse non sinitur, frenisque circumeuntium saeculorum semper ad similitudinem reuocatur». Neben dieser Stelle aus den Soliloquien zeigt auch ciu. 11,21, daß Augustin Tim. 37c gekannt hatte. Cf. auch P. Alfaric, L’évolution intellectuelle de Saint Augustin 1. Du Manichéisme au Néoplatonisme, Paris 1918, 452 Anm. 5.
[13] Auf die Abhängigkeit Augustins von Enneade 3,7 macht R.J. O’Connell, The Riddle of Augustine’s «Confessions»: A Plotinian Key: International Philosophical Quarterly 4 (1964) 327-372, spez. 355-358, aufmerksam.
[14] Enneade 3,7,1. Zur Stelle J. Guitton, Le temps et l’éternité chez Plotin et saint Augustin, Paris 1933, 58.
[15] Conf. 11,17.
[16] Die Stelle im Kontext, ib. 11,6: «ecce sunt caelum et terra, clamant, quod facta sint; mutantur enim atque uariantur. quidquid autem factum non est et tamen est, non est in eo quicquam, quod ante non erat: quod est mutari atque uariari. clamant etiam quod se ipsa non fecerint; ‹ideo sumus, quia facta sumus; non ergo eramus, antequam essemus, ut fieri possemus a nobis›. et uox dicentium est ipsa euidentia».
[17] Conf. 11,16: «praecedis omnia praeterita celsitudine semper praesentis aeternitatis et superas omnia futura».
[18] Ib. 11,13: «quis tenebit cor hominis, ut stet et uideat, quomodo stans dictet futura et praeterita tempora nec futura nec praeterita aeternitas».
[19] Ib. 6,8. Zum Problem der Hintansetzung der Sprache zugunsten der Eidetik bei der Verdeutlichung des ‹uerbum aeternum› siehe U. Duchrow, Sprachverständnis und biblisches Hören bei Augustin, Tübingen 1965, 144sq.
[20] So in der Frühschrift De uera religione 22,42sq. Wie die Silben als die «extrema uestigia» der unveränderlichen Dichtkunst in Erscheinung treten, so müsse man auch hinsichtlich des Zeitgefüges die ‹temporalia› von der ‹conditrix ac moderatrix diuina prouidentia temporum› absetzen bzw. auf sie hin ansetzen. Auch als lineare Bewegung ahmt die Zeit ihr ideenhaftes Vorbild, die Ewigkeit nach. Aufschlußreich zu diesem Thema auch mus. 6,29: «quae uero superiora sunt, nisi illa in quibus summa, inconcussa, incommutabilis, aeterna manet aequalitas? ubi nullum est tempus, quia nulla mutabilitas est; et unde tempora fabricantur et ordinantur et modificantur aeternitatem imitantia, dum caeli conuersio ad idem redit, et caelestia corpora ad idem reuocat, diebusque et mensibus et annis et lustris, ceterisque siderum orbibus, legibus aequalitatis et unitatis et ordinationis obtemperat. ita caelestibus terrena subiecta orbes temporum suorum numerosa successione quasi carmini uniuersitatis associant».
[21] Conf. 11,9: «uocas itaque nos ad intellegendum uerbum, deum apud te deum, quod sempiterne dicitur et eo sempiterne dicuntur omnia. neque enim finitur, quod dicebatur, et dicitur aliud, ut possint dici omnia, sed simul ac sempiterne omnia: alioquin iam tempus et mutatio et non uera aeternitas nec uera immortalitas».
[22] Ib. 11,10: «quia omne, quod esse incipit et esse desinit, tunc esse incipit et tunc desinit, quando debuisse incipere uel desinere in aeterna ratione cognoscitur, ubi nec incipit aliquid nec desinit».
[23] Ib. 11,16.
[24] Ib. 11,28. Zum Zeichencharakter des Terminus ‹aenigma› bei Augustin siehe C. Mayer, Die Zeichen 1, 346-348.
[25] Ib. 11,17. Dazu gibt es allerdings eine Parallele in Enneaden 3,7,1.
[26] Ib.
[27] Ib. 11,20.
[28] Ib. 11,23. Dazu treffend U. Duchrow, Sprachverständnis, 163: «Jedenfalls sind Augustins Lösungsversuche des Zeitproblems erkenntnistheoretisch am Sehen orientiert, so daß Kamlah (Christentum und Geschichtlichkeit, S. 227) mit Recht sagt: ‹Offenbar bedeutet dieses absolute Präsens (sc. Gottes) auf dem Boden der Augustinischen Ontologie die eigentliche Lösung des Problems von Anschauung und Zeit›. Denn nur das Präsentische kann angeschaut werden».
[29] Ib. 11,23.
[30] B. Schmitt, Der Geist als Grund der Zeit. Die Zeitauslegung des Aurelius Augustinus, Freiburg 1967, 111.
[31] Cf. Gn. adu. Man. 1,28; conf. 13,47; c. Faust. 22,27; 24,2.
[32] Dazu aufschlußreich: L. Boros, Das Problem der Zeitlichkeit bei Augustinus, Dissertation München 1954, 8 und J. Weinand, Augustins erkenntniskritische Theorie der Zeit und der Gegenwart, Münster 1929, 28-30.
[33] Conf. 11,35: «non ergo ipsas, quae iam non sunt, sed aliquid in memoria mea metior, quod infixum manet». Cf. auch A. Schöpf, Wahrheit und Wissen. Die Begründung der Erkenntnis bei Augustin, München 1965, 126 und H.-J. Kaiser, Augustinus – Zeit und «Memoria», Bonn 1969, 156.
[34] Augustin bemerkt conf. 11,29: «audiui a quodam homine docto, quod solis et lunae ac siderum motus ipsa sint tempora, et non adnui». Weiteres dazu bei O. Lechner, Idee und Zeit in der Metaphysik Augustins, München 1964, im Abschnitt «Kosmische Zeit», 134-136.
[35] Ib. 11,31.
[36] Ib. 11,30.
[37] Ib. 11,33: «inde mihi uisum est nihil esse aliud tempus quam distentionem: sed cuius rei, nescio, et mirum, si non ipsius animi».
[38] Ib. 11,36.
[39] Ib. 11,37.
[40] Ib. 11,38: «distenditur uita huius actionis meae in memoriam propter quod dixi et in expectationem propter quod dicturus sum: praesens tamen adest attentio mea, per quam traicitur quod erat futurum, ut fiat praeteritum».
[41] Ib. 11,39.
[42] En. Ps. 101,2,10 : «uerbum ante tempora, per quod facta sunt tempora, natum et in tempore, cum sit uita aeterna, uocans temporales, faciens aeternos!» Der ausgelegte Psalmvers lautet: «in generatione generationum anni tui».
[43] Conf. 11,39: «non in ea quae futura et transitura sunt, sed in ea quae ante sunt non distentus sed extentus».
[44] Cf. U. Duchrow, Der sogenannte psychologische Zeitbegriff Augustins im Verhältnis zur physikalischen und geschichtlichen Zeit: Zeitschrift für Theologie und Kirche 63 (1966) 267-288, 284.
[45] Zum Begriff und Bedeutungsgehalt von ‹intentio› bei Augustin: J. Rohmer, L’intentionnalité des sensations chez saint Augustin: Augustinus Magister l, Paris 1954, 491-498; G. Quispel, Zeit und Geschichte im antiken Christentum: Eranos Jahrbuch 20 (1951) 115-140, sieht im Begriffspaar ‹distentio-intentio› Urwörter der jüdisch-christlichen Eschatologie.
[46] Conf. 11,40: «et stabo atque solidabor in te, in forma mea, ueritate tua».
[47] Ib. 11,41: «domine deus meus, quis ille sinus est alti secreti tui». Siehe dazu die 46. Quaestio, De ideis, aus diu. qu., in welcher Augustin die freilich christlich modifizierte Auffassung vertritt, ein Geschaffenes könne überhaupt nur durch Teilhabe an den ‹rationes› der Gottheit ein Etwas sein. Dies gilt selbstverständlich auch für das Sein der Zeit. Cf. auch O. Lechner, op. cit. 141 sq.
[48] Conf. 11,23.
[49] Ib. 11,16. Ähnlich diu. qu. 17: «omne praesens est apud deum».
[50] Ib. 11,41: «neque enim sicut nota cantantis notumue canticum audientis expectatione uocum futuram et memoria praeteritarum uariatur affectus sensusque distenditur, ita tibi aliquid accidit incommutabiliter aeterno, hoc est uere aeterno creatori mentium. sicut ergo nosti in principio caelum et terram sine uarietate notitiae tuae, ita fecisti in principio caelum et terram sine distinctione actionis tuae».
[51] Zur Dialektik von ‹similitudo› und ‹dissimilitudo› in der Ontologie Augustins cf. C. Mayer, Die Zeichen 1, 195-199.
[52] R. Berlinger, Augustins dialogische Metaphysik, Frankfurt a.M. 1962, 56.
[53] Conf. 11,41.