ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

TANZ UND TANZEN BEI AUGUSTINUS

von Cornelius Mayer

I. Die dem Zentrum für Augustinus-Forschung häufig gestellte Frage nach einem Satz über das Tanzen bei Augustinus

Als 1993 der EDV-Text aller Werke Augustins, des namhaften Kirchenlehrers und Bischofs von Hippo (354-430), fertiggestellt war und man nicht nur Wortformen, sondern auch ganze Sätze aus seinen Schriften abfragen konnte, lautete eine der am häufigsten an uns gestellten Anfragen: Wo steht bei Augustinus der Satz «Mensch, lerne tanzen, denn sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen». Am 4.7.2005 stand der Satz erneut im Diskussionsforum unserer Homepage www.augustinus.de mit folgender Ergänzung: «... – Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge und bindet den Einzelnen zur Gemeinschaft. – Ich lobe den Tanz, denn er beschwingt den Geist und verleiht der Seele Flügel». Die Adressatin fügte hinzu: «Wer kennt noch mehr? Oder kennt diesen Zitatensatz zum Tanz in seiner ganzen Länge? Über eine Antwort würde ich mich freuen, denn ich bin Tänzerin und tanze auch als Ausdruck von Spiritualität im kirchlichen Raum ...». Seit dieser Eintragung gibt es neuere vom 5.9 und 12.10.2005. Um Licht in den Diskurs zu bringen, habe ich mich entschlossen, das Thema Tanz und Tanzen bei Augustinus aufgrund des vorhandenen Quellenmaterials zu bearbeiten und das Bearbeitete auf unsere Homepage zu stellen.

II. Die Unechtheit des Augustinus zugeschriebenen Zitates über den Tanz

Obgleich schon häufig geschehen, sei nochmals darauf hingewiesen, dass dieser Satz bzw. diese Sätze bei Augustinus, so weit uns dessen Schriften vorliegen, nicht zu finden sind. Warum werden sie dann dem Kirchenvater zugeschrieben? Ich denke, aus einem doppelten Grund: Einmal, weil Augustinus einer der am häufigsten gelesenen Schriftsteller der Spätantike war und immer noch ist. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu wissen, dass die Anzahl der sogenannten pseudoaugustinischen Schriften im Mittelalter die der Originale um ein Vielfaches übertrifft. Viele Schriftsteller schrieben wohl deshalb unter seinem Namen, weil sie hofften, dadurch gelesen zu werden. Möglicherweise sind die besagten Sätze unter den Pseudoaugustiniana tatsächlich zu finden, diese sind jedoch via EDV noch nicht erfasst. Der zweite Grund dürfte mit Augustins Lehre von der Kunst zu tun haben. Der Kirchenvater war nicht nur ein Liebhaber der Kunst, er war als Rhetor, als Lehrer der Redekunst, selbst Künstler und als solcher setzte er sich des öfteren intensiv mit der Kunst, zu der er auch den Tanz zählte, auseinander. Freilich blieb es bei diesem Aspekt der Beurteilung des Tanzes, wie wir sehen werden, nicht. Aber wenden wir uns zuerst diesem Aspekt zu.

III. Der Tanz und das Tanzen unter dem Aspekt der Kunst

01. Der Wortschatz

Die vom Stamm ‹sal*› mit ‹salire› in der Grundbedeutung springen, hüpfen, und dessen Supin ‹saltum› abgeleiteten Wörter mit dem Stamm ‹salt*› kommen im vorliegenden Gesamtwerk Augustins 101mal vor: das Verb ‹saltare›, tanzen, etwas tanzend darstellen, 81mal; die Substantive ‹saltatio›, das Tanzen, der mit Gebärden verbundene Tanz, 12mal; ‹saltator›, der Tänzer, 5mal; ‹saltatrix›, die Tänzerin, 1mal; ‹saltus›, das Springen, 1mal; das Adjektiv ‹saltatorius›, zum Tanzen gehörig, 1mal.

02. Augustins Lehre über die ‹sieben freien Künste›

Kennzeichnenderweise beschäftigte Augustinus sich mit dem Tanz als Kunst vorzüglich in seinen Frühschriften (von der Bekehrung im Jahr 386 bis zur Übernahme kirchlicher Ämter im Jahr 391), und zwar in jenen, die entweder indirekt oder direkt von den freien Künsten, den ‹disciplinae liberales› oder auch ‹artes liberales›, handeln. Er zählte deren sieben: zuerst die der Sprache (‹trivium›), die Grammatik, die Dialektik, die Rhetorik, darauf die Musik (gleichsam aller sieben Mitte), sodann die mathematischen Disziplinen (zusammen mit der Musik das ‹quadrivium›) der Geometrie und der Arithmetik, schließlich der Philosophie (inklusive der Astronomie). Nach seiner Taufe plante Augustinus, über jede der Disziplinen Lehrbücher zu schreiben. Von den geschriebenen sind noch Fragmente vorhanden, allem voran die sechs Bücher Über die Musik, De musica libri sex. Dieses für die Musikgeschichte epochale Werk blieb unvollendet, denn es behandelt lediglich den Rhythmus, also die Musik als Bewegung, weitere sechs Bücher über die Melodie sollten noch folgen. Da Augustin jedoch um 391 Priester der Kirche von Hippo wurde, kam er nicht mehr zur Abfassung der noch ausstehenden Bücher zu De musica; er ließ es bei einer Überarbeitung des 6. Buches bewenden.

03. Die Zugehörigkeit des Tanzes zur Disziplin der Musik

Nun ist der Tanz keine eigenständige Disziplin, er gehört aber aufgrund seiner rhythmischen Bewegungen zur Disziplin der Musik. Die Musik wieder ist vorzüglich dank der ihr innewohnenden Bewegung Kunst. Eine Bewegung vollzieht sich in der Zeit, und zwar in einer zählbaren und zu zählenden. Augustins Schrift De musica ist ein Dialog zwischen einem Lehrer und einem Schüler. «Musik», so definiert der Lehrer, «ist die Kenntnis von der rechten Gestaltung – musica est scientia bene modulandi». ‹Singen und Tanzen›, so fügt der Lehrer Augustin hinzu, setze das ‹Gestalten› – kein oberflächliches, betont der Lehrer, sondern ein ‹richtiges-bene› – voraus. Lehrer und Schüler werden sich rasch darüber einig, dass vom Gesang und Tanz als Kunst nur dann die Rede sein kann, wenn ‹das Gestalten-modulare› bzw. ‹das Gestaltet werden-modulari› den Regeln der Kunst, einer streng rationalen Vorgabe folgt. Eine richtige Bewegung bedient sich der Zeitmaße, der Intervalle. Ein der Laszivität dienendes Singen und Tanzen erfüllt daher die Bedingungen der Kunst nicht (De musica 1,2-4).

04. Der Rhythmus und die ihm zugrunde liegenden Zahlenverhältnisse

Zum Wesen der Musik und des Tanzes gehört somit der Rhythmus, dem wieder exakte mathematische Verhältnisse zugrunde liegen. Wir messen die Zeit als Bewegung in Einheiten und sprechen von der Verdoppelung einer Einheit, von deren Hälfte usw., erklärt der Lehrer und er fragt den Schüler: «Wenn jemand rhythmisch klatscht, so dass ein Schall eine, ein zweiter eine doppelte Zeit dauert, ... und dies anhaltend fortsetzt; und wenn ein anderer dazu tanzt, indem er den Zeiten entsprechend die Glieder bewegt, erkennst du da nicht das Zeitverhältnis vom Einfachen und Doppelten bei den aufeinanderfolgenden Bewegungen, sei es beim Hören des Klatschens, sei es beim Sehen des Tanzes?» (ebd. 1,27). Der Schluss, der daraus zu ziehen ist, leuchtet dem Schüler ein: Die wahrgenommene Zahlhaftigkeit, die ‹numerositas›, ist es, die das Ergötzen, das ‹delectare›, beim Klatschen und Singen und Tanzen verursacht. Die Musik als Disziplin und in ihrem Gefolge auch der Tanz sind Vorgänge, die den geheimsten Gemächern der Geistseele des Menschen entstammen: ‹musica de secretissimis penetralibus procedens› (ebd. 1,28).

05. Der Tanz als Kunstgenuss

Was sich in der sinnlichen Sphäre abspielt, sind lediglich Spuren, ‹vestigia›, der reinen Kunst. Diese auch mit den Sinnen wahrzunehmen ist deshalb wichtig, weil es Aufgabe der Kunstwerke ist, den sie Wahrnehmenden den Weg in die Innerlichkeit zu weisen, wo das raum- und zeitlos Schöne als der eigentliche Gegenstand der Kunst sich zum Genuss darbietet. Nach Augustin beglückt die im Tanz verborgene, aber ihm letztlich zugrunde liegende Zahlhaftigkeit den Tänzer wie den Zuschauer selbst dann, wenn er diese mit seinem Intellekt nicht vollständig erfasst. Wo und wann immer diese Maße und Zahlenverhältnisse vom Tänzer beachtet werden, erfreuen sie auch das Auge des Zuschauers. (De musica 1,27f. und 6,22.24; zur platonisch-philosophischen Herkunft dieser Kunstauffassung Augustins siehe meinen Vortrag: Kunst und Kunstgenuss nach der Lehre des Kirchenvaters Augustinus, hier im Internetportal unter der Rubrik: Beiträge zu augustinischen Themen).

06. Zahlen als Prinzipien des Universums

Augustinus konnte sich nicht genug tun, die Zahlen mit der Eins an der Spitze als Prinzip nicht nur der Kunst, sondern des Universums selbst zu preisen. «Alles hat Formen, weil es Zahlen hat; nimm sie ihnen, und es wird alles zunichte», schreibt er in dem ebenfalls noch vor seiner Priesterweihe begonnenen, aber erst danach abgeschlossenen Dialog Über den freien Willen – De libero arbitrio 2,42. Künstler arbeiten bewusst oder unbewusst mit Zahlen, denen sie ihre Werke nach Möglichkeit anpassen. «Frage», so fährt er fort, «was im Tanz ergötzt, die Zahl wird dir antworten: Siehe, ich bin es – quaere ergo quid in saltatione delectet: respondebit tibi numerus: ecce sum» (ib.).

07. Der rationale Charakter aller Künste und folglich auch des Tanzes

Schon in der vor seiner Taufe (387) abgefassten Schrift Über die Ordnung – De ordine erörterte Augustinus den rationalen Charakter aller Künste. Kunstwerke sind als solche gewiss auch Sachen, ‹res›, bzw. Vorgänge in Raum und Zeit. Was sie aber zu Objekten der Kunst macht, ist die ihnen innewohnende Rationalität. Beim Gesang z.B., dem Bereich des Hörens, liegt diese Rationalität in der Berechenbarkeit des Rhythmus, der ‹dimensio›. Im visuellen Bereich des Tanzes ist es ebenfalls das berechenbare Maß, das unser Auge ergötzt. Alle Figuren, die der tanzende Schauspieler, der ‹histrio saltans›, vor den Augen seiner Zuschauer vorführt, haben Zeichen von Sachen bzw. Vorgängen zu sein, die er im Tanz darstellen will – «gestus illi omnes signa sint rerum». Man kann deshalb nur dann von einem der Vernunft und damit auch der Kunst genügenden Tanz, von einer ‹rationabilis saltatio›, sprechen, wenn der Tänzer durch die Bewegung seiner Glieder etwas gut anzuzeigen und auch unabhängig vom Reiz der Sinne darzustellen in der Lage ist – «quod bene aliquid significat et ostendat excepta sensuum uoluptate» (Über die Ordnung – De ordine 2,34).

08. Der Tanz unter dem Aspekt der Zeichen

Soeben war von der Zeichenhaftigkeit des Tanzes die Rede. Augustinus war einer der ganz großen Semiotiker (= Theoretiker der Lehre von den Zeichen). Es nimmt daher nicht wunder, wenn er im Rahmen seiner Zeichenlehre auf den Tanz zu sprechen kommt. Zeichen verweisen auf Sachen, ‹res›, die sie bezeichnen. Dabei ist zu bedenken, dass das Bezeichnen, das ‹significare›, nur dann funktioniert, wenn man das Bezeichnete schon kennt. Zeichen und Bezeichnetes bilden als Begriffspaar ein Schema. Innerhalb des Schemas kommt der bezeichneten Sache ein ontologisch-gnoseologischer Vorrang vor dem Zeichen zu. Diesem Vorrang Rechnung tragend, lehrt Augustinus in seiner ersten Abhandlung über die Zeichen, in dem um das Jahr 388/389 geschriebenen Dialog De magistro – Über den Lehrer § 33: Eher könne man das Zeichen durch das Bezeichnete als das Bezeichnete durch das Zeichen erkennen – «magis signum re cognita, quam signo dato ipsa res discitur».

09. Der Tanz der Pantomimen

Augustinus teilt die Zeichen in natürliche, ‹signa naturalia›, und in solche, die auf einer Übereinkunft beruhen, ‹signa data›, auf. Zu den letzteren zählt die Sprache. Erschöpfen sich die auf Übereinkunft aufruhenden Zeichen in der Sprache? Nein, lautet die Antwort unter Hinweis auf die Gebärdensprache tauber Menschen. Mit deren Hilfe könne nämlich praktisch alles, was wir über die fünf Sinne wahrnehmen, ohne Worte kenntlich gemacht werden. Auch diesen Sachverhalt illustriert Augustin mit dem Tanz. Die Schauspieler, sagt er, führten ganze Götter- und Heldensagen, ‹totas fabulas›, ohne Worte, meist nur tanzend, ‹saltando plerumque›, in den Theatern auf und machten sich auf diese Weise verständlich (ebd. 5). Er äußert sein Staunen über diese Fähigkeit, beinahe alles, ‹prope omnia›, inhaltlich vermitteln zu können (ebd. 19). In seiner zweiten Abhandlung über die Zeichen, in der Schrift Über die christliche Wissenschaft – De doctrina christiana, deren Hauptteil er bereits als Bischof (um 397) schrieb, bemerkt er: «Auch die Schauspieler geben durch Bewegungen all ihrer Glieder gewisse Zeichen denen, die diese verstehen – signa quaedam dant scientibus» (ebd. 2,4). Offensichtlich setzte man bei den Theaterbesuchern voraus, dass diese die Strukturen in den Bewegungen der tanzenden Schauspieler kannten und sie deshalb recht zu deuten verstanden. Wie aber Augustin im gleichen Werk berichtet, mangelte es dem Publikum von Karthago an solchem Verständnis, weshalb beim Tanz eines Pantomimen, ‹pantomimo saltante›, ein Herold, ein ‹praeco›, zuvor ansagen musste, was der Tänzer, der ‹saltator›, zum Ausdruck bringen wollte (ebd. 2,38).

IV. Der Tanz des Pantomimen

01. Der junge Augustin ein Bewunderer der Kunst der Pantomime

Wie die einschlägigen Studien zeigen, war das Verlangen nach szenischer Darstellung der Sagen und der mythischen Stoffe in der Spätantike ausgeprägt. Siehe dazu die Abhandlung von Werner Weismann, Kirche und Schauspiele. Die Schauspiele im Urteil der lateinischen Kirchenväter unter besonderer Berücksichtigung von Augustin, Würzburg 1972. Seit der Kaiserzeit entwickelte sich im römischen Reich der Ausdruckstanz zu einer zuvor nicht gekannten Blüte. Der Pantomimus, ein männlicher Schauspieler, bezauberte die Zuschauer allem voran durch die Bewegungen seines Körpers. Selbst die Kirchenväter vermochten sich der Bewunderung dieser Fähigkeit nicht zu verschließen. In seinen Bekenntnissen – Confessiones berichtet Augustinus, mit welcher Inbrunst er das von Schauspielern vorgegaukelte, tänzerisch vermittelte fremde Leid, das ihn zu Tränen rührte, verfolgte (ebd. 3,4).

02. Das umfangreiche Repertoire der Pantomimen in der Spätantike

«Der Tanz», so Weismann, «wurde musikalisch reich untermalt. Im Bühnenhintergrund sang der Theaterchor. Der Text wurde in enger Anlehnung an bestehende Tragödientexte geschaffen und unterschied sich wohl kaum von den Libretti der tragischen Sänger. Für den Pantomimus wurde auch ein großes Instrumentalensemble aufgeboten. ... Der Pantomime trat mit dem Gewand und der Maske des tragischen Schauspielers auf, deren rascher Wechsel es ihm ermöglichte, verschiedene Rollen nebeneinander zu tanzen. Ähnlich wie bei heutigen Balletttänzern war ein hartes gymnastisches Training unerlässliche Voraussetzung für den pantomimischen Tanz. ... Als Vorlage dienten vor allem die Dramen des Euripides und die unter seinem Einfluss stehenden römischen Tragödien. Jedoch beschränkte man sich nicht ausschließlich auf die in den Tragödien behandelten Stoffe. Lukian rühmt, dass das Repertoire der Pantomimen die gesamte Mythologie umfasse. Zieht man zum Vergleich die Äußerungen der Kirchenväter heran, so ergibt sich, dass erotische Stoffe eindeutig bevorzugt wurden. Mit den getanzten Liebesabenteuern der Götter, besonders den Amouren Jupiters und der Venus errang der Pantomime Publikumserfolge» (ebd. 43-45). In der Spätantike eroberte das Ballett der Pantomime das Herz der breiten Massen. Aus dem Geschichtswerk des Ammianus Marcellinus (XIV,6,19) erfahren wir, dass es im Jahre 353 in Rom etwa 3000 Berufstänzer gab.

V. Der Tanz im Urteil der Kirchenleitungen in der Spätantike und Augustins

01. Die dominierend heidnischen Elemente im Tanz

In Augustins Schriften ist um das Jahr seiner Priesterweihe (391) fast eine Art Metabasis hinsichtlich der Bewertung des Tanzes festzustellen, die sich bei der Übernahme des Episkopates vier Jahre später festigte. Den katholischen Bischöfen insgesamt kam es bei der Beurteilung der Tänze so gut wie ausschließlich auf die Inhalte an, die sie vermittelten. Da dies vorzüglich heidnisch-laszive Stoffe waren, wird man sich über den negativen Tenor der Texte über den Tanz aus der Bischofszeit Augustins nicht wundern. Im 2. Buch seines epochalen Werkes De civitate dei – Vom Gottesstaat geißelt er den Sittenverfall des Römischen Staates ganz allgemein. Zu den Erwartungen der Bürger gehörten die Schauspiele bei Tag und bei Nacht, notiert er ebd. 2,20. «Überall soll Tanzmusik erschallen und die Theater sollen widerhallen von ausgelassenem unanständigem Lärm und jeglicher Art grausamster und schändlichster Lust». Zum täglichen Programm der Theater gehörten die Laster der Götter, die Diebereien Mercurs, die Schamlosigkeit der Venus, die Fabel vom Schönheitswettbewerb der Göttinnen Juno, Minerva und Venus mit dem Urteil des Paris und dergleichen mehr; all dies werde «in Liedern und Tänzen zur Schau gestellt», klagt er ebd. 7,26 und 18,10. Speziell in den Dionysosmysterien waren die Tänze mit orgiastischen Elementen angereichert. Wie Augustin in seiner Epistula 2*,2 erwähnt, war der Tanz in der Kirchen strikte untersagt.

02. Der Tanz in biblischen Texten in den Schriften Augustins

Es ist immerhin aufschlussreich, dass die Texte des Alten Testamentes, die mehrfach vom Tanz handeln, und zwar nicht nur im pejorativem Sinn wie dem um das goldene Kalb (Ex 32,6.19), sondern auch im positiven wie dem Sakraltanz, den David Jahwe zu Ehren vor der Bundeslade aufführte (2 Sm 6,12-23), bei Augustinus nur am Rande zur Sprache kommen. Wiederholt spricht der Psalter vom Tanz und vom Tanzen: So, um nur einige Texte zu zitieren, im Psalm 149, Vers 2f.: «Israel soll sich über seinen Schöpfer freuen, die Kinder Zions über ihren König jauchzen. Seinen Namen sollen sie loben beim Reigentanz, ihm spielen auf Pauken und Harfen»; ferner im Psalm 150, Vers 4: «Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel»; und nicht zuletzt im Psalm 30, Vers 12: «Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet». Diese Psalmenzitate sind dem Stundenbuch (Brevier) für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes entnommen. Im griechischen Text der Septuaginta steht für Tanz das Wort χορός mit der Bedeutung ‹der Reigen› bzw. ‹der Reigentanz›, das unsere Übersetzungen korrekt mit ‹Tanz›, ‹Tanzen› und ‹Reigentanz› wiedergeben. Indes, schon die lateinischen Übersetzungen verwenden für χορός nicht ‹saltatio› bzw. ‹saltus›, sondern in der Regel das latinisierte ‹chorus›, das natürlich sowohl unser Fremdwort ‹Chor› wie auch ‹die Sängerschar› bedeuten kann, was Augustinus begrifflich offensichtlich bevorzugt hat. Im Psalm 30,12 übersetzte die Vulgata den Terminus χορός sogar mit ‹gaudium› (= Freude, Vergnügen, Genuss). Lateinische Übersetzungen aus dem Hebräischen bevorzugen im genannten Vers weiterhin ‹chorus›, Augustinus hingegen ‹gaudium›.

03. Die nur wenigen Bibelzitate vom Tanz im Gesamtwerk Augustins

Es fällt auf, dass das Wort ‹Tanzen-saltare› in Bibelzitaten im Gesamtwerk Augustins nur 9mal vorkommt, und zwar ausschließlich in solchen aus dem Neuen Testament und jedes Mal als Zitat entweder aus Mt 11,17 oder aus Lk 7,32. Jesus vergleicht dort die Menschen seiner Generation mit Kindern, «die auf dem Marktplatz sitzend einander zurufen: Wir haben für euch auf der Flöte (Hochzeitslieder) gespielt, und ihr habt nicht getanzt – cantauimus uobis tibiis et non saltastis –, wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht wehgeklagt» (so nach Lk). Augustin zufolge verdeutlicht Jesus mit diesem Satz die Verweigerung seiner Zeitgenossen, ihn als den Menschensohn anzuerkennen (siehe Quaestiones evangeliorum – Fragen zu den Evangelien 2,11). In seiner Erklärung des Psalms 128 bemerkt Augustin, in der heiligen Schrift und im Evangelium würde Gott zu uns Menschen nicht nur sprechen, sondern sogar singen. Dabei zitiert er Mt 11,17: «Ob wir (nun dazu) tanzen wollen oder nicht, er selbst singe – siue uelimus saltare, siue nolimus, cantet ipse». Indes erblickt der predigende Bischof darin keineswegs eine Aufforderung zum Tanz. Ihm geht es um das spirituelle Engagement der Gläubigen. Der Tanz, von dem hier die Rede ist, wird in der Auslegung Augustins zur Metapher. Und so erklärt er: «Wer nämlich tanzt, bewegt seine Glieder zum Gesang, jene hingegen, die der Weisung Gottes entsprechend tanzen – qui saltant ad praeceptum dei –, richten ihr Tun nach dem Klang dieser Weisung». Daher: «Was antwortete der Herr deshalb jenen im Evangelium, die sich weigerten zu tun (seinen Wunsch zu erfüllen)? ‹Wir haben für euch gesungen, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder angestimmt, und ihr habt nicht wehgeklagt›. Er möge also (fortfahren zu) singen» (Enarrationes in Psalmos – Auslegung der Psalmen 128,1).

04. Der Tanz der Tochter der Herodias

Ein ausgesprochen ungünstiges Licht fällt auf den Tanz seitens der Evangelienperikopen bei Mk 6,14-29 und Mt 13,1-13, die von der Enthauptung Johannes‘ des Täufers berichten. Jener Tanz der Tochter der Herodias, der Herodes so entzückte, dass er auf deren Wunsch hin den Täufer enthaupten ließ, wird in christlichen Kreisen der Spätantike zu einem willkommenen Argument gegen den Tanz überhaupt. In Afrika feierte man zur Zeit Augustins die Enthauptung Johannes‘ des Täufers offensichtlich bereits als kirchlichen Gedenktag. Augustin bringt seinen Abscheu an diesen Gedenktagen in einer Predigt so zum Ausdruck: «Das Mädchen tanzt, die Mutter wütet; inmitten der Galanterien und Ausschweifungen wird ohne Überlegung ein Eid geleistet und das ruchlos Geschworene ausgeführt» (Sermo – Predigt 307,1). Ambrosius, der Augustin taufte, riet den christlichen Frauen, ihre Töchter das Tanzen überhaupt nicht zu lehren (De virginibus – Über die Jungfrauen 3,26-31).

05. Die Gefahren der Einschmälzung heidnischer Elemente in den christlichen Kult

Obgleich kirchliche Gesetze sich massiv bemühten, den Tanz zu unterbinden (siehe dazu Carl Andresen, Altchristliche Kritik am Tanz – ein Ausschnitt aus dem Kampf der alten Kirchen gegen heidnische Sitte, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 72 (1961) 217-262, 229 Anm. 34), gelang es dem christlich gewordenen Staat zunächst nicht, den aus heidnischen Opferhandlungen gewohnten Tanz aus christlichen Kulthandlungen radikal zu eliminieren. Als religiöser Ausdruck der Einbeziehung des aus Leib und Seele bestehenden ganzen Menschen faszinierte der Tanz auch die Christen. Dieser «war formende Sitte, weil er mit Grunddaten menschlichen Lebens, in erster Linie Hochzeit und Bestattung zusammenhing. Die heidnischen Vorstellungen hatten hier eine letzte Zuflucht gefunden, als die christliche Kirche schon das Leben der Öffentlichkeit bestimmte» (ebd. S. 244). Besonders im Totenkult bei Totenmählern hielt auch der Tanz sich lange lebendig. Nicht selten wurden christliche Gedenkfeiern für Märtyrer zum Schauplatz ausgelassener Festlichkeiten. Wenn Augustinus in seinen Confessiones 6,2 von seiner Mutter Monnika erzählt, diese habe nach dem Brauch ihrer Heimat Gedächtnismahle bei den Gräbern von Märtyrern, den sogenannten Refrigerien, abhalten wollen, sei aber dabei auf das Verbot des Bischofs hingewiesen worden, dann haben wir es mit Residuen solcher Totenkulte mit ursprünglich integrierten Kult-, Volks- und Kunsttänzen zu tun.

06. Der Sermo 311, zum Gedenken an Bischof Cyprian als Paradigma der Kritik Augustins am Tanz

Augustin selbst berichtet in einer zwischen den Jahren 400-405 am 14. September in Karthago zum Gedenken an Bischof Cyprian gehaltenen Predigt von solchen Tänzen, die noch zu Beginn seiner kirchlichen Amtszeit stattgefunden haben, sowie von seiner und des Ortsbischofs Aurelius Reaktion darauf. Der aufschlussreiche Passus dieser Predigt sei in voller Länge wiedergegeben.

Schon in der Einleitung (Sermo 311,1) verweist der Prediger auf die Nachahmung der Tugenden der Märtyrer als den eigentlichen Sinn, ihrer in der Kirche zu gedenken. Wozu die Märtyrerverehrung Christen anleitete, sei deren Verhalten in der Welt (ebd. 3). Gott verlange gute Sitten, nicht leere Beteuerungen: «mores volo, non voces». Der Begriff ‹voces› assoziierte bei dem frei predigenden Bischof den ‹Gesang› nach Mt 11,17. So fährt er fort: «Der Herr sagt im Evangelium, ‹wir haben euch gesungen, und ihr habt nicht getanzt›. Würde ich (von mir aus) so etwas sagen, ohne es (dort) gelesen zu haben? Die Prahlerei könnte mich zum besten haben, es stützt mich jedoch das Ansehen (der Heiligen Schrift). Würde ich nicht vorausschicken, wer dies sagte, wer von euch könnte es ertragen, dass ich (solches) sagte, ‹wir haben euch gesungen, und ihr habt nicht getanzt›? Sollte etwa (aufgrund dieses Evangelienwortes) hier an diesem Ort jemand zum Tanzen aufgefordert sein, da doch ein Psalm (in der gottesdienstlichen Feier) zu singen ist?»

Und dann kommt Augustin auf ein Ereignis zu sprechen, das sich bei einer seiner früheren Anwesenheiten in Karthago zugetragen hat. «Vor einigen Jahren – es ist gar nicht so lange her – riss die Dreistigkeit von Tänzern diesen Ort an sich. Diesen so heiligen Ort, wo der Leib eines so heiligen Märtyrers (Cyprian) liegt, wie sich viele, die alt genug sind, noch erinnern werden. Einen so heiligen Ort, sage ich, riss die Pest und die Dreistigkeit von Tänzern an sich. Die ganze Nacht hindurch wurde Verruchtes gesungen und zum Gesang getanzt. Da der Herr es so wollte, wurde durch euren heiligen Bischof und unseren Bruder (Aurelius), sobald die heilige Vigil gefeiert zu werden begann, jene Pest so gut es ging, unterbunden, später wich sie gründlicherer Maßnahme, ja man schämte sich ihrer aus Einsicht» (ebd. 5).

Worauf zielt der Prediger ab? Profane Gesänge verbunden mit Tänzen haben demnach bei kirchlichen Feiern nichts zu suchen. Dennoch belehrt nach Augustin der Tanz dank seiner metaphorischen Bedeutung und Deutung Christen dahin, dass ihre Sittlichkeit mit dem in der Kirche üblichen Gesang übereinzustimmen habe. Auf diesen Aspekt hin fährt der Prediger fort: «Da also solche Dinge (Tänze im Kult) durch Gottes Gnade nicht mehr stattfinden sollen, veranstalten wir den Dämonen keine Spiele mehr. Wo sie (aber angeblich) zur Freude derer, die verehrt werden, (immer noch) stattfinden, (dort) verderben sie (die Sitten) der Anbeter. Hier indes wird die Heiligkeit und die Erhabenheit der Märtyrer gefeiert; getanzt (aber) wird hier nicht». Dennoch gilt selbst dort, wo nicht getanzt wird, das Evangelienwort: ‹wir haben euch gesungen, und ihr habt nicht getanzt› (Mt 11,17). «Es werden demnach jene getadelt, gescholten und angeklagt, die nicht getanzt haben. Es kann aber doch nicht sein, dass jene Dreistigkeit wiederkehre. Achtet (also) sorgfältig darauf, was die Weisheit (nämlich Christi, der den Satz prägte), darunter verstanden wissen will. Es singt jener, der den Befehl (zu tanzen) erteilt; es tanzt jener, der den Befehl ausführt». Und nun erklärt der Prediger die Metaphorik der Aufforderung zum Tanz bei Mt 11,17: «Was heißt (überhaupt) tanzen, wenn nicht die Bewegung der Glieder dem Rhythmus des Gesangs anzupassen? Worin besteht (dieser) unser Gesang? Die Antwort darauf komme nicht von mir. Eher will ich Helfershelfer als Anführer (bei dieser Aufforderung) sein. Ich nenne (lediglich) unseres Gesanges Kern: ‹Liebt nicht die Welt und auch nicht, was in der Welt ist. Wer immer die Welt liebt, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Fleischeslust, die Augenlust und die Hoffart der Welt, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht und die Lust mit ihr; wer aber den Willen Gottes erfüllt, der bleibt in Ewigkeit› (1 Io 2,15-17)» (ebd. 6).

Der Gesang also, der Gläubige zum Tanz auffordert, ist der Auslegung Augustins zufolge der biblische Text als Gottes Wort, als Gottes Gesang. Dem wird in der Applikation, in der Anwendung und Konkretisierung des in der Predigt Gesagten nunmehr Rechnung getragen: «Welch ein Gesang, meine Brüder! Ihr habt den Sänger vernommen, lasst uns auch die Tänzer (in ihrem Verhalten) vernehmen: Achtet auf die Harmonie eurer Sitten, so wie Tänzer dies tun in bezug auf die Bewegung ihrer Glieder. Bewegt sie innerlich; achtet darauf, dass eure Sitten (mit dem Gesang) übereinstimmen: Die Begierde möge ausgerottet, die Liebe eingepflanzt werden. Was immer dieser (eingepflanzte) Baum (der Liebe) hervorbringt, ist (gewiss) gut. Die Begierde vermag nichts Gutes hervorzubringen, die Liebe nichts Böses. Man sagt (es) so, und man lobt (dies); es ändert sich (doch) niemand. Möge dies nicht so sein! Es stimmt auch nicht. (Denn) die Fischer (Apostel) haben sich (indem sie sich bekehrten) verändert; verändert haben (auf diese Gesänge hin ihre Sitten) zahlreiche Senatoren; verändert hat sich Cyprian, dessen wir heute gedenken. Er selbst schreibt und testiert uns, wie sehr sein Leben einst ein verruchtes, ein gottloses, ein zu missbilligendes und zu verabscheuendes war. Er vernahm (jedoch) den Sänger: daraufhin lieferte er sich nicht dem Leibe, sondern dem Geiste nach dem Tanz aus. Er passte sich dem guten Gesang an, dem neuen Gesang: er passte sich an, (denn) er liebte, er blieb standhaft, er kämpfte und er gewann» (ebd. 7; ähnliche Auslegung sermo Denis 13,4; sermo Caillau 2,6,1; sermo Lambot 6; ).

VI. Ergänzungen zur Bedeutungspalette des Tanzes bei Augustinus

Das Gros der Texte mit den Vokabeln Tanz und Tanzen aus der kirchlichen Amtszeit Augustins hat diese negative Konnotation. So ist die Ironie in einem Brief an Licentius, seinen ehemaligen Schüler und Dilettanten in der Dichtung, nicht zu übersehen, wenn Augustin diesem, der sich vom Christentum offensichtlich entfernt hatte, schreibt: er, Licentius, tanze nicht (mehr) nach dem Gesang seines Lehrers (Briefe – Epistulae 26,3). Ähnlich beklagt der Bischof im Brief an Nectarius, einen klassisch gebildeten Zeitgenossen, den immer noch vorhandenen Kulttanz: «cantatur, saltatur Iuppiter adulteria tanta committens» (ebd. 91,5). Im gleichen Brief nennt er die ausführenden ‹histriones› eine «petulantissima turba saltantium» (ebd. 91,8). In bezug auf den Tanz berichtet Augustinus in seinem Werk Gegen den Brief Parmenians – Contra epistulam Parmeniani 3,29 auch von der Abscheulichkeit unter den Donatisten, die im Parteienhader zwischen Primianus und Maximianus den greisen Bischof Salvius von Membressa, nachdem sie ihn mit seinen Anhängern aus seiner Kirche vertrieben hatten, mit Hundekadavern behängt schändliche Lieder singend und tanzend mit Triumph durch die Straßen führten: «..., ut postremo cum illo ad turpes uoces cantionesque saltarent». Es sei bekannt, bemerkt Augustin, «dass schlüpfrige und unsittliche Tänze» von den Bischöfen unterdrückt würden. Wer erinnere sich, fragt er, dass jemals Menschen, die von Bischöfen zur Hilfe gerufen wurden, mit Bischöfen getanzt hätten? Augustin, der davon auch in seiner Schrift An den Grammatiker Cresconius – Ad Cresconium grammaticum 4,59 berichtet, kommt über diese Gräuel kaum hinweg, und so fügt er hinzu, Salvius, der den Tanz über sich ergehen lassen musste, habe Schlimmeres erlitten, als wenn er lebendig verbrannt worden wäre. Und: «würde jemandem zur Wahl gestellt, ob er nicht selber tanzen, sondern (ob zum Spott) mit ihm getanzt werde – utrum mallet non ipse saltare sed saltari secum -, oder ob er lieber lebend verbrannt werden wolle, so würde niemand zweifeln, was er bezüglich seiner Wahl als Antwort gäbe» (ebd.). Schließlich sei erwähnt, dass Augustin das Wort ‹saltus, -us› in der Bedeutung von Sprung als dialektisch-rhetorischen Terminus kennt und verwendet. So beklagt er in den Büchern gegen Julian dessen Sprünge bei der Darstellung seiner (Augustins) Gnadenlehre: «primum te quaero... cur ... saltus in praetereundi meis disputationibus feceris».

VII. Resümee

Ziehen wir ein Resümee zu dieser Darstellung des Tanzes und des Tanzens bei Augustinus, so ist eine Entwicklung in deren Bewertung und im Zusammenhang damit eine deutliche Ambivalenz nicht zu übersehen. Die enge Beziehung des Tanzes und des Tanzens zur Disziplin der Musik sichert ihnen die Zugehörigkeit zur Kunst, zur ‹ars›. Darüber lässt Augustinus in seinen Frühschriften keinen Zweifel aufkommen. Die Definitionen sind eindeutig. Wie der Musik, so liegen auch dem Tanz Zahlen zugrunde, die beiden ihre Rationalität als Bedingung der Kunst garantieren. Daran scheint Augustinus festzuhalten, denn stets gilt vom Tanz: «quid est saltare, nisi motu membrorum cantico consonare» (Sermo 311,6). Weil der zählbare und zu zählende Rhythmus dem Gesang ontologisch zugrunde liegt und diesem somit vorausgeht, bestimmten die gleichen Zahlen des Gesanges bzw. der Musik die Bewegungen des Tanzes.

In der Kirche der Spätantike verlor der Tanz aufgrund der heidnischen Inhalte der im Tanz vorgetragenen Gesänge seine nicht nur in der heidnischen Antike, sondern auch im Alten Testament noch vorhandene hohe Reputation. Bei Augustin sehen wir eine Einschränkung dieser Reputation auf die Metaphorik, von der er gerne und reichlich Gebrauch macht. Sonst aber findet er für den Tanz und das Tanzen keine anerkennenden Prädikate. Der Kontext und die zahlreichen Synonyma zu ‹saltatio› und ‹saltare› sind ernüchternd und entlarvend; sie haben im großen und ganzen einen negativen Klang. Einige luzide Beispiele: «saeuiendo, saltando, blasphemando, luxuriando» agieren die Feinde der Kirche (Enarrationes in Psalmos – Auslegung der Psalmen 69,2); Feinde sind sie deshalb, weil sie Christen verfolgen, «quia tenent, quia ligant, quia uerberant, quia occidunt, quia saltant, quia insultant» (ebd. 63,3). Die Märtyrer der Kirche erreichten ihr Ziel «non saltando, sed orando, non potando, sed ieiunandno, non rixando, sed tolerando» (Sermo 326,1).

Augustin reiht sich zwar mit seiner Ablehnung des Tanzes und des Tanzens in die kirchliche Tradition ein, er tut dies aber nicht nahtlos. Denn in seinen gegen Ende seines Lebens abgefassten Retractationes, einer kritischen Revision seiner Werke, nimmt er seine Ausführungen zum Tanz und zum Tanzen in seinen Frühschriften nicht zurück; er kritisiert diese auch nicht. Als Ästhet hielt er seine Sicht über den Tanz als zweckfreie Kunst oder als Kunst um der Kunst willen offensichtlich aufrecht. Als Bischof schloss er sich der innerhalb der Kirche und für die Kirche geltenden Ansicht an, den Tanz aus dem Kult und aus allem, was zum Kult gehört, fernzuhalten und, wo noch vorhanden, zu eliminieren.