ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Revue d’études augustiniennes et patristiques 57 (2011) 137-144

E pluribus unum bei Augustin

Von Professor Dr. Wolfgang Hübner, Münster

DollarmuenzeDie Formel "E pluribus unum" ziert unter anderem den US-Dollar (wie hier die Rückseite der Halb-Dollar-Münze). - © Foto: Richard Huber/wikimedia commonsKurz bevor jüngst das ‚gefügelte Wort‘ E pluribus unum durch seine einleitende Verwendung in einer skandalumwitterten staatsrechtlichen Dissertation eine bedenkliche Berühmtheit erlangen sollte, hat man erneut nach dem Ursprung dieser Formel gefragt [1]. Bekanntlich ziert sie das Staatssiegel (älteste Fassung 1776) und entsprechend Münzen und Dollarscheine der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Sie drückt den Wunsch aus, Menschen verschiedenster Herkunft in einem ‚Schmelztiegel‘ zu integrieren. Die unmittelbare Herkunft haben bereits amerikanische Historiker ermittelt: Pierre Eugène de Simitière bezog es vom Titelblatt des Herrenjournals „The Gentlemen’s Magazine“, wo es die Absicht der Herausgeber ankündigt, ein Potpourri verschiedener Beiträge zu einem stimmigen Ganzen zu vereinen.

Dagegen machte es Mühe, die antiken Ursprünge zu ermitteln. Da es sich metrisch um einen Hexameterschluß handelt, dachte man zunächst an hexametrische Gedichte [2] wie den horazischen Hexameterschluß e pluribus una [3] oder an das pseudovergilianische Moretum („Kräuterkäsgedicht“), in dem für ein bescheidenes Mahl verschiedene Ingredienzien zusammengerührt werden, sodaß ein Brei mit einer einheitlichen Farbe entsteht [4]:

it manus in gyrum: paulatim singula viris
deperdunt proprias, color est e pluribus unus.

„Die Hand geht im Kreis: allmählich verlieren die einzelnen Zutaten
ihre eigenen Eigenschaften: die Farbe ist aus mehreren eine einzige.“

Weil in der rhythmischen Prosa die „clausula heroica“ gerade nicht angestrebt wird [5], hat man die Formel e(x) pluribus unum in guter Prosa nicht am Satzende zu erwarten, und diese Vermutung wird sich im folgenden bestätigen. G.E. Thüry [6] erkannte nun kürzlich, daß der Wortlaut in einer Prosaschrift Augustins überliefert ist. In seinen berühmten Confessiones beschreibt der Kirchenvater, wie er in der Provinz Africa, als junger Rhetoriklehrer von seiner Heimatstadt Thagaste in die Hauptstadt Karthago gekommen, vielerlei Verlockungen ausgesetzt war. Unter anderem fand er dort auch viele Freunde [7]:

.. his atque huius modi signis a corde amantium et redamantium procedentibus per os, per linguam, per oculos et mille motus gratissimos quasi fomitibus conflare animos et ex pluribus unum facere.

„ ... mit diesen und derartigen Zeichen, die aus dem Herzen der Liebenden und die Liebe Erwidernden durch den Mund, durch die Zunge, durch die Augen und tausend anmutige Gesten herausdrangen, gleichsam durch Zunder die Seelen zu verschmelzen und aus mehreren eine einzige zu machen.“

Die Seelen der Freunde scheinen ineinander aufzugehen, allerdings weniger im Sinne einer staatlichen Integration als vielmehr erotisch im intimen privaten Bereich. Erst nach seiner Bekehrung in Mailand und seiner Rückkehr in die heimatliche Provinz wird Augustin dann eine mehr überindividuelle Klostergemeinschaft gründen.

Der Confessiones-Kommentar von O’Donnell [8] verweist an der von Thüry ermittelten Stelle auf eine ähnliche Formulierung bei Cicero, an der es ebenfalls um eine enge private Freundschaft geht [9]: nam cum amicitiae vis sit in eo ut unus quasi animus fiat ex pluribus ..., „denn da die Kraft der Freundschaft darin besteht, daß gleichsam eine einzige Seele aus mehreren entsteht ...“ Hier erscheint anstelle des unbestimmten Neutrums unum bei Augustin das genauere Substantiv animus. Dieser Unterschied wird uns noch beschäftigen.

Zuvor nennt der Kommentator zwei Stellen aus Augustins Enarrationes in Psalmos, um die Lesart des auch von Augustin benutzten Verbums des „Schmiedens“ (conflare gegen die varia lectio flagrare) zu stützen. An der ersten Stelle geht es um eine Sammeltaufe. Sie sei hier etwas weiter ausgeschrieben [10]:

hinc etiam illi post eius resurrectionem quorum die uno tria, et alio quinque milia baptizati sunt, in animam unam et cor unum caritatis igne conflati.

„Daher (wurden) auch jene, von denen an einem einzigen Tag Drei-, an einem anderen sogar Fünftausend getauft wurden, nach seiner (Christi) Auferstehung in eine einzige Seele und ein einziges Herz zusammengeschmiedet.“

Nicht mehr um individuelle Freundschaften geht es hier, sondern um eine kollektive Taufe, und damit kommt dieses Beispiel – ohne den genauen Wortlaut e pluribus unum – der staatstheoretischen Inanspruchnahme unserer Formel inhaltlich näher als der Passus aus den Confessiones, an den man bisher gedacht hat. Die Gemeinschaft der Täuflinge setzt die göttliche Gnade voraus und ist somit christologisch begründet.

Die Zahl 3000 erinnert an die Sammeltaufe im Anschluß an eine Predigt des Petrus [11] und die Zahl 5000 an die Speisung der 5000 durch den (noch lebenden) Christus [12], und auf deren Darstellung bei Johannes nimmt die zweite von O’Donnell zitierte Enarrationes-Stelle deutlich Bezug. Dort geht es um das Bibelwort [13]: congregabit electos suos a quattuor ventis. „Er wird seine Auserwählten von den vier Wind(richtung)en her versammeln.“ Nachdem Augustin auf das Akronym des in die vier Himmelsrichtungen ausgestreckten ADAM (ἀνατολή - δύσις - ἄρκτος - μεσημβρία) eingegangen ist [14], heißt es dann [15]:

ipse ergo Adam toto orbe terrarum sparsus est. in uno loco fuit, et cecidit, et quodam modo comminutus impleuit orbem terrarum; sed misericordia dei undique conlegit fracturas, et conflavit igne caritatis, et fecit unum quod fractum erat.

„Adam selbst ist über den gesamten Erdkreis hin ausgestreckt. Er befand sich einst an einer einzigen Stelle, und er fiel (ab), und, auf eine gewisse Weise in kleine Stücke geteilt, füllte er den (ganzen) Erdkreis aus. Doch die Barmherzigkeit Gottes sammelte überall die Bruchstücke und verschmolz sie mit dem Feuer seiner Liebe und machte zu Einem, was (zuvor) zersplittert war.“

Hier geht es um die überindividuelle Gemeinschaft aller Menschen überhaupt, genauer gesagt um die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit vor dem Sündenfall. Augustin ersetzt hier die neuplatonische Vorstellung von der Genese der unbestimmten Vielfalt (ἀόριστος δυάς) aus dem ontologisch vorgeordneten Einen durch den biblischen Sündenfall [16]. Außerdem zielt er auf die berühmte Stelle aus dem Johannesevangelium über die Speisung der 5000 [17], die im übrigen dem modernen (noch nicht antiken) Begriff des literarischen „Fragments“ zugrundeliegt: Seit den frühesten Belegen bei Petrarca und Boccaccio sind die literarischen „Bruchstücke“ mit dem Gedanken des Sammelns verbunden [18], denn eher als auf die Zersplitterung, kommt es auf die ursprüngliche Einheit an.

Das Problem beschäftigt Augustin auch in De ciuitate dei im Zusammenhang mit der Erschaffung Adams und Evas. Im Gegensatz zu den Tieren, die von Anfang in großer Vielzahl geschaffen waren, erschuf Gott den Menschen zunächst als Einzelwesen, das jedoch seine Individualität durch gemeinschaftlichen Zusammenschluß kompensiert [19]:

unum ac singulum creauit, non utique solum sine humana societate deserendum, sed ut eo modo uehementius ei commendaretur ipsius societatis unitas uinculumque concordiae, si non tantum inter se naturae similitudine, uerum etiam cognationis affectu homines necterentur.

„Gott schuf den Menschen als einzigen und einzelnen, jedoch nicht, um ihn ohne menschliche Gemeinschaft zu belassen, sondern um ihm dadurch nur umso stärker die Einheit der Gemeinschaft selbst und das Band der Eintracht zu empfehlen, sodaß die Menschen nicht so sehr durch die Ähnlichkeit ihrer Natur untereinander, sondern vielmehr durch verwandtschaftliche Zuneigung verknüpft würden“ [20].

Während an den drei zuletzt genannten Stellen aus dem Psalmenkommentar und De ciuitate dei die Formel e pluribus unum nicht vorkommt, ist dies – über die Confessiones hinaus – in mehreren anderen Schriften durchaus der Fall, wie ein Blick in das „Corpus Augustinianum Gissense“ (CAG) lehren kann [21]. Der allgemeine Charakter der Formel ermöglichte es dem Kirchenvater, sie in den verschiedensten Zusammenhängen zu verwenden. Ihr kontradiktorischer Chatakter kommt zudem seiner Vorliebe entgegen, in paradoxen Formulierungen bis an die Grenze des Denkens und des sprachlich noch irgendwie Ausdrückbaren zu gelangen [22].

Die Stelle aus den Confessiones beschreibt ein Stadium, in dem Augustin seine verlorene Erstlingsschrift De pulchro et apto verfaßte [23]. Dort könnte der Ausdruck vorgekommen sein, wie auch Parallelen aus dem Dialog De ordine nahelegen [24]. Im ästhetischen Sinn wurde die Formel einer „Einheit in der Vielheit“ dann von der modernen Literaturwissenschaft reichlich in Anpruch genommen [25]. Hier spielt auch die in der Gestalt- und Ganzheitspsychologie der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts gern aufgegriffene Erkenntis eine Rolle, daß ein Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile, denn hinzu kommt ein ‚Beziehungsplus‘, der Funktionszusammenhang.

In ästhetisch-mathematischer Bedeutung verwendet Augustin den Ausdruck dann in seiner etwa gleichzeitig mit De ordine, noch in Mailand angefangenen, dann nach der Rückkehr in Afrika fortgeführten unvollständigen Schrift De Musica (388/389), einem Relikt des Planes, in der Nachfolge Varros den Cursus der sieben artes liberales darzustellen [26]. Dort geht es um den vollkommenen Charakter der Zahl Vier [27]:

... tunc ex pluribus unum aliquid maxime fieri, cum extremis media, et mediis extrema consentiunt.

„..., daß dann am ehesten aus mehreren (Dingen) irgendein Eines entsteht, wenn mit den äußeren die mittleren (Zahlen) und mit den mittleren die äußeren übereinstimmen.“

Gemeint ist folgendes: Die Zahl Vier entsteht auf zweierlei Weise aus der vorangehenden Triade 1 - 2 - 3: entweder durch die Addition der Außenglieder (1 + 3) oder durch eine Verdoppelung des Mittelgliedes (2 + 2). Zweimal ergibt sich aus der Triade dasselbe Eine, quattuor. Die Frage nach Einheit und Vielheit hat den Kirchenvater also seit seinen anfänglichen Studien der paganen Wissenschaften beschäftigt. Solche mathematischen Probleme werden später in seiner philosophischen Begründung der Trinität eine Rolle spielen [28].

Der – auch von jenem amerikanischen Herrenmagazin in Anspruch genommenen – literarisch-ästhetischen Bedeutung nahe kommt sodann Augustins Frage nach der Buchteilung des Psalters. Zum letzten Psalm 150 bemerkt er, daß der Psalter kanonisch ein einziges Buch darstelle, obwohl er doch aus mehreren einzelnen Büchern bestehe [29]:

Fieri enim potest ut aliqua consuetudine litterarum Hebraearum unus liber dicatur, qui constat ex pluribus; sicut ex ecclesiis pluribus una constat ecclesia, et ex pluribus caelis unum caelum etc.

„Es kann nämlich geschehen, daß er (der Psalter) aufgrund einer gewissen Gepflogenheit des hebräischen Schrifttums ein (einziges) Buch genannt wird, der doch aus mehreren besteht; so wie aus mehreren Einzelkirchen die Gesamtkirche und aus mehren Himmeln der Gesamthimmel usw.“

Um die literarische ‚Einheit in der Vielfalt‘ zu belegen, beruft er sich also, weiter ausgreifend, auf die überindividuelle komplexe Einheit der Kirche [30] und sogar des Universums mit seinen Himmeln [31].

Die Frage nach der Einheit begegnet nicht nur am Ende des Psalmenkommentars über den Psalter insgesamt, sondern schon vorher in der Einzelauslegung der Psalmen 132 und 133. In Psalm 132 heißt es [32]: ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum. „Siehe, wie gut und angenehm ist es doch, daß die Brüder zum Einen (hin) wohnen.“ Den merkwürdigen Ausdruck in unum bezieht Augustin [33] auf das Wunder der Gläubigen nach der Freilassung des Petrus und Johannes aus dem Gefängnis [34]: et erat illis anima una et cor unum in deum ... „Und sie hatten eine einzige Seele und ein einziges Herz, gerichtet auf Gott.“ Im Gegensatz zu den Körpern sei ihr Geist für alle gleich geworden. Hier wird die Einheit, ähnlich wie in jenem Beispiel über die Sammeltaufe, transzendental begründet.

Der nächste Psalm (133) beginnt mit der Aufforderung an die Gemeinde, Gott zu loben [35]: ecce nunc benedicite dominum, omnes servi domini. „Wohlan, lobt den Herrn, all ihr Diener des Herrn.“ Doch die Gegenbewegung Gottes zu den Menschen richtet sich nicht an die Gruppe, sondern an ein einzelnes Wesen [36]: benedicat te dominus ex Sion, qui fecit caelum et terram. „Es segne dich der Herr aus dem Zion, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Dazu erklärt nun Augustin [37]:

plures hortatur ut benedicant, et ipse unum benedicit, quia ex pluribus unum fecit; quia ‚bonum et iucundum est habitare fratres in unum‘ [Ps. 132,1]. pluralis numerus, ‚fratres‘, sed singularis, ‚habitare in unum‘.

„Viele ermahnt er zu loben, aber er selbst segnet Einen, weil er aus Mehreren Einen gemacht hat. Weil es ‚gut und angenehm ist, daß die Brüder zum Einen hin wohnen‘ [Ps. 132,1]. Die Mehrzahl (lautet) ‚Brüder‘, aber die Einzahl ‚zum Einen hin wohnen‘.“

Aus den getrennten Gliedern der Gemeinschaft der Gläubigen hat Gott eines gemacht. Dabei schwebt der Akkusativ unum zwischen Maskulinum und Neutrum. Schon im Alten Testament erkennt der Kirchenvater also die Einswerdung der Gemeinde durch den göttlichen Segen.

Hatte die Frage nach Einheit und Diversität schon im Neuplatonismus eine kardinale Rolle gespielt, so ist dies erst recht in der der christlichen Dogmatik des vierten Jahrhunderts [38] der Fall. Und so nimmt es nicht wunder, daß die Formel auch in Augustins dogmatischem Hauptwerk, De trinitate, wiederkehrt. Ausgehend von dem Johanneswort [39] ego et pater unum sumus fragt er [40]:

et nescio utrum inueniatur in scripturis dictum ‚unum sunt‘ quorum est diuersa natura.

„Und ich weiß nicht, ob sich in der Schrift die Formulierung ‚sie sind eines‘ findet (ausgesagt) von Dingen, die verschiedener Natur sind.“

In den folgenden Beispielen aus dem Neuen Testament treibt Augustin Philologie, folgt dabei aber nicht streng genau dem Vulgatatext: Die Einheit werde entweder durch das bloße Neutrum unum bezeichnet wie in der hochpriesterlichen Fürbitte Christi für seine Jünger vor der Gefangennahme [41]: ut sint unum sicut et nos unum, „damit sie Eines sind wie wir [Gott Vater und Sohn] Eines.“ Die Einheit von Vater und Sohn möge die Gemeinschaft der Jünger stiften. Ein ebenso unbestimmtes Neutrum verwende auch Paulus im Brief an die Korinther [42]: qui plantat, et qui rigat unum sunt. „Wer pflanzt und wer bewässert, sind Eines“. Diesen beiden Beispielen mit dem unbestimmten Neutrum stünden andere gegenüber, in denen ein hinzugesetztes Substantiv die Einheit konkretisiert: Wohnt jemand einer Hetäre bei, unum corpus est, „dann ist er/es ein einziger Körper“ [43]; wer seinem Herrn anhängt, unus est spiritus, „ist (zusammen mit ihm) ein einziger Geist“ [44]. Aus diesen zweimal zwei Beispielen resultiere nun folgender Unterschied [45]:

cum ergo sic dicitur ‚unum‘ ut non addatur quid unum et plura ‚unum‘ dicantur, eadem natura atque essentia non dissidens neque dissentiens significatur. cum uero additur quid ‚unum‘, potest aliquid significari ex pluribus unum factum quamuis diuersis natura.

„Wenn also ein ‚Eines‘ in der Weise benannt wird, daß nicht hinzugesetzt wird, welches Eine und welche mehreren Dinge ‚Eines‘ genannt werden, dann wird eine identische Natur und ein weder abweichendes noch unterschiedliches Wesen bezeichnet. Wenn aber hinzugesetzt wird, welches ‚Eine‘, dann kann etwas bezeichnet werden, das eines geworden ist aus mehreren Teilen, so verschieden diese in ihrer Natur auch sein mögen.“

Kurz auf einen Nenner gebracht heißt das: Das substantivierte Neutrum bezeichnet die Wesenseinheit, ein hinzugesetztes Substantiv (wie corpus oder spiritus) ein durch die Addition heterogener Elemente zustandegekommenes Ganzes. Auch in dieser hochphilologischen wie hochphilosophischen Erörterung begegnet also der Ausdruck ex pluribus unum. Das Problem, mit dem die modernen Zitatsucher zu kämpfen hatten, nämlich daß sich die attributive Verwendung von unus bei den beiden klassischen Dichtern (color ... unus bei Vergil und una, sc. spica bei Horaz) sich schlecht mit dem substantivierten Neutrum unum vertragen, macht der Kirchenvater zum Thema einer ontologisch-theologischen Erörterung. Er steht damit unter dem Einfluß der griechischen Sprache der Neuplatoniker, verleiht der Formel aber eine fundamentale christologische Bedeutung.

Die genannten Beispiele dürften hinreichend deutlich gemacht haben, daß Augustin tatsächlich als Quelle für das amerikanische Motto in Frage kommt. Der Kirchenvater schätzt diese Formel wegen ihres kontradiktorischen Charakters und verwendet sie – niemals am Kolonende – in den verschiedensten Zusammenhängen. Auf welche Einzelstelle die Väter der amerikanischen Verfassung genau Bezug genommen haben, bedarf weiterer Nachforschungen. Zwar liegt es nahe, sein bekanntestes Werk, die Confessiones, in Betracht zu ziehen. Doch während sich der Ausdruck dort nur im erotischen Sinne auf eine individuelle Jugendfreundschaft bezieht, erschließt sich ihr tieferer Sinn erst aus ihrer philosophischen (ästhetischen wie numerologischen) und theologischen (ekklesiologischen wie christologischen) Verwendung in den Enarrationes in psalmos im Anschluß an die Psalmensprache und mehr noch in De trinitate im Anschluß an des Evangelium des Johannes.

Wolfgang HÜBNER
Universität Münster

 


 

Anmerkungen:

[1] G. E. Thüry, Von Köchen, Christen und der Politik. Ein Motto und seine Geschichte, Antike Welt 2010/6, 38-39, antwortend auf K. Bartels, E pluribus unum, ibid. 2010/3, 95. Vgl. W.C. Harris, E pluribus unum. Nineteenth century American literature and the constitutitonal paradox, Iowa 2005, 195-197.

[2] So ausdrücklich W.C. Harris (wie Anm. 1), 196 „we must look elsewhere – particulary to the Latin poets of antiquity.“

[3] Hor., epist. 2,2,212: quid te exempta iuvat spinis e pluribus una? Gegen einen Bezug dieser Stelle W.C. Harris (wie Anm. 1) 198: „Horace is describing an act of extraction or selection, not combination.“

[4] Ps.Verg., Moretum 103f. Vgl. Ch. W. Foster, Origin and History of the Two Mottos Used on Modern United States Coins, Numismatic Association, Buffalo N.Y. August 23.-28. 1930, The Numismatist 43/12 (1930), 799-800, wo das Werk mit „In Moretum“ angegeben wird. Das falsche Zitat „color est E pluribus unum“ macht die Inkompatibilität des Textes nur noch deutlicher. – Man dachte auch an Rut., Nam. 1,63 (an die Göttin Rom gerichtet): fecisti patriam diversis gentibus unam. Vgl. W.C. Harris (wie Anm. 1), 197: „What seems, then, to be an unfounded attribution, added to the discrepancy between e pluribus unum and the Virgilian text (e pluribus unus), has only fueled speculation and encouraged scholars to search farther afield – from Aristotle to St. Augustin to obscure Philadelphian poet John Carey.“ Augustin wurde nicht einmal einer Erwähnung im Register für wert befunden.

[5] Quint., inst. 9,4,75: Peius cludit finis hexametri ..., dazu H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, 3. Aufl., Stuttgart 1990 (bearbeitet von A. Arens), 486 § 992,1. Daher haben römische Historiker wohl Hexameteranfänge gebildet, aber kaum echte (oder höchstens nur schwer als solche einzuordnende) Hexameterschlüsse, vgl. M.H. Morgan, Hidden Verses in Livy, Harvard Studies in Classical Pholology 9 (1898), 61-66; A.A. Brodribb, Verse in Livy, Classical Review 26 (1910), 13-14; S. Koster, Das Praeskript der Res gestae divi Augusti, Historia 27 (1978), 241-246.

[6] G.E. Thüry (wie Anm. 1), 39.

[7] Aug., conf. 4,8,13.

[8] Augustine, Confessions, 2: Commentary on Books 1-7, ed. J. J. O’Donnell, Oxford 1992, 233 ad l.

[9] Cic., Lael. 25,92. Thüry vergleicht noch Cic., off. 1,17,56: efficiturque id, quod Pythagoras vult in amicitia, ut unus fiat es pluribus, und verweist auf weitere Stellen sowie auf A. Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten der Römer, Leipzig 1890 (Ndr. Hildesheim 1965), 25f. s.v. animus.

[10] Aug., en. Ps. 78,2.

[11] Vulg. Act. 2,41. – Die vereinheitlichende Wirkung einer Sammeltaufe betont in einer neuplatonisch-astrologischen Taufpredigt Zeno von Verona, dazu W. Hübner, Das Horoskop der Christen (Zeno 1,38 L.), Vigiliae Christianae 29 (1975), 120-137, hier: 122f. und besonders im Hinblick auf die ‚Enantiodromie‘ der Fische 134f.

[12] Vulg. Matth. 14,21 und Joh. 6,10.

[13] Vulg. Mc. 13,27

[14] Vgl. hierzu D. Cerbelaud, Le nom d’Adam et les points cardinaux. Recherches sur un thème patristique, Vigiliae Christianae 38 (1984), 285-301; W. Hübner, Die Eigenschaften der Tierkreiszeichen in der Antike, Wiesbaden 1982, 270 mit Schema unter Nr. 7.172.14.

[15] Aug., en. Ps. 95,15.

[16] Vgl. J. Trelenberg, Das Prinzip „Einheit“ beim frühen Augustinus, Tübingen 2004 (Beiträge zur historischen Theologie. 125), 110.

[17] Joh. 6,12: συναγάγετε τὰ περισσεύοντα κλάσματα, ἴνα μὴ τι ἀπόληται – colligite quae superaverunt fragmenta, ne pereant.

[18] Hierzu E. Zinn, Fragment über Fragmente, in: Das Unvollendete als künstlerische Form (Ein Symposion), hrsg. J. A. Schmoll, gen. Eisenwerth, Bern - München o.J. [1959], 161-171 und 176-178; Ndr. mit Nachträgen in: Viva Vox. Römische Klassik und deutsche Dichtung, hrsg. M. von Albrecht, Frankfurt, al. 1994 (Beiträge zur Klassischen Philologie. 80), 29-41. Die neuzeitliche Übertragung seit Petrarca und Boccaccio: W. Hübner, Noch einmal zum Titel von Boccaccios Genealogia, Neulateinisches Jahrbuch 4 (2002), 323-325.

[19] Aug., ciu. 12,22, vgl. vorher: ut ex uno homine, quem primum condidit, multiplicaret genus humanum – dagegen über die Tiere: a pluribus.

[20] Der Gedanke der Kompensation eines Mangels gegenüber der Tierwelt erinnert an den natura noverca-Topos: hierzu etwa E. Pöhlmann, Der Mensch – das Mängelwesen? Zum Nachwirken antiker Anthropologie bei Arnold Gehlen, Archiv für Kulturgeschichte 52 (1970), 297-312.

[21] Vgl. auch J. Trelenberg, AL IV (demnächst) s.v. Multitudo. Ich danke der Redaktion, mir Einblick in den satzfertigen Artikel gewährt zu haben. Dagegen wird vom Lemma Multum auf Vnum-multum verwiesen.

[22] Vgl. AL III 7/8 (2011) 1016 s.v. Lingua latina.

[23] Aug., conf. 4,13,20. Vgl. J. Trelenberg (wie Anm. 16), 19-41 „Die Einheit in der Ästhetik“ mit Zitat von J. Rief, Der Ordobegriff des jungen Augustinus, Diss. Paderborn 1962 (Abhandlungen zur Moraltheologie. 2), 125: „Wenn die Vielheit Gefallen auslösen soll, dann ist vorausgesetzt, daß die Vielheit von einer Einheit her konzipiert und von ihr umschlossen ist.“

[24] Vgl. die in ord. 1,2 berührte Gesamtwirkung eines Mosaiks, von dem die vielen einzelnen Steinchen erst aus einer gewissen Entfernung als geordnetes Gesamtbild erkennbar werden, hierzu A.-I. Bouton-Touboulic, L’ordre caché. La notion d’ordre chez Augustin, Paris 2004 (Collection des Études Augustiniennes. 174), 266-268: „La dialectique partie-tout“. Hierher gehört auch die ästhetische Bedeutung des Begriffes integritas, vgl. AL III (2008), 643 mit Anm. 9 s.v. Integritas.

[25] Sie wird – besonders gern in abschließenden Beurteilungen von Werken – immer wieder gebraucht, und die Belege sind überreichlich, vgl. etwa über die vergilischen Georgica A. Wlosok, Die römische Klassik: Zur „Klassizität“ der augusteischen Poesie, in: Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken (DFG Symposium 1990), hrsg. W. Voßkamp, Stuttgart, al. 1993, 331-347, hier: 334 nach Hor., ars 23: denique sit quodvis, simplex dumtaxat et unum. – Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß die Formel sogar auf die Konversion Augustins angewandt wurde: P.-L. Landsberg, La conversion de saint Augustin, La vie spirituelle 48 (1936), suppl. 31-56, S. 54f., und zwar wieder abschließend: antike Tragödie und „divine comédie“; „L’unité se fait dans la pluralité“; 56: „Unité dans la multiplicité“. – Man vergleiche schließlich auch Festschrifttitel wie Concentus ex dissonis. Scritti in onore di Aldo Setaioli, hrsg. C. Santini, L. Zurli, L. Cardinali, Neapel 2006. Das lateinische Zitat stammt aus Macrob., Sat. 1 praef. 9 über den Chorgesang.

[26] Vgl. AL II 485-487 s.v. Disciplinarum libri sowie demnächst IV s.v. Musica (De-).

[27] Aug., mus. 1,24.

[28] Vgl. J. Trelenberg (wie Anm. 16), 112-120: „Arithmosophie: der pythagoreische Zugang zur Dreieingkeit“. Hierher gehört auch die etwa gleichzeitig entstandene Dialog De ordine.

[29] Aug., en. Ps. 150,2: nos autem scripturae canonicae auctoritatem sequentes, ubi legitur: „scriptum est enim in libro Psalmorum“ [Act. 1,20], unum Psalmorum librum esse nouimus.

[30] Zur ekklesiologischen Bedeutung der Formel J. Trelenberg (wie Anm. 16), 151-165.

[31] Über die Mehrzahl der Himmel A. Solignac AL I (1986-1994), 698-702 s.v. Caelum.

[32] Vulg. Ps. 132,1 (iuxta LXX) τὸ κατοικεῖν ἀδελφοῦ ἐπὶ αὐτό. Zu der sprachlichen Wendung vgl. ThLL VI 3 c. 2474,42: Hier., epist. 22,35,1: (sc. monachi) qui plures in commune habitant.

[33] Aug., en. Ps. 132,2.

[34] Frei nach Vulg. Act. 4,32: multitudinis autem credentium erat cor et anima una.

[35] Vulg. Ps. 133,1.

[36] Vulg. Ps. 133,3 bei Aug., en. Ps. 133,3.

[37] Aug., en. Ps. 133,2.

[38] Vgl. J. Trelenberg (wie Anm. 16), 192: „Man kann die Klärung des Verhältnisses von Einheit und Vielheit innerhalb des christlichen Gottesbegriffes ohne Zweifel als das zentrale dogmatische Problem des gesamten 4. Jahrhunderts bezeichnen.“

[39] Vulg. Io. 10,30 bei Aug., trin. 6,3.

[40] Aug., trin. 6,4.

[41] Aug., trin. 6,4 nach Vulg. Io. 17,11: ut sint unum sicut et nos, das letzte Wort unum ist also hinzugefügt.

[42] Aug., trin. 6,4 nach Vulg. I Cor. 3,8: qui plantat autem et qui rigat unum sunt, griechisch ἕν εἰσίν.

[43] Aug., trin. 6,4 nach Vulg. I Cor. 6,16: unum corpus efficitur.

[44] Aug., trin. 6,4 nach Vulg. I Cor. 6,17: unus est spiritus.

[45] Aug., trin. 6,4.


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