Ansprache im Konvent St. Augustin in Würzburg
am 04.09.2001
Die Erklärung der Glaubenskongregation "Dominus Iesus" im Lichte der Theologie des hl. Augustinus
Cornelius Petrus Mayer OSA
Liebe Mitbrüder!
Am 6. August vor einem Jahr veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre die Erklärung Dominus Jesus. Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, die das Gemüt vieler Christen bewegte und erregte. Ich hatte dann am 10. Oktober hier dieses Thema aufgegriffen und dazu bemerkt, die dezidierten Aussagen über die Kirchlichkeit der katholischen Kirche und über die Mängel dieser Kirchlichkeit bei den von ihr getrennten christlichen Gemeinschaften habe nicht wenige, in der Ökumene engagierte Gläubige aufgeschreckt. Dennoch war ich der Meinung, Dominus Jesus sei eine längst fällige Erklärung gewesen, weil sie nicht nur die Katholiken, sondern die Christen alle wieder an jene Glaubenswahrheit erinnerte, mit der das Christentum steht und fällt.
Mit dem Bekenntnis Dominus Jesus steht und fällt indes auch die Ökumene, denn eine christliche Kirche, welch weiterer Benennung auch immer, ist eine solche nur kraft ihrer Verbindung zum Herrn, den sie verkündigt. Gewiss leitet die Erklärung Dominus Jesus von der Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu zugleich auch die der Kirche ab, und zwar die der Katholischen. Dennoch spricht sie ausdrücklich und nachdrücklich von Kirchen, von ‹echten Teilkirchen› und allerdings abschwächend von ‹kirchlichen Gemeinschaften›. Sie alle sind, «trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet» (7).
Ich will hier abermals nicht auf die Differenzen in der Ökumene eingehen, wohl aber auf das aller Ökumene zugrunde liegende Gemeinsame, und dies ist nach wie vor das Bekenntnis aller Christen zu Jesus, dem Herrn.
Dominus Jesus, so habe ich im vergangenen Jahr gesagt, war in der frühen Christenheit ein Fanal, ein Aufmerksamkeit erregendes Zeichen, das eine Veränderung, einen Aufbruch ankündigte. Mit solchem Fanal auf den Lippen mag Paulus zur Mission aufgebrochen sein. Wenn ich mich nicht täusche, bewirkte die Erklärung trotzt der fortschreitenden Säkularisation der Gesellschaft in der Welt von heute, zwar nicht bei allen Christen, wohl aber bei Christen in allen Kirchen eine bewusste, eine gezielte Hinwendung zur Mitte des Evangeliums.
Die Erklärung beklagte den zunehmenden Relativismus unter den Christen und sie wandte sich zurecht dagegen. Es steht zu vermuten, je intensiver der einzelne Christ bzw. die einzelne Christin sich wieder dieser Mitte des Evangeliums zuwendet, umso schärfer wird er oder sie die Unangemessenheit alles Relativen in dieser Mitte erkennen. Von ihr her aber gilt es die Ökumene ins Auge zu fassen, nur auf diese Weise kann und wird uns ihre angemessene Verwirklichung gelingen. Darauf sollten auch wir Katholiken bedacht sein.
In der Erklärung Dominus Jesus wird das Dekret Unitatis redintegratio - Die Wiederherstellung der Einheit, das offizielle Dokument des Zweiten Vatikanums über die Ökumene, des öfteren zitiert. Darin ist der Artikel 11 mit 3 Abschnitten gerade für uns Katholiken von denkbar großer Bedeutung. Während der erste Abschnitt vor einem verwaschenen und verschwommenen Irenismus, also vor einem Friede um jeden Preis, warnt, verlangt der zweite eine verständliche Sprache aller am ökumenischen Gespräch Beteiligten - also nicht nur der Theologen, der Katecheten und der Prediger. Von fundamentaler Wichtigkeit ist der dritte Abschnitt: «Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, das es eine Rangordnung oder ‹Hierarchie› der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhanges mit dem Fundament des christlichen Glaubens».
Aus den Protokollen des Konzils geht hervor, dass um diesen Satz, der kennzeichnenderweise erst bei der Schlussredaktion des Dekretes als die gewichtigste von allen vorgenommenen Änderungen und Beifügungen in den Text mitaufgenommen wurde, in der Aula heftig gerungen wurde. Kennzeichnenderweise wurde gerade er von nichtkatholischer Seite am meisten beachtet und mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen. Wen wundert dies?
Wir Älteren wissen noch zu gut, bis zu welchem Grade zweit- und drittrangige Glaubenssätze das Bild der katholischen Kirche in den Augen der nichtkatholischen Christen prägten. Wohlgemerkt, nicht deren Vorhandensein im Katholizismus war das Beklagenswerte - ich werde gleich darauf noch zurückkommen -, sondern ihre nach außen wirkende scheinbare Vorrangigkeit bei der Wahrnehmung des für den Katholizismus Typischen. Man konnte von außen nicht selten den Eindruck gewinnen, in der katholischen Kirche stünden alle Glaubenswahrheiten auf gleicher Stufe und es gebe keine Rangordnung unter ihnen. Eine erhellende Passage aus dem Kommentar zum zitierten Satz aus dem Lexikon für Theologie und Kirche möge dies illustrieren:
«Man wird sich nicht darüber wundern, dass es den Nichtkatholiken schwer wird, in der katholischen Kirche die Mitte ... in Lehre und Praxis gewahrt zu sehen, wenn etwa das Gebet zu den Heiligen die Anrufung Gottes durch Christus überwuchert oder wenn die mariologische Literatur immer mehr anwächst und ganze Bibliotheken füllt, während die christologischen und soteriologischen Fragen vernachlässigt werden. Die Bemerkung des Weihbischofs St. A. Leven von San Antonio (USA) in einer Konzilsrede mochte eine rhetorische Übertreibung sein: ‹Es gibt nämlich Väter, die reden, als ob der einzige Text in der Heiligen Schrift Vers 18 aus dem 16. Kapitel des Matthäus-Evangeliums wäre: «Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen», aber sie weist auf eine Gewichtsverschiebung hin, die es innerhalb der katholischen Kirche gibt und die das Urteil der nichtkatholischen Christen über die katholische Kirche und ihre Lehre entscheidend mitbestimmt›»[1].
Es gehörte jedoch schon immer zur herrschenden Praxis der katholischen Kirche, ins Credo, also ins offizielle Glaubenbekenntnis, nur die inhaltlich bedeutsamsten Wahrheiten der Offenbarung mit aufzunehmen. Um es zu konkretisieren: der Lehre vom Ablass kommt nicht der Rang von der Trinitätslehre zu und der Lehre von den Ämtern in der Kirche nicht der Rang von Christi Menschwerdung und Erlösungswerk. Auf dass ich nicht missverstanden werde: Der Konzilstext von der Rangordnung der Wahrheiten will nicht einer Vernachlässigung zweit- oder drittrangiger Glaubenswahrheiten das Wort reden, wohl aber will er dazu ermuntern, dass wir stets bedenken, welcher Stellenwert diesen für unser Heil zukommt.
Die jüngere Theologie vergleicht die Fülle der einzelnen Glaubenswahrheiten lieber mit einem Kreis als mit einem Gebäude - weshalb man früher mit Vorliebe vom ‹Glaubensgebäude› sprach. Der gegenwärtig bevorzugte Vergleich hat den Vorteil, dass er all die unterschiedlichen Glaubenswahrheiten gleich konzentrischen Kreisen von ihrer Stellung zur Mitte hin bzw. von der gemeinsamen Mitte her zu verdeutlichen vermag. Das Kriterium über die einzelnen Glaubenswahrheiten ruht nicht in diesen selbst, sondern einzig und allein in ihrer Beziehung zur Mitte, und diese Mitte ist das Mysterium Christi, das seinerseits im Mysterium der Trinität gründet.
Ich will das Gesagte an unserem heutigen Fest veranschaulichen. Wir feiern Maria, Mutter vom Trost. Die beiden Kurzlesungen unseres Offiziums, sowohl jene der Laudes aus Gal 4 über ‹die Fülle der Zeit› als Datum der Menschwerdung des Sohnes Gottes wie die soeben vernommene aus Röm 15 künden von Christi Heilwerk. Infolge dieses seines Heilswerkes werden wir ‹mit der Geduld› und ‹mit dem Trost› Gottes beschenkt - beschenkt aber deshalb, «damit» wir «Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde» preisen.
Geradezu mustergültig ist somit die Kirche in ihrer Liturgie darauf bedacht, dass in den Festen ihrer Heiligen primär Gott gerühmt und gepriesen werde, und zwar stets aufgrund seines Heilswerkes an Jesus Christus, unserem Herrn. Vielsagend heißt es darum auch in der Präfation von den Heiligen: «Die Schar der Heiligen verkündet deine Größe, denn in der Krönung ihrer Verdienste krönst du das Werk deiner Gnade» - ein Satz übrigens, der nahezu wörtlich im Schrifttum des heiligen Augustinus zu finden ist.
Kommen wir auf das Bild des Kreises zurück, so sehen wir unschwer, dass die sogenannten zweit- und drittrangigen Glaubenswahrheiten keineswegs Zeichen der Dekadenz, des Verfalls und der Entartung der offenbarten christlichen Glaubenssubstanz und infolgedessen auch kein Hindernis der Ökumene sein müssen. Sie sind dies zweifelsohne dann, wenn man sie von ihrer Mitte, dem Mysterium der Heilsveranstaltung Gottes, loslöst und sie isoliert feiert. Sie gehören aber dann, weil ihnen der Bezug zur Mitte fehlt - um im Bilde zu bleiben -, auch nicht mehr zum Kreis. Bleibt dieser Bezug gewahrt, so bezeugen sie zusammen mit der Mitte das Ganze, den Reichtum, die Fülle, das Katholische, was das Wort ‹katholisch› bekanntlich von Haus aus bedeutet.
Ich komme zum Schluss. Der Artikel 11 des Ökumenismusdekrets ermahnt uns ‹zu einem brüderlichen Wettbewerb auf dem Weg zur Ökumene› und ‹zu einer tieferen Erkenntnis und deutlicheren Darstellung der unerforschlichen Reichtümer Christi›. Daraus folgt aber, im Dialog mit den Gläubigen in der Ökumene genügt es nicht, die Glaubenswahrheiten unserer eigenen Kirche einfach quantitativ aneinander zu reihen. Es wird von uns mehr gefordert, nämlich die Wahrheiten unseres Glaubens in ihrer Gewichtigkeit zu kennen. Diese bemisst sich, wie dargelegt, nach dem Zusammenhang mit der Offenbarung des Mysteriums Christi.
Noch eine kurze Bemerkung: Wir deutsche Augustiner waren im vergangenen Jahrhundert in der Ökumene vielfältig engagiert, wir sind dies heute noch durch das Ostkirchliche Institut. Dennoch sollten wir uns - nicht zuletzt auch im Blick auf Martin Luther, der zu uns gehörte - für die Ökumene interessieren und engagieren - engagieren durch gründliche Kenntnis des Glaubens sowie durch kompetentes Reden.
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[1] J. Feiner, Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen (lateinisch und deutsch), Kommentare, Bd. 2, S. 88, Freiburg 1967.