In von biblischer Sprache getränkten Texten preist der Kirchenvater Christus als den Mittler, Erlöser und Herrn - diese gehören zum Schönsten, was in Augustins Werk zu lesen ist, und sind des Meditierens würdig. Eine Adventsbetrachtung von Cornelius Mayer OSA
Der hl. Augustinus – dies sagen nicht wenige Gelehrte – habe die Theologie der Kirche wie kaum ein anderer Theologe geprägt. Zwar gab es zu seiner Zeit den Advent als liturgische Zeit noch nicht, aber zur Bezeichnung sowohl der Menschwerdung Christi wie auch dessen Wiederkunft am Ende der Zeiten war das Wort in der frühen Kirche bereits geläufig. Mit Advent bezeichneten ursprünglich die heidnischen Römer die Ankunft ihres Kaisers in ihrer Stadt. Christen hingegen bezogen dieses Wort gezielt auf die Ankunft ihres Herrn. Aber auch den Titel Herr, den schon das Alte Testament vorzüglich Gott reservierte, reservierten auch sie so gut wie ausschließlich Jesus. Der Name Κύριος Ἰησοῦς, Dominus Jesus, Herr Jesus, hatte somit im Neuen Testament eindeutig den Charakter eines Bekenntnisses. Ja, die Identität eines Christen oder einer Christin gründete weithin darin.
Mit dem Bekenntnis Herr Jesus gaben Christen zugleich zu verstehen, dass Jesus nicht einer unter anderen, sondern ihr Erlöser ist, der durch seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung die mit der Erschaffung des Menschen beginnende und mit seiner Wiederkunft endende Heilsgeschichte, die in ihm ihre Fülle und ihren Mittelpunkt fand, zur Vollendung bringen werde (Dominus Iesus 13). Das Neue Testament befleißigt sich einer an dieser Glaubensgewissheit keinen Zweifel aufkommen lassenden Sprache.
Ein solch luzider Text steht im Philipperbrief. Er ist ein Hymnus, der in der frühen Kirche kursierte und den Paulus wohl deshalb zitierte, weil er das Wesentliche über Jesus Christus zum Ausdruck bringt. Er (so heißt es darin) war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alle erhöht, und ihm den Namen verliehen, der jeden Namen übertrifft, damit vor dem Namen Jesu alle Mächte im Himmel, auf Erden und unter der Erde ihre Knie beugen, und jede Zunge bekennt: Herr ist Jesus Christus zur Ehre Gottes des Vaters (2,6-11).
Das Bekenntnis Herr ist Jesus Christus hatte somit in der frühen Kirche den Charakter eines Fanals. Ihm wohnte ein emanzipatorischer Impetus inne, ein Antrieb, mit dem überzeugte Christen ihren Mitbürgern, gegebenenfalls auch den Herrschern dieser Welt zu erkennen gaben, dass sie ihr Heil von keinem anderen erwarteten als von Jesus Christus. Nun wird dieser oft selbst von Nicht-Christen gerühmt – gerühmt im Hinblick auf die Bergpredigt und auf das Liebesgebot als Inbegriff seiner Ethik. Aber das Bekenntnis Herr ist Jesus Christus gründet nicht in der Ethik, so sehr diese die Ethik anderer Religionen und Weltanschauungen auch überragt. Das Credo der Kirche gründet im Erlösungswerk Jesu Christi: in seiner Menschwerdung, in seinem Kreuzestod, in seiner Verherrlichung.
Mustergültig ist dies in den Schriften des hl. Augustinus nachzulesen. Im 10. Buch seiner zur Weltliteratur zählenden Bekenntnisse beschreibt er den Weg des Menschen zu Gott. Dort kommt er auf die Notwendigkeit eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen zu sprechen. Er habe gehört, schreibt er, viele würden ihren Weg aus der Verflechtung in Schuld bevorzugt unter Führung der Wissenschaft, also auf Menschen vertrauend antreten. Ihnen streitet der Kirchenvater den Erfolg ab. Warum? Weil sie nicht Mittler, sondern nur Sterbliche, selbst der Erlösung bedürftige Sünder, sind.
Augustinus beschließt dieses Buch mit einem hymnischen Text, der allein den rühmt, der sich um seines Erlösungswerkes willen von uns gerühmt und gefeiert wissen will. Diese von Bibelzitaten geradezu überfrachteten Zeilen gehören mit zum Schönsten, was wir von ihm über Christus, den Erlöser und Herrn, lesen. Sie sind gerade wegen ihrer biblischen Diktion des Meditierens würdig.
Der wahre Mittler aber, den du in deiner verborgenen Barmherzigkeit den Menschen gewiesen und gesandt hast, dass sie an seinem Beispiel die Demut selber lernen sollten, ‹der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus› (1 Tim 2,5), erschien zwischen den sterblichen Sündern und dem unsterblichen Gerechten, sterblich mit den Menschen, gerecht mit Gott, damit er ... durch seine gottverbundene Gerechtigkeit den Tod der gerechtfertigten Gottlosen vernichte, den er mit ihnen gemein haben wollte.
... Wie hast du uns geliebt, guter Vater, ‹der du deines einzigen Sohnes nicht geschont hast, sondern ihn für uns den Frevlern übergeben hast› (Röm 8,32) Wie hast du uns geliebt, um deretwillen jener ... gehorsam wurde bis zum Tod des Kreuzes (Phil 2,6.8) ... Für uns ist er dir Sieger und Opfer geworden, und darum Sieger, weil Opfer. ... Mit Fug und Recht ruht meine ganze Hoffnung auf ihm, du werdest durch ihn all mein Siechtum und Gebrechen heilen, der zu deiner Rechten sitzt ‹und bei dir bittend für uns eintritt› (Röm 8,34): sonst müsste ich verzweifeln. Denn es ist viel und groß mein Siechtum und Gebrechen, viel ist's und groß; doch größer noch ist deine Heilkunst.
... Sieh, Herr, ich werfe auf dich meine Sorge, damit ich lebe, und ‹ich will betrachten die Wunder deines Gesetzes› (Ps 118,18). Du weißt um meine Unkenntnis und meine Schwachheit: Belehre mich und ‹heile mich› (Ps 6,3). Er, dein Alleinziger, ‹in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind› (Kol 2,8), er hat mich losgekauft mit seinem Blut. Es sollen nicht die Stolzen mich bemäkeln, weil ich mein Lösegeld erwäge und esse und trinke und davon spende, und dass ich in meiner Armut wünsche, mit denen daran satt zu werden, ‹die essen und gesättigt werden: Und es werden den Herrn preisen, die ihn suchen› (Ps 21,27; conf. 20,70).
Nicht weniger dezidiert kommt Augustinus auf die zweite Bedeutung des Advents Christi, auf dessen Wiederkunft am Ende der Zeiten, zu sprechen. Sein 22 Bücher umfassendes epochales Werk Der Gottesstaat scheint geradezu daraufhin konzipiert zu sein. In den ersten 10 Büchern widerlegt der Verfasser die christenfeindliche Propaganda, wonach der Fall Roms im Jahr 410 allem voran eine Folge der Aufgabe des Heidentums gewesen sein soll. In den Büchern 11-22 aber entwirft er ein adventliches Geschichtskonzept, das beginnend mit der Schöpfung über den Sündenfall und Christi Menschwerdung auf ein grandioses Finale hin angelegt ist – ein Finale, in dem Christus Gott alles unterwerfen werde, damit dieser über alles und in allem herrsche (1 Kor 15,28).
Nach diesem Geschichtskonzept führen Christen ein auf den Advent hin ausgerichtetes Leben: sie verkünden Christi Tod, sie preisen seine Auferstehung, bis er kommt in Herrlichkeit. Davon war Augustinus fasziniert und diese Faszination versuchte er seinen Lesern zu vermitteln. Er verglich gerne die Epochen der Geschichte mit dem Sechstagewerk des biblischen Schöpfungsberichtes. Diese seien deutlich auf die Sabbatruhe hin angelegt, die sinnbildlich als siebte Epoche zu gelten habe, schreibt er im Schlusskapitel des Gottesstaates. Denn die erste Epoche, so heißt es dort, gleichsam der erste Tag, reicht von Adam bis zur Sündflut, der zweite von da bis Abraham, ... Darauf folgten die Epochen von Abraham bis David, von da bis zur babylonischen Gefangenschaft und von da bis zur Geburt Christi im Fleisch. Bis dahin also fünf. Die sechste, in der wir leben, dauere noch an, denn es stünde geschrieben: Es gebührt euch nicht zu wissen die Zeit, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat (Act 1,7). Danach werde Gott gleichsam am siebten Tag ruhen, indem er nämlich uns in sich ruhen lässt.
Augustinus unterlässt es hier, die Epochen im einzelnen nochmals zu schildern, über die siebte jedoch kann er nicht schweigen. Diese, so heißt es wörtlich, wird unser Sabbat sein, dessen Ende keinen Abend kennt. Er, unser Sabbat, ist der Tag des Herrn, gleichsam der achte, der ewige Tag, der durch Christi Auferstehung seine Weihe empfangen hat, der die ewige Ruhe nicht nur des Geistes, sondern auch des Leibes versinnbildlicht. Dann – so lässt der Kirchenvater sein Werk über den Gottesstaat ausklingen –, dann werden wir feiern und schauen, schauen und lieben, lieben und preisen. Das ist’s, was dereinst sein wird an jenem Ende ohne Ende. Denn welch anderes Ende gäbe es für uns, als heimzugelangen in jenes Reich, das kein Ende hat?
Diese Adventsbetrachtung wurde am 10.12.2008 der Reihe «Musik und Meditation im Advent» in der Würzburger Augustinerkirche vorgetragen.