ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

REDE ZUR PRÄSENTATION DER FESTSCHRIFT FÜR
P. DR. THOMAS GERHARD RING OSA

am 24. September 2006

Cornelius Petrus Mayer OSA

Als ausgewiesenem Kenner der Gnadenschriften des Kirchenvaters Augustinus wurde P. Dr. Thomas Gerhard Ring OSA am 24. September 2006 im Rahmen einer Feier des Konventes St. Augustin zu Würzburg eine Festschrift überreicht.

Die herkömmliche Dogmatik teilt ihren Stoff in sieben oder acht Traktate auf. Der sechste über die Gnadenlehre sei das Herzstück der christlichen Theologie – dies unterstrich in seinen Vorlesungen der ehemalige Dogmatiker hier in Würzburg, Fritz Hofmann seligen Andenkens.

Die Antwort auf die Frage, weshalb der Gnadenlehre diese Bedeutung zukomme, lautet schlicht und einfach, weil das Evangelium des Neuen Testamentes in der Verkündigung des Erlösungswerkes Christi gipfelt und Christi Erlösungswerk die Gnade schlechthin ist. Der Kern der frühkirchlichen Predigt und der Katechese lautete nicht, der gekreuzigte Jesus lebt, sondern der ‹für uns gekreuzigte Jesus lebt› – als der verherrlichte Erlöser schenkt er allen, die an ihn glauben, Anteil an seinem neuen Leben. Gnade im Sinne der Theologie ist darum immer Gnade Christi.

Verständlicher Weise setzt die christologisch-theologische Reflexion der neutestamentlichen Schriften hierin an: Denn wer kann von sich sagen bzw. von wem kann man sagen, er sei der Erlöser in jenem umfassenden Sinn der kirchlichen Verkündigung?

In den alttestamentlichen Schriften war der Titel ‹Erlöser› streng genommen Gott allein vorbehalten. Wenn also Jesus von Nazareth nach biblischem Verständnis ‹Erlöser› ist, dann kommt ihm auch der Messias-Titel Christus in einem neuen, von Gott her bzw. auf Gott hin zu reflektierenden Sinn zu. Die Soteriologie, die Lehre von der Erlösung, ist also das Fundament der Christologie, der Lehre von Christus, und diese wieder weist den Weg in die Trinitätslehre mit dem Bekenntnis des einen Gottes in drei Personen.

Nun wird man zugeben, dass in den Evangelien wie in der Bibel insgesamt auch sittliche Weisungen für die Lebensgestaltung des Menschen keine geringe Rolle spielen. In der nachapostolischen Zeit schienen diese Weisungen innerhalb des Christentums allmählich eine dominierende Bedeutung in der Predigt und Katechese gewonnen zu haben. Ja, zur Zeit des hl. Augustinus gab es Bewegungen innerhalb der Kirche, die den Akzent bei der Verkündigung und in der Pastoral auf das sittliche Tun und Lassen der Christen legten und die eigentlichen Heilswahrheiten, die sich insbesondere in den Feiern der Mysterien der Taufe und der Eucharistie artikulieren, ihrer Heilsbedeutung entleerten. Sie lehrten, das Heil des Menschen hänge vorzüglich, wenn nicht ausschließlich von seinem Handeln ab. Augustinus erkannte, dass mit dieser Lehre die Substanz des Evangeliums auf dem Spiel stand. Sein ganzes theologisches wie literarisches Können bot er auf, um diese Art der Verkündigung in die Schranken zu weisen.

Es zählt gewiss mit zu den rühmenswerten Leistungen der Deutschen Augustinerordensprovinz, dass sie Mitte der 50er Jahre im Augustinus-Verlag die Reihe Sankt Augustinus * Der Lehrer der Gnade. Gesamtausgabe seiner antipelagianischen Schriften startete. Mit der Übersetzung und Kommentierung der Schriften des Kirchenvaters hat sie nicht nur die Augustinus-Forschung bereichert, sie hat auch der wissenschaftlichen Theologie hierzulande einen unschätzbaren Dienst erwiesen.

Die Meriten des P. Dr. theol. Thomas Gerhard Ring erschöpfen sich zweifelsohne nicht in der wissenschaftlichen Theologie, aber mit einer Festschrift geehrt wird er ausschließlich im Hinblick auf sie. Ich wage zu behaupten, hätte die Provinzleitung ihm ein zusätzliches Studium der klassischen Philologie ermöglicht, wäre er ein glänzender Vertreter jener Fächer geworden. Indes, er durfte promovieren. Auctoritas bei Augustinus, lautete das Thema seiner Dissertation, mit dem ihm jedoch jemand zuvorkam. So begrenzte er sein Thema auf Auctoritas bei Tertullian, Cyprian und Ambrosius. Trotz dieses Missgeschicks wurde er ein ausgewiesener Kenner der Theologie Augustins.

Im Jahr 1981 wandte er sich als Mitglied des Augustinus-Institutes der Übersetzung und Kommentierung der Gnadenschriften Augustins zu. Rasch entdeckte er die Defizite der bereits erwähnten Reihe. Denn Augustinus beschäftigte sich mit der Gnade nicht erst in seinen gegen die Pelagianer gerichteten späteren Schriften. Schon als Priester legte er einige Briefe des Apostels Paulus aus und dabei konnte ihm die Bedeutung der Gnade im paulinischen Schrifttum nicht entgehen.

P. Gerhard hat erkannt, dass die von unserer Ordensprovinz geplante Edition der Gnadenschriften Augustins ohne die Miteinbeziehung dessen früher Paulus-Kommentare historisch betrachtet ein Torso bleiben musste, weil diese erst genügend Licht nicht nur auf das Werden, sondern auch auf die Eigenart der augustinischen Gnadenlehre werfen. Mit einem Eifer sondergleichen ergänzte er die noch unabgeschlossene Reihe durch drei weitere Bände, die er mit dem Titel versah: Schriften über die Gnade: Prolegomena I-III, darunter sein 1991 erschienenes magistrales Werk An Simplicanus zwei Bücher über verschiedene Fragen. Speziell mit diesem Band, der von Augustin selbst als Meilenstein für die Entwicklung seiner Gnadenlehre eingeschätzten Schrift, hat Thomas Gerhard Ring sich in der Fachwelt einen Namen gemacht.

Allein schon dessen Umfang – rund 400 Seiten – übertrifft m. W. alle bisher vorliegenden Übersetzungen und Auslegungen in moderne Sprachen. Der Übersetzung geht eine Einleitung von rund 30 Seiten voraus, die sowohl über den Anlass zur Abfassung wie auch über die Bedeutung dieser Schrift im Gesamtwerk des Kirchenvaters gründlich informiert. Die Erläuterungen dazu – sie umfassen 200 Seiten – lassen kaum einen Aspekt der von Augustin darin zur Sprache gebrachten Probleme außer Acht. Im Hinblick auf die wichtigen hermeneutischen Aspekte des Werkes sind die angehängten Verzeichnisse, allem voran das der Bibelzitate, aber auch die der Personen sowie der Sach- bzw. Stichwörter hilf- und aufschlussreich.

Ich erwähne die Details dieser Veröffentlichung deshalb, weil P. Gerhard wie schon bei der erwähnten Promotion wieder jemand zuvorkam. Im Jahr 1990, also ein Jahr zuvor, erschien in Mainz die von dem Mediävisten und Philosophen Kurt Flasch edierte gleiche Augustinus-Schrift unter dem Titel Logik des Schreckens. Dieser Text, so der Umschlag, markiere eine epochale Wende in der Geschichte des Denkens, der Politik und der Kultur. Augustins Gnadenbegriff erwecke beim Leser ganz andere Gefühle als jene, welche die Bibel vermittle. Die Schrift an Simplician, so Flasch, sei in Wirklichkeit das Dokument eines welthistorischen Zusammenbruchs; Augustinus habe sich zum Klassiker der religiösen Intoleranz, zu einem Denker tiefsinniger Schroffheiten verwandelt, der bereits als solcher im Voraus die Geschichte des Terrors in Europa illustrierte. Flasch äußert den Verdacht, die Theologen hierzulande hätten aus Kenntnis des Monströsen dieser Schrift ihrem Leserkreis sowohl deren Übersetzung wie auch deren Kommentierung interessegelenkt vorenthalten.

Man wird es Thomas Gerhard Ring nicht hoch genug anrechnen können, 1. dass er diese Meinung nicht teilte, sondern ganz im Gegenteil, die singuläre Bedeutung der Schrift An Simplician nicht allein für die Gnadenlehre, sondern für die Theologie Augustins insgesamt erkennend, der theologisch interessierten deutschsprachigen Leserschaft schon seit Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zugänglich zu machen beabsichtigte. Danken wird man ihm sodann müssen, 2. dass er die Mühe auf sich nahm, diese Publikation Flaschs, die seiner eigenen um ein Jahr zuvorkam, in der Zeitschrift Augustiniana 44 (1994) 31-113 unter dem Titel Bruch oder Entwicklung im Gnadenbegriff Augustins? Kritische Anmerkungen zu K. Flasch, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo, Die Gnadenlehre von 397 auf 83 Seiten einer ebenso umfassenden wie gründlichen Rezension zu unterziehen.

Der in der Fachwelt hochgeschätzte Augustinuskenner Goulven Madec wünschte sich am Ende seiner vier Seiten umfassenden Rezension in der Revue des études augustiniennes von 1991 jene profunde Kritik an diesem Augustin malträtierenden Opus, die es verdient, denn so fügte er hinzu: «K. F. est un redoutable argumentateur – K. F. ist ein bestrickend gefährlich argumentierender Autor». T. G. Ring hat diese Kritik besorgt und am Flaschschen Kommentar zahlreiche Ungereimtheiten und tendenziöse Desinformationen entlarvt.

Ich wurde gebeten, mich kurz zu fassen, deshalb kann ich auf diese Widerlegung im einzelnen nicht mehr eingehen. In gebotener Kürze habe ich sie in der P. Gerhard gewidmeten Festschrift dargestellt. Zusammen mit dem Kommentar zu Ad Simplicianum vermitteln diese seine kritischen Anmerkungen nicht nur den besten Einblick in den souveränen Kenntnisstand des augustinischen Œuvres des Jubilars, sondern auch in dessen gekonnt vornehme Art und Weise mustergültiger Auseinandersetzung in der streng wissenschaftlich arbeitenden Theologie.

Ich sagte zum Beginn meiner Laudatio, die Gnadenlehre sei das Herzstück der christlichen Theologie. Augustinus gilt zweifelsohne als ihr größter Herold nach Paulus. Kenner der Dogmengeschichte machen darauf aufmerksam, dass das Thema Gnade in der kirchlichen Verkündigung und Pastoral von Zeit zu Zeit nicht mehr gebührend zur Sprache kommt. Mit diesem ihrem Verstummen verkümmert als charakteristische Folgeerscheinung die Theologie insgesamt: die Christologie degeneriert zur Jesuologie – Jesus ist dann nicht mehr der κύριος und der σωτήρ, sondern lediglich unser Bruder –, die Trinitätslehre mutiert zur im Prinzip nutzlosen und darum überflüssigen Spekulation, in der Ekklesiologie verschwindet die im Neuen Testament so beliebte Vorstellung von der Kirche als ‹Leib Christi› usw. usf.

Kenner der Dogmengeschichte machen aber auch darauf aufmerksam, dass solche Degenerationsphänomene in der Theologie stets überwunden zu werden pflegen durch Besinnung auf die Bedeutung der Gnadenlehre. Dabei spielte und spielt immer noch jeweils im Sinne eines Paradigmenwechsels eine erneute Vertiefung in die Lektüre der Briefe des Apostels Paulus – speziell in seinen Römerbrief – sowie in die Lektüre der Schriften des hl. Augustinus – speziell in seine Gnadenschriften – eine wichtige Rolle.

Wenn ich recht sehe, erleben wir zur Zeit einen solchen Wechsel. P. Gerhard dürfte dazu das Seine beigetragen haben. Dafür sei ihm durch die Widmung einer Festschrift zu seinem 70. Geburtstag aufs Herzlichste gedankt.