ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Predigten aus neuerer Zeit, die sich augustinischer Gedanken bedienen.

Das Zentrum für Augustinus-Forschung in Würzburg verfolgt und registriert die Aktualität Augustins in möglichst allen einschlägigen Sparten der Wissenschaften unserer Zeit. Am Gespräch mit dem Kirchenvater aus dem 4. und 5. Jahrhundert sind nicht nur Theologen und Philosophen, Historiker und Soziologen, Psychologen und Linguisten – um nur einige Zweige der Wissenschaften zu nennen – interessiert, sondern sogar die Naturwissenschaften. Es versteht sich von selbst, dass Augustinus der kirchlichen Pastoral ebenfalls immer noch nachhaltige Impulse zu geben vermag.

Der ehemalige Professor der Rhetorik war ein hinreißender Prediger. Sogar aus Übersee strömten Gläubige herbei, um ihn zu hören. In der Verkündigung ging es ihm so gut wie ausschließlich um die Inhalte der christlichen Offenbarung. Er wusste nur zu gut, dass er die Fundamente des Glaubens den breiten Schichten des Kirchenvolkes vorzüglich in den Predigten seiner Gottesdienste vermitteln konnte. Dabei klammerte er aktuelle Probleme der Gesellschaft nicht aus. Christen sollten z.B. wissen, was sie bei Katastrophen auf Fragen nach ihrem Gott der Liebe zu antworten haben, reicht ihnen doch die Bibel ein ganzes Arsenal von Argumentationsmustern dazu.

Dankesrede 65 Jahre Profess – Gottesdienst am 17.9.2015

Am 17. September 2015 feierten die Augustinerpatres Prof. Cornelius Petrus Mayer und Albrecht Herrmann ihr 65. Professjubiläum mit einer Eucharistie in der Würzburger Augustinerkirche. Nachfolgend dokumentieren wir die Dankesworte, die Cornelius Petrus Mayer OSA zum Abschluss der Messe an die Festgemeinde richtete.

Gestatten Sie mir ein paar Worte des Dankes zu dieser Jubiläumsfeier.

Sie werden im Flyer des Klosters Nimm und lies gelesen haben, dass die Erarbeitung eines Augustinus-Lexikons zum Programm meines Lebens geworden sei. Ich möchte deshalb allen danken, die ideell und finanziell zu diesem inzwischen in Fachkreisen weltweit bekannten Forschungsprojekt beigetragen haben.

Mein Herz schlage bis zum heutigen Tag für das Werk unseres Ordensvaters, heißt es weiter im Flyer. Das trifft in der Tat zu. Die 13 Bücher seiner Bekenntnisse zählen immer noch zu meiner Lieblingslektüre, weil ihr Verfasser Antwort darauf zu geben versucht, was er war, was er ist und was er sein werde. Sind das nicht Fragen, die uns alle, insbesondere uns, die im Alter schon Fortgeschrittenen, zunehmend intensiv beschäftigen?

Der Christ sei als Glaubender ein Hoffender. Ein Hoffender, worauf? Hat die Hoffnung nicht die Zeit zur Voraussetzung, in der das Erhoffte sich erfüllen soll?

Aber was ist Zeit? In einem ganzen Buch, nämlich im 11. erörtern die Bekenntnisse diese Frage. Ihre tiefsinnigen Betrachtungen veranschaulichen drin den unüberbrückbaren Unterschied zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen. Denn was ist veränderlicher als die Zeit, die alles Geschehen vorantreibt? Die Zeiten alle hast du gewirkt, und vor den Zeiten bist du (11,16).

Bewegt schildert Augustinus auch in mehreren Predigten die gleichsam unter das Joch der Zeit gezwungene Existenz des Menschen. Die Zeit, durch die wir wandern, gestoßen und fortgerissen vom Fluss der Jahre, von der Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, von ihren Wechselfällen, von der Haltlosigkeit, die alles mitreißt, sie gleicht einer Gefangenschaft, aus welcher der Mensch sich von sich aus nicht zu befreien vermag (S. 270,3).

Damit du Bestand hast, übersteige die Zeit. Aber, wer vermag das aus eigenen Kräften? fügt er vielsagend hinzu (Io.eu.tr. 38,10). Es musste also Christus in die Zeit kommen, nicht um die Zeiten zu heilen, sondern um sie aufzuheben.

So wollen wir als Glaubende und im Sinne unseres Glaubens Hoffende dem Rat unseres Ordensvaters folgend, uns zu allem Zeitlichen relativ, allein zu dem zeitlosen Gott absolut verhalten.

Die Heimkehr zu Gott und die Ruhe bei ihm möge die Perspektive für die noch ausstehende Zeit unseres Lebens bleiben.

Cornelius Petrus Mayer OSA

Dokumentation
Predigt zum Augustinus-Fest 2015
Zum Augustinus-Fest predigte Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA im Gottesdienst der Augustinus-Schwestern in Würzburg. Nachstehend dokumentieren wir die am 30. August 2015 gehaltene Festpredigt im Wortlaut.

Schwestern und Brüder im Herrn, liebe Augustinus-Schwestern!

Ihre Gemeinschaft begeht heute liturgisch den Gedenktag des hl. Augustinus, und ich wurde gebeten, den Gottesdienst mit Ihnen zu feiern.

Bei der Suche nach einem Thema der Predigt musste ich nicht lange überlegen, war doch Augustinus, angesehener Redner, Verfasser zahlreicher Schriften, jener gebildete Theologe und Seelsorger, der nicht nur das Abendland seiner Zeit, sondern auch das der nachfolgenden Epochen religiös, kulturell und in gewisser Hinsicht selbst politisch geprägt hat. Von ihm sagte der evangelische Theologe Adolf von Harnack: Er ist der Mann, der überhaupt in der Antike und in der Kirchengeschichte nicht seinesgleichen gehabt hat.

Sein brillantestes und wirkungsgeschichtlich bedeutsamstes Werk waren die Bekenntnisse, die Confessiones. Darin legt er von seinem Leben so Rechenschaft ab, dass der Leser es merken sollte, hier geht es auch um ihn. Augustinus fragt sich nämlich: Was war ich, was bin ich, und was werde ich sein? Sind das nicht die Fragen, die uns alle, insbesondere aber die im Alter schon Fortgeschrittenen bedrängen? Was Christen darauf antworten sollten, dies zeigen uns die Bekenntnisse.

Predigt

Augustins Bekenntnisse – ein faszinierendes literarisches Werk – berichten in den Büchern 1-9 von der Kindheit bis zu dessen Bekehrung im 33. Lebensjahr; das 10. Buch gibt einen Einblick in die geistige Verfassung ihres Autors zur Zeit ihrer Abfassung; die Bücher 11-13 schließlich kommentieren den biblischen Schöpfungsbericht aus dem ersten Kapitel des ersten Buches der Bibel. Insgesamt sind sie ein Gespräch Augustins mit Gott. Groß bist du, Herr, und über alles Lob erhaben, so beginnen sie. Und da will der Mensch, dieser winzige Teil deiner Schöpfung, dich preisen. Du selbst regst ihn dazu an: denn du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir. Des Menschen Unruhe und Gottes Ruhe sind demnach die Pole, zwischen denen sich das Leben Augustins, ja, das Leben aller Lebewesen abspielt. Dieses Begriffspaar, unsere Unruhe und Gottes Ruhe ist sozusagen der rote Faden, der alle drei Teile durchzieht und zusammenhält.

Hinzu kommt ein zweiter, nicht weniger wichtiger literarischer Aspekt. Augustin legt der Geschichte seiner eigenen Bekehrung das Schönste aller Gleichnisse Jesu aus den Evangelien zugrunde: das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 16,15-24). Er, der hochbegabte und hochtalentierte Jugendliche, ist es, der mit diesem seinem geistigen Erbteil in ein fernes Land zog, wo er in Saus und Braus lebte. Der von seiner Mutter Monnica christlich erzogene, jedoch dem Reiz der Sünde verfallene Student lebte mit einer Konkubine zusammen, die ihm um sein 19. Lebensjahr einen Sohn gebar. Dennoch wandte er sich zur gleichen Zeit der alles Sinnliche und alles Materielle verdammenden Sekte der Manichäer zu und vom Christentum radikal ab.

Inmitten seiner Schilderungen darüber stellt er die Frage: Warum erzählte ich dies? Und er antwortet: Auf dass ich und jeder, der es liest, bedenke, aus welchen Tiefen man zu dir rufen muss. Und so bezeichnet er sein Abgleiten in die Sünde als ein Sich Zersplittern Stück für Stück, als ein Sich Abkehren vom Einen und ein Sich Verlieren in das Vielerlei (2,1). Im Anschluss an das Gleichnis verdeutlicht er die Jahre seiner Irrungen und Wirrungen als eine Zeit des Schweinehütens und der Hungersnot. Er kam aber allmählich zur Besinnung und trat die Um- und Rückkehr ins Vaterhaus an. Der zwar gedemütigte, aber demütige Vater nimmt auch ihn nicht nur wieder auf. Er tut mehr: er eilt dem Verlorenen entgegen und überhäuft ihn mit seiner Liebe.

Der hl. Augustinus erkannte in dieser Parabel das Geschick eines jeden und einer jeden in Bezug auf dessen bzw. deren Heil und Unheil, illustriert sie doch wie kaum ein anderes Gleichnis das Geschick Adams und aller Adamskinder als ein Wegstreben von Gott und als ein Verweilen in der Fremde. Im Lichte des Glaubens der Kirche legte er seine Rückkehr ins Vaterhaus so aus, dass der Leser merke, die Initiative dazu gehe stets von Gott aus. Während nämlich der von seinem Schöpfer getrennte Sünder in der Fremde umherirrt, bleibt Gott seiner Vaterrolle treu. Er, der die Liebe ist, gibt den Entfremdeten, gibt uns nicht auf: Er unternimmt sogar das Äußerste zu unserer Rettung. Im Exultet der Osternacht, einem wahrscheinlich von der Theologie Augustins geprägten Hymnus der Kirche, heißt es vielsagend: O unfassbare Liebe des Vaters: um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin. Die christliche caritas, so hörten wir in der Lesung unserer Festmesse, besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat (1 Joh 4,10).

Im 10. Buch der Bekenntnisse, das bereits von dem in die Kirche Heimgekehrten berichtet, kommt Augustin abermals auf diese Initiative Gottes in seinem eigenen Leben zu sprechen: Spät hab' ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab' ich dich geliebt! so beginnt dieser auch sprachlich unübertroffene Text. Und siehe, du warst drinnen, und ich war draußen, und dort draußen suchte ich dich und missgestaltet warf ich mich der Wohlgestalt in die Arme, die du geschaffen. Du warst mit mir, und ich war nicht bei dir. Und weit hielt ich mich von dir entfernt, was gar kein Dasein hätte, wenn es in dir nicht wäre. Du hast gerufen, ja geschrien und meine Taubheit zerrissen; du hast geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit in die Flucht geschlagen; du hast geduftet, und ich habe deinen Hauch eingeatmet und lechze nun nach dir; ich habe dich gekostet und ich hungere und dürste; du hast mich angerührt, und da bin ich entbrannt nach deinem Frieden (10,38).

Das christliche Heilsverständnis, daran lassen die Bekenntnisse keinen Zweifel aufkommen, hat mit einer Selbstverwirklichung ohne Hilfe von oben rein nichts zu tun. Damit ist freilich nicht gesagt, der Glaubende brauche sich um diese Welt nicht zu kümmern, wohl aber, dass er sein Heil weder von dieser Welt noch in dieser Welt zu erwarten habe. Der Glaubende ist vielmehr ein Hoffender und so ein Liebender. Ein Hoffender? Worauf? Der Begriff Hoffnung hat die Zeit zur Voraussetzung, in der sich das Erhoffte erfüllt.

Aus diesem Grunde eröffnet Augustin den dritten Teil seiner Bekenntnisse mit der Erörterung der Frage: was ist Zeit? Gerade seine tiefsinnigen Betrachtungen in diesem letzten Teil der Bekenntnisse veranschaulichen aufs Beste den unüberbrückbaren Unterschied zwischen dem unveränderlichen Schöpfer und seinen veränderlichen Geschöpfen, denn was ist veränderlicher als die Zeit, die alles Geschehen, aus dem auch die Geschichte sich rekrutiert, vorantreibt? Gott allein unterliegt nicht der Zeit. Die Zeiten alle hast du gewirkt, und vor den Zeiten bist du, und niemals gab es eine Zeit, wo Zeit nicht war (11,16).

Die Zeit, von ihr handelt das ganze 11. Buch der Bekenntnisse, kennzeichnet die Existenzweise der Welt, in der es schlechthin nichts gibt, was sich nicht zeitlich vollzöge. Bewegt schildert der Heilige auch in mehreren Predigten unsere gleichsam unter das Joch der Zeit gezwungene Existenz: Die Zeit, durch die wir wandern, gestoßen und fortgerissen vom Fluss der Jahre, von der Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, von ihren Wechselfällten, von der Haltlosigkeit, die alles mitreißt, sie gleicht einer Gefangenschaft, aus welcher der Mensch sich von sich aus nicht zu befreien vermag (s. 270,3). Damit du Bestand hast, übersteige die Zeit. Aber, wer vermag das aus eigenen Kräften? fügt er vielsagend hinzu (Io. eu. tr. 38,10). Es musste also Christus, der Schöpfer der Zeiten, in die Zeit kommen, nicht um die Zeiten zu heilen, sondern um die Zeit aufzuheben und die Geschichte zu vollenden.

Die Fragen, wohin die Geschichte laufe und was deren Sinn sei, beantwortet Augustinus im Anschluss an das Neue Testament, sie laufe über die Menschwerdung Christi und dessen Heilswerk auf den zu, der sie in Gang setzte. Wenn aber an ihrem Ende der ewige und unveränderliche Gott alles in allem sein wird, dann wird mit der Zeit auch die Geschichte aufgehoben sein. Als Glaubende und im Sinne ihres Glaubens Hoffende sollen Christen sich deshalb zu allem Zeitlichen relativ und allein zu dem zeitlosen Gott absolut verhalten. Die Heimkehr zu Gott und das Ruhen bei ihm ist – um dies nochmals zu sagen – das große Thema der Bekenntnisse.

Gegen Ende seines Lebens kam der hl. Augustinus in einem kritischen Rückblick auf sein literarisches Werk auch auf seine Bekenntnisse zu sprechen. Die dreizehn Bücher meiner Bekenntnisse, so heißt es dort, loben den gerechten und guten Gott um meiner Übel wie auch um meiner Güter willen und treiben den menschlichen Intellekt und Affekt zu ihm hin. Auf mich haben sie jedenfalls, als ich sie schrieb, so gewirkt und sie tun es noch, so oft ich sie lese. Dieser ihrer Wirkung auch bei anderen ist Augustin sich ziemlich sicher, denn er fährt fort: Was andere dabei empfinden, sollen sie selbst sehen. Ich weiß jedoch, dass sie vielen sehr gefallen haben und immer noch gefallen (retr. 2,6,1).

Versuchen Sie es, verehrte, liebe Augustinus-Schwestern, sich gelegentlich in die Schar der Leser der Bekenntnisse einzureihen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Festtag.

Cornelius Petrus Mayer OSA

AUGUSTINUS-FESTPREDIGT

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Vogelsburg, 25. August 2013

Vorspann

Am 28. August jeweils gedenkt die Kirche des im Jahr 430 in Hippo, einer Hafenstadt Nordafrikas, verstorbenen Bischofs Augustinus, und die Augustinus-Schwestern auf der Vogelsburg feiern diesen Gedenktag am heutigen Sonntag.

Von der Persönlichkeit dieses vielleicht größten Theologen und Seelsorgers gingen Impulse aus, die den Glauben der Kirche prägten und immer noch prägen. Kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. unterstrich dies: «Wenn ich die Schriften des hl. Augustinus lese», sagte er, «habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um einen Mann handelt, der vor rund 1600 Jahren gestorben ist, sondern ich spüre ihn wie einen Menschen von heute ..., der mit seinem ... Glauben zu uns spricht». Mit seiner Enzyklika Gott ist die Liebe bewegte sich der inzwischen emeritierte Papst auf den Bahnen des hl. Augustinus.

In der Tat, wie kaum ein anderer verstand dieser es, den Christen zu zeigen, worauf es im Glauben der Kirche ankommt. Ich denke darum, wir sind gut beraten, wenn wir uns um Einsichten bemühen, die auch für uns von ungebrochener Gültigkeit sind.

Von ungebrochener Gültigkeit – wer wollte dies bezweifeln? – ist das neutestamentliche Liebesgebot. Darum soll in der Predigt nicht von dem bewegten und bewegenden Leben des hl. Augustinus die Rede sein, sondern im Anschluss an die Lesung unserer Festmesse aus dem Ersten Johannesbrief von der christlichen ‹caritas›, wie er diese verstand.

Lesungen der Liturgie

1 Johannes 4,7-15 und Matthäus 23,8-12

Predigt

Ich möchte Sie zunächst in aller Kürze auf den zweiten Satz des soeben vernommenen Evangeliums aufmerksam machen: «Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel». Unser gegenwärtiger Papst Franziskus räumt in der Kirche, wie Sie wissen, sichtlich auf. Ich warte nun darauf, dass er allein schon im Blick auf diesen Satz den Titel ‹heiliger Vater› für sich abschafft, denn nur einer ist heilig, was die Bibel wiederholt betont. Augustinus nannte sich mit Vorliebe ‹servus servorum dei – Knecht der Knechte Gottes›!

Unser Evangelienabschnitt beginnt mit der nicht weniger erregenden Botschaft: «Ihr aber sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer nur ist euer Lehrer, Christus (Mt 23,10)». Obgleich der hl. Augustinus Professor der Redekunst, also von Beruf Lehrer war, wusste er, dass in Bezug auf das Heil des Menschen nur einer Lehrer sein kann: der von Gott in die Welt gesandte, der für uns gekreuzigte und verherrlichte Christus.

Es gibt darum keine Glaubenswahrheit, die mit Christus nichts zu tun hätte, insbesondere das Liebesgebot nicht! Gerade weil dieses zum innersten Kern der neutestamentlichen Verkündigung gehört, gründet es in dem, ‹den Gott als Retter der Welt gesandt hat› (1 Joh 4, 14). Die Lesung unserer Festmesse hat dies unmissverständlich zur Sprache gebracht: «Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott. Wir haben diese Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen» (ebd. 16), heißt es da.

Mit dieser Einbettung des Liebesbegriffes auf Christi Erlösungswerk ist nichts gegen den weltlichen, den für alle Menschen geltenden, das gesellschaftliche Zusammenleben überhaupt erst ermöglichenden Liebesbegriff gesagt. In der Antike sprach man zu Recht vom ‹Eros›, und in der Umgangsprache versteht man heute noch darunter die zwischenmenschlich-affektiv-sinnlich-erotische Beziehung – in philosophisch gehobener Sprache den Drang nach Erkenntnis sowie nach einer dieser Erkenntnis entsprechendem Sittlichkeit.

Man wird gewiss nicht sagen können, die christliche ‹caritas› habe mit dieser Art Liebe nichts zu tun, wohl aber, dass sie sich darin nicht erschöpft. Das die ‹caritas› Kennzeichnende und sie zugleich Auszeichnende ist doch noch etwas anderes. Was das ist, dies sagt uns Augustinus anhand unserer Lesung.

«Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe» (ebd. 7-8). Die ‹Liebe›, so Augustinus, ist Gottes Geschenk – denn sie ist, wie es im Römerbrief heißt, «ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist» (5,5).

Unsere Lesung bindet deshalb die ‹caritas› an Christi Erlösungswerk. Und diese besteht darin, «dass Gott seinen Sohn für unsere Sünden gesandt hat» (ebd. 9-10). Wieder zitiert Augustinus bei der Auslegung dieses Satzes aus dem Römerbrief: Gott habe seinen eigenen Sohn nicht verschont, «sondern ihn für uns alle hingegeben; wie hätte er uns mit ihm nicht alles geschenkt?» (8,32).

Was meint dieses «alles», wenn nicht den Vater, der seinen Sohn hingab, aber auch den Sohn, der sich selbst für uns hingab? Die Hingabe ist also das Schlüsselwort zum Verständnis der christlichen ‹caritas› – die Hingabe, die wir auch in der Eucharistie feiern.

Jetzt erst, nachdem das Wesen der in Gott und in Christus gründenden ‹caritas› gebührend zur Sprache kam, wird in der Lesung auch die Verpflichtung zur Nächstenliebe in den Blick genommen: «Wenn – das will sagen: da und weil! – Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben» (ebd. 11) – worauf sich dann noch der für das Liebesgebot folgenreiche Satz anschließt: «Niemand hat Gott je geschaut» (ebd. 12a).

Selbstredend, erklärt Augustinus, könne man Gott mit den Augen nicht schauen; er wolle mit dem Herzen geschaut werden. Solches Schauen ermöglicht die Liebe. «Was für ein Gesicht hat die Liebe?», fragt er. «Welche Form, welche Gestalt ... Welche Füße, welche Hände? Niemand kann es sagen. Dennoch hat sie Füße ...; sie führen dich zu deinem Nächsten. Und Hände hat sie; sie strecken sich den Armen entgegen; und Augen hat sie, mit denen sie den Bedürftigen wahrnimmt ..., und Ohren hat sie», ‹um zu hören, was der Herr sagt›.

Indes, ‹nicht nur einzelne, sondern alle sieht der, wer die Liebe hat› (Traktat 7,10). Weil die ‹caritas› alle sieht, übersieht sie die soziale Dimension des Liebesgebotes nicht. Christen dürften nicht wünschen, dass es Hilfsbedürftige gebe, nur damit sie Werke der Barmherzigkeit üben könnten. «Du reichst dem Hungernden Brot», sagt Augustinus; «es wäre besser, wenn niemand hungerte. Du bekleidest den Nackten; dass doch alle bekleidet wären! ... Du versöhnst die Streitenden; bestünde doch schon jener Friede ..., in dem niemand in Zwietracht lebt» (Traktat 8,5).

Und was das heikle Thema der Feindesliebe betrifft, so meint Augustinus, dieser Teil des Liebesgebotes werde im Johannesbrief nur deshalb nicht erwähnt, weil er wesentlicher Bestand der Nächstenliebe sei. Christus habe ihn gefordert und uns vorgelebt. Was soll ein Christ seinem Feind wünschen, fragt der Bischof, und seine Antwort lautet: «Wünsche ihm, dass er mit dir zusammen das ewige Leben habe». «Darum», so fügt er hinzu, «ist die Feindesliebe die vollkommene Liebe, die als solche ihren Ort in der Bruderliebe hat» (Traktat 8,10).

«Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet» (V. 12b), fährt unsere Lesung weiter. «Fang an zu lieben», so fährt Augustinus weiter: «Fang an zu lieben, und du wirst vollendet werden. Hast du angefangen zu lieben? Dann hat Gott begonnen, in dir zu wohnen. Liebe ihn, der in dir wohnt, damit er dich durch seine Einwohnung vollkommen mache» (Traktat 8,12). Dieses «Fang an!» setzt indes immer schon Gottes Hilfe beim Vollzug des Liebesgebotes voraus.

In seinen Bekenntnissen, die zur Weltliteratur zählen, legt Augustinus auch davon beredtes Zeugnis ab, bis zu welchem Grade es ihm, dem Mittvierziger, gelungen bzw. nicht gelungen ist, den Anforderungen des Liebesgebotes gerecht zu werden. Was erreicht ist, bekennt er, geschah mit Gottes erbarmender Hilfe. Und in Bezug auf das Noch-nicht-Erreichte schreibt er: «Meine ganze Hoffnung beruht allein auf deinem überreichen Erbarmen». Darauf folgt dann der einprägsame und viel diskutierte Satz: «Gib, was du forderst, und dann fordere, was du willst» (10,40.56.60).

In den Schriften des hl. Augustinus gibt es noch weitere solch einprägsame Sätze über die christliche ‹caritas›. Einer davon findet sich in der Predigt des Bischofs zu unserer Lesung. Er fasst gleichsam alle Bemühungen des Kirchenvaters um sein Verständnis des christlichen Liebesgebotes zusammen: «Liebe, und tu, was du willst» – das will sagen, was du von der christlichen ‹caritas› motiviert willst –, «das tu!» «Schweigst du, so schweig in Liebe, wirst du laut, so tu es in Liebe; weisest du zurecht, weise in Liebe zurecht; übst du Nachsicht, übe sie in Liebe. Lass die Wurzel der Liebe in deinem Inneren verbleiben: Aus dieser Wurzel kann nur Gutes wachsen» (Traktat 7,8).

Die Wertigkeit eines Christenmenschen, davon war der Bischof zutiefst überzeugt, misst sich einzig und allein an seiner Liebe. Darum war er selbst allzeit bestrebt, seine eigene Liebesfähigkeit zu intensivieren und die ihm Anvertrauten dazu zu ermuntern und anzuhalten. «Ja» – so sagte er über den absoluten Primat der Liebe in einer anderen Predigt, womit ich die meine schließen will –, «ja, mögen sich alle mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen, mögen alle Amen antworten, mögen alle Halleluja singen, mögen alle sich taufen lassen und in die Kirche eintreten – der Unterschied zwischen den Kindern des Lichtes und den Kindern der Finsternis liegt einzig in der Liebe. Wer sie nicht besitzt, ist nicht aus Gott. Ohne sie ist alles nutzlos, was immer du hast; sie allein genügt, auch wenn du sonst nichts hast» (Traktat 5,7). Welche Zusicherung und Zuversicht, aber auch welch ein Anspruch! Amen.

Cornelius Petrus Mayer OSA

 

Abschiedsfeier für Herrn Wolf-Dieter Amelung
im Waldfriedhof zu Würzburg am 9.8.2012

Ansprache: Prof. Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA

Verehrte Trauergemeinde! Verehrte Familie Amelung!

«... die Zeit ist um», stand in der Anzeige der Main-Post über Wolf-Dieter Amelung zu lesen. «Omnia fert tempus, pariter rapit omnia tempus», sagten die Lateiner. «Die Zeit bringt alles, sie rafft auch alles weg». Wirklich alles? Zeit ist Bewegung. Wer aber bewegt die Zeit selbst mit all dem, was sie bringt und wieder nimmt? Schon der griechische Philosoph Aristoteles meinte, da doch alles einen Grund habe, was in dieser Welt geschieht, müsse es etwas geben, das zwar auch die Zeit bewegt, selbst aber unbewegt ist.

Die Religionen aller Zeiten und Zonen – auch die biblischen – haben wohl aus diesem Grunde Erzählungen und Mythen dichterisch gestaltet, wonach ein Gott genanntes Wesen mit der Schöpfung einen Anfang setzte. Zugleich haben sie mit der Erschaffung des Menschen Geschichten inszeniert, also buchstäblich in Szene gesetzt, die zeigen sollten, dass und wie Gott die Fäden all dieser für uns oft undurchschaubaren Geschichten letzten Endes lenkt und beherrscht.

Der ewige Gott und der vergängliche Mensch sind ein Dauerthema auch der Bibel. Ich darf Ihnen aus einem ihrer literarischen Höhepunkte, aus dem Psalm 90 einige Sätze vortragen:

«Herr, du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.

Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub und sprichst: ‹Kommt wieder ihr Menschen!›.

Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.

Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; sie gleichen dem sprossenden Gras.

Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt. ...

Denn all unsere Tage gehen dahin ..., wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer.

Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig».

Wie anschaulich, wie zutreffend für Wolf-Dieter Amelung, der gerade im 70. Jahr seines Lebens uns genommen worden ist! Warum so früh – heutzutage, da doch nicht wenige 90 bis 100 Jahre alt werden? – mag der eine oder andere fragen. Aber wer von uns Endlichen kann oder darf schon dem Unendlichen sozusagen in die Karten schauen? Auch dazu noch einmal die Bibel: «... meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege. Nein, so hoch der Himmel über der Erde, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken», heißt es beim Propheten Jesaja 55,8-10. Das Leben eines jeden und einer jeden ist und bleibt im Blick auf seine Länge wie Kürze, Erfolge wie Misserfolge, Wonnen wie Schmerzen ein unlösbares Rätsel, ein nicht zu beantwortendes Geheimnis.

Gilt dann der Dank nicht umso mehr dem, der ein Leben wie das von Wolf-Dieter Amelung, eines erfolgreichen Kunsthändlers, alles in allem doch gedeihlich verlaufen ließ? Und ist dieser Gott im Großen wie im Kleinen nicht schlechthin Künstler? Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen anderen Philosophen zurückgreifen, auf Plotin, der im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine Schrift Über das Schöne verfasste. Darin wird zwischen dem Schönen ‹im Bereich des Sinnlichen›, das vergeht, und der Schönheit ‹im Bereich des Geistigen›, das nicht vergeht, unterschieden und geschieden. Schönes und Schönheit zeichnen danach die ‹Grundstruktur des Seins›, den Kosmos, das Universum aus. Etwas in Raum und Zeit ist deshalb schön, weil es teilhat an der unwandelbaren und unvergänglichen Schönheit, die ausschließlich der Sphäre des Göttlichen eigen ist. Kunst habe die Aufgabe, den Menschen die Hinwendung, den Aufstieg über das Schöne, das vergeht, zum Schönen, das bleibt, zu lehren und ihn dorthin zu führen (Enneade 1,6,4.9). Der Kirchenvater Augustinus, ebenfalls ein Ästhet vom Rang und Anhänger der Philosophie Plotins, nannte Gott, den Schöpfer, deshalb mit Vorliebe: ‹artifex›, ‹Künstler›, und ‹die Schönheit alles Schönen› (Die wahre Religion 72 und Bekenntnisse 3,10).

Ich kannte Herrn Wolf-Dieter Amelung nicht näher. Ich begegnete ihm lediglich bei der Hochzeit von Prof. Dieter Gekle und dessen Gattin Gisela, bei der er als Trauzeuge auftrat. Ich nehme aber an, dass er durch seinen Beruf als Kunsthändler vielen seiner Kunden ästhetische Werte vermittelt und ihnen somit den Weg zum Schönen gewiesen hat. Im Hinblick auf seine enge Verbindung zu allen Kunstschaffenden, möchte ich ihm – bildlich gesprochen – Worte aus dem Psalm 139 in den Mund legen, mit denen der Verfasser dieses Psalmes – zweifelsohne ein begnadeter Dichter – den preist, der ihn so kunstvoll erschaffen hat. Es sei dies eine Hommage, eine Huldigung und Ehrerweisung primär an den Künstler schlechthin, an den Schöpfer aller Lebenden, indirekt dann auch an den Verstorbenen Wolf-Dieter Amelung, den ich mit diesem Bekenntnis – um nochmals auf die Zeitungsanzeige zurückzukommen – als einen lediglich für uns ‹stumm gebliebenen› verabschiedet wissen möchte.

«Herr, du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: staunenswert sind deine Werke

Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen ..., waren meine Glieder dir nicht verborgen.

Deine Augen sahen, wie ich entstand; in deinem Buch war schon alles verzeichnet.

Meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.

Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl!

Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir».

Augustinus-Festpredigt

Klosterkirche Münnerstadt, 28. August 2011

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Heute gedenken wir Augustiner unseres Ordensvaters Augustinus, der wie kaum ein anderer Heiliger die Kirche in die Mitte sowohl seines theologischen Denkens wie auch seiner pastoralen Bemühungen rückte. Dass dies sich beim gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. nicht anders verhält, dürfte auch mit dem Thema seine Doktorarbeit Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche zusammenhängen. Sie prägte und prägt ihn bis zum heutigen Tag. ‹Die Kirche soll in den Herzen der Gläubigen kraftvoll aufbrechen› – dies war der Tenor seiner Predigt bei der Abschlussmesse des Weltjugendtages 2011 in Madrid am vergangenen Sonntag.

Von einer Kirche im Sinne der neutestamentlichen Verkündigung könne nur im Kontext des in den Evangelien verkündeten Christus die Rede sein. «Man kann» nämlich, so der Papst wörtlich unter Bezugnahme auf den Ersten Korintherbrief, «Christus nicht von der Kirche trennen, so wie man den Kopf nicht vom Leib trennen kann» (vgl. 12,12). Damit spielte Papst Benedikt auf ein heutzutage um sich greifendes Verständnis des Christentums mit der Parole ‹Jesus ja, Kirche nein!› an, der zufolge Jesus gleich Buddha oder Mohammed zwar eine religiöse Persönlichkeit von Rang, nicht jedoch ‹der Mensch gewordene Sohn Gottes›, nicht ‹der für uns gekreuzigte und verherrlichte Christus› war.

Indes, schon in sehr frühen Zeiten fasste die Kirche ihr Credo über Christus in einen Hymnus, den bereits der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper zitiert: ‹Christus Jesus war› demnach «Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, / sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen: er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. / Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, / damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu, und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes des Vaters» (2,6-11). Die Menschwerdung des Gottessohnes, dessen Kreuzestod und Verherrlichung waren und sind somit die Eckdaten der kirchlichen Verkündigung. Daraus folgte und folgt immer noch das Selbstverständnis der Kirche. Kein Theologe dürfte dies so tiefsinnig begründet, sprachlich so eloquent dargestellt und auch in seinen Predigten immer wieder so intensiv zur Sprache gebracht haben wie der Kirchenvater Augustinus.

Wer von uns würde schon auf die Frage, was er denn für die eigentliche Würde seines Personseins betrachtete, antworten: ‹Glied am Leibe Christi zu sein›? Dabei rangierte gerade diese Antwort an erster Stelle im frühen Christentum. «Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm», heißt es in dem schon erwähnten Ersten Korintherbrief (12,27). Andere Texte nennen Christus ‹das Haupt eines Leibes›, der die Kirche ist (vgl. Eph 1,22f.). Gerade im Blick auf diese Einheit von Haupt und Gliedern sprach Augustinus mit Vorliebe von einem ‹ganzen Christus›, da doch auch ein Leib aus Haupt und Gliedern bestehe.

Besonders gerne kam der Bischof auf diesen ‹ganzen Christus› in der Liturgie der Osternacht zu sprechen, wenn er den Neugetauften, die zum ersten Mal die Eucharistie mit der Gemeinde feiern durften, die eucharistischen Gaben von Brot und Wein auf ‹Christi Leib› hin erklärte. «Ihr müsst wissen, was ihr empfangen habt, ... und was ihr täglich empfangen solltet», sagte er. «Jenes Brot, das ihr auf dem Altar seht – es wurde geheiligt durch das Wort Gottes –, ist der Leib Christi. Jener Kelch, ... geheiligt durch das Wort Gottes – ist das Blut Christi. Durch beides wollte Christus, der Herr, uns seinen Leib und sein Blut, das er für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat, anvertrauen. Wenn ihr sie in rechter Weise empfangen habt, seid ihr es, was ihr empfangen habt. Sagt doch der Apostel: ‹Ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen› (1 Kor 10,17). So (nämlich) legte er das Sakrament des Herrentisches aus: Ein Brot, ein Leib, sind wir die Vielen» (Predigt 227).

In einer anderen Osterpredigt erklärt der Bischof den Neugetauften – für uns ungewohnt, ja ungemein kühn: «Wenn ihr also der Leib Christi und dessen Glieder seid, so liegt euer Geheimnis auf dem Tisch des Herrn: Euer Geheimnis empfangt ihr. ... Seid, was ihr seht, und empfanget, was ihr seid! ... Zu dem, was ihr seid, antwortet ihr Amen», so fährt er vielsagend fort. «Diese Antwort ist eure Unterschrift. Du hörst: Leib Christi, und antwortest: Amen. Sei ein Glied am Leib Christi, damit dein Amen wahr sei» (Predigt 272). Amen heißt bekanntlich: so sei es!

Seit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird uns die Kommunion wieder wie schon zur Zeit Augustins mit dem Zuruf ‹Leib Christi› gespendet, worauf wir mit ‹Amen› antworten. Vielleicht eröffnet uns dieses Kirchen- und Eucharistieverständnis des heiligen Augustinus neue Zugänge und Einblicke in unsere christliche Identität, um die Papst Benedikt auf dem Weltjugendtag so intensiv warb. Der Erlöser mit den Erlösten: ‹der ganze Christus› – ein faszinierender Gedanke. «Lasst uns also gegenseitig beglückwünschen und danksagen», rief Augustinus seiner Gemeinde zu, «nicht nur Christen geworden zu sein, sondern Christus. Versteht ihr dies?», fragte er. «Erfasst ihr die Gnade unseres Hauptes über uns? Bestaunt dies und freut euch darüber: Christus sind wir geworden! Ist nämlich jener das Haupt, so sind wir die Glieder. Der ganze Mensch ist jener und wir» (Auslegung des Johannesevangeliums 21,8).

Man kann sich gut vorstellen, welchen Jubel der ehemalige Lehrer der Beredsamkeit Augustinus bei seinen Zuhörern ausgelöst haben mag. Die Verben der Begeisterung, ‹Beglückwünschen›, ‹Danksagen›, ‹Bestaunen›, ‹Sich freuen›, überbieten sich geradezu, denn «Christus sind wir geworden». Diese Würde unserer christlichen Identität kann nicht mehr dichter zur Sprache gebracht werden. Amen.

Cornelius Petrus Mayer OSA