Der heilige Augustinus und die Generationenfrage Von Regina Einig
Würzburg (DT) Wie Eltern-Kind-Beziehungen auf verschiedenen Vorstellungsebenen betrachtet werden können, hat der Würzburger Philologe Jochen Schultheiß kürzlich am Beispiel der Bekenntnisse des Kirchenlehrers Augustinus (354–430) veranschaulicht. Der Bischof von Hippo erlebte in seiner Erziehung zum einen den heidnischen Einfluss seines an weltlichen Idealen ausgerichteten Vaters, zum anderen den tiefen christlichen Glauben seiner frommen Mutter Monika. Bei der Jahresvollversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinusforschung in Würzburg charakterisierte Schultheiß die Familie daher für Augustinus als „Erfahrungsort“, durch den sich die Trennlinie des kulturellen Umbruchs der Spätantike gezogen habe. Das fehlende Vorbild des leiblichen Vaters blieb nicht folgenlos für die „Confessiones“: Augustinus, so Schultheiß, habe seine Kritik an der heidnischen Bildungstradition auf die Familie projiziert.
Andererseits sei es Augustinus gelungen, neuplatonisches und christliches Denken zu integrieren, indem er traditionelle Textgattungen – etwa die klassische Leichenrede – aufgenommen und in einen christlichen Sinnzusammenhang gestellt habe. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn habe dem Autor der „Confessiones“ als Vorlage für den eigenen geistlichen Entwicklungsweg gedient. Schultheiß beschrieb die Identifikation mit dem verlorenen Sohn als „grundlegende Denkfigur“ Augustins, wobei der Verweis auf das Gleichnis eng verknüpft sei mit Anspielungen auf Plotin (205–270). Aus der neuplatonischen Denkschule kannte Augustinus die Metapher vom Weg der inneren Läuterung und der Rückkehr der Seele zu sich selbst. Diesen auch als Rückkehr in die Heimat verstandenen Prozess erlebte er an sich selbst unter christlichen Vorzeichen als Bekehrung zu Gott. Auf dem Weg des geistlichen Aufstiegs und der Abkehr von der Sünde übernahm Augustins Mutter Monika die Rolle der wegweisenden Begleiterin. Gerade das mütterliche Vorbild Monikas verdeutlicht die Absicht Augustins: Mit den Confessiones wollte er Schultheiß zufolge die Leser zum christlichen Glauben hinführen und stellt dafür auch Figuren als Identifikationsangebote vor. Dabei erwies er sich als Pragmatiker und zugleich universalkirchlich denkender Christ. Augustinus distanzierte sich indirekt von asketischen Denkern seiner Zeit, indem er nicht eine gottgeweihte Jungfrau, sondern eine Ehefrau und Mutter als wahres weibliches Vorbild im Glauben darstellte. Schultheiß unterstrich, der Kirchenlehrer sei „als einer der ersten bemüht gewesen, allen Personengruppen eine Existenz in der Kirche zu ermöglichen“.
Die grundlegende Neubewertung des Generationenverhältnisses in den „Confessiones“ machte Schultheiß durch die Taufe plausibel. Durch sie entstehe „eine auf der Ebene des inneren Menschen neu definierte Altersstufe“. Der neugeborene Mensch werde wieder ein Kind – und zwischen den Getauften seien die Generationengrenzen überwunden, so dass sie „gleichaltrig“ in der Gnade seien. Mit der Taufgnade weite sich auch das Verständnis der Mutterschaft: Zur biologischen tritt die geistliche: Die Mutterrolle der Kirche zeichne sich dadurch aus, so Schultheiß, dass sie sich auf die gesamte Christenheit beziehe. Das Bewusstsein, einer spirituellen Familie anzugehören, war bei Augustinus untrennbar verbunden mit seiner Abkehr von der heidnischen Vorstellungswelt. Der gläubige Augustinus, erläuterte Schultheiß, fasste das Verhältnis zu seinen leiblichen Eltern „als eine Geschwisterbeziehung gegenüber der Kirche als Mutter und Gott als Vater auf“.
Quelle (Text) © ‹Die Tagespost – Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur› vom 26.7.2016, S. 7
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