ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Dieser Artikel erscheint im Augustinus-Lexikon in dessen 4. Band, Faszikel 7/8 (2018) auf den Spalten 1145-1152.

  • Philippe de Champaigne, Auffindung der Reliquien der Märtyrer Protasius und Gervasius
  • Auffindung der Reliquien der Märtyrer Protasius und Gervasius durch Bischof Ambrosius von Mailand. Darüber berichtet Augustinus in conf. 9,16 (Philippe de Champaigne, ca. 1657/1660). Lyon, Musée des Beaux-Arts, inv A 103. – Bildquelle: wikimedia commons

I. Entwicklung der Reliquienverehrung bis zur Zeit A.s – II. Reliquienkult im a. Nordafrika – III. Bedeutung der r. für A. – 1. Zur Terminologie – 2. Sukzessive theologische Integration – 3. Die ‹libelli miraculorum›

I. Entwicklung der Reliquienverehrung bis zur Zeit A.s. – In den ersten drei christlichen Jahrhunderten finden sich zwar keine Hinweise auf einen entfalteten Reliquienkult, doch vereinzelte Zeugnisse einer sich zunächst in antignostischer Tendenz entwickelnden Verehrung einerseits der leiblichen Überreste der Märtyrer (Primär- oder Körperreliquien) – insofern deren im Himmel weilende Seele mit dem der Auferstehung harrenden Leib nach wie vor verbunden sei und ihm dadurch himmlische Kraft (‹uirtus›) vermittle – und andererseits von Gegenständen, die entweder zu deren Lebensutensilien zählten (z.B. Kleidungsstücke) oder mit deren Leichnam bzw. Grab in Kontakt gekommen waren (Sekundär- oder Berührungs-/Kontaktreliquien) [1]. Die Heil(s)kraft der r. ließ diese vielfach an die Stelle der paganen Amulette treten und deren Schutzfunktion übernehmen, wiewohl dieses nunmehr christliche Phylakterienwesen durchaus zwiespältig blieb [2], zumal als die nach dem Ende der Verfolgungszeit intensivierte Märtyrerverehrung (↗Martyres, martyrium) eo ipso den Reliquienkult forcierte, speziell im Martyriumsfanatismus donatistischer Prägung (↗Circumcelliones) [3]. Der mit der immer essentielleren Verbindung von Reliquiengrab und Altar gesteigerte Bedarf an r. bedingte zum einen die Praxis der Reliquienteilung, welcher im Westen zwar die vom römischen Sakralrecht untersagte Öffnung von Gräbern entgegenstand [4], theologischerseits jedoch Legitimität zuerkannt wurde [5], und zum anderen – alternativ zur Zerteilung von Körperreliquien – ein enormes Anwachsen von Zahl und Bedeutung der Kontaktreliquien [6]. Um so aufsehenerregender und für die Einbettung des Reliquienkults in eine liturgisch-kultisch kontrollierte Märtyrerverehrung wegweisend waren daher Auffindung, Erhebung, Überführung und Neubestattung der Gebeine der heiligen Märtyrer Gervasius und Protasius durch Ambrosius im Juni 386 [7].

Anmerkungen

[1] Cf. Angenendt, Heilige 149-158; id., Reliquien 69sq. Für früheste Beispiele (M. Polyc. 17sq.; Pass. Perp. 21) sowie zum folgenden ferner Corbett; Kötting; Dölger. – [2] Z.B. die in Pass. Fructuos. 6 und bei Prud. perist. 6,130-141 berichtete Mahnung des visionär erscheinenden Fructuosus, die usurpierten Aschenreste zwecks Beisetzung wieder zurückzubringen. – [3] Cf. Klöckener, Martyres 1191sq.; exemplarisch der von ↗Optatus von Mileve überlieferte Fall der Donatistin Lucilla (Optat. 1,16), die im Jahr 310/311 Knochenreste eines kirchlicherseits noch nicht anerkannten Märtyrers mit sich trug (cf. Dölger 245-248; Saxer, Morts 233-235). – [4] Cf. das noch im Februar 386 erneuerte Verbot: «humanum corpus nemo ad alterum locum transferat; nemo martyrem distrahat, nemo mercetur» (Cod. Theod. 9,17,7). – [5] Z.B. durch Gaudentius (serm. 17,35sq.) und Victricius’ ‹Theologie der Reliquien› in De laude sanctorum (cf. Victric. 10 ll. 18sq.: «ubi est aliquid, ibi totum est»); cf. Kötting 66-68. – [6] Cf. Kötting 68-74; umfassend (auch zur Praxis des Ostens, wo man den Rang der neugegründeten Kaiserstadt gerade durch Erwerb von r. aufzuwerten suchte) Delehaye 50-68; Leclercq 2302-2307; Pasquato 210-225. – [7] Cf. Ambrosius’ eigenen Bericht in epist. 10,77; dazu Dassmann 129sq.150-154; Zangara 119-123; ↗Mediolan(i)um.

II. Reliquienkult im a. Nordafrika. – Reicher als die literarischen fließen für den Reliquienkult im a. Nordafrika zwar die archäologischen Quellen, doch geben vor allem zwei karthagische Synodenbeschlüsse Hinweise auf die spezifisch nordafrikanische Problematik des Märtyrer- und Reliquienkults im 4./5. Jh. [8]. Zum einen wird die bis zum Suizid führende donatistische Martyriumsmystik gebrandmarkt, welche ihrerseits mit einem pervertierten Reliquienkult, speziell des Blutes, einherging, wie noch A. selbst in einer Cyprianspredigt präzisiert [9] und darin den Donatisten das Paradoxon vorhält, sich zwar von der Wurzel der östlichen Kirchen abgetrennt zu haben, gleichzeitig aber ihren von dort gebrachten Erdenstaub (als Kontaktreliquie) anzubeten (ep. 52,2). Auf eine unkontrollierte Inflation der r. reagiert zum anderen jener von A. mitgetragene Beschluß «de falsis memoriis martyrum» der Synode von 401, welcher den Ortsbischöfen die Pflicht zur Zerstörung jener Altäre auferlegt, «in quibus nullum corpus aut reliquiae martyrum conditae probantur» (Reg. eccl. Carth. exc. c. 83 (CCL 149, p. 204)). Den kräftigsten Aufschwung erlebte der nordafrikanische Reliquienkult freilich durch die rasche Verbreitung der 415 entdeckten ↗Stephanus-r., welche vermutlich durch ↗Orosius zunächst an ↗Euodius, Bischof von Uzalis, überbracht und von dort aus weiter verteilt wurden [10].

Die r. selbst bestanden, sofern Primärreliquien, aus Staub und Asche, die möglicherweise von Knochenpartikeln und/oder organischer Substanz herrührten, in Einzelfällen auch aus eingetrockneten Blutspuren, wobei sowohl literarische als auch epigraphisch-archäologische Zeugnisse hier bemerkenswert vage und unbestimmt bleiben [11] und ab dem 5. Jh. fast ausschließlich von Kontaktreliquien auszugehen ist. Als Reliquiare dienten zumeist einfache Tonkrüge sowie Kästchen aus Stein oder Terrakotta, in seltenen Fällen auch in sarkophagartig gestalteten Holz- oder Marmorschreinen eingeschlossene kostbare Behälter aus Edelmetall [12]; ihre ‹depositio› erfolgte nach feierlicher, vom Ortsbischof geleiteter Prozession [13] in einem Hohlraum des Altarsockels oder unter einer Bodenplatte.

Anmerkungen

[8] Conc. Carth. a. 345-348 c. 2 (CCL 149, pp. 4sq.) und Reg. eccl. Carth. exc. c. 83 (ib., pp. 204sq.); cf. Duval, Loca 543-545; Saxer, Morts 235-238; id., Problem 106-109; van der Meer 499-501. – [9] S. Guelf. 28,5: «illi sunt homicidae ampliores, qui corpora praecipitatorum cum honore colligunt, qui praecipitatorum sanguinem excipiunt, qui eorum sepulchra honorant». – [10] Cf. Duval, Loca 624-632; ead., Culte 51-58; zur Ungewißheit der Rolle des Orosius für den Reliquientransfer nach Nordafrika cf. Gauge 281-286; Le Groupe de Recherches ... 19-23. – [11] Ein einziges Mal präzisiert A. die Natur der Stephanus-r. als «exiguus puluis» bzw. «cinis» und spricht von der «caro sancti Stephani», welche «per singula loca diffamatur» (s. 317,1); bewußt undeutlich bleibt deren Beschreibung im Wunderkatalog von Uzalis: «ampulla quaedam ... intra se habens sanguinis quamdam aspersionem et aristarum quasi ossuum significationem» (Mirac. Steph. 1,1). Cf. kritisch-differenziert Duval, Loca 546.549sq.; ead., Culte 48-51.66. – [12] Cf. Duval, Loca 548sq.; Roetzer 68sq.; van der Meer 496-498 (samt Abbildung der kunstvoll reliefierten Silberkapsel von Aïn Zirara nach p. 512); Meyers (Ed.), Abb. 3sq.14.18sq.23sq.26 nach p. 392; umfassend Leclercq 2325-2337. – [13] Cf. Duval, Loca 568-574.

III. Bedeutung der r. für A.

1. Zur Terminologie. – Nur fünf der rund 220 a. Belege des Pluraletantums r. beziehen sich auf Reliquien [14], alle übrigen – ca. zwei Fünftel davon Bibelzitate – auf andersartige ‹Reste› [15]. Vereinzelt gebraucht A. allerdings auch ↗‹memoria martyris› und ‹memoria martyrum›, womit er neben Akt und Inhalt des erinnernden Gedenkens sowohl Gedächtnisstätte als auch ‑feier(tag) denotieren kann [16], zur Bezeichnung der Reliquien, wobei mitunter eine semantische Ambivalenz bestehen bleibt [17]. A.s Ringen um theologische Klärung der Reliquienverehrung läßt sich vornehmlich aus seinen sich in zwei bzw. drei Perioden wachsender Akzeptanz entfaltenden Aussagen über die damit verbundenen Heilungswunder (↗Mirabilia, miraculum) erschließen [18].

Anmerkungen

[14] Ep. 212; s. 275,3; 318,1. – [15] Meist negativ konnotiert, z.B. ‹r. tenebrarum› (conf. 11,2; s. 182,5) oder ‹r. holocausti› (qu. 3,9). Unter den Bibelzitaten dominieren – positiv besetzt – Rm 9,27: «reliquiae saluae fient» (cf. Is 10,22) und Rm 11,5: «reliquiae secundum electionem gratiae factae sunt». – [16] Cf. O’Donnell 1254sq.; Klöckener, Martyres 1186. – [17] In drei Berichten des Wunderkatalogs ciu. 22,8 schaffen Bewegungsverben Eindeutigkeit (cf. Duval, Loca 545; Saxer, Morts 261sq.); in diesem Sinn wohl auch ciu. 22,10; cura mort. 22; s. 286,4. Ambivalent hingegen z.B. ciu. 22,8; en. Ps. 118,30,5. – [18] Cf. in nuce Roessli 27sq.; Vannier; ausführlicher Courcelle 139-148; Tanganagba 20-50. Zum folgenden cf. ferner Saxer, Morts 231sq.240-279; Zellinger 52-62.

2. Sukzessive theologische Integration. – Die zwei Monate vor seiner Konversion erfolgte ‹inuentio› und mit Wundern verknüpfte ‹translatio› der Mailänder Märtyrerreliquien übten auf A. keinen nachhaltigen Eindruck aus. Noch ca. vier Jahre später übergeht er sie schweigend [19], während er sich ihrer in conf. 9,16 erst anläßlich seiner Initiation erinnert und sie chronologisch nachträgt [20].

In der damit eingeleiteten mittleren Phase erkennt A. die Wirkkraft von r. zwar grundsätzlich an, bleibt jedoch merklich distanziert: Mögen die Wunder auch in Nola und Mailand «apud memoriam sanctorum» geschehen, so doch nicht in Afrika, selbst wenn es «sanctorum martyrum corporibus plena est» (ep. 78,3, ca. 401-403) [21]. Etwa zeitgleich warnt er vor mönchischen Scharlatanen, welche durch Reliquienhandel zu Geld kommen wollen [22], was somit einen bestehenden Abusus verrät. Polemisiert A. in dieser Phase gelegentlich gegen den donatistischen Martyriums- und Reliquienfanatismus, so sieht er sich nach 411 zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Reliquienkult genötigt, insofern dieser sowohl durch die Rückkehr der ↗‹Donatistae› in die Catholica Aufwind erhält [23] als auch mit der Verbreitung von Stephanus-r. nach 415 zur Hochblüte gelangt. In Folge deren (später) Ankunft und ‹depositio› in Hippo (424/425) wird diese Periode der positiven Rezeption und theologisch-kirchlichen Integration hauptsächlich durch Predigten und ciu. 22,8-10 sowie die von A. initiierten ‹libelli miraculorum› faßbar.

So stellt er sich in s. 286 – gehalten am Festtag der Mailänder Märtyrer in der ‹uilla Victoriana› von Argentarium nahe Hippo, wohin Reliquienpartikel gelangt waren – affirmativ als Augenzeuge der Blindenheilung während der Mailänder Reliquientranslation dar [24] und erkennt deren andauernde Wunderkraft nun nicht mehr nur für Mailand, sondern auch für die aktuelle Gedächtnisstätte an [25]. Speziell in den anläßlich der Ankunft der Stephanus-r., ihrer ‹depositio› am Weihetag der Stephanus-Memoria [26] sowie eines Jahrestags der Weihe in Hippo gehaltenen Predigten s. 317-319 (↗Festa sanctorum et martyrum) gibt A. dem von ihm nunmehr forcierten Reliquienkult [27] eine christozentrische Ausrichtung [28]: Nicht zu Ehren des Märtyrers wird der Altar mit den darin geborgenen r. errichtet, sondern zur Ehre Gottes bzw. Christi, der den Märtyrer durch sein Blut erlöst hat und den zu bezeugen dieser nun seinerseits sein Blut vergießt [29]; und wie Stephanus nicht in seinem eigenen Namen Wunder gewirkt hat, so geschehen diese nun an den Stätten der r. ‹in nomine Christi› [30]. Die große Wirkung des «exiguus puluis» – «cinis latet, beneficia patent» (ib. 317,1) – weist über die auf Fürbitte des Märtyrers erbetenen zeitlichen Wohltaten auf die verheißenen ewigen hinaus, sofern dessen Glaubensvorbild entsprechende Nachahmung findet [31]. Den r. kommt somit die Funktion eines ‹signum› im Blick auf jene ‹res› (↗Signum-res) zu, die im auferweckenden Heilshandeln Gottes kulminiert [32]: Insofern die Märtyrer als Zeugen für die leibliche Auferstehung Christi gestorben sind, bestätigt sich anhand der kraft ihrer r. und Fürbitte geschehenden Wunder die Wahrheit ihrer Verkündigung und erfährt der Auferstehungsglaube somit Stärkung, wie A. im Anschluß an den Wunderkatalog ciu. 22,8 [33] theologisch schlußfolgert [34].

Anmerkungen

[19] Vera rel. 47. Gegen Lebensende wird er die ib. (sowie in s. 88,2sq.) geäußerte Ansicht, äußerlich sichtbare Wunder würden sich in nachapostolischer Zeit nicht mehr ereignen, in retr. 1,13,7 unter explizitem Verweis auf die Mailänder Märtyrer korrigieren. – [20] Cf. Marasco zur gegenüber Ambr. epist. 10,77 kirchenpolitisch universaleren Akzentuierung; ferner Zangara 124-126. – [21] Als Begründung dient 1 Cor 12,11: die unterschiedlichen Gnadengaben. – [22] Op. mon. 36: «alii membra martyrum, si tamen martyrum, uenditant». – [23] Cf. Saxer, Problem 109-111. – [24] Ib. 286,4; Festtag war also das Datum ihrer Mailänder ‹inuentio› bzw. ‹depositio› (19.6.). Zur Akzentverschiebung gegenüber conf. 9,16 cf. Zangara 128-131; skeptisch zu faktischer Augenzeugenschaft Courcelle 148-151; Vannier 44. – [25] Cura mort. 21; ciu. 22,8 (Dämonenbefreiung und Augenheilung). – [26] Ib. 318,1; Auffindung und Verteilung verdanken sich also Gottes Offenbarung und Willen (cf. ib. 319,6). – [27] So schließt etwa das an seinen Bischofskollegen Quintilian adressierte Empfehlungsschreiben zugunsten der Witwe Galla und deren Tochter, der Jungfrau Simplicia, mit dem Hinweis: «portant sane secum reliquias beatissimi et gloriosissimi martyris Stephani, quas non ignorat sanctitas uestra, sicut et nos fecimus, quam conuenienter honorare debeatis» (ep. 212). – [28] Cf. Klöckener, Festa 1298sq. – [29] Ib. 318,1; zum Motiv der Christusnachfolge der Märtyrer cf. Klöckener, Martyres 1188sq., zur Christozentrik der a. Martyrologie Mayer 225-236. – [30] Ib. 319,1sq.; prägnant ib. 316,1 (gehalten an einem 26.12.): «fecit Stephanus, sed per nomen Christi». – [31] Ib. 317,1: «cogitate, carissimi, quae nobis deus seruet in regione uiuorum, qui tanta praestat de puluere mortuorum. caro sancti Stephani per loca singula diffamatur: sed fidei eius meritum commendatur. sic exspectemus consequi temporalia beneficia, ut eum imitando accipere mereamur aeterna»; cf. ib. 319,6 mit Betonung des Fürbittgebets seitens des Erzmärtyrers. – [32] Cf. brillant in einer Vincentius-Predigt: «quid enim agit deus, mira opera faciendo circa sanctorum corpora defunctorum, nisi testimonium perhibet, sibi non perire quod moritur; et ut hinc intellegatur in quali honore secum habeat animas occisorum, quando caro exanimis tanto effectu diuinitatis ornatur? ... prouidentia creatoris cadaueribus martyrum tam praeclara miraculorum testimonia praestando abundantiorem honorem exsanguibus reliquiis hominum circumponit» (ib. 275,3). – [33] Cf. dazu van der Meer 559-572; Saxer, Morts 254-269; Tanganagba 36-50. – [34] Ib. 22,9: «cui, nisi huic fidei adtestantur ista miracula, in qua praedicatur Christus resurrexisse in carne et in caelum ascendisse cum carne? quia et ipsi martyres huius fidei martyres, id est huius fidei testes, fuerunt ... pro ista fide mortui sunt ... ut in his miraculis tanta ista potentia sequeretur»; ib. 22,10: «credamus ergo eis et uera dicentibus et mira facientibus. dicendo enim uera passi sunt, ut possint facere mira»; cf. Vannier 46sq.; Roessli 28.

3. Die ‹libelli miraculorum›. – Als Instrument der kirchlich verbürgten Authentifizierung sowie breiteren Bekanntmachung der vielfach durch mittelbaren Kontakt mit r. gewirkten Wunder dienten die von A. selbst initiierten ‹libelli miraculorum› [35]. Zur Abfassungszeit von ciu. 22 (426/427) belief sich deren Zahl allein in Hippo bereits auf nahezu 70, und in Calama war sie noch bedeutend höher, während am Ort der ersten nordafrikanischen Stephanus-Memoria, in Uzalis, erst ‹nuper› auf explizite Anregung A.s mit derartigen Aufzeichnungen begonnen worden war [36], welche in der Sammlung De miraculis sancti Stephani erhalten sind [37]. Die von Zeugen der Wunderheilungen oder den Geheilten selbst zu Protokoll gegebenen und meist vom Ortsbischof oder in dessen kirchlichem Umfeld abgefaßten bzw. redigierten Berichte [38] waren zur Verlesung im Gottesdienst bestimmt, wie etwa der in s. 322 überlieferte ‹libellus› über die am Ostersonntag 426 (?) in der Stephanus-Memoria von Hippo geschehene Heilung des Paulus bezeugt [39], und zielten auf die Verherrlichung Gottes sowie die glaubensstärkende Verinnerlichung seitens der Hörer [40].

Anmerkungen

[35] Cf. Delehaye 122-131; Roetzer 66-68; Saxer, Morts 269-278; Duval, Genèse 100-102 zur a. Initiative. – [36] Ib. 22,8; cf. Duval, Loca 625-627. – [37] Edition, Übersetzung und Kommentar in: Meyers (Ed.) 263-368 (zur Datierung Le Groupe de Recherches ... 24sq.); cf. dazu Duval, Culte 58-67. – [38] Cf. Duval, Genèse 102-105. – [39] Auf s. 320 am Ostersonntag folgt am Ostermontag ib. 321 die Ankündigung der Erstellung des am Folgetag zu verlesenden ‹libellus› (ib. 322), dem sich der durch die Heilung von Pauls Schwester Palladia unterbrochene s. 323 anschließt; cf. ciu. 22,8. Liturgische Verlesung bezeugen ferner s. 319,7; 286,7; 94; 79 (cf. dazu Klöckener, Festa 1299). – [40] Ib. 320: «ut dominus deus noster abundantius honoretur, et quod in libello conscriptum est, in uestram memoriam conscribatur»; cf. ib. 321; dazu Mayer 231sq.; Duval, Genèse 109sq.

 

Bibliographie

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MICHAEL MARGONI-KÖGLER

 

© (Text) Verlag Schwabe AG, Basel

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