ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Dieser Artikel erscheint im Augustinus-Lexikon in dessen 4. Band, Faszikel 7/8 (2018) auf den Spalten 1013-1020 .

I. Terminologie bei A. – II. Die q. in der Alten Kirche vor A. – III. Abgrenzung und Dauer der q. bei A. – IV. Die Bedeutung der q. bei A. – 1. Die biblische Begründung der q. – 2. Fasten, Almosen und Gebet als Inhalt der q. – a) ‹Humilitas› als Grundhaltung – b) Fasten – c) Almosen – d) Gebet – 3. Die Feier der ‹passio domini› als Zielpunkt der q. – 4. Der Zusammenhang von q. und ‹quinquaginta dies› nach Ostern – V. Die liturgische Begehung der q. bei A. – 1. Allgemeines – 2. Die Taufvorbereitung in der q.

  • Die Versuchungen Christi (Markusdom, Venedig)Nachdem Jesus «vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger. Da trat der Versucher an ihn heran ...» (Mt 4,2-3) – aus dem Evangelium vom 1. Fastensonntag (A). Die Versuchungen Christi in der Wüste (Mosaik, 13. Jh.). Markusdom, Venedig. – Bildquelle: wikimedia commons

I. Terminologie bei A.

A. spricht von der q. als Vorbereitungszeit auf die jährliche Osterfeier (↗Pascha) in vielfältigen Kontexten, am ausführlichsten in seinen Predigten zu Beginn und während der q. (vor allem s. 205-211) [1]. Gemäß dem allgemeinen kirchlichen Sprachgebrauch bezeichnet er die bei ihm klar ausgeprägte liturgische Zeit als ‹quadragesima› (qu. 1,169; s. 270,3), gelegentlich mit dem präzisierenden Zusatz ‹ante pascha› [2], analog zu den ↗‹quinquaginta dies› nach Ostern auch mit dem numerischen Begriff ‹quadraginta dies›. Beide Begriffe sind von der 40-tägigen Dauer abgeleitet. Verschiedene Ausdrücke qualifizieren die q. näher als ‹q. ieiuniorum› (inq. Ian. 2 (= ep. 55),28), «ieiuniorum dies» (Emer. 4), «humiliationis solemnitas» (s. 210,8), «quadraginta dies sacratissimi» (ib. 209,1) und ‹solemne tempus› [3] und weisen auf ihren herausgehobenen Charakter hin. Ib. 210,9 wird die q. als ‹tota paschalis solemnitas› bezeichnet, was ihre Zugehörigkeit zum Osterfestkreis unterstreicht; ähnlich schließen in en. Ps. 98,5 die «dies paschae» auch die q. ein. Für deren Begehen verwendet A. oft das Verb ‹celebrare› [4] oder ‹concelebrare› (s. 209,1); den Tag des Beginns der q. nennt er ‹solemnitas› (ib. 206,1) [5].

Anmerkungen

[1] Cf. die soweit wie möglich vollständige Zusammenstellung von A.s Predigten in der q. (mit der Hl. Woche) bei Margoni-Kögler 81-100. – [2] Emer. 4; Io. eu. tr. 17,4; s. 243,8. – [3] Ib. 208,1; 209,1; 210,1. Andere ähnliche Begriffe: ‹quadragesimae tempus› (ib. 206,1), «tempus humiliandae animae» (ib. 210,10), ‹dies sancti› (ib. 211,1.5) oder ‹solemnes dies› (ib. 208,1). – [4] So in diu. qu. 81,2; Io. eu. tr. 17,4; cf. s. 206,1; 252,12; ↗Celebrare, celebratio, 1,829-831. – [5] Ib. 267,3 benutzt A. das Wort q. ausnahmsweise für die 40 Tage zwischen Auferstehung und Himmelfahrt Christi, die er ansonsten immer ‹quadraginta dies› (innerhalb der ‹quinquaginta dies›) nennt; cf. Klöckener, Quinquaginta dies 1064.

II. Die q. in der Alten Kirche vor A.

Zum zweitägigen Paschafasten des frühen Christentums als unmittelbarer Vorbereitung auf Ostern tritt ab dem 3. Jh. mit regionalen Varianten eine längere Zeit hinzu, die sich, aus verschiedenen Quellen gespeist, über Zwischenstufen bis zur Mitte des 4. Jh.s zu einer im Westen zumeist 40-tägigen liturgischen Zeit entwickelt, die auf die Feier der zentralen Christusmysterien im Jahreszyklus vorbereitet [6]. Sie ist einerseits von Fasten, Almosen und Gebet der Getauften, andererseits von der Vorbereitung der Taufbewerber auf ihre Eingliederung in die Kirche in der Ostervigil bestimmt. Trotz spärlicher Quellenlage ist davon auszugehen, daß die nordafrikanische Kirche vor A. im wesentlichen an diesen Entwicklungen teilnimmt.

Anmerkung

[6] Überblick bei Auf der Maur 144-151; Bradshaw/Johnson 89-108.

III. Abgrenzung und Dauer der q. bei A.

Betreffs der 40-tägigen Dauer der q. ist in der Forschung umstritten, ob es sich um exakt 40 Tage handelt oder ob die Zahl symbolisch zu verstehen ist [7]. Beginn der q. [8] dürfte am sechsten Sonntag vor Ostern sein, das Ende mit dem Donnerstag der Hl. Woche. Karfreitag und Karsamstag gehören nicht zur q., sondern bilden zusammen mit dem Ostersonntag eine eigene liturgische Zeiteinheit [9]. Für die Abgrenzung von genau 40 Tagen (und nicht von 42 Tagen, die sich beim Ende der q. mit der Ostervigil ergaben) sprechen die wiederholt von A. hervorgehobene Ausrichtung der q. auf die ‹passio dominica› Christi oder die ‹domini crucifixi passio (inq. Ian. 2,28; s. 205,1), den ersten Tag des ‹triduum›, sowie die große Bedeutung von A.s Zahlensymbolik [10], die keine Abweichung von den genauen Zahlenangaben erlauben würde [11]. Daß am Donnerstag der Hl. Woche das Fasten aufgehoben wird und man ein Bad nimmt, deutet ebenfalls auf das Ende des 40-tägigen Fastens hin [12].

Anmerkungen

[7] Aus der älteren Forschung cf. besonders Callewaert 464-470; cf. auch den Forschungsbericht von Frank 1-6; für die jüngere Zeit guter Überblick bei Bradshaw/Johnson 109-113, jedoch ohne Berücksichtigung Nordafrikas und A.s. – [8] A. gibt diesen niemals an. – [9] Das ‹sacratissimum ↗triduum crucifixi, sepulti, suscitati› (inq. Ian. 2,24); cf. Klöckener, Sacrum Triduum 193-196. – [10] Hier besonders in Form der Allegorese; ↗Numerus, 4,234-236. – [11] Cf. etwa die Bedeutung der Zahlen 4 und 40, die sich unter anderem aus den Elementen der Welt, den Jahreszeiten etc. ergibt (cf. s. 210,8; 264,5; doctr. chr. 2,25). In en. Ps. 110,1 und ähnlich in s. 210,8 gewinnt die 40 ihre Symbolik aus den zehn Geboten, die in den vier Teilen der Welt, das heißt überall, verkündet werden; durch Multiplikation der beiden Zahlen miteinander gelangt man wiederum zur 40. A. kennt viele andere Beispiele solcher Berechnungen; cf. Mayer, Zeichen 411sq.425sq.431. Im Blick auf die Dauer der q. versteht Frank die 40 als symbolische Zahl und beruft sich dafür z.B. auf s. 252,12 («quadraginta illos dies, antequam uigilemus»), wonach die q. mit der Paschavigil ende; allerdings übergeht er völlig die große Bedeutung der a. Zahlensymbolik sowie die Aufhebung des Fastens am Donnerstag der Hl. Woche. Auch geht aus inq. Ian. 1 (= ep. 54),6 («quid per quintam feriam ultimae hebdomadis quadragesimae fieri debeat?») nicht zwangsläufig hervor, daß die ganze Hl. Woche zur q. gerechnet wird. Zur Problematik auch van Reisen 492sq.; Margoni-Kögler 95-97. – [12] Cf. inq. Ian. 1,6 sowie den Konzilsbeschluß von Hippo (393) (Breu. Hippon. 28 (CCL 149, p. 41)); cf. van Reisen 490-492. Wenn A. an anderer Stelle statt von der Ausrichtung der q. auf die Feier von Leiden und Kreuz Christi von jener auf das bevorstehende ‹pascha› spricht (z.B. s. 207,1; 209,1), ist darin das Kreuzesgeschehen eingeschlossen. Ib. 210,8 scheint A. die ‹solemnitas dominicae passionis› vom ‹dies resurrectionis eius› zu unterscheiden. Im übrigen findet sich in der a. Verwendung des Begriffs ‹pascha› eine gewisse Unschärfe; cf. Klöckener, Pascha 481sq.485sq.

IV. Die Bedeutung der q. bei A.

1. Die biblische Begründung der q. – Die Zahl 40, die in vielen kulturellen Zusammenhängen eine symbolische Bedeutung hat, ist bei A. vor allem durch ihre biblische Verankerung geheiligt [13]; sie ist ein ‹mysticus numerus› (s. 205,1) und beinhaltet ein ‹mysterium numeri› (ib. 210,1). Ausgehend von der 40, unterstreicht A. häufig die biblische Verankerung der q. im Einklang von Altem und Neuem Testament (↗Congruentia testamentorum). Die wichtigsten Vorbilder stellen das 40-tägige Fasten des Mose (vor dem Empfang des Dekalogs am Sinai; cf. Ex 24,18) als Repräsentant des Gesetzes, des Elia vor der Gottesbegegnung am Berg Horeb (cf. 3 Rg 19,8) als Prophet und Jesu selbst während seines Aufenthalts in der Wüste nach der Taufe durch Johannes vor Beginn seines öffentlichen Wirkens dar (cf. Mc l,13parr.) [14]. So beglaubigt das Evangelium das Alte Testament, das seinerseits auf Jesus zuläuft; dieser bildet mit dem Evangelium das Zentrum zwischen Gesetz und Propheten, wie die Verklärung Jesu zeigt [15]. Ein weiteres biblisches Fundament der 40-tägigen q. sieht A. in der Buße der Bewohner von Ninive nach dem Aufruf des Propheten ↗Ionas (cf. Ion 3,4); diese ist Vorbild für die Demut derer, die in der q. durch Fasten Buße tun, um ihre Sünden zu beweinen und das Erbarmen Gottes zu erlangen (qu. 1,169). Ebenfalls sind die 40-jährige Wüstenwanderung des Volkes Israel nach dem Auszug aus Ägypten (s. 252,11; 264,5; cf. Nm 32,13) sowie die 40-tägige Sintflut (cf. Gn 7,4.12) ein Sinnbild dieses Lebens in Mühsal, wie es in der q. erfahren wird (s. 264,5).

Anmerkungen

[13] Cf. z.B. Io. eu. tr. 17,4: Hier stellt A. die ‹vollkommene 40› in Anlehnung an Io 5,5 der ‹unvollkommenen 38› gegenüber. Zur Zahl 40 in der Antike allgemein cf. die Beiträge von Roscher. – [14] Z.B. qu. 1,169; inq. Ian. 2,28; Io. eu. tr. 17,4; en. Ps. 110,1; s. 210,2.9; 252,10; 270,3. – [15] Inq. Ian. 2,28; Io. eu. tr. 17,4; s. 252,10. Vor diesem Hintergrund ist das Fasten der Gläubigen eine Form der ‹imitatio Christi› (cf. van Reisen 493-495).

2. Fasten, Almosen und Gebet als Inhalt der q.

a) ‹Humilitas› als Grundhaltung. – Charakteristisch für die q. ist die biblische und altkirchliche Trias von Fasten, Almosen und Gebet [16], um sich dadurch in Erwartung der Feier von Tod und Auferstehung Christi von neuem auf Gott auszurichten und für die Mitmenschen zu öffnen. Die Gläubigen sollen «humiles corde» (s. 206,1) sein, gilt doch die q. insgesamt als ein «tempus humilitatis nostrae» (ib.) [17]. Dadurch werden Versuchungen und die Anhänglichkeit an das Irdische überwunden [18].

b) Fasten. – Das Fasten (↗Ieiunium) wird in der q. von fast allen Christen im Rahmen des ihnen Möglichen geübt (c. Faust. 30,5; s. 210,9.12) und ist eine solidarische Übung (ib. 205,2). Es besteht im Verzicht auf Fleisch und Wein, in der Auslassung des ‹prandium› als der ersten Tagesmahlzeit (ib. 207,2) sowie in allgemeiner Mäßigung. Die Sonntage der q. waren davon ausgenommen (↗Dies dominicus); wenn einzelne dennoch in der q. am Sonntag fasten, akzeptiert A. dies wegen der Einheit der q. (ep. 36,27) [19]. Fasten besteht nicht nur in der Enthaltung von Nahrung, sondern auch im Verzicht auf Streit und Zwietracht (s. 205,3), in der Sorge um die Gerechtigkeit und impliziert eine moralisch einwandfreie Lebensführung sowie die Distanzierung vom Weltlichen [20]. Dazu gehört gemäß dem Gebet des Herrn (↗Oratio dominica) auch, anderen zu vergeben (ib.; ib. 208,2). Durch die äußere Züchtigung des Leibes soll der innere Mensch genährt (ib. 205,1), die ↗‹caritas› verwirklicht (ib. 209,1), die ‹concordia fratrum› bestärkt werden (ib. 211,1.6). Damit fordert A. von seinen Gläubigen in der q. eine Lebensweise, die in gesteigerter Form das verwirklicht, was die christliche Existenz grundsätzlich verlangt (ib. 205,1sq.; 206,1) [21]. Darüber hinaus sollen Eheleute sexuelle Enthaltsamkeit üben, um sich intensiver dem Gebet widmen zu können (ib. 205,2; 207,2; 208,1; 209,3; 210,9); das Erheben der Hände zu Gott soll die körperliche Umarmung ersetzen (ib. 205,2; 208,1).

c) Almosen.Das Fasten geht einher mit dem Almosen (↗Eleemosyna), durch das das Ersparte den Armen zukommen soll [22]. Es ist zugleich eine Gabe an den «esuriens Christus», durch die sich die Gläubigen einen Schatz im Himmel erwerben (s. 210,12). Das Almosen findet sein unüberbietbares Vorbild in Christi Inkarnation und seiner vollkommenen Selbsthingabe am Kreuz für die Menschen (ib. 207,1). A. unterscheidet zwei Arten des Almosens: die materielle Gabe an die Armen aus Erbarmen und Nächstenliebe (ib. 208,2) und das Verzeihen anderen gegenüber (ib. 206,2; 210,12), um selbst Vergebung zu erlangen (cf. Lc 6,37sq.) [23].

d) Gebet.Das Gebet (↗Oratio (deprecatio), ↗Preces) ist Frucht des Fastens und Almosens und bewährt sich wiederum in diesen. Aufrichtiges Beten verbindet sich mit Demut durch Fasten und mit Nächstenliebe durch Almosen, von denen es getragen wird [24]. Fasten und Almosen sind die Flügel des Gebetes, mit denen es zu Gott fliegt [25]. Vor Ostern ist das Gebet von Seufzen geprägt, nach Ostern wird es zum Lob Gottes (s. 206,1) [26].

Anmerkungen

[16] Z.B. s. 208,1; 210,9. Zum Zusammenhang cf. Roetzer 28-32; Poque 56-59; Harmless 299-308; van Reisen 495-501. – [17] Cf. ib. 210,8; prägnant auch ib. 209,3: «omnibus ferueat deuotio, comprimatur elatio ... adsit uinculum caritatis»; ↗Humiliatio, humilitas. – [18] Ib. 207,1: «adiutorio misericordiae domini dei nostri, tentationes saeculi, insidiae diaboli, mundi labor, carnis illecebra, turbulentorum temporum fluctus, et corporalis omnis atque spiritualis aduersitas, eleemosynis, et ieiuniis, atque orationibus superandae sunt». – [19] Gegen die Manichäer, aber auch gegenüber seiner Gemeinde unterstreicht A., daß das Fasten keine Geringschätzung der Gaben der Schöpfung bedeutet oder diese als unrein gelten (c. Faust. 30,5; s. 207,2; 208,1; 209,3); cf. Roetzer 29sq.; Poque 56sq. – [20] Io. eu. tr. 17,4: «ieiunium autem magnum et generale est, abstinere ab iniquitatibus et illicitis uoluptatibus saeculi quod est perfectum ieiunium: ‹ut abnegantes impietatem et saeculares cupiditates, temperanter, et iuste, et pie uiuamus in hoc saeculo› (Tit 2,12)»; cf. s. 207,3; 208,1sq.; 209,1. – [21] Vom Quadragesimalfasten zu unterscheiden ist das Fasten, das die Gläubigen gemeinsam mit den Taufkandidaten vor der Ostervigil halten (ib. 210,2). – [22] S. 205,2; 208,2; 209,2sq. – [23] Cf. van Reisen 496-500. – [24] S. 206,3; 207,3; 209,2; 210,7. – [25] S. 205,3: «hae sunt duae alae orationis, quibus uolat ad deum»; cf. ib. 206,2. – [26] Ob die ib. 211,6 genannten Gebetshaltungen spezifisch für die q. oder allgemeiner Brauch sind, ist nicht sicher zu entscheiden.

3. Die Feier der ‹passio domini› als Zielpunkt der q.

Die q. läuft zeitlich auf das Leiden des Herrn zu [27]. Neben der zeitlichen besteht zwischen beiden eine enge inhaltliche Verbindung. Denn die q. bezeichnet das irdische Leben voller Mühsal und Leiden, angesichts derer die Enthaltsamkeit und Distanzierung von der Welt die rechte Lebenshaltung sind (inq. Ian. 2,28) [28]. Dadurch nehmen die Gläubigen am Kreuz Christi teil, von dessen Anspruch her sie ihr ganzes Leben zu gestalten haben (s. 205,1; 211,6). Das Fasten als Ausdruck der Demut entspricht der Erniedrigung Christi bis zum Tod am Kreuz (ib. 207,2). Wer seinen Zorn sonst nicht bändigen kann, tue dies wenigstens angesichts der kommenden Tage des Leidens des Herrn, der sogar für die, die ihn töteten, gebetet hat (ib. 208,2; cf. Lc 23,34).

Anmerkungen

[27] S. 205,1: «qui domini crucifixi passionem iam propinquantem celebraturi sumus»; cf. inq. Ian. 2,28; s. 210,1.4.6; ↗Passio domini (dominica). – [28] Innerhalb des österlichen Triduum versinnbildet der Karfreitag ebenfalls das diesseitige Leben und Leiden; cf. Klöckener, Pascha 485.

4. Der Zusammenhang von q. und ‹quinquaginta dies› nach Ostern

Die q. als Zeit der Entbehrung, des Verzichts und des geistlichen Kampfes vor Ostern ist ein Abbild des irdischen Lebens insgesamt, weil in dieser Zeit die Weisheit nur ‹temporaliter›, noch nicht ewig geschenkt wird (s. 252,10). Die Christen leben zugleich in der Hoffnung auf den Lohn durch Teilhabe an der Freude über das Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes und die ewige Glückseligkeit, die in den ‹quinquaginta dies› nach Ostern vorausgebildet werden [29]. So stehen die Enthaltsamkeit, die Mühsal, die Trauer und das Seufzen ‹ante pascha› in hoffnungsvoller Spannung zur Freude, Ruhe und Glückseligkeit der 50-Tage-Zeit ‹post pascha› [30].

Anmerkungen

[29] Io. eu. tr. 17,4; en. Ps. 110,1; s. 243,8; ↗Beatitudo. – [30] Ib. 254,5: «significatur enim nobis duo tempora: unum ante domini resurrectionem, alterum post domini resurrectionem; unum in quo sumus, alterum in quo nos futuros esse speramus»; cf. en. Ps. 110,l; s. 125,9; 210,8; 243,8; ↗Nunc-tunc.

V. Die liturgische Begehung der q. bei A.

1. Allgemeines

Die 40-tägige q. wird nach A. auf dem ganzen Erdkreis begangen [31]. Als Bischof, der «in persona Christi» predigt (s. 210,9), eröffnet A. regelmäßig die q. mit einer ausführlichen ‹exhortatio› über die rechte Begehung dieser Zeit [32]; dabei richtet er sich vermutlich gemeinsam an die Getauften und die Kandidaten für die Taufe in der Ostervigil [33]. Die Gläubigen nehmen in der q. eifriger als sonst am Gottesdienst teil (ep. 29,3). Dem Hören des Wortes Gottes kommt eine hohe Bedeutung zu (ib.); eine Reihe von Schriftlesungen läßt sich aus den Predigten eruieren [34]. In Karthago, Hippo und einigen anderen Kirchen werden ebenfalls die ‹gesta collationis› von Karthago (411) ‹sollemniter› vorgetragen, was A. für alle Kirchen Afrikas wünscht [35].

Am letzten Tag der q., dem Donnerstag der Hl. Woche, Tag der ‹cena dominica› (inq. Ian. 1,10) [36], wird der Einsetzung der Eucharistie gedacht. Die Kirchen pflegen unterschiedliche Bräuche betreffs Zeitansatz und Anzahl der Eucharistiefeiern (am Morgen und am Abend; ib. l,5sq.9), was unter anderem mit der variierenden Fastenpraxis an diesem Tag zusammenhängt. Laut Konzilsbeschluß von Hippo (393) wird das Fasten in Nordafrika an diesem Tag aufgehoben [37]. Üblich war der Brauch eines Bades analog zum Bad der Taufkandidaten [38].

Schon bei A. zeigt sich die generelle Tendenz der Liturgie, daß die q. weithin von Festen der Heiligen und Märtyrer frei bleibt, was den Vorrang der Osterfeier vor Heiligenfesten unterstreicht [39].

Anmerkungen

[31] Inq. Ian. 2,32; s. 209,1; 210,8. – [32] Ib. 205,1; 206,1; 208,1; 209,1; 210,1. – [33] Cf. Harmless 300sq., der dazu besonders auf die Taufthematik in s. 210 verweist. – [34] Cf. Margoni-Kögler 81-100. – [35] Ib. 28*,2; Emer. 4; ↗Conlatio Carthaginiensis, ↗Gesta. – [36] Cf. Roetzer 32-34. – [37] Breu. Hippon. 28 (CCL 149, p. 41).[38] Cf. Klöckener, Pascha 487; Roetzer 32-36 (teils korrekturbedürftig). – [39] ↗Festa sanctorum et martyrum, 2,1284sq.1291.

2. Die Taufvorbereitung in der q.

Die q. ist nicht nur für die Getauften eine verdichtete Zeit der Vorbereitung auf das ‹pascha domini›, sondern auch Intensivzeit der ‹competentes›, die in der folgenden Ostervigil durch Taufe und Eucharistie in die Kirche aufgenommen werden. Über das Hören der an die ganze Gemeinde gerichteten Predigten A.s hinaus gab es für die Taufkandidaten (↗Catechumenus) eigene Formen der Unterweisung und ein geistlich-liturgisches Programm mit Bußübungen, speziellen liturgischen Feiern an bestimmten Tagen (Skrutinien, Exorzismen (↗Exorcismus), Übergaben von Glaubensbekenntnis und Vaterunser sowie der letzten unmittelbaren Taufvorbereitung [40].

Anmerkung

[40] Cf. zu den einzelnen Riten und zu ihrer zeitlichen Einordnung in die q. Poque 59-70; Lamirande 791-793; Mayer, Ostern 2-4; Grossi, Baptismus 587sq.; id., Catechesi 49-81; vor allem Harmless 291-347; Gesamtüberblick über A. und Nordafrika hinaus bei Kleinheyer 68-70.

Bibliographie

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Martin Klöckener
Ord. Professor für Liturgiewissenschaft
an der Universität Freiburg/Schweiz

 

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