Jenseits von Schwarz-Weiß

Augustinus-Studientag befasst sich mit Verhältnis von Christentum und Judentum. Ein Bericht der überregionalen katholischen Zeitung Die Tagespost. Von Regina Einig

Prof. Dr. Cornelius Mayer OSA gratuliert dem ehemaligen Vorsitzenden der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V., Dr. Thomas Goppel MdL. Foto: Markus Hauck/POWWürzburg (DT) Mit einem zweitägigen Symposion zum Thema „Augustinus – Christentum – Judentum. Ausgewählte Stationen einer Problemgeschichte“ hat das Zentrum für Augustinusforschung in Würzburg dem langjährigen Vorsitzenden der Gesellschaft zur Förderung der Augustinusforschung e.V. Thomas Goppel für sein Engagement gedankt. Der ehemalige bayerische Wissenschaftsminister hatte die Anbindung des Zentrums als An-Institut der Würzburger Julius-Maximilians-Universität maßgeblich gefördert. Beim Festakt im jüdischen Kulturzentrum Shalom Europa würdigte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die vor gut fünfzig Jahren verabschiedete Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Nostra aetate als „entscheidendes Kapitel“ in den katholisch-jüdischen Beziehungen zur Überwindung des christlichen Antijudaismus. Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann stimmte zu: Wichtige Weichen für die Versöhnung seien in den Jahrzehnten seit dem Konzil gestellt worden. Vor allem die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus, der amtierende Pontifex, hätten den Dialog gefördert.

Mit Streiflichtern auf die sogenannte Judenpredigt des Augustinus führte Christof Müller in den wissenschaftlichen Teil des Symposion ein. So hart die Worte des Bischofs von Hippo für den heutigen Leser klingen – „in euren Eltern habt ihr Christus getötet – zu den Wortführern des christlichen Antijudaismus gehörte Augustinus nie. Thomas Raveaux (Potsdam) begründete die vergleichsweise zurückhaltende Position Augustins mit dessen Umfeld. Im Westen hätten keine mit dem Osten vergleichbaren Spannungen und Konkurrenzsituationen zwischen Juden und Christen bestanden. Anders als der weitaus schärfer gegen die Juden predigende Kirchenvater Chrysostomos hatte der Bischof von Hippo keine Gemeindemitglieder, auf die jüdische Lebensart und jüdischer Kult anziehend wirkten. Raveaux charakterisierte die Sicht Augustins auf die Juden als gründlich durchdacht und von der Auseinandersetzung mit den Manichäern geprägt. So finde sich auch die Überzeugung von der gegenseitigen Verwiesenheit des Alten und Neuen Testaments als heilsgeschichtliches Konzept nicht nur in den antimanichäischen Ausführungen wieder, „sondern als integraler Bestandteil der theologischen Grundkonzeption Augustins“ auch in zahlreichen anderen Schriften, so Raveaux. Nach seiner Darstellung bereiteten Häretiker und Schismatiker dem Bischof von Hippo größere Sorgen als die Juden.

Dass Augustins Name in mittelalterlichen Quellen dennoch oft als Zitatenquelle für judenfeindliche Äußerung erscheint, führte Raveaux darauf zurück, dass unfreundliche Bemerkungen des Kirchenvaters über die Juden aus dem Zusammenhang gerissen und antisemitisch instrumentalisiert wurden. Zum Missbrauch der Schriften gesellten sich Fälschungen. Gerade der Einfluss der fälschlicherweise unter Augustins Namen im Umlauf befindlichen Werke sei im Mittelalter aber besonders groß gewesen, so Raveaux.

Gleichzeitig geriet die traditionelle, auf Augustinus zurückgehende Lehre in die Krise, nach der Gott Mensch wurde, um die Menschheit aus der infolge der Sünde Adams rechtmäßigen Herrschaft des Teufels zu befreien. Die Kritik jüdischer und islamischer Religionsphilosophen an der christlichen Vorstellung von der Menschwerdung Gottes führte im Mittelalter zu interreligiösen Diskursen neuen Stils. Wie anregend diese Religionsdialoge waren, erläuterte Bernd Goebel (Fulda). In der Auseinandersetzung christlicher Autoren mit nichtchristlichen Positionen kam somit eine neue Methode zur Anwendung. Als Prototyp einer solchen Streitschrift nannte Goebel Anselm von Canterburys (1033–1109) Dialog „Warum Gott Mensch wurde“. Echos der augustinischen Theologie der jüdischen „Zeugenschaft“ im Hoch- und Spätmittelalter beleuchtete Christoph Cluse (Trier).

Dass antijüdische Positionen unter den Christen der Antike kein Ausdruck von Ignoranz oder Schwarz-Weiß-Gesinnung waren, veranschaulichte Günter Stemberger (Wien) in seinem inhaltlich wie rhetorisch herausragenden Beitrag über die antiken Kirchenväter und ihr Judenbild am Beispiel des Kirchenvaters Origenes (+ 254). Dieser sei während seines ganzen Lebens mit jüdischen Gelehrten in Caesarea in Kontakt gewesen und habe sich mit deren Schriftverständnis beschäftigt, der buchstäblichen Auslegung der Juden allerdings die allegorische vorgezogen. Stemberger zitierte anhand der Auslegung der siebten Homilie des Origenes über den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, dass der Kirchenvater in seiner Predigt über den Mannaregen in der Wüste zunächst die Juden anspricht. Origenes zufolge war der Tag, an dem Gott es zuerst Manna regnen ließ, der Sonntag. Aus dieser Bevorzugung des Sonntags gegenüber dem jüdischen Sabbat schloss Origenes, wie Stemberger ausführte, „dass die Gnade Gottes nicht zu den Juden herabstieg und das Brot vom Himmel – das Wort Gottes – nicht zu ihnen kam“.

Wie weit das Feld der Hermeneutik sein kann, zeigte Martin Ebner. Die harsche Kritik Jesu an den Schriftgelehrten und Pharisäern im 23. Kapitel des Matthäusevangeliums deutete er als Spiegel für die Autoritäten der christlichen Gemeinde. „Die für die Regulierung des religiösen Lebens in der christlichen Gemeinde zuständig sind, werden zur Selbstkritik aufgefordert und zu einer Umkehr in ihrem Verhalten.“

Hans Hermann Henrix (Aachen) zog diese Linie aus in seinen Überlegungen zu fundamentaltheologischen und ökumenischen Perspektiven des christlich-jüdischen Verhältnisses in Neuzeit und Gegenwart. Inwieweit das Lutherjahr 2017 darauf Einfluss nehmen wird bleibt abzuwarten. Dass das Bild von Israel und Judentum in der Reformation im wissenschaftlichen Diskurs noch Stoff für Diskussionen bietet, zeigte Dorothea Wendebourgs (Berlin) Beitrag. Das Symposion zeigte, dass die Augustinusforschung einer säkularisierten Gesellschaft und einem teilweise stark verweltlichten Christentum gleichermaßen wertvolle Anstöße bietet und schier unerschöpfliche Möglichkeiten für interdisziplinäre Projekte bietet. Zugleich regt das Erbe des Bischof von Hippo auch ein breites Publikum zum Nachdenken an. Und sei es auch als Mahner. In der angeregten Debatte erinnerte Cornelius Petrus Mayer OSA, der Nestor der Würzburger Augustinusforschung, daran, dass Augustinus nichts mit einer Allerlösungsvorstellung im Sinn hatte: Augustinus habe immer die Auffassung vertreten, dass Gott alle rette, die er berufen habe – und die Zahl der Erwählten gering sei.

© ‹Die Tagespost - Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur› vom 17.11.2015, Seite 6

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