Ein Lebensbild

Von Wilhelm Berndl

 

Einleitung: Augustin – Prototyp des abendländischen Geistes von schöpferischer Universalität. Quellensituation

Augustin, Kirchenvater, Bischof, Philosoph, Rhetoriker und Schriftsteller im ausgehenden griechisch-römischen Altertum - was könnte von ihm noch gesagt und gerühmt werden, das nicht schon auf alle erdenkliche Weise gesagt und gerühmt wurde? Nicht darum geht es, dem vielen, was in zahllosen Abhandlungen, Einzel- und Gesamtdarstellungen Kluges und Gescheites niedergelegt wurde, Neues hinzuzufügen. Die Geistestiefe des Mannes auszuloten - gewiß ein vergebliches Unterfangen. All die Jahrhunderte haben sich seither daran versucht. Auch in Zukunft wird es nicht an großen Geistern fehlen, die, von der Mannigfaltigkeit seines Talents bezaubert, mit wahrhaft Augustinischem Impetus darangehen, es zu begreifen, ja, unter Umständen als echte Augustinisten nicht zögern, darin ihre Lebensaufgabe zu sehen.

Nein, nicht Augustins Geistesschaffen soll uns beschäftigen. Sein Leben und Wirken, das biographische Substrat, auf dem ein solcher Geist sich zu solcher Größe erhoben hat, ist wahrlich bedeutend genug und verdient es, in seinem chronologischen Verlauf im einzelnen verfolgt zu werden. Daß dabei auch die intellektuelle Seite des Mannes, kristallisiert in seinen schriftstellerischen Großtaten, in unser Blickfeld tritt und nicht unbeachtet bleibt - nur recht und billig, soweit sich eben darin jeweils seine Lebenswelt in sinnfällig-bedeutsamer Weise ausspricht und abbildet. Und es ist ja wahrlich ein Leben, dessen geistig-seelischen Bestandteile die physisch-materiellen weit überwiegen.

Der Riesenbau seines denkerischen Werkes [1], wenn denn einleitend noch ein Wort darauf verwendet werden soll, spricht fraglos für sich selber, allein schon kraft seiner schieren Größe. Noch jede Zeit steht staunend davor, ist wohl bemüht, ihr eigenes geistiges Vermögen daran zu erproben und neuzuvermessen. Unbedingte Wahrheitssuche und leidenschaftlicher Erkenntnisdrang - was ist kennzeichnender für ihn? Was befähigt ihn mehr, in seiner geistigen Leistung Geistesheroen wie Sokrates und Platon an die Seite gestellt zu werden, ja wie diese als Pioniere und Inbilder abendländischer Geisteskultur über die Zeiten hin machtvoll Bedeutung zu gewinnen?

Dem konkreten Lebensvollzug großer Gestalten aus griechisch-römischer Zeit nachzuspüren ist mangels eindeutig verifizierbarer Fakten nicht immer leicht. Nicht selten wetteifert, wie bei Sokrates, Fiktives, Legendarisch-Skurriles in elementarer Weise mit der historischen Wahrheit. Und nicht eben selten gerät dabei - wer hätte anderes erwartet - das rein Faktische ins Hintertreffen. Nicht so bei Augustin. Sein eigenes Schrifttum ist es, das in der Fülle biographisch relevanter Aussagen jeder Legendenbildung zuvorkommt. Die förmliche Lebensbeschreibung seines Schülers und Freundes Possidius [2], ein Jahr nach Augustins Tod verfaßt, tut bei aller verehrenden Darstellung des Meisters ein übriges, um uns davor zu bewahren, ihn selbst in seinem ganz realen Dasein und Befinden aus dem Blick zu verlieren.

Wollen wir also den Versuch machen, uns Augustín von Mensch zu Mensch zu nähern, ihn ihn nicht allein dem analysierenden und forschenden Blick und Interesse der Wissenschaft zu überlassen. Sollte es dabei geschehen, daß sich die Studie mehr Engagement erlaubt, als es die historische Objektivität verträgt und gutheißt, so mag man es nicht der Sache entgelten lassen. Denn es ist ja wohl so, daß nüchtern-unbefangene Zurückhaltung nicht in jedem Fall von Vorteil ist, vor allem dort nicht, wo der Außergewöhnlichkeit einer Person auch Außergewöhnliches in ihrer Darstellung geschuldet erscheint.
Anmerkungen

[1] Die geplante Edition „der ersten deutschen zweisprachigen, eingeleiteten und kommentierten Gesamtausgabe der Werke Augustins“ unter Federführung des Bonner Professors Wilhelm Geerlings ist auf 120 Bände ausgelegt. Sie läuft bereits seit 2002. Das gesamte Schrifttum gliedert sich nach Geerlings (Wilhelm, Augustinus - Leben und Werk, eine bibliographische Einführung) in folgende Teilbereiche: Autobiographische Literatur, philosophische und antipagane Schriften, antimanichäische Schriften, antidonatistische Literatur, antipelagianische Schriften, antiarianische Schriften, Hermeneutik und Exegese, religionsphilosophische und dogmatische Literatur, pastorale Schriften, Predigten, Briefe, nicht zweifelsfrei Augustin zuzuordnende Schriften sowie Schriften, die nur dem Titel nach bekannt sind.

[2] Possidius, um 370 bis um 437 (Lebensdaten nicht gesichert, vermutlich 20 Jahre jünger als Augustinus), Mönch, Bischof, Schriftsteller, versichert in seiner Vita Augustini: „Ich lebte mit ihm (Augustinus) über 40 Jahre in Freundschaft zusammen.“ Die Biographie gilt als nicht immer vollständig und frei von Fehlern. Sie wurde später nach historischen Kriterien bearbeitet und ergänzt.

Obiger Text bildet das Einleitungskapitel einer neuen Augustinus-Biographie aus der Feder des christlichen Humanisten Wilhelm Berndl. Der Autor ist Studiendirektor i.R. und lebt in Fürstenzell. Die komplette 157-seitige Monographie Augustinus – Vordenker des Christentums. Ein Lebensbild von Wilhelm Berndl steht als E-Book im PDF-Format zur Verfügung.

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Augustinus – Vordenker des Christentums. Ein Lebensbild (Veröffentlichungsdatum: 11.12.2013)
Verfasser: Wilhelm Berndl ©
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