Dokumentation
Predigt zum Augustinus-Fest 2015
Zum Augustinus-Fest predigte Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA im Gottesdienst der Augustinus-Schwestern in Würzburg. Nachstehend dokumentieren wir die am 30. August 2015 gehaltene Festpredigt im Wortlaut.

Schwestern und Brüder im Herrn, liebe Augustinus-Schwestern!

Ihre Gemeinschaft begeht heute liturgisch den Gedenktag des hl. Augustinus, und ich wurde gebeten, den Gottesdienst mit Ihnen zu feiern.

Bei der Suche nach einem Thema der Predigt musste ich nicht lange überlegen, war doch Augustinus, angesehener Redner, Verfasser zahlreicher Schriften, jener gebildete Theologe und Seelsorger, der nicht nur das Abendland seiner Zeit, sondern auch das der nachfolgenden Epochen religiös, kulturell und in gewisser Hinsicht selbst politisch geprägt hat. Von ihm sagte der evangelische Theologe Adolf von Harnack: Er ist der Mann, der überhaupt in der Antike und in der Kirchengeschichte nicht seinesgleichen gehabt hat.

Sein brillantestes und wirkungsgeschichtlich bedeutsamstes Werk waren die Bekenntnisse, die Confessiones. Darin legt er von seinem Leben so Rechenschaft ab, dass der Leser es merken sollte, hier geht es auch um ihn. Augustinus fragt sich nämlich: Was war ich, was bin ich, und was werde ich sein? Sind das nicht die Fragen, die uns alle, insbesondere aber die im Alter schon Fortgeschrittenen bedrängen? Was Christen darauf antworten sollten, dies zeigen uns die Bekenntnisse.

Predigt

Augustins Bekenntnisse – ein faszinierendes literarisches Werk – berichten in den Büchern 1-9 von der Kindheit bis zu dessen Bekehrung im 33. Lebensjahr; das 10. Buch gibt einen Einblick in die geistige Verfassung ihres Autors zur Zeit ihrer Abfassung; die Bücher 11-13 schließlich kommentieren den biblischen Schöpfungsbericht aus dem ersten Kapitel des ersten Buches der Bibel. Insgesamt sind sie ein Gespräch Augustins mit Gott. Groß bist du, Herr, und über alles Lob erhaben, so beginnen sie. Und da will der Mensch, dieser winzige Teil deiner Schöpfung, dich preisen. Du selbst regst ihn dazu an: denn du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir. Des Menschen Unruhe und Gottes Ruhe sind demnach die Pole, zwischen denen sich das Leben Augustins, ja, das Leben aller Lebewesen abspielt. Dieses Begriffspaar, unsere Unruhe und Gottes Ruhe ist sozusagen der rote Faden, der alle drei Teile durchzieht und zusammenhält.

Hinzu kommt ein zweiter, nicht weniger wichtiger literarischer Aspekt. Augustin legt der Geschichte seiner eigenen Bekehrung das Schönste aller Gleichnisse Jesu aus den Evangelien zugrunde: das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 16,15-24). Er, der hochbegabte und hochtalentierte Jugendliche, ist es, der mit diesem seinem geistigen Erbteil in ein fernes Land zog, wo er in Saus und Braus lebte. Der von seiner Mutter Monnica christlich erzogene, jedoch dem Reiz der Sünde verfallene Student lebte mit einer Konkubine zusammen, die ihm um sein 19. Lebensjahr einen Sohn gebar. Dennoch wandte er sich zur gleichen Zeit der alles Sinnliche und alles Materielle verdammenden Sekte der Manichäer zu und vom Christentum radikal ab.

Inmitten seiner Schilderungen darüber stellt er die Frage: Warum erzählte ich dies? Und er antwortet: Auf dass ich und jeder, der es liest, bedenke, aus welchen Tiefen man zu dir rufen muss. Und so bezeichnet er sein Abgleiten in die Sünde als ein Sich Zersplittern Stück für Stück, als ein Sich Abkehren vom Einen und ein Sich Verlieren in das Vielerlei (2,1). Im Anschluss an das Gleichnis verdeutlicht er die Jahre seiner Irrungen und Wirrungen als eine Zeit des Schweinehütens und der Hungersnot. Er kam aber allmählich zur Besinnung und trat die Um- und Rückkehr ins Vaterhaus an. Der zwar gedemütigte, aber demütige Vater nimmt auch ihn nicht nur wieder auf. Er tut mehr: er eilt dem Verlorenen entgegen und überhäuft ihn mit seiner Liebe.

Der hl. Augustinus erkannte in dieser Parabel das Geschick eines jeden und einer jeden in Bezug auf dessen bzw. deren Heil und Unheil, illustriert sie doch wie kaum ein anderes Gleichnis das Geschick Adams und aller Adamskinder als ein Wegstreben von Gott und als ein Verweilen in der Fremde. Im Lichte des Glaubens der Kirche legte er seine Rückkehr ins Vaterhaus so aus, dass der Leser merke, die Initiative dazu gehe stets von Gott aus. Während nämlich der von seinem Schöpfer getrennte Sünder in der Fremde umherirrt, bleibt Gott seiner Vaterrolle treu. Er, der die Liebe ist, gibt den Entfremdeten, gibt uns nicht auf: Er unternimmt sogar das Äußerste zu unserer Rettung. Im Exultet der Osternacht, einem wahrscheinlich von der Theologie Augustins geprägten Hymnus der Kirche, heißt es vielsagend: O unfassbare Liebe des Vaters: um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin. Die christliche caritas, so hörten wir in der Lesung unserer Festmesse, besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat (1 Joh 4,10).

Im 10. Buch der Bekenntnisse, das bereits von dem in die Kirche Heimgekehrten berichtet, kommt Augustin abermals auf diese Initiative Gottes in seinem eigenen Leben zu sprechen: Spät hab' ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab' ich dich geliebt! so beginnt dieser auch sprachlich unübertroffene Text. Und siehe, du warst drinnen, und ich war draußen, und dort draußen suchte ich dich und missgestaltet warf ich mich der Wohlgestalt in die Arme, die du geschaffen. Du warst mit mir, und ich war nicht bei dir. Und weit hielt ich mich von dir entfernt, was gar kein Dasein hätte, wenn es in dir nicht wäre. Du hast gerufen, ja geschrien und meine Taubheit zerrissen; du hast geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit in die Flucht geschlagen; du hast geduftet, und ich habe deinen Hauch eingeatmet und lechze nun nach dir; ich habe dich gekostet und ich hungere und dürste; du hast mich angerührt, und da bin ich entbrannt nach deinem Frieden (10,38).

Das christliche Heilsverständnis, daran lassen die Bekenntnisse keinen Zweifel aufkommen, hat mit einer Selbstverwirklichung ohne Hilfe von oben rein nichts zu tun. Damit ist freilich nicht gesagt, der Glaubende brauche sich um diese Welt nicht zu kümmern, wohl aber, dass er sein Heil weder von dieser Welt noch in dieser Welt zu erwarten habe. Der Glaubende ist vielmehr ein Hoffender und so ein Liebender. Ein Hoffender? Worauf? Der Begriff Hoffnung hat die Zeit zur Voraussetzung, in der sich das Erhoffte erfüllt.

Aus diesem Grunde eröffnet Augustin den dritten Teil seiner Bekenntnisse mit der Erörterung der Frage: was ist Zeit? Gerade seine tiefsinnigen Betrachtungen in diesem letzten Teil der Bekenntnisse veranschaulichen aufs Beste den unüberbrückbaren Unterschied zwischen dem unveränderlichen Schöpfer und seinen veränderlichen Geschöpfen, denn was ist veränderlicher als die Zeit, die alles Geschehen, aus dem auch die Geschichte sich rekrutiert, vorantreibt? Gott allein unterliegt nicht der Zeit. Die Zeiten alle hast du gewirkt, und vor den Zeiten bist du, und niemals gab es eine Zeit, wo Zeit nicht war (11,16).

Die Zeit, von ihr handelt das ganze 11. Buch der Bekenntnisse, kennzeichnet die Existenzweise der Welt, in der es schlechthin nichts gibt, was sich nicht zeitlich vollzöge. Bewegt schildert der Heilige auch in mehreren Predigten unsere gleichsam unter das Joch der Zeit gezwungene Existenz: Die Zeit, durch die wir wandern, gestoßen und fortgerissen vom Fluss der Jahre, von der Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, von ihren Wechselfällten, von der Haltlosigkeit, die alles mitreißt, sie gleicht einer Gefangenschaft, aus welcher der Mensch sich von sich aus nicht zu befreien vermag (s. 270,3). Damit du Bestand hast, übersteige die Zeit. Aber, wer vermag das aus eigenen Kräften? fügt er vielsagend hinzu (Io. eu. tr. 38,10). Es musste also Christus, der Schöpfer der Zeiten, in die Zeit kommen, nicht um die Zeiten zu heilen, sondern um die Zeit aufzuheben und die Geschichte zu vollenden.

Die Fragen, wohin die Geschichte laufe und was deren Sinn sei, beantwortet Augustinus im Anschluss an das Neue Testament, sie laufe über die Menschwerdung Christi und dessen Heilswerk auf den zu, der sie in Gang setzte. Wenn aber an ihrem Ende der ewige und unveränderliche Gott alles in allem sein wird, dann wird mit der Zeit auch die Geschichte aufgehoben sein. Als Glaubende und im Sinne ihres Glaubens Hoffende sollen Christen sich deshalb zu allem Zeitlichen relativ und allein zu dem zeitlosen Gott absolut verhalten. Die Heimkehr zu Gott und das Ruhen bei ihm ist – um dies nochmals zu sagen – das große Thema der Bekenntnisse.

Gegen Ende seines Lebens kam der hl. Augustinus in einem kritischen Rückblick auf sein literarisches Werk auch auf seine Bekenntnisse zu sprechen. Die dreizehn Bücher meiner Bekenntnisse, so heißt es dort, loben den gerechten und guten Gott um meiner Übel wie auch um meiner Güter willen und treiben den menschlichen Intellekt und Affekt zu ihm hin. Auf mich haben sie jedenfalls, als ich sie schrieb, so gewirkt und sie tun es noch, so oft ich sie lese. Dieser ihrer Wirkung auch bei anderen ist Augustin sich ziemlich sicher, denn er fährt fort: Was andere dabei empfinden, sollen sie selbst sehen. Ich weiß jedoch, dass sie vielen sehr gefallen haben und immer noch gefallen (retr. 2,6,1).

Versuchen Sie es, verehrte, liebe Augustinus-Schwestern, sich gelegentlich in die Schar der Leser der Bekenntnisse einzureihen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Festtag.

Cornelius Petrus Mayer OSA