Jahresvollversammlung der

Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V.

Würzburg, St. Burkardushaus, 8. Juli 2016

  • Mütter, Väter und verlorene Söhne

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    Generationenbeziehungen in den Bekenntnissen des Augustinus von Hippo

    Festvortrag anlässlich der Jahresvollversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung

    Würzburg, Burkardushaus, 08.07.2016

    Von PD Dr. Jochen Schultheiß

    Benozzo Gozzoli: Augustinus in der Schule zu TagasteAugustinus wird von Vater und Mutter in die Schule zu Tagaste gebracht (Benozzo Gozzoli, 1465). Augustinuskirche San Gimignano – Bildquelle: wikimedia commons

    Generationenbeziehungen stellen eine grundlegende Lebenserfahrung aller Menschen dar [1]. In der modernen psychologisch-pädagogischen Forschung wird der Familie, und hier insbesondere der Eltern-Kind-Beziehung, eine elementare Bedeutung für die Identitätsbildung, die Entwicklung des subjektiven Selbstverständnisses und die Sozialisation des Menschen beigemessen: Grundlegende Prägungen vollziehen sich durch Tradierung von Generation zu Generation. Generationenbeziehungen verfügen über eine hohe Bindungsintensität und können von emotionaler Nähe und starker Solidarisierung bestimmt sein. Gleichzeitig ist ihnen auch ein großes Konfliktpotential inhärent, da sie in Konkurrenz zu anderen Formen sozialer und mentaler Bindung des Individuums stehen können.

    Auch für das Altertum gilt, dass die Familie eine der wichtigsten sozialen Einheiten darstellte und man darf somit davon ausgehen, dass die Einbindung in familiäre Zusammenhänge sowie die daraus sich ergebenden sozialen und psychischen Konsequenzen elementare Lebenserfahrungen eines jeden Menschen in der Antike darstellten.

    Generationenbeziehungen und religiöse Sprache

    Das Christentum bezieht sich auf Generationenbeziehungen und Familienverhältnisse aber nicht nur in ihrem eigentlichen Sinn. Ein zentrales Merkmal religiösen Sprechens stellt die Metapher dar, die Rede im übertragenden Sinn, die unumgänglich ist, will man sich über Gott, der jenseits der menschlichen Erfahrung liegt, Vorstellungen bilden. Hierbei kommt dem Bildfeld der Familie und der Generationenbeziehungen eine bedeutende Stellung zu: In Generationenverhältnisse ist der Mensch durch seine Leiblichkeit in der empirischen Welt eingefügt, jedoch benutzt auch die Sprache der Bibel und der christlichen Tradition Metaphern aus dem Bereich der Generationenbeziehungen, um das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen sowie zu Gott oder der Kirche auszudrücken. Das Neue Testament entwickelt eine durch das Bild der Neugeburt in der Taufe begründete Konstruktion einer geistigen Verwandtschaft, wodurch neben die auf leiblicher Geburt beruhende Blutsverwandtschaft ein auf spiritueller Ebene definierter Zusammenhang zwischen den Individuen tritt. Bedeutend ist das Konzept der Gotteskindschaft, das insbesondere auf die Anrede Gottes als Vater im Vater unser zurückgeht [2]. Das als Generationenbeziehung bestimmte Verhältnis zwischen Mensch und Gott als eines zwischen Kind und Vater zieht die bildliche Auffassung von den Menschen als Geschwister nach sich. Die Vorstellung vom Menschen als ‚Kind Gottes‘ wird in der Bibel und der christlichen Tradition erweitert um die Vorstellung einer Kindschaft des Menschen im Sinne der Kindheit als Lebensaltersstufe. Auch die im Glauben jungen Christen können metaphorisch als Kinder bezeichnet werden.

    Die Metaphorik, wenn sie auf das Verhältnis Gott – Mensch und Kirche – Mensch angewandt wird, kann eine Substituierung der verwandtschaftlichen Eltern-Kind-Beziehung bewirken. Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen werden jedoch auch dazu verwendet, um interpersonale Beziehungen auf einer spirituellen Ebene neu zu bestimmen. Eine Person, die eine andere zum Glauben bringt, kann als geistige Mutter oder geistiger Vater bezeichnet werden.

    Wenden wir uns Augustins Bekenntnissen zu, die eine auf neun Bücher sich erstreckende autobiographische Reflexion umfassen, in der der Erzähler seinen Lebensweg von der Geburt bis zum Tod seiner Mutter beschreibt und hierbei ein Bekenntnis seiner Sündhaftigkeit, aber auch seines Lobs und seines Glaubens ablegt. Auch Augustinus reflektiert hierin Eltern-Kind-Beziehungen, die auf zwei verschiedenen Sprach- und Vorstellungsebenen angesiedelt sind, wobei die eine die Ebene der empirisch-realen Welt darstellt, die andere die Ebene der religiös-metaphorischen Sinnstiftung.

    Der Vater

    Die Familie wird in den Confessiones zum Erfahrungsort, durch den sich die Trennlinie des kulturellen Umbruchs der Spätantike zieht. Dem Vater kann für die geistige Entwicklung des Sohnes keine Rolle beigemessen werden, so dass er gegenüber der Mutter deutlich zurücktritt. Dies zeigt sich bereits bei der Reflexion über die Geburt, wenn Augustinus schreibt: Text 1 – conf. 1,6,7Text 1conf. 1,6,7Aber die Tröstungen deiner Barmherzigkeit haben mich aufgenommen. susceperunt me consolationes miserationum tuarum [siehe Text 1]. – Es ist Gott, von dem sich Augustinus aufgenommen fühlt. Hierbei ersetzt Augustinus gezielt die rituelle Aufnahme des Neugeborenen durch den leiblichen Vater, der dadurch das neugeborene Kind als Teil der Familie annimmt. Die vom römischen Vater ausgeführte Aufnahme des Kindes, eine Bestätigung der patria potestas, wird durch göttliches Wirken substituiert. Insgesamt verkörpert der Vater im Innerweltlichen begründete Wertvorstellungen, die Augustinus ablehnt. Er steht in paganer Tradition für ein auf beruflichen Erfolg ausgerichtetes Bildungsdenken und eine an Fortpflanzung interessierte Familienräson. Das wird deutlich an den verschiedenen Auffassungen, die er im Gegensatz zu Monnica und dem Erzähler Augustinus über Familie und Bildung vertritt, wobei der Vater für ein säkulares Familiendenken steht. Sein Interesse ist auf den Fortbestand der Familie gerichtet, – eine Ausrichtung, die in ihm die Bedeutung der Familie in der paganen römischen Kultur erkennen lässt. Der Vater beachtet bei seinem Interesse an der Fortpflanzung nicht die von seinem Sohn aus der nachträglichen Erzählerperspektive festgestellte moralische Bedrohung durch die Sexualität. Augustinus verurteilt diese Wertvorstellungen, denn darin zeige sich die Fehlorientierung auf die creatura, die den creator ignoriert.

    Die Familie wird auch zur Projektionsfläche für Augustins Kritik an der paganen Bildungstradition, die besonders in den ersten beiden Büchern einen weiten Raum einnimmt. Der Vater vertritt auf falsche Ziele ausgerichtete Werte. Seine Motivation, den Sohn den Weg der Bildung beschreiten zu lassen, bedenkt nicht Gott, ist stattdessen auf Eitelkeiten, inania, gerichtet, unter denen eine Fixierung auf beruflichen Erfolg zu verstehen ist. Letztendlich bringt hier Augustinus seine Bildungskritik auf den Punkt und weist zugleich den Weg für eine christliche Bildung, die dem Ziel dienen soll, das Gottesverständnis zu fördern [3].

    Es wäre jedoch falsch, aus dieser negativen Darstellung den Schluss zu ziehen, der Vater diene Augustinus ausschließlich als Kontrastfigur, der nur Ablehnung entgegengebracht würde. Vom gnadentheologischen Standpunkt aus spiegelt sich im Vater eine allgemeine Condicio humana wider, der Augustinus auch selbst unterliegt. Der Vater ist also nicht bloß Kontrastfigur, schon gar keine Hassfigur, im Gegenteil gilt es, ein in diese Figur eingearbeitetes identifikatorisches Moment zu Augustinus zu bedenken, der sich auch selbst dafür anklagt, dass seine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung gerichtet war.

    Der verlorene Sohn

    Neben die leibliche Vaterschaft treten metaphorische Konzepte. Eine wichtige Metaphorisierung von Vaterschaft bildet das als biblische Vorlage zum eigenen geistigen Entwicklungsweg wiederholt durch Zitate wachgerufene Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die Identifikation mit dem verlorenen Sohn bildet eine grundlegende Denkfigur, mit der Augustinus seine eigene freiwillige Abwendung und spätere demütige Rückwendung zu Gott in der Vorstellungswelt der Bibel fassen kann. Bei der Darstellung seines Lebensweges folgt Augustinus von der philosophischen Tradition gespeisten Vorstellung, wonach die Sündhaftigkeit des Menschen in seiner Hinwendung zu äußerlichen Dingen, zu den Sinnen und zum Körper, gesehen wird. Der Verweis auf das biblische Gleichnis ist im ersten Buch eng verknüpft mit Anspielungen auf Plotin. Hier erzielt Augustinus eine Integration von neuplatonischem und christlichem Denken, was gerade durch die Verwendung gleicher Metaphernfelder in beiden Denkschulen ermöglicht wird. Plotin (205-270 n. Chr.) kann als entscheidender Impulsgeber der seit dem 3. Jahrhundert dominierenden Strömung des Neuplatonismus gelten. Im Zentrum seiner Ontologie steht die Vorstellung von dem Einen als die selbst jenseits des Seins stehende Spitze einer hierarchischen Seinsordnung, aus der alles Seiende hervorgeht. Das Seiende ergießt sich in sogenannten Hypostasen absteigend geordnet über Geist und Seele bis hin zur Materie als unterster Stufe. Niedere Hypostasen sind den übergeordneten gegenüber minderrangig, sie tragen jedoch ihren Ursprung stets in sich und streben nach der Vereinigung mit ihrer Ursache. Der Kosmos ist somit einerseits gekennzeichnet von Bewegungen, die aus dem Einen hervorgehen – πρόοδος oder lateinisch exitus,– andererseits von solchen Bewegungen, die zu dem Einen umkehren – ἐπιστροφή oder lateinisch reditus. Die menschliche Seele, die dieser ontologischen Dynamik unterliegt, muss für ihre Rückkehr sich vom Äußeren ab-, und sich selbst zuwenden, um auf einem Weg der inneren Läuterung zurück zu ihrem transzendenten, göttlichen Ursprung zu finden. Diese sehr abstrakte Philosophie findet in Augustins Lebensdeutung text2Text 2conf. 1,18,28ganz konkrete Anwendung. Der Kirchenvater interpretiert sein falsch ausgerichtetes Denken in der Jugend als eine Entfernung von Gott [siehe Text 2]: „Was wundert es aber, dass ich mich so Eitelkeiten zuwandte und von dir entfernt wurde, mein Gott, ich ging hinaus,“ dann folgen Konkretisierungen aus dem Schulleben mit der oben dargestellten Abwendung von einer Ausrichtung auf Gott. Er fährt fort: „Aber auch jetzt reißt du aus dieser gewaltigen Tiefe die Seele, die dich sucht und dürstet nach deinen Freuden und deren Herz dir sagt [siehe Text 3]: ‚Ich habe dein Antlitz gesucht; dein Antlitz, Herr, will ich suchen.‘ – weit entfernt nämlich von deinem Antlitz in dunkler Leidenschaft. Denn nicht mit Füßen und in räumlichen Abständen geht man von dir weg oder kehrt zu dir zurück, nicht hat dein jüngerer Sohn Pferde oder Wagen oder Schiffe gesucht oder ist mit sichtbarem Flügel davongeflogen oder hat text3Text 3conf. 1,18,28unter Bewegung des Knies den Weg zurückgelegt, um in entfernterer Gegend lebend verschwenderisch zu vergeuden, was du ihm beim Aufbruch gegeben hattest. In dieser Gabe zeigte sich deine väterliche Milde; du warst dem bedürftigen Sohn gegenüber noch milder, als er zurückkehrte: Also in gieriger Leidenschaft zu sein, das heißt im Dunkeln zu sein, und das heißt, weit entfernt von deinem Antlitz zu sein.“

    Hierbei spielt Augustinus auf eine plotinische Textpassage an, die ebenfalls die Bildhaftigkeit der Heimat (πατρίς) kennt und herausstreicht, dass die Entfernung nicht räumlich zu verstehen sei. In der Enneade 1,6 Über das Schöne wird in der Schau des Schönen das Glück des Menschen und somit sein Daseinsziel erkannt. Im vorletzten Abschnitt der Schrift geht Plotin der Frage nach, wie und mit welcher Methode man zur Schau der unfassbaren Schönheit gelangen kann. Voraussetzung für die Schau ist die Wendung vom Äußeren zum Inneren. Diese Bewegung von den körperlichen Abbildern weg drückt Plotin bildhaft als eine Flucht aus. Er fasst diesen Aufstieg zum Schönen als eine metaphorische Rückkehr in die Heimat auf, wobei er sich auch unter Verwendung eines Zitas aus Ilias 2, 140 auf die Heimkehrhandlung der Odyssee bezieht: „Fliehen wir also in die liebe Heimat. (...) Dort haben wir also unsere Heimat, von wo wir hergekommen sind, und dort unseren Vater. Und was ist nun die Reise und die Flucht? Nicht mit den Füßen muss man sie hinter sich bringen, die Füße tragen einen ja immer nur von einem Stück Erde zum anderen; du musst dir auch keinen Pferdewagen oder irgendein Wasserfahrzeug besorgen, sondern auf all das verzichten und überhaupt nicht mehr sehen, sondern die Augen gleichsam schließen und dafür ein text4Text 4conf. 1,18,28anderes Sehvermögen eintauschen.“ [4] Die exitus-reditus-Thematik wird bei Plotin also mit dem Bild des Verlassens und Wiederaufsuchens der πατρίς Ausdruck verliehen. Augustinus kann in seiner Lebensdeutung christliches und neuplatonisches Denken zusammenführen, da sie Bilder aus denselben Themenfeldern verwenden. Gleichzeitig erweitert er den Bildbereich um die konkrete Vater-Sohn-Beziehung des Gleichnisses und somit um ein spezifisch christliches Moment. In der Textpräsentation wird dies schön sichtbar: in roter Farbe sind die plotinischen Elemente im Augustinustext, in grüner die Entnahmen aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn und in oranger schließlich der Plotin und der Parabel gemeinsame ‚Vater‘ markiert [Text 4]:

    Denn nicht mit Füßen und in räumlichen Abständen geht man von dir weg oder kehrt zu dir zurück, nicht hat dein jüngerer Sohn Pferde oder Wagen oder Schiffe gesucht oder ist mit sichtbarem Flügel davongeflogen oder hat unter Bewegungen des Knies den Weg zurückgelegt, um in entfernter Gegend verschwenderisch zu vergeuden, was du ihm beim Aufbruch gegeben hattest. In dieser Gabe zeigte sich deine väterliche Milde; du warst dem bedürftigen Sohn gegenüber noch milder, als er zurückkehrte: Also in gieriger Leidenschaft zu sein, das heißt im Dunkeln zu sein, und das heißt, weit entfernt von deinem Antlitz zu sein. (1,18,28)

    Die Mutter

    Gänzlich anders gestaltet sich das Verhältnis zur Mutter Monnica. Indem sie als Korrektiv den Protagonisten auf seine Verirrungen hinweist, kann er ihre Funktion im erzählenden Rückblick als ein Instrument der göttlichen Gnade deuten. Augustinus interpretiert das Verhalten Monnicas als von Gott veranlasst, der mit Augustinus vermittels seiner Mutter kommuniziert. Die Reaktionen der Mutter werden für den Erzähler Augustinus zu göttlichen Ermahnungen – admonitiones – in der empirischen Welt. Erzählerisch gestaltet Augustinus dieses Verhältnis in einem Spannungsbogen, der im 3. Buch mit dem Traum der Monnica über Augustins Rückkehr zum rechten Glauben ansetzt und im Anschluss an die Konversionsszene im 8. Buch in Augustins Einsicht in seine Richtigkeit sich erfüllt. Der Figur text5Text 5conf. 3,4,8der Mutter kommt somit eine strukturierende Funktion in der Darstellung der Abwendung und erneuten Zuwendung zu Gott zu. Durch seine Mutter habe er „den Namen Christi mit der Muttermilch getrunken“ [siehe Text 5]. Sie hat in ihm also das intuitive Moment des christlichen Glaubens begründet, das ihn bei der Lektüre der Cicero-Schrift Hortensius den Namen Christi vermissen lässt und das ihm somit auch bei größtem Irren eine Rückkehr zum Christentum ermöglicht. Auch die Bedeutung Monnicas für das gemeinsame Visionserlebnis von Ostia im 9. Buch ist im Zusammenhang mit ihrer Rolle im gesamten autobiographischen Teil zu sehen: bereits die Tatsache, dass es sich hierbei um einen gemeinschaftlichen Aufstieg handelt ist eine bemerkenswerte, von vergleichbaren Schilderungen abweichende Tatsache. Diesen geistigen Aufstieg erlebt Augustinus gerade gemeinsam mit der Mutter, der richtungweisenden Begleiterin auf seinem Weg zur richtigen Gotteserkenntnis.

    Durch ihre Funktion als Korrektiv bildet sie eine Kontrastfolie zu Augustinus, vor deren Hintergrund seine Abwendung von Gott hervortritt. Das Irren des Protagonisten wird mit Einstellungen Monnicas kontrastiert, die dieser erst später selbst teilen wird.

    Dies manifestiert sich im Problem des rechten Trauerns. Monnica bildet einen Gegensatz zum Protagonisten Augustinus, insofern sie nicht um, sondern für ihren im Glauben gestorbenen Sohn weint und sich in dieser Trauer an Gott wendet. Hiermit setzt sie schon in ihrem Handeln die Erkenntnis um, zu der Augustinus erst noch gelangen wird.

    Die Darstellung ihrer Trauer um den Sohn ermöglicht es, eine erweiterte Perspektive auf die Haupthandlung um den Protagonisten zu erlangen. Das Handeln der Figur Augustinus wird nicht bloß aus der nachträglichen Perspektive des Erzählers kritisiert, sondern erfährt eine Kontrastierung von einer moralisch höherstehenden Warte bereits in der erzählten Zeit durch die Figur der Monnica. Als Figur der Erzählung ist sie auf den Protagonisten Augustinus hin funktionalisiert: durch ihre Trauer wird seine Situation der Abwendung von Gott auch emotional bewertet.

    In der Relation zwischen Monnica und Augustinus sind jedoch auch Momente der Identität angelegt. Neben anderen Figuren dient auch Monnica dem Erzähler Augustinus dazu, die am eigenen Beispiel festgestellte Sündhaftigkeit zu demonstrieren und diese so als ein allgemein menschliches Phänomen zu präsentieren. In der Erzählung eines Ereignisses aus der Kindheit der Mutter, bei dem sie sich trotz bester Erziehung nicht davon zurückhalten kann, von dem Wein zu kosten, den sie aus der Vorratskammer holen musste, eine Szene, auf die ich später nochmals näher zu sprechen komme, ergänzt Augustinus die Reflexionen über die falsche Willensausrichtung aufgrund der Erbsünde im 2. Buch, die Birnendiebstahlsszene, um den Aspekt der Erziehung und um die Frage, in welcher Beziehung sündhafter Wille und Erziehung zueinander stehen. Monnica dient hier als eine Figur, die eine Identifizierung mit Augustinus erlaubt. Augustins Vorstellung über den unter der Erbsünde depravierten Willen des Menschen, die er in der Birnendiebstahlsszene an sich selbst exemplifiziert hat, wird auf Monnica übertragen und somit verallgemeinert. Neben Monnica dienen auch andere Figuren besonders auch sein Sohn Adeodatus Augustinus dazu, an der Darstellung der eigenen Person entwickelte Erkenntnisse einerseits wieder aufzunehmen und ihnen dadurch eine größere Allgemeingültigkeit zu verleihen, andererseits aber auch um bisher noch nicht beleuchtete Aspekte zu erweitern.

    Dies alles macht deutlich, dass Augustins Lebensdarstellung und -deutung darauf abzielt, Beispiele, exempla, darzustellen, indem sie Erfahrungszusammenhänge widerspiegelt, die ein Leser oder eine Leserin mit Augustinus oder seinen Figuren teilen kann. Die Figuren stellen dem Leser Identifikationsangebote bereit. Indem diese Beispiele den Leser zum christlichen Glauben und zu einer christlichen Lebensweise hinführen sollen, verfolgen die Confessiones eine protreptische Intention, d.h. die Absicht, den Leser oder die Leserin zum rechten Glauben hinzuführen.

    Monnica als exemplum einer christlichen Ehefrau und Mutter

    Dies gilt nicht nur für die Figur Augustinus und nicht nur für die Thematik der Sündhaftigkeit. Auch Monnica erfüllt die Funktion eines Exemplums, wobei sie beispielhaft für eine christliche Ehefrau und Mutter steht. Erzählerisch bietet sich für diesen Punkt vor allem der biographische Nachruf im 9. Buch an. Er ist in der Tradition einer römischen Leichenrede, einer laudatio funebris, verfasst. Augustinus erweist sich in der Verwendung literarischer Formen als Autor einer Umbruchszeit. Gattungen und Inhalte auch der paganen literarischen Tradition werden übernommen, aber in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt. So nimmt Augustinus beispielsweise mit seiner Anlehnung an die klassische Leichenrede ein Element der traditionellen familialen Memorialkultur auf. Lobestopoi der paganen laudatio funebris werden verwendet, jedoch christlich gedeutet, erweitert oder ersetzt. Augustinus nimmt also eine traditionelle Textgattung auf, ersetzt aber ein mit ihr verbundenes, jedoch als nicht mehr hinreichend erkanntes Denken durch ein christliches, das allein sinnstiftend für ihn sein kann.

    Dieser Nachruf erlaubt es, durch einen Rückblick im Rückblick die zeitliche Dimension der Lebensbetrachtung zu erweitern. Der Rückblick auf Monnicas Leben, in die zeitliche Tiefendimension eines Lebens, gibt Augustinus ein erzähltechnisches Mittel an die Hand, mit dem er verschiedene Lebensalter, aber auch verschiedene mögliche Lebensformen einer Frau beleuchten kann. Neben der vidua casta, der keuschen Witwe, kann auch die christliche Ehefrau an dem einen Beispiel der Monnica beleuchtet werden.

    An Monnica zeigt Augustinus auch für eine Ehefrau und Mutter die Möglichkeit auf, einer christlichen Lebensweise zu folgen. Hier wird an ihrem Beispiel die Möglichkeit einer christlichen Eheführung verdeutlicht, wobei gerade die topischen – also in der literarischen Tradition immer wiederkehrenden Beschwernisse der Ehe – molestiae nuptiarum – aufgenommen werden, die in der pro-asketischen Schriftstellerei gerade für die Wahl eines alternativen Lebensweges zur Ehe angeführt werden: so etwa die Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft, die Mühen und Risiken der Kindergeburt, die Sorge um die Kinder, die Plackerei der Kindererziehung und der Hausarbeit, Probleme mit dem Gesinde, Familienstreitigkeiten, Tod von Familienmitgliedern, ausfällige, gewalttätige, eifersüchtige Ehemänner, Sorge um die Treue des Ehemannes, seine Gesundheit und Sicherheit und die Angst vor Witwenschaft. – All dies bewältigt Monnica.

    Die Darstellung der Mutter als Ehefrau in der laudatio funebris darf somit als Rehabilitation der Ehe gegenüber einer besonders mit den Namen Hieronymus und Ambrosius verbundenen „Virginitätspropaganda“ angesehen werden [5]. In Differenzierung zu den asketischen Strömungen kann man für Augustinus hervorheben, dass er als einer der ersten bemüht war, allen Personengruppen eine Existenz in der Kirche zu ermöglichen. Somit ist Augustinus vor dem Hintergrund einer Entwicklung zur Universalkirche zu betrachten. Hierin erweist er sich als Pragmatiker, der die traditionellen Familienrollen und Geschlechterverhältnisse anerkennt.

    text6Text 6conf. 9,9,22Dabei werden pagane Rollenideale mit Bibelzitaten untermauert und in einen christlichen Kontext eingefügt. Dies zeigt sich beispielshalber im Lob Monnicas als univira – als Frau eines einzigen Mannes [siehe Text 6]. Augustin sucht hier die Ambivalenz von klassischem und biblischem Ideal, indem er auf pagane Rollenbilder zurückgreift, sie aber gleichzeitig auch in den Kontext von Bibelzitaten rückt. Mag der Leser zunächst noch durch das Stichwort unius viri uxor an einen paganen Kontext denken, so wird die Einbettung des Begriffes in einem Bibelzitat nach und nach deutlicher. Ihre weltliche Rolle wird durch Bibelzitate gezielt in einen christlichen Kontext sublimiert. Das römische weibliche Rollenideal der univira erscheint nun eindeutig als ein christliches. Somit trägt Augustinus nicht nur in Hinblick auf die Mutterrolle der Monnica, sondern auch auf ihre Rolle als Frau zu der für die christliche Spätantike festgestellte Verinnerlichung der Wertebegründung bei. Es ist nun der Glaube, durch den soziale Moral bindend gemacht wird.

    In der Darstellung der Ekstase von Ostia wird dargelegt, dass der Aufstieg zu einer geistigen Schau und die dauerhafte Ausrichtung des Willens auf Gott auch für eine Frau von niedrigem Bildungsstand möglich ist. Damit lässt Augustinus sich in Monnica die Erkenntnis erfüllen, dass es auf eine auf dem Glauben beruhende Suche nach Gott ankomme.

    In Augustins Darstellung Monnicas als vorbildhafter Christin entstehen jedoch auch Widersprüche, wenn einerseits der Frau die geistige Gleichheit mit dem Mann eingestanden wird, wenn anderseits aber die gesellschaftliche Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann gefordert wird. Diese wird durch die Untermauerung mit Zitaten aus der Bibel auf christlicher Basis zementiert und erhält somit neue text7Text 7conf. 1,11,17Verbindlichkeit. Mit der Darstellung seiner Mutter als Ehefrau stützt Augustinus die traditionellen Werte der Unterordnung der Ehefrau unter ihren Mann, stellt sie aber als gottgewollt dar. Im Verhältnis von Monnica zu Patricius spiegeln sich Augustins theologische Ansichten über das Geschlechterverhältnis, die von Ambivalenzen geprägt sind, wider: auf der spirituellen Ebene ist Monnica ihrem Mann überlegen, im Rollenverständnis hingegen ordnet sie sich ihm, ebenfalls im Sinne der Bibel, unter. Als „die Bessere diente sie ihrem Mann“ – melior serviebat [6] [siehe Text 7]. Dieser Spagat ist der Absicht geschuldet, Akzeptanz bei der breiten Leserschaft zu schaffen, in der die traditionellen Werte tief verwurzelt sind. Man kann zwar Verständnis für Augustinus fordern, der hiermit der Festigung der Kirche in der spätantiken Gesellschaft entgegenarbeitete [7]. Man darf aber auch nicht vergessen, dass er ebenso dazu beigetragen hat, eine gesellschaftliche Unterordnung der Frau christlich zu legitimieren und damit ein Denken zu fördern, dessen Ablösung bis zum heutigen Tag noch nicht gänzlich überwunden ist.

    Spirituelle Generationenbeziehungen

    Wie auf der väterlichen Seite verwendet Augustinus zur Beschreibung seiner Beziehung zu Monnica auch metaphorische Konzepte der Generationenbeziehung, wodurch er das interpersonale Verhältnis von einem leiblichen zu einem spirituellen erhöht. Von der Rolle der Mutter als der leiblichen Erzeugerin ihres Sohnes wird ihre Funktion für die innere Entwicklung abgehoben.

    Monnica wird auch eine spirituelle Funktion für ihren Sohn, die sich ebenfalls in der Bildlichkeit einer Mutter-Kind-Beziehung ausdrückt, beigemessen. So bezieht sich im 1. Buch Monnicas mütterliche Sorge, cura, um ihren noch kleinen Sohn auch auf eine vorgezogene Taufe, die aufgrund einer gesundheitlicher Notlage erwogen wird. Mit der Sorge um das kranke Kind wird hier ein gängiges Rollenmuster einer Mutter aufgenommen, das im spirituellen Verhältnis als eine Sorge um das ewige Heil des Kindes verwendet wird. Die Mutterschaft Monnicas vollzieht sich somit auf zwei Ebenen, der fleischlichen und der geistigen. Das Bild einer spirituellen Schwangerschaft begegnet im 1., 5. und 9. Buch. Diese breite Streuung auf den gesamten autobiographischen Teil unterstreicht die Bedeutung des Bildes. Das metaphorische Konzept eines Gebärens im Geiste wird am Beginn, in der Mitte und am Ende des autobiographischen Teils angesprochen und auf diese Weise exponiert.

    Erst in diesem letzten Abschnitt des augustinischen Lebensrückblicks erfolgt die einzige Nennung der Namen „Monnica“ und „Patricius“, wie auch Adeodatus erst etwas früher im 9. Buch zum ersten Mal namentlich genannt wird. Entgegen der Auffassung, dass der Verfasser dies wohl unbewusst so gemacht habe, kann eine Reihe von Motiven angeführt werden, die die namentliche Nennung der Eltern gerade an dieser Stelle erklären: Die Taufe ist mit der Namengebung verbunden. Zu den traditionellen Riten der Taufvorbereitung gehörte die Einschreibung (dare nomen). Im Rahmen des Katechumenats bestand die Sitte, mit dem Herannahen der Fastenzeit seinen Taufnamen anzugeben. Durch die Namennennung werden Monnica und Patricius als getaufte Christen in einer durch die Taufe gestifteten Gemeinschaft dargestellt.

    Besonders das 9. Buch, das die Ereignisse zwischen der Konversion und dem Tod der Mutter berichtet, steht ganz im Zeichen der Errichtung einer neuen Form von Gemeinschaft. Die Taufe, in deren Zusammenhang der Rückblick auf Adeodatus, den früh verstorbenen Sohn Augustins, steht, hat bedeutende Folgen für die zwischenmenschliche Beziehung zwischen den Täuflingen. An Adeodatus demonstriert Augustinus die spirituelle Geburt, durch die natürliche Altersunterschiede überwunden werden. Hier nimmt Augustinus das frühchristliche Ideal der Alterstranszendenz auf. Mit diesem Konzept ist auch die Vorstellung einer „Erneuerung“ oder „Verjüngung“ infolge der Taufe verbunden. Durch die Taufe entsteht eine auf der Ebene des inneren Menschen neu definierte Altersstufe. Der neugeborene innere Mensch ist wieder Kind. Dies führt zu einer Neubestimmung der interpersonalen Beziehungen unter den Getauften. Im vorliegenden Fall wird das leibliche Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Augustinus und Adeodatus durch die Taufe überwunden zugunsten eines Verhältnisses zwischen Gleichaltrigen. Adeodatus und alle anderen Getauften sind ‚gleichaltrig’: Augustinus schreibt: „Wir haben ihn zu uns gesellt, ihn, der gleichaltrig ist mit uns in deiner Gnade“ [8].

    Christliche Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen werden aber nicht nur zum sprachlichen Ausdruck zwischenmenschlicher Beziehungen verwendet. Vielmehr werden verschiedene Vorstellungen von Mutterschaft nebeneinandergestellt und bilden Analogien. Die mater ecclesia – die Mutter Kirche – wird im gesamten autobiographischen Teil an prägnanten Stellen erwähnt. Die Mutterrolle der Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf einen einzelnen Menschen bezieht, sondern auf die gesamte Christenheit. Bereits im 1. Buch wird der Leser zum ersten Mal auf dieses metaphorische Mutter-Sohn-Verhältnis verwiesen. An dieser frühen Stelle der Confessiones im 1. Buch wird durch die Parallelisierung der leiblichen Mutter Monnica mit der als geistige Mutter aufgefassten Kirche bereits ein Zielpunkt der autobiographischen Rückschau angedeutet: den Übergang in die spirituelle Familie am Ende des 9. Buches mit der Kirche als Mutter.

    text8Text 8conf. 9,13,37Daneben tritt die Vorstellung von Gott als dem Vater der Gläubigen. Am Ende des 9. Buches, wo die Darstellung der Entwicklung zu einem als richtig erkannten Gottesverständnis an ihrem Ziel angelangt, fasst Augustinus in seiner Fürbitte das Verhältnis zu seinen leiblichen Eltern als eine Geschwisterbeziehung gegenüber der Kirche als Mutter und Gott als Vater auf: sub te patre in matre catholica – unter dir als Vater innerhalb der katholischen Mutter [siehe Text 8].

    Mit diesen Sätzen endet der autobiographische Teil der Confessiones. Ihnen muss demzufolge eine zentrale Bedeutung beigemessen werden. Erst hier setzt der Erzähler Augustinus einen Schlusspunkt, so dass er erst hier den Prozess der Konversion als abgeschlossen ansieht. Die Konversion ist nicht vollendet, bevor dieser Übergang von der Einordnung des Individuums in innerweltliche Zusammenhänge hin zu einer Eingliederung in den geistigen Zusammenhang mit Gott stattgefunden hat. Diesen Übergang vollzieht Augustinus an der Einordnung des Menschen in Generationenbeziehungen: der leibliche Generationenzusammenhang wird durch einen geistig-metaphorischen substituiert. So wird die durch den Tod eingetretene Trennung der Beziehung, die auf Leiblichkeit beruht, durch die substituierende Neubestimmung des Verhältnisses auf spiritueller Ebene überwunden.

    Indem Augustinus die Leser zum Gedenken auffordert, wird das literarische Werk selbst zum Medium des Totengedenkens, in das die Leser einbezogen werden. Hiermit ist ein Totengedenken innerhalb der Familie, wie sie die pagane Antike kennt und wie sie Monnica explizit ablehnt, überwunden zugunsten einer Form des Gedenkens, an dem jeder Gläubige teilnehmen soll.

    Hinter dieser Ersetzung von Generationenbeziehungen durch eine religiöse Definition interpersonaler Zusammenhänge steht nicht zuletzt der Autor der Confessiones Augustinus, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung für ein zölibatäres Leben als Priester in der spirituellen Gemeinschaft unter der mater ecclesia entschlossen und somit sich einem Leben im Kreise der Blutsverwandten entzogen hat.

    Der Blick der Renaissance auf die Generationenbeziehungen bei Augustinus

    Zum Abschluss möchte ich noch einen Blick auf die Rezeption der Mütter, Väter und verlorenen Söhne in den Confessiones werfen. Augustinus erfreute sich während des Renaissance-Humanismus einer gesteigerten Aufmerksamkeit, die sich auch den Bekenntnissen und der Familie Augustins zuwandte. Auch Monnica erweckt in dieser Zeit neues Interesse. Man hat dies aus dem konkreten zeitgenössischen Ereignis der Überführung ihrer Gebeine erklärt. Aber die Erklärung ist wohl noch tiefer in dem Denken der Renaissance zu suchen. Kann man den Humanismus zurecht als eine Bildungsbewegung bezeichnen, so schlägt sich dieser Geist auch im Augustinusbild nieder. Der in Rom wirkende, aus Norditalien stammende Humanist Maffeo Vegio hat einen Traktat darüber verfasst, wie eine gute Schulbildung auszusehen hat, und hat dabei Monnica als Beispiel einer optimalen Erzieherin angeführt. Dabei stellt man aber fest, dass Maffeo Vegio die Confessiones mit einer eigenen, zeittypischen Brille liest [9]. Die Renaissance ist geprägt von einem wachsenden Vertrauen auf die menschliche Selbstverwirklichungskraft. Während Augustinus in den Confessiones das Thema Bildung stets problematisiert, indem er die Inhalte klassischer Bildung hinterfragt oder den Erfolg von Erziehung unter den Vorbehalt des Wirkens der göttlichen Gnade stellt, fallen diese Aspekte bei dem italienischen Humanisten kaum noch ins Gewicht. Text 9 – conf. 9,8,18Text 9conf. 9,8,18So bezieht er sich etwa auf die Stelle in den Confessiones, an der Augustinus eine Episode aus den jungen Jahren seiner Mutter erzählt [Text 9]. Diese war von einer Amme nach den besten erzieherischen Maximen erzogen worden. Dennoch schlich sich bei ihr die schlechte Gewohnheit ein, hin und wieder von dem Wein zu kosten, den sie aus dem Vorratsraum holen sollte. Eines Tages wird sie von einer Magd, die sie dabei ertappte, mit der Anrede meribibula – Säuferlein – geneckt. Daraufhin wird sie sich ihrer Verirrung bewusst und lässt vom Weingenuss fortan ab. Was Augustinus mit dieser Erzählung intendiert, ist die Formulierung eines gnadentheologischen Vorbehalts in Hinblick auf die Erziehung. Die Menschen können nach den besten Maximen erziehen, dass die moralische Entwicklung jedoch erfolgreich verläuft, hängt vom Wirken Gottes ab. Dieses kann sich auch durch Ereignisse vollziehen, die nicht in der Intention der Erziehung erfolgt sind, wie Augustinus in dieser Episode darstellt. Für einen solchen Vorbehalt hat der Humanist wenig Sinn und verweist auf diese Stelle ausschließlich mit der die Problematik überblendenden Bemerkung, dass auch die Bediensteten in der Erziehung von Kindern einbezogen werden sollten. Das Verhältnis von Monnica zu ihrem Sohn hat vielfachen Niederschlag auch in der Bildenden Kunst gefunden [10]. Der Renaissance-Maler Benozzo Gozzoli hat für den Chorraum der Kirche San Agostino in San Gimignano einen 17-teiligen Freskenzyklus geschaffen.

    Augustinus wird von Vater und Mutter in die Schule gebrachtBild 1 – Augustinus wird von Vater und Mutter in die Schule gebrachtGelehrsamkeit ist ein zentraler Aspekt auch in diesem Werk. Monnica kommt in diesem Zyklus eine zentrale Stelle zu, denn sie erscheint in 5 der 17 Fresken und auf diesen insgesamt neunmal [11]. Das Bild mit der Schulszene [Bild 1] speist sich zwar grundsätzlich aus der Darstellung der Confessiones. Jedoch wird in der Szene der Übergabe des Jungen an einen Lehrer die in den Confessiones thematisierte Problematik einer Ausrichtung der Bildung nicht mehr erkennbar. Die Differenz zwischen der Motivation des Vaters und der Mutter kommen hier nicht zum Ausdruck.

    Die Bildunterschrift, die wahrscheinlich vom Auftraggeber des Zyklus stammt, gibt bestimmte Deutungen vor [12]. So steht unter diesem Fresko: „Wie der selige Augustinus im Kindheitsalter vom Vater Patricius und von der Mutter Monica einem Grammatiklehrer übergeben wird und in kurzer Zeit über das gewöhnliche Maß voranschreitet.” Diese Angabe gibt zunächst den Inhalt der linken Bildhälfte wieder, und unterstreicht dann für die rechte Bildhälfte das rasche schulische Voranschreiten [13]. Augustinus in der Schule (Detail). Benozzo Gozzoli (1465). Augustinuskirche San Gimignano – Bildquelle: wikimedia commonsBild 2 – Augustinus in der Schule (Detail)Die rechte Seite mit der Züchtigungsszene geht eindeutig auf die Darstellung der Confessiones zurück [Bild 2]. Allerdings weicht das Bild deutlich von der Textbasis ab. Während in den Confessiones es der kleine Augustinus ist, der die Prügel zu seinem Unverständnis erhält und für den die Angst vor den Schlägen in der Schule sogar erste Veranlassung dazu ist, zu Gott zu beten, ist es hier ein anderes Kind, dem gegenüber Augustinus sogar als nachzuahmender Musterschüler dargestellt wird [14]. Reflektiert Augustinus in den Confessiones seinen eigenen Unwillen zu lernen, wird er hier zum Vorbild. Mit einer anderen Szene ebenfalls aus der Schulzeit, an der Augustinus sich selbst auch im Verhältnis zu Mitschülern reflektiert, sind durchaus Überschneidungen festzustellen [15]. Dort schildert er, wie er für eine von ihm als sinnlos dargestellte Übung, in der er eine Rede mit einem Stoff aus der Mythologie bearbeiten musste, mit einem höheren Lob bedacht wurde als andere. Er zeigt hierbei Unverständnis darüber, dass er für seinen Erfolg in Schulstoffen gelobt wurde, die er im Nachhinein nicht mehr billigen kann. Auch eine solche Problematisierung von Bildungsinhalten in den Confessiones wird bei Benozzo Gozzoli ausgeblendet. Der kleine Augustinus erscheint ausschließlich als vorbildhafter Schüler. Wie die Problematik des eingeschränkten Erkenntnishorizonts tritt auch die in den Confessiones durchwegs thematisierte Sündhaftigkeit zugunsten einer Präsentation Augustins als Gelehrter zurück. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass die Lebensdarstellung in diesem Fresko eine gänzlich andere Funktion erfüllt als in den Confessiones. Dient die Lebensbeschreibung in der augustinischen Schrift dazu, die Figur im Lichte der Gnadentheologie auch als fehlerhaft darzustellen, deren Willen sich häufig von Gott und dem im Nachhinein als gut erkannten Ziel abwendet, soll in der Darstellung des Freskenzyklus Augustinus als bewundernswertes und nachzuahmendes Vorbild dargestellt werden.

    Bild 3 – Augustinus und Monnica bei Bischof AmbrosiusBild 3 – Augustinus und Monnica bei AmbrosiusMonnicas Rolle für Augustins Weg wird in mehreren Bildern herausgestrichen, so etwa auch, wenn sie sich bittend an Ambrosius wendet. Hierbei nutzt der Freskenmaler seine Gestaltungsmöglichkeiten, indem er die Bedeutung Monnicas für Augustins Weg durch die räumliche Anordnung hervortreten lässt, etwa wie hier durch die Vereinigung mehrerer Szenen innerhalb eines Bildes [Bild 3]. Während Augustinus links mit Ambrosius diskutiert, bittet Monnica den Bischof im Hintergrund um die geistige Förderung ihres Sohnes. Zugleich hört sie am rechten Bildrand einer Predigt des Bischofs zu. Aber auch die Anordnung verschiedener Bilder kann bedeutungstragend sein [Bild 4, 5 und 6]. So kommt etwa die Bekehrungsszene unmittelbar über der Trennungsszene zu stehen, in der die Fürbitten der Monnica auf der linken Bildhälfte dargestellt sind [16] – mit Sicherheit kein Zufall. Fürbittgebet Monnicas für Augustinus. Benozzo Gozzoli (1465)Bild 4 – Monnica im Gebet für Augustinus Dem Aspekt der persönlichen Entwicklung und Augustins Umwege hin zur Heiligkeit trägt Benozzo Gozzoli dadurch Rechnung, dass Augustinus erst ab der Darstellung der Taufe einen Nimbus erhält – und natürlich auch das Gewand der Augustiner-Eremiten trägt [17].

    Wie Augustinus macht auch Monnica innerhalb des Gozzoli-Zyklus eine Entwicklung durch: Zwar wird sie von Anfang an mit dem Heiligenschein versehen, allerdings trägt sie in dem ersten Bild in Thagaste durchaus mondäne, ja luxuriöse Kleidung. Dies wandelt sich aber, und in den späteren trägt sie das Gewand einer Nonne und in der Sterbeszene ganz konkret das der Augustinerinnen. Auch sie stellt ein Vorbild für den Weg von einer weltlichen hin zu einer christlichen Lebensform dar. Bild 5 – BekehrungsszeneBild 5 – BekehrungsszeneUnd wie wir schon bei der Darstellung der Inhalte eine sehr intensive, wenngleich mit spezifisch humanistischer Brille vollzogene Beschäftigung mit den Confessiones feststellen konnten, so wird doch ebenso deutlich, dass unser Renaissancemaler auch in der Intention, die er mit seinem Augustinuszyklus verfolgte, den Absichten, die Augustinus mit seinen Confessiones hatte, sehr nahe kommt: Nämlich sowohl für männliche als auch für weibliche Betrachter und Betrachterinnen bzw. Leser oder Leserinnen Identifikationspunkte zu schaffen, die sie anstiften sollten, den Weg hin zu Gott zu beschreiten.

    Bild 6 – Blick in den Chor mit dem Freskenzyklus von GozzoliBild 6 – Blick in den Chor mit dem Freskenzyklus von GozzoliVielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

    Anmerkungen:

    [1] Die Gedanken dieses Vortrages gehen im Wesentlichen auf meine Dissertationsschrift Schultheiß 2011 zurück. Konzise, gute Überblicke bieten auch die AL-Artikel „Monnica“, „Pater“, „Patricius“.

    [2] Grundlegend zum Konzept der Gotteskindschaft Lutterbach 2003.

    [3] Zu Augustinus’ Kritik an dem mit der paganen Bildungstradition verbundenen Wertehorizont vgl. Tornau 2002.

    [4] Plotin, Enneade 1,6,8, Übers. aus Christian Tornau, Plotin, Ausgewählte Schriften, herausgegeben, übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2001.

    [5] Vgl. Feichtinger 1995, 13–86.

    [6] Conf. 1,11,17.

    [7] Vgl. Seelbach 2002, 242. Eine kritischere Position gegenüber Augustinus findet sich etwa bei Fuhrer 2004, 169.

    [8] sociavimus eum coaevum nobis in gratia tua, educandum in disciplina tua.

    [9] Ausführlicher hierzu Schultheiß 2010.

    [10] Einen Überblick über die Augustinus-Rezeption in den Bildenden Künsten der Renaissance bietet Gill 2013.

    [11] 1-mal im „Schulfresko“, 2-mal in „Trennung von Monnica“, 2-mal im „Ambrosiusfresko“, 1-mal in der „Taufe des Augustinus, 3-mal in „Tod der Monnica“. Mit höchster Wahrscheinlichkeit erscheint sie ebenfalls in dem heute völlig zerstörten Bild, in dem Augustins heimliche Abreise aus Nordafrika dargestellt war. Hinzu kommt noch eine einzelne Ganzkörperdarstellung unter anderen Heiligbildern auf der Laibung.

    [12] Vgl. Gill 2005, 84–86.

    [13] Nicht nachzuvollziehen ist die Aussage bei Strauss 2002, 60–61, wonach die Bildunterschrift ausschließlich den Inhalt der linken Bildhälfte wiedergebe.

    [14] Conf. 1,9,14–15.

    [15] Conf. 1,17,27.

    [16] Vgl. Strauss 2002, 54–55.

    [17] Vgl. Strauss 2002, 45.

     

    Bibliographie

    Bruning, B., s.v. Pater, in: AL 4 3/4, Basel 2014, 510–515.

    Feichtinger, Barbara, Apostolae apostolorum. Frauenaskese als Befreiung und Zwang bei Hieronymus, Frankfurt a. M. u.a. 1995.

    Fuhrer, Therese, Augustinus, Darmstadt 2004.

    Gill, Meredith J., Augustine in the Italian Renaissance. Art and Philosophy from Petrarch to Michelangelo, Cambridge 2005.

    Gill, Meredith J., s.v. Visual Arts. II: 1200–1600, in: Pollmann, Karla / Otten, Willemien (edd.), The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine, Vol. 3, Oxford 2013, 1871–1873.

    Lutterbach, Hubertus, Gotteskindschaft. Kultur- und Sozialgeschichte eines christlichen Ideals, Freiburg / Basel / Wien 2003.

    O’Donnell, J.J., s.v. Patricius, in: AL 4 3/4, Basel 2014, 530–532.

    Schultheiß, Jochen, Augustinusrezeption und humanistische Pädagogik: Maffeo Vegio, De educatione liberorum, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, N.F. 34, 2010, 151-173.

    Schultheiß, Jochen, Generationenbeziehungen in den Confessiones des Augustinus. Theologie und literarische Form in der Spätantike, Stuttgart 2011.

    Seelbach, Larissa Carina, “Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen...”. Die Frau und ihre Gottebenbildlichkeit bei Augustin, Würzburg 2002.

    Strauss, Matthias, Die Augustinusvita von Benozzo Gozzoli aus der Kirche S. Agostino in San Gimignano, Augustiniana 52, 2002, 5–171.

    Tornau, Christian, Augustinus und das »hidden curriculum«, Hermes 130, 2002, 316–337.

  • Grußwort des Kuratoriumsvorsitzenden

    Von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann

    Sehr geehrter, lieber Herr Vereinsvorsitzender Oliver Jörg,
    sehr geehrte Mitglieder des Vereinsvorstandes,
    verehrte Kollegen im Kuratorium, von denen ich namentlich Herrn Augustiner-Provinzial Pater Alfons Tony sowie den ZAF-Gründer Herrn Professor Pater Cornelius Petrus Mayer hervorheben möchte,
    liebe Mitglieder und Gäste unserer Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung,

    der Geschäftsführer unseres Vereins, Prof. Christof Müller, hat mir im Vorfeld unserer Jahresversammlung vorgeschlagen, als Vorsitzender des Vereinskuratoriums ein kurzes Grußwort an Sie zu richten. Diesem Vorschlag habe ich gerne zugestimmt, da ich der Würzburger Augustinus-Forschung, dem Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg sowie der Fördergesellschaft schon seit Jahren, ja fast schon Jahrzehnten, anerkennend und wohlwollend verbunden bin.

    Noch lebhaft erinnere ich mich an unsere gemeinsam geplanten und gemeinsam verbrachten Tage in Rom im September des Jahres 2012, als die Diözese Würzburg unserem damaligen Papst Benedikt XVI. Glückwünsche zum 80. Geburtstag überbrachte. Als Geschenk präsentierten wir dem Hl. Vater eine Aufführung der Kirchenoper „Augustinus“ in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo. Bei dieser festlichen Gelegenheit empfing Benedikt neben wichtigen Repräsentanten der Diözese auch die Teilnehmer des vom Zentrum für Augustinus-Forschung zeitgleich im Vatikan veranstalteten internationalen Symposions „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei“. Wie uns das Programm unserer heutigen Versammlung verrät, wird der Tagungsband zu diesem Symposion nachher offiziell vorgestellt und dediziert werden – wir dürfen gespannt sein.

    Doch nicht nur in solchen guten und festlichen Zeiten, sondern auch in schwereren Tagen sowie in den Niederungen des wissenschaftlichen Alltags durfte ich – persönlich wie auch als Bischof unseres Bistums – mit der Würzburger Augustinus-Forschung kooperieren und ihr mit ideeller und finanzieller Förderung zur Seite stehen. Dies habe ich gerne und mit Überzeugung getan, weil ich der festen Ansicht bin, dass der Nordafrikaner Augustinus von Hippo nicht nur für die Geistes- und Kulturgeschichte der Menschheit Wesentliches bewirkt und beigesteuert hat, sondern uns bis auf den heutigen Tag Impulse zu geben vermag: für die Philosophie, für die Theologie, für unsere Vorstellungen vom Menschen, vom Leben und vom Zusammenleben und nicht zuletzt für unsere Spiritualität.

    Von daher würde ich mich sehr darüber freuen, wenn mein Nachfolger im Amt des Bischofs von Würzburg an der bewährten und fruchtbaren Kooperation mit dem Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg und mit der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung festhielte.

    In diesem Sinne wünsche ich unserer heutigen Zusammenkunft viel Erfolg und ihren Teilnehmern viel Freude und Gewinn sowie uns allen Gottes reichen Segen.

  • Präsentation des Bandes „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei

    Von Professor Dr. Christof Müller

    Hochverehrte Damen und Herren, liebe Festversammlung,

    die letzten Töne von Debussy in der Interpretation unserer begnadeten Künstlerin Frau Gutman sind gerade verklungen, ebenso wie Ihr völlig zu Recht reichlich gespendeter Applaus. „L’isle joyeuse“, so lautete der Titel dieses wunderschönen Stückes, „Insel der Seligen“. Wenn ich das ZAF auch nicht unmittelbar mit der „Insel der Seligen“ identifizieren möchte, so gibt es dort im „Meer“ des Arbeitsalltages doch immer wieder einmal eine kleine „Glücksinsel“: eine gelungene Veranstaltung, ein fruchtbarer Austausch oder eine zur Vollendung und ans Licht der Öffentlichkeit gelangte Publikation. Auf eine solche kleine Glücksinsel darf ich Sie, liebe Mitglieder und Gäste unserer Förder-Gesellschaft, nunmehr einladen und mitnehmen. Oder etwas prosaischer formuliert: Ich darf Ihnen, wenn auch mit einer gewissen Verspätung, so aber doch mit Stolz, die jüngste Veröffentlichung des ZAF aus der Buchreihe „Cassiciacum. Res et Signa“ präsentieren: den opulenten Tagungsband „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei“.

    Diese Anfang des Jahres auf den Buchmarkt gekommene und knapp 600 Seiten umfassende Publikation ist die späte, aber desto prallere und reifere Frucht desjenigen Augustinus-Studientages, den unser Bischof Friedhelm in seinem Grußwort erwähnt hat: des internationalen Symposions „Kampf oder Dialog“, das uns gemeinsam mit Vertretern der Diözese Würzburg im Jahr 2012 nach Rom, in den Vatikan und schließlich sogar nach Castel Gandolfo führte. Als Schirmherr dieses 10. und somit Jubiläums-Studientages hat unser Herr Bischof dem daraus erwachsenen Sammelband nicht nur seinen Segen, sondern sogar ein veritables Vorwort verliehen. Aus diesem Vorwort darf ich, lieber Herr Bischof, mit Ihrer Erlaubnis die letzten Passagen zitieren und von meiner Seite aus nachdrücklich unterstreichen und unterschreiben: „Es erfüllt mich mit Genugtuung und Freude, dass die Vorträge des Römischen Symposions nunmehr in Form eines Tagungsbandes veröffentlicht und damit einem größeren Publikum zur Verfügung gestellt werden. Ich wünsche dem voluminösen Band, der zu Recht seinen Platz in Cassiciacum, der renommierten Schriftenreihe der Deutschen Augustiner, gefunden hat, eine weltweite Verbreitung und Rezeption. In seiner Internationalität und in seiner Interdisziplinarität ist der Tagungsband – wie die zugrundeliegende Tagung selbst – ein Beispiel dafür, dass und wie ‹Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei› nach wie vor zu gelingen und Früchte zu zeitigen vermag“.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, einige von Ihnen waren 2012 mit dem ZAF nach Rom gereist und hatten einen Gutteil der dort gehaltenen Vorträge angehört, doch den meisten Mitgliedern unseres Vereins dürften die Thematik des Symposions und der darauf fußende Inhalt des Tagungsbandes nicht mehr oder noch nicht gegenwärtig sein – von daher einige wenige Sätze zur Charakterisierung. Begegnung von Kulturen, Kulturkampf, Kulturkritik, aber auch kultureller Dialog und Kulturenverschmelzung prägen entscheidend den thematischen Vordergrund wie auch den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund von Augustins monumentaler Schrift De ciuitate dei. Dieser Befund gilt vor allem in Bezug auf das Verhältnis von paganer und biblisch-christlicher Religion und Tradition, aber ebenso im Blick auf die generelle Kulturen- und Religionengemengelage im Mittelmeerraum inklusive der Völkerwanderung und im Blick auf unterschiedliche kirchliche und theologische Binnenkulturen. Dazu kommt die Tatsache, dass die Thematik um kulturelle Begegnung, Kulturkampf und Kulturendialog gegenwärtig in vielen geisteswissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen präsent ist und dringend einer ergänzenden Fundierung von Seiten der Spätantike bedarf – und dabei nicht zuletzt von deren zentraler Gestalt Augustinus und seinem Werk De ciuitate dei her.

    Um auf dieses Forschungsdesiderat zu reagieren, entwickelte das ZAF ab dem Jahr 2010 den Plan, ein internationales und interdisziplinäres Symposion zur Frage ‹Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei› auf den Weg zu bringen. Nun liegen die Vorträge des Symposions – von den rund 25 Autorinnen und Autoren zum Teil gründlich überarbeitet und erheblich erweitert – in Form eines stattlichen Tagungsbandes vor. Wie schon in ihrer mündlichen Fassung, so präsentieren sich die Beiträge auch in ihrer schriftlichen Version in unterschiedlichen Sprachen, genauerhin in Deutsch, Englisch oder Italienisch, und spiegeln damit im Fragment die Internationalität des Symposions wie auch der Augustinus-Forschung insgesamt wider. Neben der Internationalität ist zudem die Interdisziplinarität (Geschichtswissenschaft, Altphilologie, Philosophie, Theologie, Pädagogik, Literaturwissenschaft) für die Tagung und den Tagungsband kennzeichnend: Denn nur im Dialog unterschiedlicher Kulturen – hier konkret unterschiedlicher Sprachkulturen und Wissenschaftskulturen – lässt sich der Kosmos des augustinischen Denkens und der augustinischen Wirkungsgeschichte annähernd adäquat erschließen.

    Für die Weite und Tiefe des hier abgeschrittenen Feldes ist vor allem den Autorinnen und Autoren des Tagungsbandes zu danken, zu denen übrigens auch der Bamberger Erzbischof Dr. Anton Ludwig Schick gehört, und zwar mit einem „Gastbeitrag“, den er anlässlich der Vollversammlung unseres Vereins im Jahr 2010 als vielbeachtetes Festreferat vorgetragen hatte. Neben diesem hochkarätigen Ensemble von Augustinus-Forschenden möchte ich als der Herausgeber des Buches zusätzlich folgenden Personen exemplarisch Dank sagen: den Mitherausgebern und Augustiner-Patres Prof. Robert Dodaro, Rom, und Prof. Allan Fitzgerald, Villanova (USA), meinen Kollegen an der Universität Würzburg und im ZAF sowie den Entscheidungsträgern der Manfred Wierichs Stiftung, durch deren Förderung ein Großteil der Druckkosten abgedeckt werden konnte.

    Nun ist es schon von altersher außerhalb wie innerhalb der Mauern des ZAF ein schöner und sinnvoller Brauch, dass gewichtige Publikationen ebenso gewichtigen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte gewidmet werden. Die Crux dabei ist: Im Umfeld des ZAF und unserer Förder-Gesellschaft tummeln sich jede Menge „gewichtiger Persönlichkeiten“, die sich Verdienste um die Würzburger Augustinus-Forschung erworben haben. So mancher dieser Mäzene wurde bereits Empfänger einer solchen Widmung, so mancher bzw. so manche hätten sie schon längst verdient. Die meisten von ihnen muss ich noch um ein wenig Geduld bitten – alle Jahre wieder publiziert das ZAF einen weiteren Tagungsband, der einen weiteren Adressaten sucht. Für einen hingegen hat das geduldige Warten hier und heute ein Ende. Der diesjährige Gewinner des „ZAF-Award“, der diesjährige gewichtige Empfänger unseres gewichtigen Tagungsbandes „Kampf oder Dialog“, ist sowohl ein Meister des „Kampfes“ – speziell des Kampfes für das ZAF – wie auch ein Meister des „Dialogs“ – nicht zuletzt zugunsten des ZAF. Es handelt sich – Sie werden es vielleicht schon erahnen – um den „großen Brückenbauer“, also gleichsam unseren lokalen „pontifex maximus“, Dr. Adolf Bauer.

    Lieber Adolf, eine hochkarätige Jury des ZAF und der Universität hat dich auserkoren, nach dem Ehrenring der Stadt Würzburg nun gleichsam auch den „wissenschaftlichen Ehrenring“ der Würzburger Augustinus-Forschung zu erhalten, und zwar mit folgender Formulierung gleich auf einer der ersten Seiten unserer Publikation: „Bürgermeister Dr. Adolf Bauer gewidmet, dem Augustiner-Schüler und Ehrenmitglied des Augustiner-Ordens, dem Mitbegründer und Vorsitzenden des Zentrums für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg e.V. sowie stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V., anlässlich seines 70. Geburtstages und zum Dank für sein jahrzehntelanges, unermüdliches und überaus erfolg- und ertragreiches Engagement zugunsten der Würzburger Augustinus-Forschung“.

    Lieber Adolf, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für deinen Einsatz! Meine Kollegen Förster und Grote werden dir nun ein Sonderexemplar unseres Tagungsbandes überreichen. Alle anderen Anwesenden, die sich für diese Publikation interessieren, können den Band über den Buchhandel bestellen; ein Ansichtsexemplar sowie Bestellprospekte liegen auf unseren Büchertischen auf.

  • Würzburger Augustinus-Forschung blüht

    Beeindruckendes Programm bei der Jahrestagung der Fördergesellschaft

    Prominente Akteure bei der Jahresversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung (v.l.n.r.): Augustinerprovinzial Alfons Tony, Prof. Dr. Cornelius P. Mayer, AL-Redaktor Dr. Andreas Grote, Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, Prof. Dr. Christof Müller, Oliver Jörg MdL, Dr. Adolf Bauer
    Prominente Akteure bei der Jahresversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung (v.l.n.r.): Augustinerprovinzial Alfons Tony, Prof. Dr. Cornelius P. Mayer, AL-Redaktor Dr. Andreas Grote, Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, Prof. Dr. Christof Müller, Oliver Jörg MdL, Dr. Adolf Bauer. – Foto: Anna Schwetz (ZAF)
    Schon seit Jahrzehnten ist Würzburg ein Zentrum der internationalen Augustinus-Forschung, das sich über das Augustinus-Lexikon und etliche weitere wissenschaftliche Projekte weltweit einen Namen gemacht hat. Das vom Augustinerpater Prof. Dr. Cornelius P. Mayer gegründete und mittlerweile von Prof. Dr. Christof Müller geleitete Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg (ZAF) kann sich bei seinen Arbeiten auf etliche finanzielle Förderer stützen, z.B. die Deutsche Augustiner-Ordensprovinz, die Diözese Würzburg, die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, die Universität Würzburg und - nicht zuletzt - die Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V. Für Freitag, den 8. Juli, hatte deren Vorsitzender Oliver Jörg MdL zur Jahresversammlung 2016 mit einem beeindruckenden und anspruchsvollen Programm in das Würzburger Burkardushaus eingeladen. Vor der Eröffnung und der Begrüßung der illustren Gäste spielte die renommierte Pianistin Monica Gutman, Dozentin an der Musikhochschule Frankfurt a.M., ein Impromptu von Schubert und stellte darüber hinaus im Laufe des Nachmittags und Abends ihre Virtuosität mit weiteren Stücken (u.a. von Debussy und Chopin) unter Beweis. Nach einem Grußwort durch Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, Kuratoriumsspitze des Vereins, führte der Vorsitzende durch die Regularien, zu denen auch ein ausführlicher Bericht von Professor Müller über die blühenden Aktivitäten und Planungen des ZAF gehörte. Im Anschluss ehrten das ZAF und sein Förderverein Bürgermeister Dr. Adolf Bauer für seinen unermüdlichen Einsatz zugunsten der Würzburger Augustinus-Forschung mit der Dedizierung des wissenschaftlichen Tagungsbandes „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei“. Diese opulente Publikation geht zurück auf das gleichnamige internationale Symposion, das Wissenschaftler(innen) aus aller Welt im Herbst 2012 nach Rom, in den Vatikan und zur Privataudienz bei Benedikt XVI. nach Castel Gandolfo geführt hatte.

    Nach einer kleinen Kaffeepause schloss sich der Jahresversammlung ein öffentlicher Vortrag des Würzburger Privatdozenten Dr. Jochen Schultheiß an, der sich unter dem Titel „Mütter, Väter und verlorene Söhne“ in Wort und Bild mit „Generationenbeziehungen in den Bekenntnissen des Augustinus von Hippo“ beschäftigte. Die Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung beschloss ihre Veranstaltung mit einem reichhaltigen Empfang in Foyer und Vorhof des Burkardushauses, wo noch bis spät in den Abend hinein über die Vergangenheit und die Gegenwart, aber auch über die Zukunft der Würzburger Augustinus-Forschung diskutiert oder geplaudert wurde.

    Prof. Dr. Christof Müller

     

     

     

  • JVV 2016 Einladung FrontcoverDie GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DER AUGUSTINUS-FORSCHUNG E.V.

     

    veranstaltet am Freitag, dem 8. Juli 2016, ihre Jahresvollversammlung.

     

    Aus diesem Anlass lädt sie zu einer Akademischen Feier mit öffentlichem Vortrag
    und anschließendem Empfang ein.

     

    Ort:
    St. Burkardushaus
    Am Bruderhof 1, 97070 Würzburg
    [Anfahrt und Parkmöglichkeiten]

     

    P R O G R A M M

     

    Mitgliederversammlung


    Beginn: 17.30 Uhr

     

    Franz Schubert (1797–1828) – Impromptu Op. 90 Nr. 3


    Begrüßung


    Oliver Jörg, MdL, Vorsitzender

     

    Grußwort


    Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, Vorsitzender des Kuratoriums


    Regularien

     

    1. Eröffnung durch den Vorsitzenden


    2. Gedenken der verstorbenen Mitglieder


    3. Genehmigung der Tagesordnung


    4. Genehmigung des Protokolls


    5. Bericht über die wissenschaftlichen Aktivitäten des Zentrums für Augustinus-Forschung


    6. Bericht des Schatzmeisters


    7. Bericht der Rechnungsprüfer


    8. Entlastung des Vorstandes


    9. Neuaufnahmen


    10. Verschiedenes


    Claude Debussy (1862–1918) – L’isle joyeuse


    Buchpräsentation


    Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins De ciuitate dei

     

    Erwin Schulhoff (1894–1942) aus 5 Études de Jazz
    1) Chanson 2) Tango
    3) Toccata sur le Shimmy «Kitten on the Keys» 

     

     

    Öffentlicher Vortrag

     

    Beginn: 19.30 Uhr

     

    Frédéric Chopin (1810–1849) – Nocturne 9 Nr. 1

     

    MÜTTER, VÄTER UND VERLORENE SÖHNE
    Generationenbeziehungen in den Bekenntnissen des Augustinus von Hippo


    PD Dr. Jochen Schultheiß, Würzburg

     

    Anschließend Empfang

     

    Musikalische Gestaltung

    Monica Gutman, Pianistin

    Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main