ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

9. AUGUSTINUS-STUDIENTAG 2011

«redi ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas»
(Augustinus, Sermo 177,9)

Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik

Donnerstag/Freitag, 16./17. Juni 2011
Würzburg, Toscanasaal der Residenz / Burkardushaus

  • Gott hören im schweigenden Anspruch der Dinge

    Was bedeutet Ästhetik? Der neunte Würzburger Augustinus-Studientag befasst sich mit dem Schönen in Theologie, Philosophie und Musik. Ein Bericht der katholischen Zeitung „Die Tagespost" in der Ausgabe vom 25. Juni 2011. Von Regina Einig

    Würzburg (DT) Hochkarätige Referenten haben beim zweitägigen Studientag des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung (ZAF) in der Woche nach Pfingsten ein facettenreiches Bild der Bedeutung der Ästhetik bei Augustinus von Hippo (354–430) vermittelt. Die Frage nach dem Schönen in Theologie, Philosophie und Musik bot reichlich Raum für interdisziplinäre Ansätze. Ein ausgewogenes Verhältnis von geistesgeschichtlich gewichtigen Beiträgen und der Präsentation aktueller Forschungsergebnisse erlaubte es, einen weiten Bogen zu spannen – vom Neuplatonismus über musikalische Hörbeispiele bis zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters.

    Professor Cornelius Petrus Mayer OSA, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Augustinusforschung und Herausgeber des Augustinus-Lexikons, wies einführend auf das rationale Prinzip in Augustins Ästhetik hin (siehe » Einführungsreferat im Wortlaut). Die bruchstückhaft erhaltenen Quellen lassen keinen Zweifel zu: Nach Auffassung des Bischofs von Hippo gefällt das Schöne, weil „Schönsein einsichtig ist", so Mayer. Neuplatonisches Gedankengut prägte den Philosophen Augustinus: Es spiegelt sich zum einen in seiner Vorstellung eines Aufstiegs über eine hierarchisch gestuft gedachte Ordnung alles Seienden zu dessen Quelle und zum anderen in der Unterscheidung alles Seienden zwischen einem materiellen „Außen" und einem geistigen „Innen". Der Weg des Menschen führt in dieser Ordnung vom Körperlichen zum Unkörperlichen. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der augustinische Imperativ, der Mensch solle sich nicht äußerlichen Dingen zuwenden, sondern in sich selbst zurückkehren, denn im Inneren des Menschen wohnen Wahrheit und Schönheit. Beide identifiziert der Kirchenlehrer mit dem dreifaltigen Gott.
    Woran auch moderne Künstler glauben

    Wie eng die Gottesfrage bei Augustin mit der Wahrnehmung des Schönen verwoben ist, erläuterte der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann am Beispiel des berühmten Zitates aus den „Bekenntnissen": „Spät habe ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und neu (...). Und sieh, Du warst innen, ich aber außen. Dort suchte ich nach Dir, und auf die schönen Gestalten, die Du schufst, warf ich mich Missgestalt." Über die erfahrbare sichtbare Schönheit gelte es, die unsichtbare Schönheit Gottes zu suchen, unterstrich Bischof Hofmann, der den Gedanken des Kirchenlehrers über die Schönheit vor allem mit Blick auf die Liturgie besondere Aktualität beimaß. Die Schönheit des Alls sei darin begründet, dass alles Geschaffene „letztlich von Gott her und auf Gott hin ausgerichtet sei". Von dem Gedanken Augustins, dass der Mensch in den verschiedenen Künsten Teilaspekten des Schönen begegnen könne, zog Hofmann mit Blick auf die Kunst die Linien aus. Auch wenn sich der Glaube an den Urheber aller Gesetzmäßigkeiten in der Kunst der Gegenwart nicht mehr in nach Zahl und Maß geordneten Bauten sinnenfällig ausdrückt, ist doch der Gedanke an den überzeitlichen Geist hinter dem sichtbaren Kunstwerk für moderne Künstler nicht obsolet geworden. Wenn es um die Bedeutung des Schönen in der zeitgenössischen Kunst geht, so Bischof Hofmann, „wird aus dem diese Geschöpflichkeit übersteigenden kreativen Schaffen die Frage nach dem Transzendenten, nach dem ,Mehr' eines Kunstwerkes, unausweichlich".

    Folgerichtig verwies Johann Kreuzer (Oldenburg) auf das Augustinuswort von der „Beredsamkeit der Dinge". Wahrheit verschafft sich in der Stille Gehör. Schönheit wahrnehmen bedeute, des „stillschweigenden Anspruchs" der Dinge inne zu werden, stellte Kreuzer in seinem Beitrag über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus fest. Mehrere Gesichtspunkte hob er als bedeutsam für die Bestimmung des Schönen bei Augustinus hervor: Zunächst das Bewusstsein der eigenen beziehungsweise der geschöpflichen Endlichkeit, ferner der Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Schönen als ästhetischer Erfahrung, der Evidenz intelligiblen Sinns und dem Vermögen der Erinnerung. „An dem, was schön heißt, begreifen wir, was Erinnern bedeutet. Was schön heißt, lässt erinnernd bewusst werden, was bedeutungsgebend ist", so Kreuzer. Augustinus habe die Erinnerung als „Kraft des Lebens im sterblich lebenden Menschen" betrachtet.

    An dritter Stelle sind Augenblicke ästhetischer Erfahrung zu nennen. Sie haben bei Augustinus nicht nur bewusstseinstheoretische, sondern auch zeitliche Konnotationen. Den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis dieser Erfahrung des Bischofs von Hippo benannte Kreuzer schließlich als „Finden Gottes im Anblick" des geschöpflich Vorübergehenden. Für Augustinus laute die Antwort auf die Frage, was er als einzige Gewissheit liebe – Schönheit. Und das ist Gott. Die Erkenntnis des Höchsten wird in diesem Zusammenhang zum dynamischen Vorgang. Der Glanz göttlicher Sinnevidenz, so Kreuzer, sei kein „einmaliger Blitzschlag", sondern ein Geschehen, das „als Energie die Zeit endlicher Wesen gleichsam durchpulst". Der um seine irdische Begrenztheit wissende Augustinus fasste dieses Phänomen in den Begriff der „liebenden und wiederbegehrenden Erinnerung". Das Schöne mache sinnfällig, was dem Denken als Transzendenz gelte, so Kreuzer.

    Dass sich dieses Denken in der antiken Philosophie nicht verschließt, sondern kreativ entfaltet, veranschaulichte Werner Beierwaltes in seinen Ausführungen über Plotins (205–270) Theorie des Schönen. Kosmische Schönheit, als sinnliche Erscheinung Spur der geistigen Schönheit, könne für den Menschen zum Anfang einer „denkenden Rückkehr" in ihren eigenen Grund werden. Das Ziel dieser Rückkehr verlangt Selbstbeschränkung und Konzentration auf das Eine. Abwendung von der Vielgeschäftigkeit und Zerstreuung um größerer Gelassenheit willen ist die Konsequenz. Plotin sieht die Lebensaufgabe des Menschen darum in einer Umformung seiner selbst: im Schönen und Einen zu sein.

    Die Synthese von Schönheit und Einheit prägt auch das ästhetische Empfinden Augustins. Ausgehend von der Musikschrift „De musica" erläuterte Silke Wolf (Oldenburg), wie der Kirchenlehrer Musik definierte: als Wissenschaft der guten Modulation. Gelingt das Zusammenspiel von Bewegung und Maß bei der freien musikalischen Modulation, entsteht Augustinus zufolge eine Einheit, die als schön empfunden wird – wobei die „zahlhafte Gleichheit" das Kriterium für ästhetische Urteile schlechthin ist. Der sinnliche Schalleindruck fordert der aufmerksamen Seele Tätigkeit ab: Der Hörende wird produktiv und bildet sich aktiv den Rhythmus des wahrgenommenen Signals ein. „Der Wahrnehmende", unterstrich Wulf, „ist also nach Augustins Vorstellung nicht passiv oder reproduktiv tätig. Er fügt dem ihm Entgegenkommenden etwas ganz eigenes hinzu." Musikalität hängt demnach davon ab, in welchem Grad die Kunst der kreativen Wahrnehmung und der freien Bewegung der Seele beherrscht wird.

    Wie geistesverwandt der Bischof von Hippo einem antiken Denker wie Boethius (um 480–524) war, führte Anja Heilmann (Jena) aus: Wie Augustinus habe auch Boethius in der neuplatonischen Tradition Zahlen als quantitative Chiffre für die Schöpfung betrachtet. Die Zahl, so Heilmann, sei somit „ein Widerschein der göttlichen Schöpfung und der Schöpfungsordnung".

    Musikalische Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters führten Sänger und Instrumentalisten des „Ensembles für frühmittelalterliche Musik" auf. Gabriele Ziegler (Münsterschwarzach) zeigte die Abbildung einer mittelalterlichen Handschrift, die den Anfang der „Bekenntnisse" des heiligen Augustinus und mittelalterliche Dirigierzeichen zeigte. Neben der von Ziegler rekonstruierten zugehörigen Antiphon veranschaulichte das Ensemble grundlegende Aussagen Augustins zur Symbolik der Notenabstände und der Zahlen: beispielsweise die Vier als Sinnbild für das Kreuz und die Kardinaltugenden Klugheit, Tapferkeit, Maßhalten und Gerechtigkeit.

    Die Suche nach dem Schönen und Wahren hat Augustinus als lebenslangen Prozess verstanden. Die Diskussionen des Studientages verorteten ästhetische Erfahrungen bei Augustin konkret in der Musik und in der Dichtkunst. Zu berücksichtigen ist hier, dass der Kirchenlehrer schon Sprache als Musik betrachtete und sich vom Sprachgebrauch der Grammatiker seiner Zeit teilweise abgrenzte. Die „Bekenntnisse" selbst seien, wie ein Diskussionteilnehmer einwarf, in ihrem Aufbau ein Nachweis der Schönheit. Mit Blick auf das beim Studientag mehrfach thematisierte philosophische Motiv des Einen wurde auch die Caritas erwähnt – als eine für augustinische Schriften charakteristische Ergänzung.
    Aktueller Band des Lexikons dem Papst überreicht

    Grüße von Papst Benedikt XVI. übermittelte Professor Mayer OSA den Teilnehmern des Studientags. Am Donnerstag nach Pfingsten hatte er Papst Benedikt XVI. im Rahmen einer Privataudienz den soeben im Basler Schwabe Verlag erschienenen dritten Band des Augustinus-Lexikons überreicht. Dieser war erst kürzlich in einer Feierstunde im Würzburger Museum am Dom der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Unter den Gastgeschenken für den Papst befand sich auch das „Corpus Augustinianum Gissense", die elektronische Edition der Werke des Augustinus von Hippo.

    Benedikt XVI. dankte Mayer für seinen Beitrag zur weltweiten Augustinus-Forschung. Vom Würzburger Bürgermeister Adolf Bauer, Vorsitzender des ZAF e.V. und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, erhielt der Papst die Pfingstausgabe dieser Zeitung, in der ein Interview mit Mayer zum Thema „Was Augustinus über Pfingsten lehrt" und ein weiterer Beitrag über die vor sechzig Jahren ausgezeichnete Promotion Joseph Ratzingers veröffentlicht worden war. Der junge Joseph Ratzinger hatte im Frühjahr 1951 bei Professor Gottlieb Söhngen in München mit einer Arbeit über das Kirchenverständnis Augustins mit summa cum laude promoviert. Überrascht nahm Papst Benedikt XVI. zur Kenntnis, dass jeden Tag mehr als tausend Besucher im Internet die Seite www.augustinus.de anklicken. Die hohe Nachfrage nach online-Informationen des Portals bestätigt neben der wissenschaftlich fundierten Arbeit am Augustinus-Lexikon, dass Würzburg ein Mekka der Augustinus-Forschung geworden ist. Ein weiteres internationales Forum bietet sich dem ZAF im Herbst 2012 in Rom, wenn Augustinisten aus aller Welt zum Symposion über „De civitate Dei" erwartet werden.

    © ‹Die Tagespost - Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur› vom 25.06.2011, Seite 5

    Wir danken dem Verlag J.W. Naumann für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung in unserem Webportal.

  • P R O G R A M M

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    Donnerstag, 16. Juni 2011
    Toscana-Saal der Würzburger Residenz (Residenzplatz 2A, 97070 Würzburg)

    19.30 Uhr | Eröffnung
    Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel, MdL, München
    Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V.

    19.45 Uhr | Universale Schönheit in der Kunst bei Augustinus
    Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, Würzburg

    Musikalische Gestaltung: Rabea Buchberger (Harfe)

    Ca. 21 Uhr Empfang in den Residenzgaststätten
    Freitag, 17. Juni 2011
    Burkardushaus (Am Bruderhof 1, 97070 Würzburg)

    9.00 Uhr | Einführung in das Rahmenthema
    Cornelius Petrus Mayer OSA

    Moderation: Christof Müller

    9.15 Uhr | Plotins Theorie des Schönen und der Kunst
    Werner Beierwaltes, Würzburg

    10.30 Uhr | Kaffeepause

    11.00 Uhr | ‹Pulchritudo› – Über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus
    Johann Kreuzer, Oldenburg

    12.15 Uhr | Mittagspause

    14.15 Uhr | Gestaltung der ‹aequalitas numerosa› – Augustinus Über die Musik
    Silke Wulf, Oldenburg

    15.30 Uhr | «Amica est ... similitudo» (Boeth. mus. 1,1). Musiktheorie und musikalische Ästhetik bei Boethius
    Anja Heilmann, Jena

    17.00 Uhr | Musikalische Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters
    Ensemble für frühmittelalterliche Musik:
    Franziska Frisch, Andrea Langenbacher: Gesang; Friederike Baumgärtel, Patrick Tröster: Mittelalterliche Instrumente
    Konzept: Gabriele Ziegler, Münsterschwarzach

    Anschließend Empfang im Kreuzgang Burkardushaus/Dom

    Das Zentrum für Augustinus-Forschung e.V. und die kooperierenden Institute laden Sie zu diesem Studientag sowie zu dem anschließend stattfindenden Empfang herzlich ein.

    Prof. Dr. Dr. h.c. Cornelius Petrus Mayer OSA
    PD DDr. Christof Müller
    Wissenschaftliche Leitung des ZAF

    Prof. Dr. Karl Mertens
    Vorsitzender des Lenkungsausschusses

    Dr. Dr. h.c. Adolf Bauer, Bürgermeister
    Vorsitzender des ZAF e.V.

    Ihre Anmeldung erbitten wir per Online-Formular bzw. an das

    Zentrum für Augustinus-Forschung e.V. (ZAF)
    an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
    Dominikanerplatz 4
    97070 Würzburg

    Tel.: 0931/3097-300
    Fax: 0931/3097-301

    E-Mail: cmayeraugustinus.de

  • Einführung in das Rahmenthema

    Von Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer

    Augustinus war nicht nur Theologe, Philosoph, Psychologe, Pädagoge – dies sind Berufsfelder, die man mit seinem Namen gerne verbindet –, er war auch Künstler. Das lateinische Wort ‹ars› bezeichnet für Kunst wie das griechische téchne nicht nur handwerkliches Können, sondern auch die schönen Künste, die bildenden Künste, die Wissenschaften. Augustin studierte bekanntlich Rhetorik, die Kunst der Rede, und nach seiner Ausbildung lehrte er an Hochschulen den kunstvollen Umgang mit der Sprache, ehe er in seinem dreißigsten Lebensjahr als Rhetor an den Kaiserhof nach Mailand berufen wurde.

    In der Zeit, die er noch als Privatdozent in Karthago verbracht hatte, musste er sich aufs Intensivste auch mit der Ästhetik ganz allgemein beschäftigt haben. Seinen Bekenntnissen zufolge stellte er sich damals Fragen wie, ob wir ‹sonst etwas liebten als das Schöne› oder ‹was überhaupt schön und was Schönheit sei› (4,20). Solche Problemstellungen motivierten ihn zur Abfassung eines Werkes – seines ersten überhaupt – dem er den Titel gab: De pulchro et apto – Über das Schöne und das Angemessene. Ob es zwei oder drei Bücher waren, wusste er zur Zeit, als er die Confessiones schrieb, nicht mehr, denn sie gingen verloren. Offensichtlich war ihm das Thema Ästhetik so wichtig, dass er noch in Mailand den Plan zu einer viele Bände umfassenden Enzyklopädie Über die sieben freien Künste fasste. Sich dieser Künste bedienend sollte der Leser befähigt werden, ‹vom Körperlichen zum Unkörperlichen wie auf gesicherten Stufen aufzusteigen› (retr. 1,6). Der Neubekehrte machte sich zwar mit Eifer daran, doch die Enzyklopädie blieb ein Torso. Außer den sechs Büchern Über die Musik sind nur noch Bruchstücke vorhanden. Sie lassen allerdings bereits die Prinzipien einer Ästhetik erkennen, deren rationaler Charakter nicht zu übersehen ist. In summa: Das Schöne gefällt deshalb, weil sein Schönsein einsichtig ist.

    Diesen rationalen Charakter seiner Ästhetik verdankte Augustinus zweifelsohne weithin den Neuplatonikern. Mit deren Philosophie kam er noch vor seiner Bekehrung in Berührung, und zu ihr bekannte er sich von Ausnahmen abgesehen Zeit seines Lebens. Einer der Kerngedanken jener Philosophie war die erwähnte Lehre vom ‹Aufstieg› über eine hierarchisch gestuft gedachte Ordnung alles Seienden zu deren Quelle. Ebenso übernahm Augustin von den Neuplatonikern die Unterscheidung und Scheidung alles Seienden zwischen einem Bereich des ‹Draußen› für alles Materielle und einem Bereich des ‹Drinnen› für alles Geistige. Das sinnlich wahrnehmbare Schöne an den Dingen in Raum und Zeit sei lediglich Abglanz einer raum- und zeitenthobenen Schönheit, die Augustin mit dem Dreieinigen Gott identifizierte. In seiner Schrift Über die wahre Religion steht der Satz, der diesen Sachverhalt illustriert: «Gehe nicht nach außen, in dich selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit» (72). Der Satz ist bis in seine Diktion hinein neuplatonisch. Nicht anders verhält es sich mit dem Leitwort unseres Studientages: «Redi ... ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas».

    Im Hinblick auf eine so dichte Verankerung der Ästhetik Augustins im Neuplatonismus war es uns ein Anliegen, Plotins Theorie des Schönen und der Kunst auf unserem Studientag behandelt zu bekommen. Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, Herrn Kollegen Beierwaltes hierfür als Referenten zu gewinnen. Ihm gratuliere ich nochmals zu seinem 80. Geburtstag am 8. Mai d. Jr.s und ich erlaube mir, aus dem Artikel von Arbogast Schmitt in der Süddeutschen Zeitung zu zitieren: Werner Beierwaltes «gilt als der weltweit beste Platoniker der Gegenwart». Er, so der Artikel, konnte auch «überzeugende Antworten auf die Frage geben, wie das Christentum sich die Philosophie der Antike anverwandeln und die Grundlage einer bedeutenden europäischen Kultursymbiose finden konnte».

    Es versteht sich, dass an einem Studientag über die Ästhetik Augustins Gott, Inbegriff der Schönheit – «pulchritudo pulchrorum omnium» (conf. 3,10) – unbedingt zur Sprache kommen muss. Das Hauptreferat Über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus übernahm freundlicherweise Herr Kollege Johann Kreuzer aus Oldenburg, habilitiert mit der Arbeit Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin. Bemerkungen zu den Büchern IX, X und XI der Confessiones. Darin geht es um die Erkenntnis dessen, von dem der Kirchenvater in seinen Confessiones klagend und doch rühmend zugleich bekennt: «Sero te amaui, pulchritudo tam antiqua et tam noua, sero te amaui – Spät hab' ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab ich dich geliebt» (10,38).

    Augustinus, so sagte ich, unterscheidet nicht nur die rein rationale, die zeit- und raumenthobene ‹ars› von der in der Zeit und im Raum ausgeführten – also den Künsten, den ‹artes› im herkömmlichen Sinn –, er scheidet sie auch. Die konstitutiv aus Zahlen, Verhältnissen und Gesetzmäßigkeiten bestehenden Kunstgattungen haben Anteil an einer sie übersteigenden Rationalität. An keiner anderen der Künste legte er so häufig und so intensiv seine Auffassung von der Bedeutung der Ästhetik für einen auf die Transzendenz hin ausgerichteten Kunstgenuss dar als an der Musik. Deshalb haben wir dieser Kunstgattung, sowohl was die Theorie als auch die Praxis betrifft, gebührend Zeit und Platz in unserem Programm eingeräumt.

    Zunächst wird Frau Dr. Silke Wulf über die musikalische Ästhetik Augustins und dessen Musiktheorie referieren. Frau Wulf kommt ebenfalls aus Oldenburg, wo sie mit der Dissertation Vom Hören der Wahrheit. Zeit und Musik in der Philosophie des Aurelius Augustinus promoviert wurde. Wir freuen uns und sind gespannt auf ihre Ausführungen.

    Unsere Studientage tragen stets auch der außerordentlich hohen Wirkungsgeschichte Augustins Rechnung. Diesmal tun wir dies mit einem Blick auf Boethius, dem spätantiken Gelehrten, Politiker, Philosophen und Theologen aus dem 5. und 6. Jahrhundert. Sein Werk De institutione musica war eines der einflussreichsten Lehrbücher der Musiktheorie. Frau Dr. Anja Heilmann aus der Universität Jena, ausgewiesene Kennerin der Musiktheorie des Boethius, wird uns dessen musikalische Ästhetik nahe bringen.

    Schließlich wagen wir diesmal gerade im Hinblick auf die beiden Referate über die musikalische Ästhetik in der Spätantike ein Novum. Frau Dr. Gabriele Ziegler, Leiterin des Cassian-Projektes in Münsterschwarzach und gute Bekannte unseres Zentrums für Augustinus-Forschung, bot uns mit ihrem Ensemble für frühmittelalterliche Musik einige klangvolle Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters an.

    Nach den Referaten sind wie immer Zeiten zur Diskussion und Nachfragen vorgesehen, die mein Kollege im Zentrum Christof Müller leiten wird. Danken will ich jetzt schon den Referenten für ihre Beiträge, ebenso der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, insbesondere aber der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Unterstützung dieses Studientages.

    Lassen Sie mich nochmals in aller Kürze auf Augustinus zurückkommen. Ich sagte eingangs, er war Rhetor und als solcher Künstler. Dies blieb er auch als Seelsorger. In der ältesten Biographie über ihn – sie stammt aus der Feder seines Zeitgenossen und Mitbischofs Possidius – rühmt dieser den Gewinn, den Leser aus den Werken des Kirchenvaters immer noch ziehen können würden. Weit größer sei jedoch der Gewinn derer gewesen, die ihn persönlich im Gottesdienst sehen und seine Predigten hören konnten. Er predigte in der Weise biblisch, dass er die Texte auf Christus und die Kirche hin auslegte. Weil aber in der Bibel – speziell in den Psalmen – die Lesenden und Betenden immer wieder zum Gesang und sogar zum Griff nach Musikinstrumenten aufgefordert werden, geriet der predigende Bischof bei solchen Stellen geradezu ins Schwärmen. Der 150. Psalm beginnt bekanntlich mit dem Vers: «Lobet Gott in seinen Heiligen, lobt ihn in seiner mächtigen Feste», und der Psalmist nennt darauf einige Instrumente, mit denen Gott zu loben sei. Augustinus erklärt zunächst den musikalischen Charakter der Instrumente, der jedem als Klangkörper zukommt. Dann aber fährt er fort – und damit beendet er eines seiner umfassendsten Werke, die Erklärung aller 150 Psalmen –: «Wenn also der Psalmist einlädt, ‹den Herrn in seinen Heiligen zu preisen›, wem sagt er dann dies, wenn nicht diesen selbst? Und in wem sollen diese Gott preisen, wenn nicht in sich selbst. Ihr, seine Heiligen, seid nämlich seine Kraft, die er in euch legte, ihr seid seine Stärke und seine Größe, die er in euch wirkt. Ihr seid die Posaune, die Harfe, die Zither, die Pauke, das Saitenspiel, der Chor, die Flöte, die Zimbel, die alle gar herrlich klingen, weil sie zusammenklingen.

  • » POW-Meldung vom 04.07.2011: „Vom Glanz des Schönen erhellt"
    » Die Tagespost vom 25.06.2011: „Gott hören im schweigenden Anspruch der Dinge" (R. Einig)
    » Würzburger Kath. Sonntagsblatt vom 24.07.2011: „Warum ist das Schöne schön?" (Printausgabe)

    Pressedienst Ordinariat Würzburg
    Vom Glanz des Schönen erhellt
    9. Augustinus-Studientag beschäftigt sich mit Thema „Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik" – Bischof Dr. Friedhelm Hofmann hält Festreferat

  • Studientag 2011
    Studientag 2011