Von Augustinus sind uns etwa ein Dutzend Weihnachtspredigten überliefert. Sie zählen mit zu den Perlen der lateinischen Rhetorik der christlichen Spätantike. Dem Theologen und Seelsorger Augustinus war es ein Herzensanliegen, dass Christen über die Doppelnatur Christi, ihres Herrn und Erlösers, eine orthodoxe Vorstellung hatten. Die Weihnachtspredigten boten dem Bischof die beste Gelegenheit, die Gläubigen darüber zu unterrichten, hat doch das Mysterium der Weihnacht den Glauben an die Menschwerdung des Wortes Gottes zum Inhalt. Deren liturgische Feier hat bei Augustinus diese Glaubenswahrheit zum Thema und nichts anderes. Mustergültig zeigen dies seine Texte zu Weihnachten. Sie sind theologisch einfallsreiche, sprachlich geschliffene und ihrer Dialektik faszinierend gestaltete Variationen zu den von der Liturgie vorgegebenen Themen.

Wir bieten hier eine Reihe von Sätzen und Textabschnitten aus diesen Predigten, und zwar sowohl im Original, im Latein Augustins, wie auch in einer Übersetzung ins Deutsche. Zum besseren Verständnis lassen wir den ausgewählten Sätzen und Texten eine knappe Erklärung bzw. einen kurzen Kommentar vorausgehen.


1. Der dominierende soteriologische Aspekt des Weihnachtsmysteriums

Die Menschwerdung Christi hat nach Augustinus im Sündenfall ihren hinreichenden Grund. Nur der Sündenlose (Christus), in der Terminologie des Römerbriefes 8,3 der in der Gestalt des Fleisches gesandte Gottessohn, konnte den in die Sünde gefallenen Menschen (Adam und die Adamskinder), wieder in der Terminologie des Römerbriefes den unter der Macht der Sünde existierenden, retten. Der Inkarnierte ist im Blick auf seine soteriologische Aufgabe ‹mediator dei et hominum - Mittler zwischen Gott und den Menschen› und als solcher der ‹saluator noster - unser Erlöser›. Gilt für den Karfreitag das ‹pro nobis crucifixus est - für uns ist er gekreuzigt worden›, so für die Weihnacht das ‹propter nos homo factus est - unseretwegen ist er Mensch geworden›. Dank seiner Menschwerdung werden wir ‹wiedergeboren›, werden die Augen unseres Geistes ‹gereinigt›, werden wir selbst ‹Licht›. In der Niedrigkeit der Menschwerdung spiegelt sich bereits das am Karfreitag vollendete Heilswerk.

 

Sermo 184,2:

nata est «similitudo carnis peccati» (Rm 8,3), qua mundaretur «caro peccati».

 

«Die Ähnlichkeit (die Gestalt) des Fleisches» wurde geboren, wodurch «das Fleisch der Sünde» (von der Sünde) gereinigt werden sollte.

Sermo 195,2:

Hic est dominus deus noster, hic est «mediator dei et hominum homo» saluator noster.

 

 

Dieser ist unser Herr und Gott, dieser ist «der Mittler zwischen Gott und den Menschen als Mensch» (1 Tm 2,5) unser Erlöser.

Sermo 194,2:

Ut enim panem angelorum manducaret homo, creator angelorum factus est homo.

 

 

Damit der Mensch das Brot der Engel essen könne, wurde der Schöpfer der Engel Mensch.

Sermo 192,1:

Propter uos temporalis effectus est temporum effector, propter uos in carne apparuit mundi conditor, propter uos creatus est creator.

 

Euretwegen ging der Urheber der Zeiten (Christus) in die Zeit ein, euretwegen erschien der Begründer der Welt im Fleisch, euretwegen wurde Geschöpf der Schöpfer.

Sermo 191,1:

Homo factus hominis factor:

 

Der Schöpfer des Menschen wurde Mensch:

ut sugeret ubera, regens sidera;

der Lenker der Gestirne, um an der Mutterbrust zu saugen;

ut esuriret panis, das Brot, um zu hungern,
ut sitiret fons, die Quelle, um zu dürsten,
dormiret lux, das Licht, um zu schlafen,
ab itinere uia fatigaretur, der Weg, um auf ihm zu ermüden,
falsis testibus ueritas accusaretur, die Wahrheit, um von falschen Zeugen beschuldigt zu werden,

iudex uiuorum et mortuorum a iudice mortali iudicaretur,

der Richter der Lebenden und der Toten, um von einem sterblichen Richter gerichtet zu werden,

ab iniustis iustitia damnaretur, die Gerechtigkeit, um von Ungerechten verurteilt zu werden,
flagellis disciplina caederetur, die Zucht, um mit Geißeln geschlagen zu werden,
spinis botrus coronaretur, die Weinbeere, um mit Dornen gekrönt zu werden,
in ligno fundamentum suspenderetur, das Fundament, um ans Holz gehängt zu werden,
uirtus infirmaretur, die Kraft, um entkräftet zu werden,
salus uulneraretur, das Heil, um verwundet zu werden,
uita moreretur. das Leben, um zu sterben.
propter haec ergo, qui erat ante omnia saecula sine initio dierum dei filius, esse in nouissimis diebus dignatus est hominis filius. Wegen all dem geschah es also, dass jener, der vor aller Zeit und ohne Anfang von Tagen Sohn Gottes war, in diesen Tagen sich würdigte, Sohn des Menschen zu sein.

Sermo 195,3:

uenit ergo in carne, carnis uitia mundaturus.

 

Er kam also im Fleische, um die Laster des Fleisches zu reinigen (zu beseitigen).


2. Die doppelte Geburt Christi aufgrund seiner zweifachen Natur

Um den rechten Glauben über Christi Person hat die frühe Christenheit Jahrhunderte lang gerungen. Obgleich das Konzil von Chalkedon, das die Lehre von den zwei Naturen in Christus definierte, erst im Jahre 451 stattfand, sprach Augustinus in bezug auf Christus zuvor schon völlig orthodox von einer Person in zwei Naturen. Um diesen Festgehalt der Weihnacht den Gläubigen zu erklären, zitierte der Prediger gerne Jesaja 53,8: «Generationem eius quis enarrabit ? Seinen Ursprung (seine Herkunft), wer wird sie (erschöpfend) erzählen?», denn dieser Satz bot ihm Gelegenheit, die Doppelgeburt Christi den Hörern zu verdeutlichen. Schon vor Augustin verglich man in der Kirche die innertrinitarische Beziehung zwischen der ersten Person 'dem Vater' und der zweiten 'dem Wort, dem Einziggeborenen', mit einer zeitlosen Geburt. Diese ist also eine im Prinzip unsagbare, lediglich in Analogien erzählbare Geburt. Die andere, die Menschwerdung des Wortes Gottes ist nicht nur eine ans Wunder grenzende, sondern allein als Wunder erzählbare. Der Prediger verbindet beide - rhetorisch höchst wirksam: die innertrinitarische kennt keine Mutter, die irdische keinen Vater -, um die Bedeutung der Menschwerdung Christi zu unterstreichen. Ja, Augustinus scheint die These zu vertreten, erst vom Glauben an die ewige Geburt des Wortes Gottes falle Licht auch auf den Glauben an die Menschwerdung des Wortes Gottes. Wohl deshalb nimmt dieses Thema in seinen Weihnachtspredigten einen so breiten Raum ein.

Sermo 190,2

debemus enim fide catholica retinere duas esse natiuitates domini: unam diuinam, alteram humanam; illam sine tempore, hanc in tempore.

 

Nach katholischem Glauben muss man an zwei Geburten des Herrn festhalten, an einer göttlichen und an einer menschlichen; jene vollzieht sich zeitlos, diese in der Zeit.

ambas autem mirabiles: illam sine matre, istam sine patre. Beide sind indes wunderbar: jene ohne Mutter, diese ohne Vater.

Sermo 190,3

infirma est Christi ex matre natiuitas; sed ex patre ampla maiestas.

 

In Schwäche vollzieht sich Christi Geburt aus der Mutter; jedoch die aus dem Vater in erlauchter Majestät.

Sermo 184,3

denique natus est Christus et de patre, et de matre;

 

 

 

 

 

 

 

 

Infolgedessen ist Christus (im Blick auf die Personeneinheit in zwei Naturen) sowohl vom Vater (Gott) wie von der Mutter (Maria) geboren;

et sine patre, et sine matre: auch ist er ohne (irdischen) Vater (als Mensch) und ohne Mutter (als Gottes ewiges Wort):
de patre deus, de matre homo; vom Vater (her) ist er Gott, von der Mutter (her) ist er Mensch;
sine matre deus, sine patre homo. ohne Mutter ist er Gott, ohne (irdischen) Vater Mensch.

Sermo 194,1

natus est Christus, deus de patre, homo de matre.

 

Geboren ist Christus, Gott vom Vater, Mensch von der Mutter.

de patris immortalitate, de matris uirginitate.
Aus der Unsterblichkeit des Vaters, aus der Unversehrtheit der Mutter.
de patre sine matre, de matre sine patre.
Aus dem Vater ohne Mutter, aus der Mutter ohne Vater.
de patre sine tempore, de matre sine semine.
Aus dem Vater ohne Zeit, aus der Mutter ohne Samen.
de patre principium uitae, de matre finis mortis. Aus dem Vater (ist er ) Prinzip des Lebens, aus der Mutter (ist er) des Todes Ende.
de patre ordinans omnem diem, de matre consecrans istum diem. Aus dem Vater ordnet er die Tage, aus der Mutter heiligt er jenen Tag (seiner Geburt).

Sermo 192,1

... homo factus est, qui deus erat: nec amittens quod erat, fieri uoluit ipse quod fecerat.

 

... der Gott war, wurde Mensch: ohne einzubüßen, was er war, wollte er selbst werden, was er erschaffen hatte (Mensch).

ipse fecit quod esset, quia hominem deo addidit, non deum in homine perdidit. Er selber bewirkte, was er sein sollte, denn er fügte den Menschen dem Gott hinzu, ohne Gott im Menschen zu vernichten.

Sermo 196,3

ecce qui in praesepi iacebat, diminutus est, sed non perdidit se: accepit quod non erat, sed mansit quod erat.

 

Siehe, der in der Krippe lag, hat sich (zwar) gering gemacht, aber nicht vernichtet: er nahm an, was er nicht war, blieb jedoch, was er war.

Sermo 196,1:

natiuitates domini nostri Iesu Christi, duae sunt; una diuina, altera humana:

 

Es gibt zwei Geburten unseres Herrn Jesus Christus: die eine ist göttlich, die andere menschlich.

ambae mirabiles; illa sine femina matre, ista sine uiro patre.
Beide sind wunderbar: jene ohne Frau als Mutter, diese ohne Mann als Vater.
quod ait sanctus Isaias propheta, «generationem eius quis enarrabit?» ad ambas generationes referri potest.
Was der Prophet Jesaja sagt, «Wer wird imstande sein, seinen Herkunft zu erzählen?», lässt sich auf beide Geburten beziehen.
quis digne enarret generantem deum? Wer ist wohl imstande, von einem zeugenden Gott angemessen zu reden?
quis digne enarret uirginis partum?
(Und) wer ist wohl imstande, von einer gebärenden Jungfrau angemessen zu reden?
illud sine die, hoc certo die: utrumque sine humana aestimatione, et cum magna admiratione.
Jenes ereignet sich ohne einen Tag, dieses an einem bestimmten Tag: beides übersteigt die Grenze menschlicher Vorstellung und ruft staunende Bewunderung hervor.
illam primam attendite generationem: «in principio erat uerbum, et uerbum erat apud deum, et deus erat uerbum».
Achtet auf jene erste Zeugung: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort» (Io 1,1).
cuius uerbum? ipsius patris.
quod uerbum? ipse filius.
nunquam pater sine filio.
Wessen Wort? Des Vaters selbst.
Was war das Wort? Der Sohn selbst.
Niemals gibt es den Vater ohne den Sohn.
et tamen qui nunquam sine filio, genuit filium.
Und dennoch zeugte er, der niemals ohne Sohn war, den Sohn.
et genuit, et non coepit.
Er (der Vater) zeugte, und er (der Sohn) begann nicht.
sine initio generato nullum est initium.
Der ohne Anfang Gezeugte hat keinen Anfang.
et tamen filius, et tamen genitus.
Und dennoch ist er der Sohn, und dennoch ist er der Gezeugte.
dicturus est homo: quomodo genitus, et non habet initium?
Nun mag jemand einwenden: Wie kann einer gezeugt sein, und dennoch keinen Anfang haben?
si genitus, habet initium: si non habet initium, quomodo genitus?
Ist er gezeugt, hat er einen Anfang: wenn er keinen Anfang hat, wie kann er gezeugt sein?
quomodo, nescio.
Wie, das weiß ich nicht.
quaeris ab homine quomodo sit genitus deus?
Du fragst einen Menschen, auf welche Weise Gott gezeugt worden sei?
interrogatione tua laboro; sed prophetam appello: «generationem eius quis enarrabit?»
Ich mühe mich ab mit deiner Frage; indes, ich appelliere an den Propheten (der sagt): «Wer wird imstande sein, seine Herkunft zu erzählen?» (Is 53,8).
ueni mecum ad istam generationem humanam, ueni mecum ad istam, in qua se ipsum exinaniuit formam serui accipiens: si forte uel ipsam capere possimus, si forte uel de ipsa aliquid loqui ualeamus.
Wende dich (nun) mit mir dieser menschlichen Zeugung zu, folge mir zu der, in welcher er (Gottes Sohn) sich entäußert hat, indem er die Gestalt eines Knechtes annahm (cf. Phil 2,6sq.): um zu sehen, ob wir es vermögen, sie zu begreifen, ob wir in der Lage sind, darüber etwas zu sagen.
etenim quis capiat, «qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse aequalis deo»?
Wer jedoch begreift dies: «der, als er in der Gestalt Gottes war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein» (Phil 2,6)?
quis hoc capiat?
Wer mag dies verstehen?
quis hoc digne cogitet?
Wer mag dies angemessen bedenken?
cuius mens hoc audeat perscrutari?
cuius lingua audeat pronuntiare?
cuius ualeat cogitatio capere?
Wessen Geist wagte es, dies zu durchschauen? Wessen Zunge wagte es, dies zu verkünden?
Wessen Denkfähigkeit vermag es wohl, sich darüber eine Vorstellung zu machen?
interim hoc omittamus: multum est ad nos.
Lassen wir dies für einen Augenblick: es überschreitet unseren Horizont.
ut autem non multum esset ad nos, «semetipsum exinaniuit, formam serui accipiens, in similitudinem hominum factus».
Damit es aber nicht dabei bleibe, (heißt es Phil 2,7 weiter), «er hat sich selbst entäußert; indem er die Gestalt eines Knechtes annahm, wurde er den Menschen gleich».
ubi? in uirgine Maria. Wo? In der Jungfrau Maria.

Sermo 186,1:

antequam enim fieret, erat: et quia
omnipotens erat, fieri potuit manens quod erat.

 

Bevor er (Mensch) wurde, war er: und weil er allmächtig war, konnte er (Mensch) werden, wobei er blieb, was er war.

fecit sibi matrem, cum esset apud patrem: et cum fieret ex matre, mansit in patre.
Er schuf sich eine Mutter, als er beim Vater war: und als er aus der Mutter (Mensch) wurde, blieb er im Vater.
quomodo deus esse desisteret, cum homo esse coepit, qui genitrici suae praestitit ne desisteret uirgo esse, cum peperit?
Wie sollte er auch aufhören Gott zu sein, als er begann, Mensch zu sein, er, der es seiner Gebärerin gewährte, nicht aufzuhören, Jungfrau zu sein, als sie gebar?
proinde quod uerbum caro factum est, non uerbum in carnem pereundo cessit; sed caro ad uerbum, ne ipsa periret, accessit: ut quemadmodum homo est anima et caro, sic esset Christus deus et homo.
Daher wich das Wort, als es Fleisch wurde, nicht aus dem Fleisch, sondern das Fleisch kam zum Wort hinzu, damit es selbst nicht zugrunde gehe. Denn so wie der Mensch aus Seele und Fleisch besteht, so sollte Christus Gott und Mensch sein.
idem deus qui homo, et qui deus idem homo: non confusione naturae, sed unitate personae.
Derselbe Gott, der Mensch ist, und der selbe Mensch, der Gott ist: nicht durch Vermischung der Naturen, aber in der Einheit der Person.
denique qui filius dei generanti est coaeternus semper ex patre, idem filius hominis esse coepit ex uirgine.
Schließlich begann der, der als immer aus dem Vater hervorgehende Sohn Gottes, der dem Erzeuger gleich ewig ist, Sohn eines Menschen zu werden aus der Jungfrau.
ac sic et filii diuinitati est addita humanitas; et tamen non est personarum facta quaternitas, sed permanet trinitas Und so wurde der Gottheit des Sohnes, die Menschheit hinzugefügt; auf keinen Fall kam es dadurch zur Quaternität, sondern es bleibt die Trinität.

 

3. Die Vollzüge des Denkens und Sprechens als Paradigmen zur Veranschaulichung der Doppelgeburt Christi

Die doppelte Geburt des Wortes Gottes versuchten Theologen ebenfalls schon vor Augustinus mit Hilfe der Vollzüge des Denkens und Sprechens verständlich zu machen. Damit sollte gezeigt werden, dass der Inkarnierte als Subjekt Gottes Wort, Schöpfer und Prinzip der Welt blieb. Augustinus folgt dieser Tradition. Ja er scheute sich offensichtlich nicht, diesen ursprünglich der Philosophie entliehenen und bei philosophisch gebildeten Christen heimisch gewordenen Vergleich auch auf die Kanzel zu bringen, um damit dem gläubigen Volk das Geheimnis der Menschwerdung zu erklären, wie dies der Sermo 187, der hier fast in Gänze wiedergegeben wird, zeigt. Als Theologe vertrat nämlich der Bischof von Hippo die Auffassung, eine Glaubenswahrheit dürfe der Vernunft, lateinisch der ratio, griechisch dem lógos, nicht widersprechen. Dabei konnte sich der Prediger auch auf das Neue Testament, speziell auf den Prolog des Johannesevangeliums berufen, denn indem dort schon der Mensch gewordene Gottesssohn literarisch und kerygmatisch unter dem Terminus lógos vorgestellt und eingeführt wurde, konnten und wollten Theologen von Rang auf Argumente der Vernunft nicht nur in ihrem schriftstellerischen Schaffen, sondern auch in der Katechese und, wie zu sehen, auch auf der Kanzel nicht verzichten.

Sermo 187,2

 

quid hoc miramur de uerbo dei, cum sermo iste quem promimus ita liber sensibus influat, ut eum et recipiat, et non includat auditor?
nam nisi reciperetur, neminem instrueret: si includeretur, ad alios non ueniret.

 

Was bewundern wir am Wort Gottes, wenn diese gesprochene Rede die Sinnesorgane in freier Weise so erreicht, dass der Hörer sie auch empfängt und (sich der Rede) nicht (sogleich) verschließt? Würde sie nämlich nicht empfangen werden, könnte sie niemanden belehren; würde sie verschlossen, könnte sie andere nicht erreichen.

et utique sermo iste uerbis syllabisque diuiditur: nec tamen ex eo tanquam ex cibo uentris singulas particulas tollitis; sed omnes totum auditis, totum singuli capitis.
Selbstverständlich wird diese Rede in Worte und Silben geteilt: dennoch bedient ihr euch bei ihr nicht wie beim Verzehr einer Speise einzelner Brocken; vielmehr hört ihr sie alle in ihrer Gänze, bemächtigt euch ihrer als einzelne ganz.
nec timemus dum loquimur, ne totum audiendo unus absumat, nec alter possit habere quod sumat: Auch befürchten wir mitnichten, es könnte ein einziger, während wir sprechen, beim Hören das Ganze sich einverleiben, und es könnte ein anderer leer ausgehen.
sed ita uos attentos esse uolumus, nullius aurem mentemque fraudantes, ut et totum singuli audiatis, et totum ad audiendum ceteris relinquatis.
Wir wünschen jedoch, indem wir das Ohr und den Sinn keines von euch täuschen, ihr möget so aufmerksam sein, dass ihr einzeln sowohl das Ganze hört, als auch dass ihr das Ganze zum Hören den anderen (ebenfalls) überlasst.
neque hoc fit alternis temporibus, ut cum sermo qui dicitur ad te primum intrauerit, exeat a te, ut ad alium possit intrare: sed simul ad omnes uenit, et totus ad singulos peruenit.
(Dies) geschieht indes auch nicht zeitversetzt, so dass eine Rede, die gehalten wird, zunächst dich erreicht und dich dann verlässt, um einen anderen (Hörer) erreichen zu können: (nein), sie kommt bei allen zugleich an, und sie erreicht alle in Gänze.
et si totus memoria teneri ualuisset, sicut ad totum audiendum omnes uenistis, ita cum toto singuli rediretis.
Und, könnte sie in Gänze im Gedächtnis behalten werden, wie ihr auch zum Hören des Ganzen (hierher) gekommen seid, so könntet ihr jeder einzeln mit der ganzen (Rede) nach Hause gehen.
quanto magis uerbum dei, per quod facta sunt omnia, et quod in se manens innouat omnia; quod nec locis concluditur, nec temporibus tenditur, nec morulis breuibus longisque uariatur, nec uocibus texitur, nec silentio terminatur; quanto magis hoc tantum et tale uerbum potuit matris uterum assumpto corpore fecundare, et de sinu patris non emigrare?
Um wie viel mehr gilt das Gesagte vom Worte Gottes, durch das alles erschaffen wurde, und das in sich bleibend alles erneuert; das weder durch Räume begrenzt wird, noch durch Zeiten sich ausbreitet, das weder durch Kürze und Länge der Silben sich verändert, noch durch Klänge zu einem Text wird, auch nicht durch Schweigen zu einem Ende kommt; um wie viel mehr vermochte dieses Wort von solcher Art, indem es Fleisch annahm, einen Mutterleib zu befruchten, ohne den Schoß des Vaters zu verlassen?
hinc ad oculos humanos exire, inde mentes angelicas illustrare?
hinc ad terras procedere, inde caelos extendere?
hinc homo fieri, inde homines facere?
(Ferner vermochte es) von hier (dem Schoß des Vaters) zu menschlichen Augen hinauszugehen, um von dort aus die engelgleichen Geister zu erleuchten?
Von hier in Länder vorzurücken, um von dort aus zum Himmel sich zu erstrecken?
Von hier Mensch zu werden, um von dort aus Menschen zu erschaffen?

Sermo 187,3

nemo ergo credat dei filium conuersum et commutatum esse in hominis filium: sed potius credamus et non consumpta diuina et perfecte assumpta humana substantia, manentem dei filium, factum hominis filium.

 

Niemand soll also glauben, der Sohn Gottes habe sich verändert und in einen Menschensohn verwandelt; vielmehr wollen wir glauben, dass er, Gottes Sohn bleibend Menschensohn geworden ist, indem er sowohl seine göttliche Substanz nicht aufgab, als auch eine menschliche vollständig annahm.

neque enim quia dictum est, «deus erat uerbum», et «uerbum caro factum est»; sic uerbum caro factum est, ut esse desineret deus: quando in ipsa carne quod uerbum caro factum est, «Emmanuel» natum est, «nobiscum deus». Es bedeutet ja nicht, weil gesagt wurde, «Gott war das Wort» und «das Wort ist Fleisch geworden» (Io 1,1.14), dass das Wort in der Weise Fleisch geworden ist, dass es aufhörte Gott zu sein; (denn, dies gilt es zu bedenken,) dass das Wort, als es im Fleisch, das es geworden ist, als «Emmanuel», das heißt als «Gott mit uns» (Mt 1,23), geboren ist.
sicut uerbum quod corde gestamus, fit uox cum id ore proferimus, non tamen illud in hanc commutatur, sed illo integro ista in qua procedat assumitur, ut et intus maneat quod intelligatur, et foris sonet quod audiatur: (Es verhält sich damit ähnlich) wie mit dem Wort, das wir im Geiste haben. Es wird ein Laut, sobald wir es mit dem Munde aussprechen. Jedoch es verändert sich das Wort nicht in einem Laut, sondern es bewahrt seine Vollständigkeit, nimmt aber die Stimme an, in der es hervorgeht, damit es (einerseits) sowohl drinnen (im Geiste) bleibe und (als Wort) verstanden werde, (andererseits) auch draußen erklinge, was gehört werden soll.
hoc idem tamen profertur in sono, quod ante sonuerat in silentio; atque ita uerbum cum fit uox, non mutatur in uocem; sed manens in mentis luce, et assumpta carnis uoce procedit ad audientem, et non deserit cogitantem.
Jedoch das selbe Wort wird im Klang hervorgebracht, das, ehe es erklang, in der Stille war. Und so verändert sich das Wort, wenn es zur Stimme wird, nicht in eine Stimme. Vielmehr bleibt es im Licht des Geistes, und, nachdem es gleichsam die Stimme des Fleisches angenommen hat, bewegt es sich zum Hörer hin, und verlässt dennoch den Denkenden nicht.
non cum ipsa uox in silentio cogitatur, quae uel Graecae est, uel Latinae, uel linguae alterius cuiuslibet: sed cum ante omnem linguarum diuersitatem res ipsa quae dicenda est, adhuc in cubili cordis quodam modo nuda est intelligenti, quae ut inde procedat loquentis uoce uestitur.
Nicht die Stimme ist es, die in der Stille bedacht wird, denn sie gehört entweder der griechischen oder der lateinischen oder irgendeiner anderen Sprache an. Es verhält sich vielmehr so, dass die Sache selbst, um die es beim Sprechen geht, ehe sie in der ganzen Vielfalt der Sprachen erscheint, sich im Innersten des Menschen gleichsam nackt dem Verstehenden darbietet, und um hervorzugehen, sich mit der Stimme des Sprechenden bekleidet.
uerumtamen utrumque hoc, et quod cogitatur intelligendo, et quod sonat loquendo, mutabile atque dissimile est: neque illud manebit, cum oblitus fueris; neque hoc, cum silueris: uerbum autem domini manet in aeternum. (Vorsicht) jedoch, denn beides, sowohl das, was beim Verstehen bedacht wird, als auch das, was beim Sprechen erklingt, ist veränderlich und hält sofern dem intendierten Vergleich nicht stand: denn weder wird jenes bleiben, wenn du es vergessen haben wirst, noch dieses, wenn du aufhörst zu sprechen. Gottes Wort hingegen bleibt in Ewigkeit.

Sermo 187,4

et cum carnem assumpsit ex tempore, ut ad temporalem uitam nostram procederet, non in carne amisit aeternitatem, sed etiam carni praestitit immortalitatem.

 

Und als er Fleisch annahm in der Zeit, um unser zeitgebundenes Leben mit uns zu teilen, gab er im Fleisch seine Ewigkeit nicht preis, im Gegenteil, er stattete auch das Fleisch mit Unsterblichkeit aus.

 

ita ipse «tanquam sponsus procedens de thalamo suo, exsultauit ut gigas ad currendam uiam».
So «trat er gleichsam wie ein Bräutigem aus seinem Brautgemach hervor, und wie ein Held durchlief er freudig seine Bahn» (Ps 18,6).
«qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse aequalis deo»: sed ut propter nos fieret quod non erat, «semetipsum exinaniuit»; non formam dei perdens, sed «formam serui accipiens»: et per hanc «in similitudinem hominum factus»; nec propria substantia; sed «habitu inuentus ut homo». «Der, als er in der Gestalt Gottes war, betrachtete es nicht als Raub, Gott gleich zu sein», sondern, um unseretwegen zu werden, was er nicht war, «entäußerte er sich selbst», seine Gottesgestalt gab er (zwar) nicht auf, er nahm jedoch «die Gestalt eines Knechtes» an, und durch sie (die Knechtsgestalt) «wurde er dem Menschen gleich». Nicht der eigenen (göttlichen) Substanz nach, sondern in seinem Äußeren nach wurde er als Mensch angetroffen» (Phil 2,6sq.).
hoc enim totum quod sumus uel in anima uel in corpore, nostra natura est, illius habitus: nos nisi hoc essemus, non essemus; ille si hoc non esset, esset utique deus.
Das also, was wir entweder in der Seele oder im Leib als Ganzes sind, ist unsere Natur, ist seine äußere Gestalt (sein Gehabe). Wären wir dies (Substanz aus Leib und Seele) nicht, so gäbe es uns nicht; jener hingegen, wäre er dies nicht (geworden), so wäre er doch auf alle Fälle Gott.
et cum hoc esse coepit quod non erat, homo factus est permanens deus: ut non unum horum, sed utrumque uerissime diceretur; et propter quod homo factus est, «quoniam pater maior me est», et propter quod permansit deus, «ego et pater unum sumus». Und als er begann zu sein, was er nicht war, wurde er Mensch und blieb zugleich Gott. Auf diese Weise konnte nicht nur eines, sondern beides mit fug und recht von ihm gesagt werden: weil er Mensch geworden ist, (heißt es,) «denn der Vater ist größer als ich» (Io 14,28); weil er Gott geblieben ist, (heißt es,) «ich und er Vater sind eins» (Io 10,20).
nam si uerbum in carnem, hoc est, deus in hominem mutatus conuerteretur, non esset uerum, nisi, «pater maior me est»; quia homine maior est deus: illud autem falsum esset, «ego et pater unum sumus»; quia non sunt unum deus et homo. Hätte sich das Wort ins Fleisch, das heißt, Gott in einen Menschen verwandelt, dürfte es richtig nur heißen, «der Vater ist größer als ich», da Gott größer ist als der Mensch. Es wäre dann falsch zu sagen: «Ich und der Vater sind eins», da Gott und Mensch nicht ein und dasselbe sind.
sed forsitan posset dicere: ego et pater, non unum sumus, sed unum fuimus.
Aber vielleicht hätte er sagen können: ich und der Vater sind nicht eins, sondern wir waren eins.
quod enim erat et esse destitit, non est utique, sed fuit.
Was nämlich war und zu sein aufhörte, ist nicht, sondern war.
nunc autem, et propter ueram formam serui, quam acceperat, uerum dixit, «pater maior me est»; et propter ueram formam dei, in qua permanebat, uerum dixit, «ego et pater unum sumus».
Nun aber, sagte er sowohl wegen der wahren Gestalt des Knechtes, die er annahm, zurecht, «der Vater ist größer als ich»; als auch wegen der wahren Gestalt Gottes, in der er blieb, ebenfalls zurecht, «ich und der Vater sind eins».
exinaniuit ergo se apud homines, non ita factus quod non erat, ut non esset quod erat: sed occultans quod erat, et demonstrans quod factus erat.
Er entäußerte sich somit bei den Menschen, weil er nicht in der Weise geworden ist, was er nicht war, um nicht zu sein, was er war, sondern weil er verbarg, was er war und zeigte, was er geworden war.
proinde quia uirgo concepit et peperit filium, propter manifestam serui formam, «puer natus est nobis».
Weil daher die Jungfrau empfing und einen Sohn gebar, wegen der augenscheinlichen Gestalt des Knechtes «ist uns ein Knabe geboren worden» (Is 9,6)..
quia uero dei uerbum quod manet in aeternum, caro factum est, ut habitaret in nobis, propter dei formam latentem, sed manentem, sicut nuntiauit Gabriel, uocamus «nomen eius Emmanuel». Weil jedoch Gottes Wort, das in Ewigkeit bleibt, Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen, nennen wir wegen der verborgenen, aber bleibenden Gestalt Gottes, «seinen Namen Emmanuel», so wie Gabriel dies verkündete.
factus est enim homo, permanens deus, ut et filius hominis recte uocetur «nobiscum deus»: non alter deus, alter homo.
Er wurde also Mensch und blieb Gott, damit er zurecht auch als der Menschensohn «Gott mit uns» (Mt 1,23) genannt werde: nicht ein anderer ist (somit) Gott und ein anderer Mensch.
exsultet itaque in credentibus mundus, quibus saluandis uenit per quem factus est mundus.
Und so möge das Universum in den Gläubigen jubeln, deren Erlösung halber der gekommen ist, durch den das All erschaffen wurde.
conditor Mariae, natus ex Maria: filius Dauid, dominus Dauid: semen Abrahae, qui est ante Abraham: factor terrae, factus in terra: creator caeli, creatus sub caelo.
Der Schöpfer Mariens ist aus Maria geboren; der Sohn Davids als der Herr Davids; der Samen Abrahams, der vor Abraham war; der Erschaffer der Erde, erschaffen auf Erden; der Schöpfer des Himmels, erschaffen unter dem Himmel.
ipse est dies quem fecit dominus, et dies cordis nostri ipse est dominus.
Er ist der Tag, den der Herr gemacht hat, und der Tag unseres Herzens ist der Herr selbst.
ambulemus in lumine eius, exsultemus et iucundemur in eo. Lasst uns in seinem Lichte wandeln, lasst uns jubeln und seiner uns freuen.

 


 

4. Die Menschwerdung – ein Akt der Demut

Schon in einem der ältesten Hymnen der Christenheit, im Philipperbrief 2,6-11, wird die darin als κένοσις, als 'Entäußerung', bezeichnete Menschwerdung Christi als ein Akt der Demut, der 'humilitas', theologisch gedeutet. Zahlreich sind die Texte in den Weihnachtspredigten, die diese in der Menschwerdung des Wortes Gottes zutage getretene Demut rühmen. In der Regel spielt der Prediger dabei auf den Anfang des Prologs aus dem Johannesevangelium 1,1-3 an, wonach, «durch das Wort alles geworden ist», um die Demut, die der Inkarnierte in seiner Erniedrigung auf sich nahm, zu zeigen. Denn auch in seiner Niedrigkeit blieb der Inkarnierte Gottes Wort, Gottes einziggeborener Sohn. Darin gipfelt das Mysterium der Menschwerdung.

Anfang

Sermo 184,3

Iacebat in praesepio continens mundum: et infans erat et uerbum.
quem caeli non capiunt, unius feminae sinus ferebat:

 

...
o manifesta infirmitas, et mira humilitas, in qua sic latuit tota diuinitas.
...
perficiat in nobis sua munera, qui sumere non abhorruit etiam nostra primordia: et ipse faciat nos dei filios, qui propter nos fieri uoluit hominis filius
.

 

Der die Welt zusammenhält, lag in der Krippe: er war Säugling und (Gottes) Wort. Den die Himmel nicht fassen, den trug der Schoß einer einzigen Frau.

...

Welch offensichtliche Ohnmacht und bewunderungswürdige Demut, in der sich die ganze Gottheit auf diese Weise verbarg.
...
Möge er an uns seine Gaben vollenden, er, der nicht davor zurückschreckte, unsere Lebensanfänge zu übernehmen; er soll uns zu Söhnen Gottes machen, der unseretwegen ein Sohn des Menschen werden wollte
.

Sermo 188,3

Vide, o homo, quid pro te factus est deus:

 

Siehe, o Mensch, was Gott für dich geworden ist:

 

doctrinam tantae humilitatis agnosce, etiam in nondum loquente doctore.
...
erkenne die Lehre solch großer Demut, auch wenn ihr Lehrer der Sprache noch nicht mächtig ist.
...
tu cum esses homo, deus esse uoluisti, ut perires: ille cum esset deus, homo esse uoluit, ut quod perierat inueniret.
Du wolltest als Mensch Gott sein, um zugrunde zu gehen; er hingegen wollte als Gott Mensch sein, um wiederzufinden, was verloren gegangen war.
tantum te pressit humana superbia, ut te non posset nisi humilitas subleuare diuina. Menschlicher Stolz hat dich in einer Weise niedergedrückt, dass nur noch göttliche Demut dich (wieder) aufrichten konnte.

Sermo 190,4

Magis ergo miremur, quam contemnamus eius etiam carnalem natiuitatem; et ibi agnoscamus tantae propter nos celsitudinis humilitatem.

 

Lasst uns also seine fleischliche Geburt mehr bewundern als verachten und lasst uns in ihr die Demut seiner erhabenen Größe erkennen, die er unseretwegen auf sich nahm.

inde accendamus caritatem, ut perueniamus ad eius aeternitatem. Von da (seiner demutsvollen Geburt) her lasst uns die Liebe entzünden, um zu seiner Ewigkeit zu gelangen.

Sermo 185,1

cuius bono in tanta humilitate uenit tanta sublimitas?

 

Zu wessen Vorteil kam eine so erhabene Größe in einer so tiefen Demut?

nulli utique suo; sed magno, si credimus, nostro.
Gewiss nicht zu ihrem, sondern, wenn wir glauben, zu unserem großen (Vorteil).
expergiscere homo: pro te deus factus est homo.
Wach auf, Mensch: für dich ist Gott Mensch geworden.
«surge, qui dormis, et exsurge a mortuis, et illuminabit te Christus».
«Wach auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten» (Eph 5,14).
pro te, inquam, deus factus est homo.
Für dich, sage ich, ist Gott Mensch geworden.
In aeternum mortuus esses, nisi in tempore natus esset. Für alle Ewigkeit wärest du gestorben, wäre er (Christus) nicht in der Zeit geboren.

 


 

5. Die Menschwerdung aus der Jungfrau Maria

Weihnachten feiert die Christenheit den ‹dies natalis domini - Geburtstag des Herrn›. Die Geburt Christi im Fleische war das Thema der Lesungen im Wortgottesdienst. Der Prediger beschwört einmal seine Zuhörer mit den Worten: «audite quod nostis, recolite quod audistis, amate quod creditis, praedicate quod amatis - Hört, was ihr (bereits) kennt, bedenkt, was ihr hört, liebt, was ihr glaubt und verkündet, was ihr liebt» (Sermo 194,1). An der Geburt des Herrn aus Maria der Jungfrau hält Augustin mit nahezu allen Theologen der Patristik fest. Die Jungfrauengeburt wurde geradezu zum Schibboleth der Orthodoxie. Dem Akt der Empfängnis geht der Glaube Mariens voraus. Christi Geburt unterscheidet sich von allen anderen Geburten durch Wahrung der Integrität der Jungfräulichkeit Mariens, und zwar sowohl bei wie auch nach der Geburt Christi. Auf dieses Mysterium zu verweisen, wird Augustin nicht müde.

Anfang

Sermo 196,1:

Inde ergo aliquid loquamur, si forte possumus. angelus nuntiat, uirgo audit, credit, et concipit. fides in mente, Christus in uentre.

Sermo 196,1:

uirgo concepit, miramini: uirgo peperit, plus miramini: post partum, uirgo permansit.

 

Darüber wollen wir reden, soweit wir dies können. Der Engel verkündet, die Jungfrau hört, glaubt und empfängt. Der Glaube in ihrem Geist, Christus in ihrem Schoß.

 

Die Jungfrau hat empfing; staunt (darüber): die Jungfrau gebar; staunt noch mehr (darüber, denn) auch nach der Geburt blieb sie Jungfrau.

Sermo 192,1:

Miramur uirginis partum, et nouum ipsum nascendi modum incredulis persuadere conamur, quod in utero non seminato germen prolis exortum est, ... quod uirginitatis integritas et in conceptu clausa, et in partu incorrupta permansit.

mira est ista potentia, sed plus est miranda misericordia, quod ille qui sic nasci potuit, nasci uoluit.

 

Wir staunen über das Gebären einer Jungfrau und wir versuchen die Ungläubigen von diesem neuen Weg des Geborenwerdens zu überzeugen, dass nämlich in einem unbesamten Schoß der Spross eines Kindes hervorging. ... dass die Integrität der Jungfrauschaft sowohl in der Empfängnis bewahrt, als auch bei der Geburt unversehrt blieb.

Zu bestaunen ist diese Fähigkeit, jedoch noch mehr zu bestaunen ist die Barmherzigkeit (als Motiv), dass jener, der auf solche Weise geboren werden konnte, (überhaupt) geboren werden wollte.

Sermo 191,2:

Sic adimpletum est quod praedixerat Psalmus «ueritas de terra orta est».

Maria uirgo ante conceptum, uirgo post partum.

Absit enim ut in ea terra, hoc est in ea carne unde orta est ueritas, periret integritas.

 

So ging die Voraussage des Psalmverses (84,12) in Erfüllung:«Die Wahrheit spross aus der Erde hervor».

Maria ist Jungfrau vor der Empfängnis und Jungfrau nach der Geburt.

Fern sei es, dass in der selben Erde, das heißt, in dem selben Fleisch, aus dem die Wahrheit (Gottes Wort) hervorspross, die Unversehrtheit verloren gehen sollte.

Sermo 186,1:

gaudeamus, fratres: laetentur et exsultent gentes. istum diem nobis non sol iste uisibilis, sed creator ipsius inuisibilis consecrauit; quando eum pro nobis uisibilem factum, a quo inuisibili et ipsa creata est, uisceribus fecundis et genitalibus integris uirgo mater effudit.

 

concipiens uirgo, pariens uirgo, uirgo grauida, uirgo feta, uirgo perpetua.

 

quid miraris haec, o homo? deum sic nasci oportuit, quando esse dignatus est homo.

talem fecit illam, qui est factus ex illa.

 

Wir wollen uns freuen, Brüder: es sollen fröhlich sein und jubeln die Völker. Diesen Tag (Christus) hat uns nicht die sichtbare Sonne, sondern deren unsichtbarer Schöpfer selbst geheiligt, als die Jungfrau und Mutter ihn, den für uns sichtbar Gewordenen, von dem sie selbst als dem Unsichtbaren erschaffen wurde, durch ihren fruchtbaren Schoß und ihr unversehrtes Geschlecht gebar.

 

(Sie, Maria, ist) Jungfrau bei der Empfängnis, Jungfrau bei der Geburt, schwangere Jungfrau, befruchtete Jungfrau, Jungfrau immerwährend.

Was wunderst du dich darüber, o Mensch? Es schickte sich für Gott auf eine solche Weise geborne zu werden, als er sich würdigte, Mensch zu sein.

Als solche erschuf er sie, der aus ihr geworden ist.