6 THESEN ZUM FRAUENBILD DES AUGUSTINUS VON HIPPO

1) Augustins persönliches Verhältnis zu Frauen
Die engsten weiblichen Bezugspersonen Augustins sind seine Mutter und seine jahrzehntelange Konkubine. In seinen „Confessiones - Bekenntnissen“ stilisiert er die Mutter Monnica in Analogie zur „Mutter Kirche“ und überhöht sie mit religiösen und spirituellen Idealen; andererseits sieht er ihre intensive emotionale Bindung an ihn durchaus kritisch.
Die dem jungen Augustinus vermutlich im Rahmen der Rechtsform des Konkubinates verbundene Lebensgefährtin und Mutter seines Sohnes Adeodatus wird in den „Confessiones“ nur selten erwähnt und bleibt namenlos. Augustin schätzt an ihr ihre Anhänglichkeit und Treue, bewertet im Rückblick die im weiteren und engeren Sinne sexuelle Dimension des Zusammenlebens mit ihr jedoch als vorwiegend negativ.

2) Die Ablehnung des Sinnlich-Affektiven im Verhältnis zu Frauen
Die im Verhältnis zu seinen engsten weiblichen Bezugspersonen feststellbare - zumindest nachträgliche - Ablehnung des Sinnlich-Affektiven teilt Augustinus praktisch wie auch theoretisch mit zahlreichen Zeitgenossen aus religiösen, kirchlichen, aber auch philosophischen Milieus seiner Zeit (vergleiche die entsprechenden bzw. teilweise noch extremeren Positionen im Manichäismus, im Mönchtum, aber auch in den Schriften Ciceros oder mancher Mittel- und Neuplatoniker). Demnach lenkt die Faszination durch das Sexuelle, insbesondere der Kontrollverlust in der Konkupiszenz, den Menschen von seiner eigentlichen Bestimmung, der kontemplativen Beschäftigung mit dem rein Geistigen und Ewigen, ab und verstrickt ihn in die ontologisch weniger wertvolle Sphäre des Sinnenhaften und Vergänglichen.
Psychoanalytische Interpretationen Augustins und seines Verhältnisses zu Mutter und Konkubine drängen sich bisweilen geradezu auf („Mutterkomplex“; Spaltung der Frau in „Heilige“ und „Hure“ etc.), sind jedoch insofern mit Skepsis zu betrachten, als sie häufig die literarisch-metaphorische und philosophisch-theologische Stilisierung der augustinischen Äußerungen - zumal in den „Bekenntnissen“ ignorieren.

3) Frauen als Erfahrungs-, Diskussions- und Briefpartnerinnen Augustins
In den „Bekenntnissen“ und in einigen Frühdialogen klingt an, daß Augustinus seine Mutter und damit eine Frau als gleichwertige Partnerin in Spiritualität und Diskussion akzeptiert hat - in seiner Zeit keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ton, Tenor und Terminologie der nicht wenigen Briefe, die Augustinus an Frauen geschrieben hat, bestätigen und bestärken diesen Befund. Dennoch hütet sich Augustinus auch und gerade als Priester und Bischof vor einem engeren Kontakt zu Frauen, selbst seines christlichen oder monastischen Umfelds.

4) Das soziologische Frauenbild Augustins
In soziologischer Hinsicht übernimmt Augustinus relativ ungebrochen und kritiklos die Unterordnung der Frauen unter die Männer bzw. die Festschreibung der Frauenrolle auf verstärkt häusliche, ehelich-familiäre, emotionale und soziale Präferenzen und Funktionen, die der Kirchenvater im gesellschaftlichen, zumal christlich-kirchlich geprägten Milieu seiner spätantiken Umwelt vorgefunden hat. Zum Teil gibt er dieser Unterordnung bzw. Rollenzuweisung zusätzlich biblische und theologische Legitimation, insofern er sie in der göttlichen Schöpfungsordnung, in der Weltordnung nach dem Sündenfall Adams und Evas und in der soteriologisch-symbolischen Ordnung und Zuordnung von Christus und seiner Kirche grundgelegt und sanktioniert sieht.

5) Das tiefenanthropologische und tiefentheologische Frauenbild Augustins
In den Tiefen bzw. Höhen ihres Menschseins sind Mann und Frau in Augustins Augen ebenbürtig, gleichwertig und gleichermaßen Ebenbild Gottes. Diese Ebenbildlichkeit („imago“) sieht er zuinnerst in der zur Erfassung des Überweltlich-Intellegiblen fähigen Geistigkeit des Menschen verankert, die er dezidiert geschlechtsneutral begreift und gleichermaßen in Mann und Frau verwirklicht sieht. Diese Anthropologie und Theologie ist in bezug auf Augustins Frauenbild insofern ambivalent, als sie einerseits die Würde der Frau zutiefst in Gottes Willen und Wesen verankert und damit gegenüber jeder geschichtlich-gesellschaftlichen Unterordnung von Frauen neutralisiert, andererseits aber durch die Verinnerlichung bzw. Vergeistigung dieses Würdebegriffs diesen der Kraft und Wirkmacht beraubt, an eben dieser geschichtlich-gesellschaftlichen Diskriminierung von Frauen philosophisch und theologisch Kritik zu üben. Darüber hinaus bedient Augustinus sich zur Veranschaulichung des Verhältnisses von Geistigkeit und Sinnlichkeit des Menschen häufig bestimmter traditioneller, faktisch frauendiskriminierender Stereotypen und Metaphern (die Ratio des Menschen ist der „Mann“, der die Sinnlichkeit des Menschen, das „Weib“, zügeln und lenken muß).

6) Die Flexibilität des augustinischen Frauenbildes
Wie viele andere Themen, so ist auch die Frauenthematik bei Augustinus nicht monolithisch entworfen oder als starres System entwickelt. Seine Position ist zwar in den Grundlagen stabil, läßt aber an ihren „Rändern“ je nach konkreter Entfaltung oder je nach Entwicklungsphase seiner Lehre unterschiedliche Akzentsetzungen zu. So ist Augustinus zwar einerseits der Ansicht, Eva sei dem Adam ausschließlich zum Zwecke der Fortpflanzung hinzugeschaffen worden, da für jeden anderen Zweck - sei es den der Zusammenarbeit, sei es den der Freundschaft - ein weiterer Mann geeigneter gewesen wäre. Dem gegenüber unterstreicht er aber andererseits in einer nahezu zeitgleich entstandenen Schrift, daß der Wert der Ehe zwischen Mann und Frau durchaus über die Aufgabe der Fortpflanzung hinausgeht und nicht minder in der innigen Herzensgemeinschaft der beiden Geschlechter besteht. Ein anderes Beispiel für die gelegentliche „glückliche Inkonsequenz“ Augustins ist seine in späteren Werken vertretene und zu seiner früheren, eher „platonischen“ Position konträre Lehre, daß der Mensch im jenseitigen Leben nach dem Tod nicht nur als reiner Geist und geschlechtslose Seele existiert, sondern daß Gott (gemäß der biblisch-christlichen „Auferstehung des Fleisches“) auch seine Körperlichkeit wiederherstellt und vollendet, und zwar - so wendet sich Augustin entschieden gegen anderslautende Lehren - in ihrem Mann-Sein oder aber ihrem Frau-Sein.
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