28. August – Fest des Hl. Augustinus
Von P. Karl Rahner SJ

Am 28. August feiert die heilige Kirche das Fest des hl. Augustinus. Sie erinnert uns an einen Mann, dessen geistiger Einfluß aus der Geistesgeschichte des Abendlandes nicht weggedacht werden kann, sie weist uns aber besonders auch auf das Vorbild eines Heiligen hin, das uns immer aufs neue zur Nachahmung anspornen soll.

Unruhig – das ist das erste Wort, das uns dieses Leben sagt –, unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Gott. „Haltlos verzettelte ich mich, und abgekehrt von Dir, dem Einen, verlor ich mich an die Vielheit“, so hat Augustin später selbst die Bilanz seiner dreiunddreißig ersten Lebensjahre aufgestellt, die Bilanz seiner Jugend und der ersten Mannesjahre, der Jahre der Sünde und des Irrtums, zu Hause im numidischen Thagaste, auf der Schule in Madaura und im großstädtischen Karthago, als Rhetorikprofessor in Thagaste und Karthago, in Rom und Mailand. Überall suchte er die Ruhe seines unruhigen Herzens, suchte sie im Genuß des Lebens, in „modernen“ Religionen in den Philosophemen der Tagesmode, im ehrgeizigen Streben des Gelehrten. Mit dreiunddreißig Jahren hat er es gelernt auf Irrwegen und durch viele bittere Erfahrungen: unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Gott. Nur in ihm kommt unser Herz zur Ruhe. Er, die Wahrheit und die Güte und Schönheit selbst, muß der Mittelpunkt unseres Herzens sein, er das Licht des Geistes, er die Kraft unseres sittlichen Wollens, er der Trost unseres Herzens. Nur wer sich im Dienst Gottes, und sein Schicksal in der Hand des Ewigen weiß, nur wer sich dem heiligen Gott in Liebe restlos übergibt, nur wer weiß, daß alle Straßen unseres Lebens uns vor sein Antlitz führen müssen, nur wer an ihn glaubt, auf ihn hofft, ihn liebt, nur der wird ruhig, der allein hat in seiner Seele ewigen Grund und letzte Sicherheit.

Ziehet an den Herrn Jesus Christus“, das ist das zweite Wort, das uns Augustins Leben sagen will. Es ist ja das Wort, das den letzten Anstoß zu seiner Bekehrung gab. Nur in Christus finden wir Gott, niemand kommt zum Vater denn durch ihn. Er nur weiß den Weg, die Wahrheit und das Leben, weil er sie selber ist. Seine Lehre ist Weg und Wahrheit, seine Gnade Leben und Kraft, sein Kreuz die wahre Weisheit. Wir kommen zu Gott, der Ruhe unseres unruhigen Herzens nur durch den menschgewordenen Gott. Nur wenn wir ihm und an ihn glauben, ihn aus ganzem Herzen lieben, durch die Gnade mit ihm verbunden sind, seinem geheimnisvollen Leib, der Kirche als lebendige Glieder eingegliedert sind, geheiligt und vergöttlicht durch das Leben des Hauptes, das in den Sakramenten auf uns, seinen Leib überströmt, nur dann sind wir in der Wahrheit und in Gott. So hat es Augustin gelebt und gelehrt: Ziehet an den Herrn Jesus Christus.

Die Liebe Christi drängt uns“, das ist das dritte Wort, das er uns sagen will. Wie ganz anders ist sein Leben geworden, als er es sich selbst gedacht hätte als Neugetaufter. Im trauten Freundeskreis als Mönch wollte er seiner Seele und seinem Gott leben in stiller Beschaulichkeit, „Gott und die Seele und sonst nichts“ hatte er als Neubekehrter zum Motto seines Lebens machen wollen. Aber die Vorsehung hat noch ein Wort dazugeschrieben: „und der Bruder in Christo“. Christi Liebe drängte ihn. Und so hat sein Leben sich ganz für die Mitmenschen verzehrt. In der Liebe Christi überwand er alle Hindernisse seiner Veranlagung, seine schöngeistigen Neigungen, seine gefühlvolle Weichheit, seine empfindsame Besinnlichkeit. Im Dienst des Nächsten konnte er sogar auf sein Liebstes verzichten: auf das stille Forschen des Denkers und auf die ungestörte Gottinnigkeit des Mystikers. So hielt er als Bischof unermüdlich seine Katechesen und Predigten, so ritt er auf die Weinberge und Ölgärten des Kirchengutes, um etwas für die Armen zu haben, so schlichtete er in Geduld die Streitigkeiten seiner Bauern, Händler und Fischer, so schrieb er seine unzähligen Briefe, so sah er in Klöstern und im Klerus nach dem Rechten. Dienst der Liebe war auch seine Schriftstellerei, wenn er schrieb über Natur und Ursprung des Übels und der Sünde, über Christi Gottheit, über die Kirche und ihre Sakramente, die aus Christi Kraft wirksam sind, über die heilige Dreifaltigkeit, über die Gnade, ohne die wir nichts vermögen, über Fragen der Sittenlehre, über den Sinn des Weltgeschehens und der Geschichte. Er, der die Ruhe seines Herzens in Gott suchte, der ihm aufgeleuchtet war im Antlitz Christi, fand ihn, indem er selbstlos nach Christi Beispiel dem Nächsten diente. Die Liebe Christi drängt uns.

Und noch ein viertes Wort sei über das Leben und Sterben des Bischofs von Hippo geschrieben, das Wort des 23. Psalms: „Und wenn ich auch wandelte in Todesschatten, ich will kein Unheil fürchten, weil Du mit mir“. Als Gott dieses Licht im Hause der Kirche auf den Leuchter stellte, da wurde draußen in der Welt die Nacht immer dunkler, und Todesschatten fielen auf den Weg. Seine Heimat war zerrissen durch Kämpfe religiöser, politischer, sozialer Parteien; Rom, das Herz der Welt von Alarich erobert und geplündert, das Reich in unaufhaltsamen Verfall. Als er, ein müder Greis von 75 Jahren, sich 430 zum Sterben niederlegte, da mußte er in seiner belagerten Stadt den Tod erwarten. Und wenn er auf sein Lebenswerk zurückblickte, da konnte er von seinem damaligen menschlichen Gesichtspunkt aus wirklich sein Wort sprechen: nihil sum nisi quod exspecto misericordiam Dei. Nichts mehr bin ich; nur noch eins: Harren auf die Barmherzigkeit Gottes: Seine afrikanische Kirche am Anfang vom Ende, die Parteien der Arianer und Donatisten, die er durch seinen Geist glauben durfte vernichtet zu haben, wieder obenauf, die Welt einer alten Kultur im Versinken, überall dunkle Nacht und irdische Hoffnungslosigkeit. Und oft fragte sich sein gequältes Herz, ob schon das letzte Gericht vor derTüre stände. „Und wenn ich auch wandelte in Todesschatten, ich will nichts fürchten, denn Du bist bei mir“. Augustin zweifelte nicht, er wurde nicht irre an seinem Gott. Das Licht der Ewigkeit leuchtete ihm in das Dunkel seiner Zeit, und die Hoffnung des Glaubens auf den ewigen Sabbat ließ ihn starkmütig ertragen das lastende Dunkel der sechs irdischen Tage von Unglück und Not. Ihm war auch noch der Gott der unbegreiflichen Wege und Gerichte der Gott der Liebe und Barmherzigkeit.

Quelle:
Pater Karl Rahner SJ: Das große Kirchenjahr. Hrsg. von Albert Raffelt, Freiburg im Breisgau: Herder, 4. Aufl. 1992, Seiten 509-512

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Siehe auch die neue Ausgabe: Karl Rahner - Sämtliche Werke

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