18. SONNTAG – A

31. 7. 2005

 

Der 'Gekreuzigte Christus' als Quelle der Gerechtigkeit - Predigt zum Römerbrief

Mutterhaus der Ritaschwestern

Vorspann

Vielleicht erinnern Sie sich noch an meine Predigt hier am 10. Sonntag in diesem Jahreskreis A.

Ich sagte damals, die Kirche lege uns vom 9.-24. Sonntag in der zweiten Lesung jeweils Texte aus dem Römerbrief des Apostels Paulus vor. Dieses Schreiben sei aber keine Kaffeelektüre! Gerade deshalb sollten wir uns alle Mühe geben, um in seine Tiefen und in seine Schönheit einzudringen.

Der erste Teil des Römerbriefes handelt von der Gerechtigkeit Gottes, die Christus uns schenkte. Dieser Teil endet mit der heutigen kurzen Lesung. Sie besteht aus vier Sätzen, geschrieben in einer leidenschaftlich appellierenden, gerade deshalb aber in einer ebenso faszinierend hymnischen Sprache.

Der hl. Augustinus hat in sein Handbuch für Prediger einige Texte auch aus dem Neuen Testament mit aufgenommen, um zu zeigen, wie man begeisternd predigen soll: Man muss, so sagt er, von der Sache, die man verkündet, begeistert sein. Unter seinen Texten findet man auch unsere Lesung [1].

Die Sache, von welcher der Apostel Paulus begeistert war, ist die Person und das Heilswerk Jesu Christi. «Wir aber predigen Christus als den Gekreuzigten», schrieb er der Gemeinde von Korinth (1 Kor 1,23) – darin erblickte er die Substanz christlicher Verkündigung. Als Kardinal Julius Döpfner Bischof von Würzburg wurde, wählte er diesen Satz als Leitspruch für sein bischöfliches Amt.

Der ‹Gekreuzigte Christus› als Quelle der Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt, ist das Thema des Römerbriefes, davon soll auch in der Predigt die Rede sein.

 

Predigt

Ich denke, Sie haben etwas von der Begeisterung verspürt, die unsere Lesung aus dem Römerbrief beseelt. Diese beschwörende Frage gleich zum Beginn: «Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?» mit der impulsiv konkretisierenden Nachfrage: etwa «Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?» Darauf aber die präzise und bündige Antwort: «All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat».

In diesen zwei Versen wird zwar knapp, rhetorisch jedoch ungemein wirksam die Konsequenz daraus gezogen, was der Apostel in den vorausgegangenen acht Kapiteln mit der ihm eigenen Glaubens- und Überzeugungskraft den Adressaten seines Briefes dargelegt hat.

Worum ging es da? Um nichts Geringeres als um Gottes Handeln am Menschen, gezielt an seinem Sohn, den er zu unserem Heil in die Welt gesandt hat – es geht, wie eingangs gesagt, um Gottes Gerechtigkeit, die er uns durch Christi Heilstat schenkt.

Wie ist dies zu verstehen? Dass Gott dank seiner Vollkommenheit gerecht ist, dürfte verständlich sein. Wer von uns hingegen vermag von sich zu behaupten, dass er Gott gleich gerecht sei? Allen, so argumentiert der Apostel in den ersten Kapiteln seines Briefes, allen, Juden wie Heiden, mangelt es am Gerechtsein, weil alle «unter der Herrschaft der Sünde stehen» (3,9).

‹Gottes Gerechtigkeit›, von der im Römerbrief die Rede ist, meint nicht, dass Gott uns Menschen nach unserem Verdienst belohnt oder bestraft, ‹Gottes Gerechtigkeit› meint, dass er seine Gerechtigkeit den Menschen zuteilt, allerdings nicht umsonst, sondern aufgrund der Sühne seines Sohnes. «... alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren», so fasst der Apostel seine Zustandsbeschreibung der Menschheit zusammen, er fährt aber vielsagend fort: «Ohne eigenes Zutun werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne wirksam durch Glauben» (3,23f.).

Nicht selten kann man hören: Was ist das für ein Begriff von Gott, der auf Sühne besteht, dazu noch auf Sühne durch die Hinrichtung seines Sohnes? Aber, es sei die Gegenfrage gestattet: Was ist das für ein Begriff von Gerechtigkeit, die Unrecht nicht mehr wahrnimmt, nicht mehr wahrnehmen will?

Nicht so der Apostel! Er nimmt die Sünde an seiner Existenz immer noch deutlich wahr, was ihn bekümmert – nachzulesen im 7. Kapitel dieses Briefes. Aber gerade dies, so behauptet er, sei das Evangelium, sei seine ihn froh machende Botschaft an alle, über die er nur jubelnd sprechen kann. Etwa so: «Gerecht gemacht aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus». Welche Zuversicht! Welches Vertrauen! «Durch ihn haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung, mit der wir der Herrlichkeit Gottes entgegengehen. Mehr noch: wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen, durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist» (5,1-5).

Der Apostel scheut sich also keineswegs, gerade in der Hingabe des Sohnes die Liebe als Gottes Wesen zu erkennen. Denn er fährt fort: «Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist ... Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Gericht des Zornes gerettet werden» (5,8f.).

Vor diesem Hintergrund zieht der Apostel sein auch sprachlich so faszinierendes Resümee. Wie gesagt, dieses ist deshalb ein begeisterndes, weil er von der Sache, die er darlegte, begeistert war – er, der sicher alles andere als ein bequemes Leben führte. Aber wovon sein Herz voll war, davon floss sein Mund über. Voll war sein Herz von der Gewissheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Diese Gewissheit ließ ihn alles Irdische dem hintansetzen, was vor ihm lag: das Leben bei Gott aufgrund der Gerechtigkeit, die Gott den Seinen aufgrund der Verdienste Jesu schenkt.

Das Resümee, ein absoluter Höhepunkt der neutestamentlichen Verkündigung, beginnt bereits einige Sätze vor unserer Lesung. Lassen Sie mich den ganzen Text vortragen, und die Predigt damit zugleich beschließen:

«Was ergibt sich nun, wenn wir dies alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann wider uns? Er hat seinen eingeborenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

Wer kann die Erwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht.

Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist und auferweckt wurde, sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein?

Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?

In der Schrift steht: ‹Um deinetwillen werden wir den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt; wir werden wie Schafe behandelt, die man zum Schlachten führt›.

Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn» (8,31-39).

Wenn wir auf diesem Fundament stehen, das der Römerbrief verkündet, wird uns Christen niemand und nichts anfechten. Im Gegenteil: Es bietet uns eine Standfestigkeit, die mit allen Widrigkeit des Lebens, den Tod miteinschließend, fertig wird. Als Papst Johannes Paul II sterbend sich verabschiedete, sagte er: «Ich bin froh, seid Ihr es auch!». Nochmals: Welche Zuversicht! Welches Vertrauen! Aber auch welch ein Vermächtnis! Amen.

 

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[1] ‹Handbuch für Prediger› ist speziell das 4. Buch von De doctrina christiana. Im § 42 spricht der Kirchenvater vom ‹grande dicendi genus›, vom erhabenen Stil einer Rede. Dort zitiert er Röm 8,28-39 und zuvor schon im § 11 Röm 5,3-5.