Augustinus - Zeugnis 2005

zu 1 Kor 11,17-28 – Augustin Sermo 272 - Lk 19,1-10

«Eucharistie und Gemeinde – die Frage nach der Würde»

Augustinerkirche Weiden und Würzburg am 27./28.08.2005

Bruder Peter Reinl, Prior des Konvents St. Augustin, Würzburg

Liebe Schwestern und Brüder,

früher war doch alles besser! Diesen Satz kennen wir – und viele von uns sind davon überzeugt, dass er stimmt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Kirche. Früher war alles besser:

· Die Kirchen waren voller

· Die Menschen frömmer

· Die Priester bescheidener

· Die Gottesdienste mystischer

· Brot und Wein hoch-würdiger

· Die Bischöfe souveräner

· Die Gläubigen höriger

· Die Jugend war anständiger (und v.a. da)

· usw.…

Generation für Generation transportiert diesen Satz – aber ob er alleine dadurch schon richtig wird?

Werfen wir doch einfach mal einen Blick auf eine christliche Gemeinde, die vor gerade einmal zweitausend Jahren – ich denke, das ist ja auch «früher» - versuchte, ihren Glauben zu leben. Gemeint sind die Christinnen und Christen, die um das Jahr 50 in Korinth leben.

Korinth war damals eine blühende Stadt – reich … Man könnte sogar sagen: Wer Korinth sagt, der sagt «Wirtschaft».

· Wirtschaftliches Treiben bestimmte diese 100.000-Einwohner-Stadt mit ihren beiden Häfen. Es gab Banken, Handelsniederlassungen, Schiffswerften, Transportunternehmen, Kaufhäuser …,

· es gab Fischer, Gerber, Tuchmacher, Hafenarbeiter en masse, Sklaven - jeder 3. Einwohner (!) war Sklave oder Sklavin – es gab Zimmerleute und Zeltmacher und Bäcker und Kleinbauern und Großgrundbesitzer und natürlich - nicht zu vergessen - die vielen Prostituierten, für die Korinth berühmt-berüchtigt war … .

Als Paulus so um das Jahr 50 auf seiner 2. Missionsreise nach Korinth kommt, da betritt er eine Stadt, die ein Schmelztiegel ist aus verschiedensten Rassen, Klassen, Religionen und Nationen. Und als er dann 1 1/2 Jahre später wieder von Korinth weiterzieht, da hinterlässt er eine kleine christliche Gemeinde, vielleicht 50, 100 oder 200 Leute, die wohl nichts anderes sind als ein Abbild dieses Schmelztiegels – halt im Kleinen.

· Und wie es eben in der Stadt Reiche und Arme, Sklaven und Freie, Fleißige und Faule gab, so gab es auch in dieser kleinen Gemeinde der Messiasanhänger Reiche und Arme, Sklaven und Freie, Fleißige und Faule.

· Und jenseits dessen: Auch nachdem ein Korinther Mitglied in der christlichen Gemeinde geworden ist bleibt er doch Korinther, und die Sklavin bleibt Sklavin, der Hafenarbeiter Hafenarbeiter. Und gleiches gilt natürlich für die Großmäuler, Legalisten, Zwanghaften, Choleriker und Neurotiker … Sie bleiben meist neurotisch, cholerisch, zwanghaft, legalistisch, marktschreierisch.

Kein Wunder also, dass es bei dieser Mischung recht schnell Konflikte in der Gemeinde von Korinth gab. Die Briefe, die Paulus in den folgenden Jahren an sie schreibt, sind voll davon:

· Da gab es verschiedene Parteiungen: Die einen hielten zu Paulus, andere zu Apollos, andere zu Kefas (1 Kor 1,11ff).

· Da gab es eine erschreckende Konkurrenz unter den verschiedenen Predigern (1 Kor 3,5-17; 2 Kor 3,1; 10,12ff).

· Da gab es Leute, die Angst hatten, auf dem Markt Fleisch zu kaufen, weil es ja vorher im Tempel einer «heidnischen» Gottheit geweiht wurde; andere wiederum machten sich über diese Ängstlichen lustig (1 Kor 8,1-13).

· Eine weitere Gruppe sprach Paulus ab, ein richtiger Apostel zu sein (1 Kor 9,1-18).

Nur zur Erinnerung: «Früher war ja alles besser»

· Dann wird von einem Mann berichtet, der mit seiner Stiefmutter zusammenlebte; und die Gemeinde duldete das auch noch und bildete sich auf ihre "Toleranz" auch noch etwas ein. «Alles ist erlaubt» war wohl ihr Motto (1 Kor 5,1-13).

· Da sah man es als Zeichen christlicher "Freiheit" an, wenn die Männer sich mit den Tempelprostituierten, deren es in Korinth viele gab, verkuppelten (1 Kor 6,12-20).

· Ja, da gab es sogar Leute, die die Auferstehung der Toten leugneten (1 Kor 15,1-59)

· Es gab Leute, die sich vorkamen, als seien sie allein vom heiligen Geist beseelt (1 Kor 12,1-3).

· ... (Die Zeit reicht nicht, all diese Konflikte auch nur aufzählen.)

… aber – wie gesagt – früher war ja alles besser, oder?!

Ein Zustand machte Paulus besonders zu schaffen - wir hörten vorhin davon in der Lesung – nämlich: Für ihn haben die Versammlungen der Gemeinde nichts mehr zu tun mit der Feier des Herrenmahles. Die Leute, die zusammenkommen, um Brot und Wein zu teilen, scheinen für Paulus am Wesentlichen vorbeizuschrammen. Ein herber Vorwurf!

Ich denke, es macht Sinn gerade in diesem Jahr, welches der verstorbene Papst ja zum eucharistischen Jahr erhoben hat, beim Thema Eucharistie und Gemeinde zu verweilen.

Was stört Paulus eigentlich so sehr an den Zusammenkünften der Messiasanhänger von Korinth? Was meint er damit, wenn er ihnen schriebt: «Wer (von euch) also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn»? Wer bzw. was ist hier für Paulus «unwürdig»?

Wahrscheinlich würden wir heute sagen, was auch immer wieder von obersten Stellen zu hören ist: «Unwürdig» sind die Korinther selbst, was sonst? Und weil sie unwürdig sind – aufgrund ihres Lebenswandels etc. – können sie auch nicht würdig bei ihren Versammlungen das Herrenmahl mit Brot und Wein feiern. Das ist unser heutiges Beicht- und Bußverständnis: Sünde – Beichte – erst dann Kommunion.

Paulus wäre nicht wenig verwundert, würde er von dieser Wirkungsgeschichte seiner Sätze an die Korinther erfahren. Ihm scheint es bei seiner Kritik an den korinthischen Zusammenkünften nämlich um etwas ganz anderes, für ihn viel wichtigeres, zu gehen.

Für ihn sind nämlich nicht die Feiernden (nicht die Menschen) unwürdig, Brot und Wein zu teilen; unwürdig ist vielmehr die Art des Feierns. Paulus hat ein Problem mit der Form der Zusammenkünfte der Korinther, weil diese Form für ihn nicht mehr dem Herrenmahl entspricht.

Für Paulus ist unglaublich, was sich da in Korinth bei den Versammlungen abspielt, dass nämlich jeder – wie er schreibt – «sogleich seine eigenen Speisen verzehrt, und dann der eine hungert, während der andere schon betrunken ist». Was Paulus stört ist nicht in erster Linie die Fehlerhaftigkeit der einzelnen (wie wir auf den ersten Blick vielleicht meinen). Was ihn wirklich stört ist, dass es innerhalb der christlichen Gemeinde keinen Deut anders zugeht als außerhalb. Die Reichen, die Unternehmer, die Sklavenhalter, die die in der Welt Korinths eben ohnehin eher oben stehen, sie etablieren mit ihrem fragwürdigen Verhalten diese Rangordnung auch in der kleinen christlichen Gemeinde:

· Die einen schuften den ganzen Tag am Hafen oder sonstwo, um überhaupt das Nötigste zum Leben zu haben. Auf Schritt und Tritt bekommen sie mit, dass sie die kleinsten Rädchen im System sind, dass sie in der Rangordnung ganz unten stehen, dass sie sich alles sagen lassen müssen und selbst nichts zu sagen haben. Erst spät kommen sie zur Gemeindeversammlung, um mit ihren Brüdern und Schwestern in Erinnerung an Jesus Brot und Wein zu teilen.

· Die anderen dagegen sind reich, sie lassen arbeiten. Sie kommen früher zur Versammlung, bringen Köstliches mit und lassen es sich mit Ihresgleichen gut gehen. Ihr großtuerisches Gehabe legen sie auch in der Gemeinde nicht ab. Besoffen und vollgefressen sind sie, bis die anderen – von Sonne und Arbeit hungrig und durstig – zum Mahl kommen.

Mit Recht fragt Paulus sie deshalb vorwurfsvoll: «Verachtet ihr die Kirche Gottes? Wollt ihr jene demütigen, die nichts haben?» D.h.:

· Merkt ihr nicht, dass das Mahl ohne wenn und aber verbunden ist mit der Gemeinde, dass sich die Gemeinde mit all ihren Gliedern im Mahl wiederspiegelt, die Gemeinde, die doch selbst leibhafter Christus ist?

· Merkt ihr nicht, dass es hier um mehr geht als nur um das Teilen von Brot und Wein? In diesen Gaben habt ihr doch den leibhaften Christus mitten unter euch!

· Wollt ihr nicht verstehen, dass ihr beim Mahl selbst hineingenommen werdet in diesen Christus und dass ihr beim Mahl selbst dieser Leib seid.

Paulus kocht, weil das, was da beim Mahl geschieht, alles andere als Jesus und das, was für ihn galt, wiederspiegelt.

· Denn Paulus ist davon überzeugt, dass in Christus keine unterschiedlichen Ränge, kein oben und unten mehr gilt, dass kein Unterschied mehr gilt zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau (Gal 3,28). Deshalb kann er es nicht mit ansehen, dass in Korinth ausgerechnet das Herrenmahl dazu missbraucht wird, Ränge und Ordnungen und Hierarchien zu schaffen, dass die einen ausgerechnet beim Mahl den anderen zeigen müssen, dass sie nichts wert sind, dass sie arm und unbedeutend sind, während sie bedeutend, reich – frei nach Paulus: betrunken sind.

· Paulus ist davon überzeugt, dass das Herrenmahl an das letzte Mahl Jesu und damit an die Mahlpraxis Jesu überhaupt anknüpfen muss, und die war geprägt vom Zusammensein mit den Menschen bei Tisch, die in der Gesellschaft an den Rand gedrängt waren: Lahme und Kranke und Arme und Bettler, Prostituierte, Sünder und Zöllner – wie Zachäus einer war. An seinem Tisch war Platz, es war eine «offene Tischgemeinschaft». Es gab keine Zweiklassengesellschaft von Würdigen und Unwürdigen, von jenen, die zuschauen und jenen, die essen und trinken.

Der Zustand in Korinth, dass das Herrenmahl und die es feiernde Gemeinde nichts mehr miteinander zu tun haben, muss Paulus unheimlich verärgert haben. Und so schreibt er: «Was soll ich dazu sagen? Soll ich euch etwa loben? In diesem Fall kann ich euch nicht loben.»

Man fragt sich schon: War früher wirklich alles besser?

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wahrscheinlich fragen sie sich allmählich, ob ich mich im Manuskript vergriffen habe, schließlich feiern wir heute Augustinus und nicht Paulus? Aber ich kann sie beruhigen: Ich habe mich nicht vergriffen. Ich dachte mir nur, um den Schüler verstehen zu können, muss man auch seine Herkunft, seinen Lehrer kennen. Und Augustinus gilt nun einmal als der größte Schüler des Apostels Paulus. Vieles von dem eben über Paulus und Korinth Gesagten ließe sich auch über Augustinus und Hippo Regius, wo er über 30 Jahre Bischof war, sagen.

· Wie Korinth war Hippo eine bedeutende Hafenstadt, die zweitgrößte Stadt Nordafrikas.

· Auch Hippo war eine Wirtschaftsmetropole, lebte vom Handel, hatte eine vielleicht vergleichbar bunte Bevölkerung.

· Und wenn wir in den vielen Predigten Augustins blättern, dann dürfte die christliche Gemeinde von Hippo, die natürlich um ein zig-faches größer war als die von Korinth, ebenso lebendig, ebenso problematisch, ebenso konfliktträchtig gewesen sein.

Augustinus kannte Paulus wie wohl kein Zweiter in seiner Zeit, er kannte auch dessen Auseinandersetzung bzgl. der unwürdigen Feier des Herrenmahles in Korinth. Er kommt in seinen Predigten und Schriften immer wieder darauf zurück und wenngleich für ihn die persönliche Würdigkeit der Gemeindemitglieder schon eine größere Bedeutung für ein würdiges Herrenmahl hat als dies bei Paulus der Fall war, so liegt seine Interpretation doch noch sehr nahe bei Paulus. Warum? Weil Augustinus wie Paulus das Herrenmahl und die Kirche, die christliche Gemeinde vor Ort zusammenbringt. Im Mahl spiegelt sich die Gemeinde und die Gemeinde spiegelt den, auf den sie sich gründet und sie spiegelt ihn nicht nur, sie verkörpert ihn. Das ist der «ganze Christus»[1]. Als Getaufte, als Männer und Frauen, die glauben, hoffen und lieben sind sie Glieder am Leib Christi. Und so kann Augustinus in seiner Predigt an Neugetaufte auch sagen: «Wenn ihr … selbst der Leib Christi seid und seine Glieder, dann liegt euer eigenes Geheimnis auf dem Tisch des Herrn. Dann empfangt ihr euer eigenes Geheimnis. Auf das, was ihr seid, antwortet ihr: Amen. Und durch diese Antwort leistet ihr gleichsam eine Unterschrift. Du hörst: der Leib Christi! Und antwortest: Amen! Sei darum ein Glied des Leibes Christi, damit dein Amen wahr ist» (sermo 272).

Und in unnachahmbarer Weise fährt er fort, wie es sich für wahre Seelsorger gehört, nämlich mit einem Zuspruch:

«Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid: Leib Christi.»

Für Augustinus ist klar: Ihr, die Gläubigen von Hippo Regius, ihr seid leibhafter Christus – ohne wenn und aber. Und hier folgt Augustinus ganz seinem Lehrer Paulus, der bei aller Problematik, bei allem Ärger und all den Konflikten in Korinth sich ebenfalls aufschwingt zu einem bedingungslosen Zuspruch, wenn er den Korinthern mit all ihrem Durcheinander und Streit schreibt: «Ihr seid leibhafter Christus!» (1 Kor 12,27)

Liebe Schwestern und Brüder, war früher alles besser? Unser Blick nach Korinth und das Blitzlicht auf Hippo Regius haben wohl gezeigt, dass es immer schon Probleme, Streit, Ärger und Konflikte innerhalb der christlichen Gemeinden gab. Das ist so an Orten, an denen es Leben gibt. Und da ist es heute nicht besser und nicht schlechter als früher.

Hinsichtlich der Feier des Herrenmahls wäre ich aber schon gespannt, was Augustinus und Paulus zu unseren Zuständen sagen würden. Paulus jedenfalls hat in Korinth dagegen gekämpft, dass ausgerechnet die Eucharistiefeier zu einem Ort wird, an dem sich Rang und Privileg und Status ausdrücken. Herrenmahl hieß für ihn und für Augustinus: Leibhaften Christus empfangen und zugleich als Gemeinde leibhafter Christus sein, d.h. auch: als Gemeinde die Mahlpraxis Jesu und seine Option für eine Gemeinschaft von Gleichgestellten aufgreifen und fortführen.

Und wie urteilen sie hinsichtlich des Zuspruchs? War das früher besser?

Paulus jedenfalls sieht die Gemeinde in Korinth, ein Konfliktfeld sondergleichen. Er gibt ihr keine neuen Regeln, er setzt nicht eine Autorität über die Gemeinde, die jetzt mal so richtig aufräumt, vielmehr verneigt er sich vor der ganzen Gemeinde und kann nicht anders als ihr zusagen: «Ihr seid leibhafter Christus!» Besser geht’s nicht. Auch Augustinus, der sicher auch fordernd war, spricht der Gemeinde zu: «empfangt, was ihr seid: Leib Christi.»

Beide stehen hier in untrüglicher Tradition des Nazareners, der ein Meister des Zuspruchs war. Ihr seid das Salz der Erde – ohne wenn und aber! Ihr seid Licht der Welt! Ihr seid selig – ohne erst dafür dieses und jenes tun zu müssen! Es ist eine Tradition, in der ein Zachäus vom Baum heruntersteigen darf und - ohne sich an die Brust zu klopfen - mit Jesus Mahl halten kann. Hätte Jesus von Nazareth die Ängstlichkeit und Engstirnigkeit unserer Tage besessen, Zachäus säße noch immer auf dem Baum. Aber Jesus funktionierte anders – Gott sei Dank – und in seiner Folge auch Paulus und wohl auch Augustinus. Sie hatten den Mut zum Zuspruch und ermöglichten so den Männern und Frauen ihrer Zeit den Weg zur Veränderung, zum Leben und zur Freiheit. Mit Verlaub: Das war früher besser!

Feiern wir heute mit Augustinus einen großen Seelsorger und mit ihm den, um den es auch an diesem Fest eigentlich geht: unseren Gott.

--------------------------------------------------------------------------------

[1] Wo immer Männer und Frauen Brot und Wein teilen, empfangen sie den leibhaften Christus, der sie als Gemeinde ebenso sind. Als «ganzer Christus» setzen die Christinnen und Christen zusammen mit dem, auf den sie sich berufen, dessen Werk in der Geschichte fort.