750 Jahre Magna Unio

oder:

Warum 750 Jahre doch noch nicht genug sind!

Predigt von Br. Peter Reinl am 28.08.2006 in der Augustinerkirche Würzburg

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

750 Jahre grosse Union, 750 Jahre Augustinerorden, 750 Jahre mal mehr und mal weniger gelungenes Leben und Zusammen-Leben … 750 Jahre … die Frage sei erlaubt: Sind 750 Jahre nicht genug?

Könnten wir Augustiner anlässlich dieses Jubiläums nicht einfach stolz zurückblicken auf eine lange Tradition, in der Menschen standen wie Girolamo Seripando, der federführend das Konzil von Trient beeinflusste, oder auch Martin Luther – ehemals P. Augustinus – der mit Nachdruck und mit Recht einer Predigt der Werkgerechtigkeit seine Überzeugung von der Gnade und vom Erbarmen Gottes entgegenhielt – unter Rückgriff auf Paulus und Augustinus. Sollten wir nicht einfach stolz auf diese beiden oder auch einen Gregor Johann Mendel hinweisen und auf die vielen, die sich in der Vergangenheit bis zum heutigen Tag – so gut es eben ging – für das Reich Gottes engagierten … und die Klosterpforten schliessen? Die Klöster liessen sich wohl ganz gut verkaufen, unsere Älteren könnten Zimmer in Seniorenresidenzen beziehen, die Jüngeren als Priester in den Diözesen oder sonst wo auf dem Arbeitsmarkt ihren Platz finden. 750 Jahre sind doch wirklich genug, oder?

Wir können natürlich auch umgekehrt fragen: Was hindert uns daran, noch heute die Klosterpforten zu schliessen und als Einzelne loszuziehen? Anders: Wem ist damit gedient, dass es uns Augustiner und unseren Orden gibt? Aus welchen Gründen können wir den Wunsch hegen, dass diesen 750 Jahren noch viele weitere folgen?

Im Vierten Buch seiner Bekenntnisse kommt Augustinus darauf zu sprechen, was für ihn Zusammenleben, ja Gemeinschaft bedeutet. Diese Gemeinschaft ist für mich ein wesentlicher – auf den ersten Blick für viele von Ihnen vielleicht egozentrischer – Grund, warum ich gerne möchte, dass es mit uns weitergeht. Hören wir Augustinus, wie er sich Gemeinschaft vorstellt:

Miteinander plaudern und lachen,

sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen;

gemeinsam schöne Bücher lesen,

miteinander scherzen und sich gegenseitig Achtung schenken;

bisweilen Meinungsverschiedenheiten austragen, aber ohne Hass, wie man auch einmal mit sich selber uneins ist;

durch den nur selten vorkommenden Streit die sonst meist bestehende Übereinstimmung würzen;

einander belehren und voneinander lernen;

die Abwesenden schmerzlich vermissen, die Rückkehrenden freudig begrüßen:

durch solche und ähnliche Zeichen, wie sie in Liebe und Gegenliebe aus dem Herzen sich äußern in Kuss, Worten, Blicken und tausend freundlichen Gesten, einander in Bewegung versetzen, so dass aus den vielen eine Einheit wird. Das ist es, was man an Freunden liebt und dermaßen liebt, dass man sich Gewissensvorwürfe machte, wollte man nicht Liebe mit Gegenliebe, Gegenliebe mit Liebe vergelten, wollte man vom anderen noch Greifbareres verlangen als solche Beweise des Wohlwollens. (Bekenntnisse IV, 8, 13)

Ich bin froh, gibt es dieses Zusammenleben im Kloster, auch wenn wir oft meilenweit dem von Augustinus gezeichneten Gemeinschaftsbild hinterherhinken. Da mag es schon tröstlich sein zu wissen, dass das auch bei Augustinus nie so recht geklappt hat, dass auch Augustinus hier nicht die Wirklichkeit seines Gemeinschaftslebens umschreibt, sondern vielmehr ein Ideal zeichnet, das wie die Sterne unerreichbar ist, aber doch den Weg weist, die Richtung angibt. Dass es uns Augustiner gibt ist insofern zunächst einmal gut für uns, liebe Brüder. Wir haben uns aus freien Stücken, mit unserer Verschiedenheit, unseren Ecken und Kanten, unseren angenehmen Seiten, mit unserer Intoleranz, aber auch unserer Weite auf einen gemeinsamen Weg gemacht. Wenn wir das von Augustinus Bekannte nicht aus den Augen verlieren, wenn wir das Interesse aneinander bewahren und die Offenheit, einander von uns selbst zu erzählen, dann sind das vielleicht in unserer Sprache diese „Beweise des Wohlwollens“, von denen Augustinus spricht. Und wenn die tonangebend sind, dann haben nicht nur wir, die wir im Kloster leben, etwas davon, sondern alle, die mit uns zu tun haben. Denn im Wissen darum, dass wir uns in unserer Gemeinschaft Tag für Tag umeinander mühen müssen, dass nicht alles klappt, dass das Leben eben anders ist als hehres Ideal … in diesem Wissen werden wir auch den Menschen um uns herum Raum geben für ihre Ecken und Kanten, werden wir nicht Moral, Recht und Gesetz predigen, sondern das Leben, seine Grenzen, die Leidenschaft … werden wir nicht strafen, sondern vergeben und die Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Erinnerung rufen.

Damit eng verbunden scheint mir das Gottes- und Menschenbild, das Augustinus uns vererbt hat. Die Art und Weise, wie er über Gott und die Menschen denkt und nachdenkt scheint mir daher neben der Gemeinschaft ein Zweites zu sein, das dafür spricht, dass wir weiterhin als Augustiner die Stimme erheben sollten. Hören wir zunächst wieder Augustinus:

Gott, mein Herz hast Du mit deinem Wort getroffen und ich liebte dich. Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht die Schönheit eines Körpers noch den Rhythmus der bewegten Zeit; nicht den Glanz des Lichtes, der so lieb ist den Augen; nicht der Blumen und Salben Wohlgeruch; nicht die Melodien in der Welt der Töne; nicht den Körper, der wohltuend ist in der Umarmung: Nichts von alledem liebe ich, wenn ich liebe meinen Gott.

Und dennoch liebe ich ein Licht und einen Klang und einen Duft und eine Speise und eine Umarmung, wenn ich liebe meinen Gott. Dort drinnen in meiner Seele erstrahlt, was kein Raum erfasst; dort erklingt, was keine Zeit entführt; dort duftet, was kein Wind verweht; dort mundet, was keine Sattheit verdrießt; dort schmiegt sich an, was kein Überdruss auseinander löst. Das ist es, was ich liebe, wenn ich liebe meinen Gott. (Bekenntnisse X, 6, 8)

Augustinus war kein Verächter dieser Welt, weder vor noch nach seiner Bekehrung. Mit dieser verbindet sich für ihn aber eine wesentliche Veränderung. Hat vor seiner Bekehrung das Schöne dieser Welt – die Musik, die Natur, der Körper … – seinen Sinn in sich selbst gefunden, so stellt Augustinus all das nach seiner Bekehrung in einen neuen Horizont, den Göttlichen. Unsere Sinne – riechen, schmecken, tasten, hören, sehen … – sie gehören für Augustinus zu uns und sie helfen uns dabei, das Göttliche in dieser Welt und in uns selbst zu entdecken. Wenn also Klang und Duft und Umarmung und Leidenschaft und Liebe mit Gott in Verbindung gebracht werden, dann „rühmen die Himmel die Herrlichkeit Gottes“ (Ps 19,2), dann liebe ich in Licht und Klang und Duft und Speise und Umarmung meinen Gott, dann habe ich den Psalmisten verstanden, der schreibt: „Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast Du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.“ (Ps 104,24).

In einer seiner Predigten – und die dauerten manchmal stundenlang – kommt Augustinus auf den Beweggrund seines seelsorglichen Handelns zu sprechen. Er sagt:

Was will ich? Was ersehne ich? Warum lebe ich überhaupt? Doch nur deshalb, damit wir alle miteinander in Christus glücklich sind. Denn das ist mein starkes Verlangen und meine Freude: Ich will nicht selig werden ohne euch. (Predigt 17,2)

Alleine kann keiner selig werden. Davon ist Augustinus überzeugt. Selig, ja zu beglückwünschen ist nur der und die, welche es versteht, Gottes- und Nächsten- und Selbstliebe unter einen Hut zu bringen. Was Augustinus damals als Seelsorger wichtig war, nämlich dass so viele wie möglich an dieser Seligkeit teilhaben, das sollte auch uns Augustinern heute wichtig sein: den Menschen nahe zu bringen, dass sie Gott nur in sich selbst und im Nächsten lieben können. Mag dieser Sachverhalt auch völlig abgedroschen klingen, ich bin mir sicher: Wenn unsere Seelsorge hier von dieser Überzeugung getragen ist, dann macht sie Sinn und es ist gut, dass wir hier sind.

Liebe Schwestern, liebe Brüder. Unsere Seelsorge; ein positives Gottes- und Menschenbild; der tägliche Versuch, Gemeinschaft zu leben – das sind drei von vielen Gründen, warum es sinnvoll sein dürfte – für uns Augustiner und für Sie – dass wir die Pforte geöffnet lassen, dass wir uns auch zukünftig um uns selbst und um Sie mühen, dass wir weiterhin ein Stück Weges gemeinsam gehen. Insofern möchte ich abschließend doch kurz und bündig – zumindest meine Meinung festhalten: 750 Jahre sind viel, aber – Gott sei Dank – noch nicht genug.