28. August Gedenktag

Augustinus

Bischof, Kirchenlehrer

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Auf einem Fresko aus dem 6. Jahrhundert im Lateran rühmt ein lateinischer Vers den hl. Augustinus als den größten unter den Kirchenvätern. Dem Vers zufolge hätten zwar von den Vätern der eine dies, der andere jenes gelehrt; allein Augustinus habe das Ganze der Offenbarung zur Sprache gebracht. Trotzdem war dieser Heilige eher Seelsorger als ein Gelehrter. Eines der lesenswertesten Bücher, die es über ihn gibt, trägt nicht umsonst den Titel: „Augustinus der Seelsorger“ (F. van der Meer, Köln 31958).

Augustinus, Sohn des Heiden Patricius und der Christin Monika, wurde 354 in Tagaste (Tunesien) geboren. Seine Irrwege und seine Bekehrung zum Christentum 386 in Mailand erzählt er unter dem Leitmotiv der Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32) in den Weltliteratur gewordenen „Bekenntnissen“, in denen er zugleich Gottes Erbarmen am Menschen preist. Sein ganzes Denken kreist fortan um dieses zentrale Thema. Nach seiner Taufe kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er in klösterlicher Umgebung zunächst das Leben eines Gelehrten führte. Schon damals begann er sich mehr und mehr dem Studium der hl. Schrift zu widmen, über die er „Tag und Nacht“ (Ps 1, 2) meditierte und die er auch seinem literarischen Schaffen zugrunde legte. Dabei kam ihm seine umfassende Bildung zugute. 391 wurde er jedoch Priester und etwa vier Jahre später Bischof der Hafenstadt Hippo. Die Seelsorge nahm ihn nunmehr voll in Anspruch. Und dennoch, als er im Alter von 76 Jahren starb, hinterließ er ein immenses schriftstellerisches Werk, in dem er den Glauben der Kirche verteidigte und vertiefte. (Literaturhinweis: Augustinus-Lexikon, Basel/Stuttgart 1986 ff.)

2. Persönlicher Zugang zum Gedenktag

Bei Augustinus verhalten sich Orthodoxie und Orthopraxie zueinander wie die beiden Seiten einer Münze. Statt Orthodoxie sprach er allerdings lieber von der Wahrheit und statt Orthopraxie von der Liebe, wobei er die Wahrheit mit dem Christus des Evangeliums, die Liebe hingegen mit dem an der Person eben dieses Christus in Erscheinung tretenden Heilshandeln Gottes an uns Menschen identifizierte. Christus, so wurde er nicht müde zu betonen, ist nicht nur ein von Gott gesandter Weiser oder Prophet - das ist zu wenig und nicht der Glaube der Kirche -, Christus ist vielmehr der Gottmensch, d. h. der „eine Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (1 Tim 2,5), von dem die hl. Schrift lehrt, daß durch ihn und auf ihn hin alles geworden ist (Joh 1, 1-3; Kol 1, 16f), der in der Fülle der Zeit Mensch wurde (Gal 4, 4; Joh 1, 14), um den Menschen zu erlösen. Christus ist somit unser Schöpfer und unser Erlöser, und er ist deshalb unser Erlöser, weil er auch unser Schöpfer ist. Christus ist somit die schon im Neuen Testament personalisierte Wahrheit des Glaubens (Joh 14, 6), mit welcher der Glaubende nicht nur die einzelnen Glaubenswahrheiten, sondern alles Wahre, das er bereits in diesem Leben wahrnimmt, in Verbindung bringt. Im Erlösungswerk Christi manifestiert sich zugleich die Liebe; denn diese wurde uns dadurch geoffenbart, „daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt sandte, damit wir durch ihn leben“ (1 Joh 4, 9).

Mit seinen Bemühungen, die Wahrheit und die Liebe im dargelegten Sinn als die Mitte des christlichen Glaubens zu verdeutlichen, erwies der hl. Augustinus sich als ein zuverlässiger Wegweiser, dem darin zu folgen die Kirche ihren Gläubigen auch heute noch ans Herz legt.

3. Hinweise zu den Schrifttexten (1 Joh 4, 7-16; Mt 23, 8-12)

Sinnigerweise wählt die Liturgie als Lesung eine Perikope aus dem ersten Johannesbrief (4, 7-16), in welcher der neutestamentliche Verfasser dieses Briefes das Wesen der aller menschlichen Liebe vorgegebenen Schöpfer- und Erlöserliebe Gottes entfaltet. Christliche „caritas“ - auch als Tugendübung - hat die Annahme dieser Schöpfer- und Erlöserliebe Christi zur Voraussetzung. Nicht weniger treffend ist im Blick auf das christologisch fundierte und auf das personalisierte Wahrheitsverständnis die Wahl der Evangelienperikope aus dem Matthäusevangelium (23, 8-12). Sie formuliert den Absolutheitsanspruch der Lehre des Evangeliums sowie die daraus sich ergebende Struktur der christlichen Gemeinde. Bündig faßt der Kommunionvers den Kern der Frohbotschaft zusammen und gestaltet sie zusammen mit dem Zwischengesang zum Leitthema der gottesdienstlichen Feier: „Nur einer ist euer Lehrer: Christus. Ihr alle aber seid Brüder.“

4. Homiletische Vorüberlegungen

Das Thema der Predigt, der Christusbezug von Wahrheit und Liebe, ist durch die Textauswahl des Wortgottesdienstes vorgegeben. Der biblischen Offenbarung Rechnung tragend, ist durchaus im Sinne Augustins nicht nur zwischen dem Glauben als Summe der geoffenbarten Wahrheiten (fides quae) und dem Glauben als Vertrauen (fides qua) zu unterscheiden, sondern zugleich auch daran festzuhalten, daß für das christliche Existenzverständnis einer der genannten Aspekte allein nicht genügt. Denn nur jener Glaube führt zum Heil, der sich Gott anheimgibt (Röm 4, 3) und der sich in der Liebe auswirkt (Gal 5, 6). Die Wahrheit, die der Christ aus dem Glauben an Christi Heilswerk kennt, und die Liebe, zu welcher derselbe Glaube ihn anhält, bedingen sich gegenseitig. Christliche Verkündigung hat nach Augustin diese Einsicht stets zur Voraussetzung. Sie zielt auf deren Vermittlung und Vertiefung.

5. Predigtentwurf

„Inmitten der Kirche öffnete der Herr ihm den Mund.“ Mit diesem Bibelvers (Sir 15, 5) beginnt der Wortgottesdienst zum Fest des Kirchenlehrers Augustinus, der wie kaum ein zweiter in der Lage war, den christlichen Glauben auch in seinen Predigten so darzulegen, daß selbst der sogenannte kleine Mann von der Straße es wissen konnte, worauf es da allem voran ankommt. Augustinus war von Beruf Lehrer, Professor der Rhetorik. Er blieb dies auch nach seiner Bekehrung zum Christentum. Tag für Tag saß er auf der Kathedra in seiner Basilika, umringt von den Scharen der Gläubigen, die zumTeil aus fernen Ländern anreisten, um ihn, den gefeierten Theologen und Redner, zu hören. Dennoch war er zutiefst davon überzeugt, daß letzten Endes nicht er lehrte. Keiner hätte dem, was wir im Evangelium gehört haben - wir sollen niemanden einen Lehrer nennen, denn nur einer ist der Lehrer, Christus -, mehr zugestimmt als er. In einer seiner Schriften, der er den vielsagenden Titel „Der Lehrer“ gab, legte er ausführlich dar, daß wir Menschen, wo und wann immer wir Wahres erkennen, dies nur deshalb vermögen, weil wir dazu durch das Licht des Geistes befähigt werden. Diese Befähigung kommt von Christus, dem Prinzip der Schöpfung und Inbegriff allen Wissens.

Nach Augustins Auffassung ist Gegenstand der Lehre das Wahre oder, wie er zu sagen pflegte, die Wahrheit. Er wußte jedoch, wie schillernd, wie vieldeutig die Wahrheit wird, wenn Menschen sich ihrer bemächtigen. Aus diesem Grunde wollte er sie in Gott verankert wissen. Darüber hinaus teilte er die Auffassung, daß uns Menschen, solange wir in dieser Welt leben, der Einblick in das Ganze der Wahrheit versagt bleibt, daß wir dieses, wie schon der Apostel sagte, hier nur wie in einem Spiegel zu schauen vermögen (1 Kor 13,12). Was wir wahrnehmend erkennen, sind stets Teile. Das hinter allem einzelnen verborgene Ganze der Wahrheit zeigt sich uns nur bruchstückhaft. Der Sinn für das Ganze ist uns vorläufig allein im Glauben gegeben.

Zu diesem Ganzen gehören vor allem jene Fragen, die unser Heil betreffen. Gerade unter diesem Aspekt ist Augustins Auffassung von Christus dem Lehrer bedeutsam. Denn auf die Frage, worin denn die Lehre dieses einzigen Lehrers bestehe, erhalten wir die Antwort: im Evangelium. Das Evangelium beschränkt sich jedoch nicht auf sittliche Gebote und Verbote, es bezieht sich allem voran auf Christi Erlösungswerk. Der hl. Augustinus fand es in der Lesung unseres Wortgottesdienstes sozusagen auf den Nenner gebracht: „Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbar, daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern darin, daß er uns geliebt hat und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.“ Evangelium meint somit Erlösung, und sie besteht in der Hingabe des Sohnes Gottes als Sühne zu unserem Heil. „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“, bekennt die Kirche bei jeder Feier der Eucharistie, und sie bestätigt damit gleichsam Christi Heilswerk als den Kern und die Mitte ihres Glaubens.

Freilich wird mit diesem bekennenden Zuruf zugleich eingestanden, daß der Mensch erlösungsbedürftig ist. Solch Eingeständnis mag uns heute angesichts des Fortschrittes in den Wissenschaften und in der Technik schwerfallen. Das moderne Lebensgefühl suggeriert die selbstgerechte Frage: Haben wir es nicht weit gebracht? Ihre Beantwortung bleibe dahingestellt. Das Heilsverständnis des an Christus Glaubenden übersteigt weltliches Heil. Dies besagt nicht, der Glaubende brauche sich um diese Welt nicht zu kümmern, wohl aber, daß er sein Heil weder von dieser Welt noch in dieser Welt erwartet. Ihm wird das Heil als verheißenes ewiges Leben geschenkt. Das ist die frohe, weil froh machende Botschaft des Evangeliums.

Christ werden und Christ bleiben - dies hat der hl. Augustinus den Lesern seiner Bücher und den Hörern seiner Predigten immer wieder eingeschärft - ist eine durch das Heilswerk Christi vermittelte, unverdiente Gnade. Was Augustinus in seinen Weltliteratur gewordenen „Bekenntnissen“ dem Leser vermittelt, das ist Gottes Heilshandeln am Menschen - mustergültig aufgezeigt an der Bekehrung ihres Verfassers. Christ sein ist mehr als natürliche Gotteserkenntnis und Sittlichkeit. Es hat das Ein- und Zugeständnis der Ohnmacht, das Heil aus eigenem Vermögen wirken zu können, es hat die Demut sowohl auf Seiten des Menschen wie auch auf Seiten Gottes zur Voraussetzung. Freilich, einen den Menschen entgegenkommenden demütigen Gott, den das Evangelium in der Menschwerdung Christi verkündet und den es in der Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) illustriert, den vermögen viele nicht anzunehmen. Der hl. Augustinus erkannte aber gerade in dieser Parabel, die wie ein Leitfaden seine „Bekenntnisse“ durchzieht, die Geschichte eines jeden Menschen in bezug auf dessen Unheil und Heil. Er erkannte darin das Geschick Adams und aller Adamskinder als ein Wegstreben von Gott und als ein Verweilen in der Fremde. Im Lichte des Evangeliums von Christi Menschwerdung und Erlösungswerk legte er seine als Rückkehr ins Vaterhaus gedeutete Bekehrung so aus, daß dabei die Initiative unmißverständlich Gott allein zukam. Denn während der von seinem Schöpfer getrennte Sünder in der Fremde umherirrte, blieb Gott als Schöpfer und Erlöser, der Liebe ist (1 Joh 4,8), sozusagen sich selbst treu. Er gab den Entfremdeten, den Sünder, nicht auf. Im Gegenteil, er unternahm das Äußerste zu dessen Rettung: Er gab den Sohn dahin, um den Knecht zu erlösen (Exsultet).

Christliches Verständnis von Wahrheit und Liebe resultiert somit aus dem Glauben an Christi Person und Werk. Darum heißt es auch in unserer Lesung: „Wir haben die Liebe erkannt und an die Liebe geglaubt, die Gott zu uns hat.“ Der hl. Augustinus wurde nicht zuletzt deshalb zum bedeutendsten der Kirchenväter, weil er sein im Dienste der Verkündigung stehendes theologisches Denken konsequent auf diese in der biblischen Offenbarung grundgelegte Mitte hin ausrichtete. An seinem Gedenktag bittet die Kirche zu Recht Gott, er möge in ihr aufs neue jenen Geist erwecken, mit dem er den heiligen Bischof erfüllt hat.

Cornelius Mayer

Entnommen:
Franz Josef Stendebach / Klaus Roos (Hg.): Predigthilfen zu den Festen und zu ausgewählten Gedenktagen des Kirchenjahrs. Persönlicher Zugang – Hinweise zum Festtag – Exegese – Predigtentwürfe. Mainz 1992, Seiten 214-218.