Abschiedsfeier für Herrn Wolf-Dieter Amelung
im Waldfriedhof zu Würzburg am 9.8.2012

Ansprache: Prof. Dr. Cornelius Petrus Mayer OSA

Verehrte Trauergemeinde! Verehrte Familie Amelung!

«... die Zeit ist um», stand in der Anzeige der Main-Post über Wolf-Dieter Amelung zu lesen. «Omnia fert tempus, pariter rapit omnia tempus», sagten die Lateiner. «Die Zeit bringt alles, sie rafft auch alles weg». Wirklich alles? Zeit ist Bewegung. Wer aber bewegt die Zeit selbst mit all dem, was sie bringt und wieder nimmt? Schon der griechische Philosoph Aristoteles meinte, da doch alles einen Grund habe, was in dieser Welt geschieht, müsse es etwas geben, das zwar auch die Zeit bewegt, selbst aber unbewegt ist.

Die Religionen aller Zeiten und Zonen – auch die biblischen – haben wohl aus diesem Grunde Erzählungen und Mythen dichterisch gestaltet, wonach ein Gott genanntes Wesen mit der Schöpfung einen Anfang setzte. Zugleich haben sie mit der Erschaffung des Menschen Geschichten inszeniert, also buchstäblich in Szene gesetzt, die zeigen sollten, dass und wie Gott die Fäden all dieser für uns oft undurchschaubaren Geschichten letzten Endes lenkt und beherrscht.

Der ewige Gott und der vergängliche Mensch sind ein Dauerthema auch der Bibel. Ich darf Ihnen aus einem ihrer literarischen Höhepunkte, aus dem Psalm 90 einige Sätze vortragen:

«Herr, du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.

Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub und sprichst: ‹Kommt wieder ihr Menschen!›.

Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.

Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; sie gleichen dem sprossenden Gras.

Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt. ...

Denn all unsere Tage gehen dahin ..., wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer.

Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig».

Wie anschaulich, wie zutreffend für Wolf-Dieter Amelung, der gerade im 70. Jahr seines Lebens uns genommen worden ist! Warum so früh – heutzutage, da doch nicht wenige 90 bis 100 Jahre alt werden? – mag der eine oder andere fragen. Aber wer von uns Endlichen kann oder darf schon dem Unendlichen sozusagen in die Karten schauen? Auch dazu noch einmal die Bibel: «... meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege. Nein, so hoch der Himmel über der Erde, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken», heißt es beim Propheten Jesaja 55,8-10. Das Leben eines jeden und einer jeden ist und bleibt im Blick auf seine Länge wie Kürze, Erfolge wie Misserfolge, Wonnen wie Schmerzen ein unlösbares Rätsel, ein nicht zu beantwortendes Geheimnis.

Gilt dann der Dank nicht umso mehr dem, der ein Leben wie das von Wolf-Dieter Amelung, eines erfolgreichen Kunsthändlers, alles in allem doch gedeihlich verlaufen ließ? Und ist dieser Gott im Großen wie im Kleinen nicht schlechthin Künstler? Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen anderen Philosophen zurückgreifen, auf Plotin, der im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine Schrift Über das Schöne verfasste. Darin wird zwischen dem Schönen ‹im Bereich des Sinnlichen›, das vergeht, und der Schönheit ‹im Bereich des Geistigen›, das nicht vergeht, unterschieden und geschieden. Schönes und Schönheit zeichnen danach die ‹Grundstruktur des Seins›, den Kosmos, das Universum aus. Etwas in Raum und Zeit ist deshalb schön, weil es teilhat an der unwandelbaren und unvergänglichen Schönheit, die ausschließlich der Sphäre des Göttlichen eigen ist. Kunst habe die Aufgabe, den Menschen die Hinwendung, den Aufstieg über das Schöne, das vergeht, zum Schönen, das bleibt, zu lehren und ihn dorthin zu führen (Enneade 1,6,4.9). Der Kirchenvater Augustinus, ebenfalls ein Ästhet vom Rang und Anhänger der Philosophie Plotins, nannte Gott, den Schöpfer, deshalb mit Vorliebe: ‹artifex›, ‹Künstler›, und ‹die Schönheit alles Schönen› (Die wahre Religion 72 und Bekenntnisse 3,10).

Ich kannte Herrn Wolf-Dieter Amelung nicht näher. Ich begegnete ihm lediglich bei der Hochzeit von Prof. Dieter Gekle und dessen Gattin Gisela, bei der er als Trauzeuge auftrat. Ich nehme aber an, dass er durch seinen Beruf als Kunsthändler vielen seiner Kunden ästhetische Werte vermittelt und ihnen somit den Weg zum Schönen gewiesen hat. Im Hinblick auf seine enge Verbindung zu allen Kunstschaffenden, möchte ich ihm – bildlich gesprochen – Worte aus dem Psalm 139 in den Mund legen, mit denen der Verfasser dieses Psalmes – zweifelsohne ein begnadeter Dichter – den preist, der ihn so kunstvoll erschaffen hat. Es sei dies eine Hommage, eine Huldigung und Ehrerweisung primär an den Künstler schlechthin, an den Schöpfer aller Lebenden, indirekt dann auch an den Verstorbenen Wolf-Dieter Amelung, den ich mit diesem Bekenntnis – um nochmals auf die Zeitungsanzeige zurückzukommen – als einen lediglich für uns ‹stumm gebliebenen› verabschiedet wissen möchte.

«Herr, du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: staunenswert sind deine Werke

Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen ..., waren meine Glieder dir nicht verborgen.

Deine Augen sahen, wie ich entstand; in deinem Buch war schon alles verzeichnet.

Meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.

Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl!

Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir».